Protocol of the Session on March 12, 2014

Über eine Ausweitung der Auswertung auch auf Straftaten, deren Täter einer Verurteilung zugeführt wurden, ist bislang zwischen Bund und Ländern noch nicht entschieden worden. Das zwischen Bund und Ländern abgestimmte Vorgehen sieht im Nachgang der ersten Überprüfungsphase zunächst eine Evaluation der Fallanalyse vor, auf deren Grundlage die Innenministerkonferenz entscheidet, wie in Bezug auf die Überprüfung weiterer Delikts- und Fallgruppen weiter verfahren wird.“

Ein weiterer Punkt des Antrags – diese Punkte sind damit aus meiner Sicht erledigt – sind die Strategien, über die die Staatsregierung berichten soll, die sie entwickelt, damit Straftaten mit einer rechtsextremistischen Motivation besser identifiziert werden. Genau dafür gibt es eigentlich genügend konkrete Vorschläge, zum Beispiel durch den Bundestagsuntersuchungsausschuss zum

Terrornetzwerk NSU; im Abschlussbericht sind diverse Empfehlungen diesbezüglich enthalten. Es geht um Sensibilisierung, Qualifizierung, Fort- und Weiterbildung der damit Befassten.

Der zweite Problemkomplex, den ich/den wir mit dem Antrag haben, ist das konkrete Leben. Zum Beispiel

werden medial recherchierbare Fälle in den staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Auskunftssystemen in Sachsen nicht mehr gefunden.

Viel schlimmer sind für mich allerdings Fälle, deren Beschreibungen vorliegen, zum Beispiel im „TAGESSPIEGEL“ bzw. in der „ZEIT“ und auch die Fälle, die in den beiden zitierten Kleinen Anfragen dargestellt werden und die nicht als rechtsextremistisch eingeordnet werden. Wenn ein bezüglich einer Körperverletzung mit Todesfolge Angeklagter erklärt „Der war doch nur ein Jude.“, dann frage ich mich, warum dieser Fall nicht als rechts motiviert in der Statistik einsortiert wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir werden einfach am konkreten Beispiel nachfragen müssen. In Sachsen sind es immer wieder Wohnungslose und sozial Randständige, die Opfer rechter Gewalt werden. Das Wort „Obdachlose“ steht nun explizit im Erhebungsraster für die unaufgeklärten Fälle. Ich kann nur hoffen, dass sich die sächsischen Behörden recht bald entscheiden, auch die geklärten Fälle, in denen Obdachlose umgebracht wurden, nur weil sie sozial randständig waren, als rechts motiviert einzusortieren. Bisher sind diese Fälle in Sachsen nicht in diese Kategorie aufgenommen. Opfer zu werden, nur weil man einer bestimmten Personengruppe angehört, die von den Tätern als minderwertig eingestuft wird, ist grausam. Diese Motivation ist rechtsextremistisch, und so muss es auch benannt werden. Es sind diesbezüglich schon viel zu viele Opfer in Sachsen zu beklagen.

Meine Damen und Herren, uns als LINKE geht es um die konkreten Fälle. Statistiken allein helfen wenig. Opfer und/oder Hinterbliebene brauchen Hilfe und Unterstützung. Bereits vor drei Jahren haben wir als LINKE deshalb einen entsprechenden Antrag eingereicht, nachzulesen in der Drucksache 5/4749, „Umgang mit Opfern rechter Gewalt in Sachsen“. Einen Teilaspekt unseres damaligen Antrags behandelt heute der Antrag der GRÜNEN. Deshalb werden wir als LINKE diesem Antrag zustimmen und hoffen, dass wir demnächst mehr fordern als Statistiken.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war Frau Köditz für die Fraktion DIE LINKE. – Für die SPD-Fraktion spricht die Abg. Frau Friedel. Frau Friedel, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die SPD-Fraktion wird dem Antrag ihre Zustimmung erteilen. Auch wenn wir gerade von Herrn Kollegen Schiemann gehört haben, dass niemand in diesem Hohen Hause dem Antrag zustimmen könne – meine Vorrednerin hat erklärt, dass die Linksfraktion dem Antrag zustimmt –, scheint das nicht ganz der Wahrheit zu entsprechen.

Was war Ihr Argument? Ihr Argument war, man könne dem Antrag der GRÜNEN, der ohne Zweifel zum Teil schon erledigt ist, uns zum Teil aber auch Aspekte in Erinnerung ruft, die wichtig sind, nicht zustimmen, weil er gegenüber den Strafverfolgungsbehörden eine Anklage formuliere. Ich weiß nicht, ob das die Antragstellerin so intendiert. Ich verstehe den Antrag nicht so. Wir reden über rechtsextreme Gewalt, und anzuklagen sind allein die, die Gewalttaten begehen oder deren Propaganda solche Gewalttaten verursacht. Die sind anzuklagen – niemand sonst.

Was wir aber alle gemeinsam tragen – wir als Abgeordnete genauso wie die Strafverfolgungsbehörden; ich glaube, darum geht es der Antragstellerin –, ist die Verantwortung, solche Taten zu ahnden, und die Verantwortung, ein gesellschaftliches Klima und eine Struktur der Strafverfolgung zu erschaffen, das Prävention ermöglicht und Prävention betreibbar macht.

Nun haben Sie gesagt, Sie können nicht erkennen, dass es im Freistaat Sachsen ein Wegschauen gibt, ein Wegschauen gebe es im Freistaat Sachsen nicht. Dazu kann man sicher verschiedener Meinung sein. Wir haben in den letzten 20 Jahren den Eindruck gewonnen, dass es Zeiten gab, in denen sehr stark weggeschaut worden ist.

Wir haben aber auch den Eindruck, dass sich das gewandelt hat. Was man, glaube ich, gemeinsam feststellen muss, ist, dass sich Fragen eröffnen – egal, ob nun weggeschaut worden ist oder nicht. Wenn man sich die polizeiliche Kriminalstatistik anschaut, stellt man fest, dass wir bei der politisch motivierten Kriminalität rechts im Jahr 2011 84 Gewalttaten zu verzeichnen haben. Die zivilgesellschaftliche Opferberatung registrierte im

gleichen Zeitraum aber 186 rechts motivierte Angriffe gegen Menschen. Das ist eine große Differenz. Die Frage ist: Wie kommt diese zustande? – Vielleicht ist es ein statistischer Zufall, aber 2012 lese ich dasselbe Bild: PMK-rechts-Gewaltdelikte in unserer staatlichen Statistik und Erfassung: 58. Gemeldete Angriffe rechtsextrem motiviert auf Personen bei der Opferberatung: 155. Da muss uns doch eine Frage wachrütteln: Woher kommt diese Differenz? Wie kommt es, dass ungefähr drei Mal so viele rechtsextreme politisch motivierte Gewaltdelikte bekannt werden, als bei uns in der Statistik auftauchen? Wir haben gemeinsam die Verantwortung, der Frage nachzugehen – ich glaube, darum geht es den GRÜNEN –: Kann es an den Methoden unserer Erfassung liegen?

Eigentlich sagt dieser Begriff „politisch motivierte Kriminalität“ schon, dass es um ein breites Feld gehen muss. Es heißt ja nicht „rassistisch motivierte Kriminalität“ oder „fremdenfeindlich motivierte Kriminalität“, sondern

dieser Dachbegriff „politisch motivierte Kriminalität“ macht eigentlich schon deutlich, dass rechtsextreme Straftaten nicht nur rassistisch motiviert sind, sondern sie sind auch politisch motiviert. Sie finden statt gegen vermeintlich politisch Andersdenkende, gegen politisch aktive Menschen, aus Homophobie gegen sozial Benachteiligte. All das sind ideologische, aus dieser Ideologie

motivierte Straftaten, und die Frage ist: Bekommen wir die wirklich erfasst?

Die hohe Differenz zwischen in unserer Kriminalstatistik erfassten Fälle und denen, die bei der Opferberatung erfasst sind, wird noch weniger erklärbar, wenn wir dann hören: Aus den gesamten zurückliegenden Straftaten hat der Freistaat Sachsen zwei nachgemeldet, die noch einmal untersucht werden sollten. Diese Fragen haben wir noch nicht durch das, was uns die Staatsregierung bisher zu dem Thema vorgelegt hat, beantwortet gefunden, und ich glaube, diese Fragen müssen wir alle stellen, denn wir sind in Sachsen in dem eigentlich traurigen Zustand, dass rechtsextreme Gewalt in unserem Land keine Ausnahmeerscheinung ist.

Wenn man sich die Zahlen anschaut, egal ob die in der offiziellen Statistik oder die, die darüber hinausgehen, stellt man fest, dass rechtsextreme Angriffe auf Menschen in Sachsen leider oft und an verschiedenen Stellen traurige Normalität geworden sind. Umso wichtiger ist es, dass wir sie nicht normal behandeln. Das sind keine „normalen“ Straftaten. Wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung, solche Straftaten gemeinsam zu verhindern, gemeinsam zu ahnden.

Schon allein das ist für uns ein Grund, diesem Antrag zuzustimmen und nicht so zu agieren, wie es mir ein bisschen klang: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, ist dieser Antrag keiner Zustimmung wert. Das klang hier etwas durch. Nach dem NSU-Auffliegen sind wir, glaube ich, alle miteinander schlauer geworden, dass eine ganze Menge sein kann, was eigentlich nicht sein darf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Und nun für die FDPFraktion Herr Abg. Biesok. Bitte, Herr Biesok, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war eben schon beeindruckend: Zwei Oppositionsfraktionen streiten darüber, wer die Meinungsführerschaft hat, wie man am besten mit rechtsextremistischen Straftaten umgeht. Die eine beantragt, dass die Staatsregierung etwas tun soll; die andere sagt, die Staatsregierung habe das schon getan, denn man habe sie gefragt und die entsprechenden Antworten bekommen, und damit habe sich das Thema erledigt. Das ist wirklich bemerkenswert.

Das Thema ist mir aber zu ernst, um es einfach nur auf diesen fraktionsinternen Streit zu beziehen. Deshalb möchte ich auch gern inhaltlich zu diesem Antrag Stellung nehmen, obwohl schon einiges gesagt wurde.

Der Antrag unterstellt als Erstes, es gebe in Sachsen eine Kultur des Wegschauens, wenn es darum geht, rechtsextremistische Tatmotivationen aufzudecken. Das ist eine Unterstellung, die ich für falsch halte. Weder die Polizei noch die Justiz schauen weg, wenn es darum geht, rechts

extremistische Tendenzen zu erkennen und als solche zu benennen.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Steffen Flath und Marko Schiemann, CDU)

Wir müssen uns aber fragen: Wie konnte der Zusammenhang zwischen den Morden an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern zwischen 2000 und 2006 so lange unentdeckt bleiben? Gab es sogar weitere Opfer des nationalsozialistischen Untergrundes, und wie müssen wir zukünftig darauf reagieren, wenn wir Taten sehen, die wir auf eine rechtsradikale Motivation überprüfen müssen?

Ich glaube, da hat man die richtigen Maßnahmen eingeleitet. Ich begrüße die derzeit laufende Überprüfung von unaufgeklärten versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten von 1990 bis 2011. Das Bundeskriminalamt, die Landespolizeien und die AG Fallanalyse des Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus arbeiten hier meines Erachtens vorbildlich zusammen. Im Freistaat Sachsen wurden vor diesem Hintergrund insgesamt 190 Fälle aus dem genannten Zeitraum noch einmal überprüft. Aus dieser Anzahl sind zwei Taten herausgefiltert worden, die den Kriterien entsprechen und die dem Bundeskriminalamt gemeldet worden sind.

Meine Damen und Herren, das ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskriminalamt und den Landespolizeien, die ich mir unter Einbeziehung der Landesämter für Verfassungsschutz gewünscht hätte und die wir bei der Aufklärung der Taten des NSU gebraucht hätten. Dann wäre das sehr viel eher zustande gekommen, denn hier arbeitet man zusammen, tauscht Informationen aus, um entsprechende Analysen anfertigen zu können. Das ist seinerzeit nicht erfolgt. Ich begrüße es ausdrücklich, dass man sich jetzt auf diesen Weg gemacht hat.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte vor einem vorschnellen Rückschluss warnen. Ich warne davor, dass man anhand der Fälle, die man jetzt gefunden hat, sagt, das seien alles entsprechende Taten und nur weil sie jetzt da sind, müsse man sie schon als rechtsextremistisch einordnen. Diese Bewertung ist meines Erachtens falsch.

Dies ergibt sich allein schon aus einer Antwort, die die Bundesregierung im Januar dieses Jahres gegeben hat – das ist also mittlerweile hinsichtlich der FDP eine unverfängliche Antwort –: Aus der getroffenen Auswahl kann keinerlei Aussage über den tatsächlichen oder den wahrscheinlichen politisch rechts motivierten Hintergrund hergeleitet werden. Lediglich bei den 750 Sachverhalten gibt es Anhaltspunkte, die noch weiter überprüft werden müssen. Ob diese gemeldeten Fälle auch tatsächlich neu bewertet werden müssen, steht erst nach Ablauf des Vorgangs fest. Dies wird erst im Laufe dieses Jahres der Fall sein. Das heißt, wir müssen abwarten, was dabei herauskommt, um überhaupt erkennen zu können, wie hoch die Dunkelziffer ist, wie groß die Versäumnisse in der Vergangenheit gewesen sind und was man alles nicht

erkannt hat. Deshalb muss man sich erst dann überlegen, was man weiter vorhat.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf Folgendes verweisen: Ich glaube nicht, dass es im Freistaat Sachsen eine Kultur gibt, die wegschaut und versucht, die Zahl der Fälle möglichst gering zu halten. Die geringe Anzahl, die wir im Freistaat Sachsen bislang hatten, kann auch ganz andere Ursachen haben. Es gibt für mich bislang keinen empirischen Beweis dafür, dass Strafverfolgungsbehörden hier explizit versucht haben, die Statistik nach unten zu drücken, um ein gesellschaftliches Problem, das wir haben, nicht erkennen zu müssen.

Ich befürworte auch weiterhin in dieser Angelegenheit ein abgestimmtes Verfahren. Wenn wir die Erstanalyse durchgeführt haben, müssen wir nach einheitlichen Kriterien analysieren, ob weitere Schritte getan werden müssen, um weitere Fälle aufzuklären.

Dabei möchte ich an einen Punkt erinnern: Gerade ein nicht abgestimmtes Verfahren hat dazu geführt, dass wir viele Taten in der Vergangenheit nicht erkennen konnten, weil Länderbehörden und Bundesbehörden nach unterschiedlichen Kriterien gehandelt haben, sich nicht abgestimmt haben und Informationen nicht auf einer einheitlichen Basis erfolgten. Deshalb sollten wir bei der Auswertung dessen, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist, sehr vorsichtig sein, wenn wir wieder etwas Eigenständiges machen. Dann gefährden wir das Gesamtergebnis, nämlich eine fundierte Analyse dessen, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist.

Wenn ich mir den Antrag anschaue, so kann ich die in Teil II aufgestellten Forderungen nicht nachvollziehen. Einen Teil hat Marko Schiemann schon genannt: Bei den Taten, bei denen ein Strafklageverbrauch eingetreten ist und ein rechtsstaatliches Verfahren stattgefunden hat, ist es meines Achtens müßig, diese Fälle noch einmal aufzunehmen und neu zu bewerten. Wir werden kein strafrechtlich relevantes neues Verfahren finden, weil es ein Prinzip des Rechtsstaates ist, dass es mit einem Urteil, das rechtskräftig geworden ist, dann auch gut ist.

Meines Erachtens ist der Aufwand, den wir betreiben müssten, um allein Statistiken zu füllen und zu sagen, wir haben es statistisch neu bewertet, erheblich zu hoch, um abgeschlossene Verfahren wieder anzufassen. Statistik ist das eine, aber wir müssen meines Erachtens auch schauen, was wir in der Zukunft besser machen müssen. Und da setze ich die personellen Ressourcen, die in der Polizei und in der Justiz vorhanden sind, lieber darauf an, jetzt Fälle aufzuklären, jetzt schnell zu agieren, schnell zu Verfahren zu kommen und saubere Verfahren durchzuführen. Wer lediglich im Archiv stöbert, um Statistiken zu füllen, der bekämpft keinen Rechtsradikalismus, der beschäftigt sich mit sich selber.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich glaube, der Antrag der GRÜNEN kommt zu einem falschen Zeitpunkt. Er zieht falsche Rückschlüsse und versucht nur, dieses Thema für

die GRÜNEN politisch zu besetzen. Das haben wir heute in der Debatte ganz deutlich gemerkt.

Wir werden den Antrag ablehnen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Nun die NPD-Fraktion. Herr Abg. Storr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine allgemeine Feststellung: Noch niemals zuvor in der Geschichte der deutschen Sprache wurde der Begriff „Kultur“ so sehr überdehnt und so viel Schindluder mit ihm getrieben wie heutzutage. In diesem unsäglichen inhaltsleeren „Neusprech“ wird in dem vorliegenden Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Kultur des Scheiterns, eine Kultur des Verschweigens oder eine Kultur des Wegschauens beklagt. Tatsächlich beteiligen sich die Antragsteller selbst an einer Unkultur der Denunziation, der Vorverurteilung und der parteilichen Einseitigkeit, die auch aus diesem Antrag herauszulesen ist.