Protocol of the Session on March 10, 2010

Der Aufbau der Freien Wohlfahrt ist nicht abgeschlossen. Zugegeben, er muss kritisch hinterfragt werden. Die Reform der Hilfesysteme und deren Angebote sozialer Einrichtungen und sozialer Dienste verlangt nach mehr Transparenz und Bürgernähe, fordert mehr Beteiligungsrechte und die konsequente Ausrichtung auf die Förderung von Eigeninitiative und Selbsthilfe. Es geht letztlich um die Ermächtigung der Einzelnen, ihr Leben selbst zu meistern.

Die Freie Wohlfahrtspflege fordert die Beteiligung und Mitgestaltung einer solchen Reform der sozialen Arbeit. Akzeptanz und Ansehen der Freien Wohlfahrtspflege korrespondieren hier mit der Bereitschaft, die eigenen Leitbilder sozialer Arbeit bekannt zu geben, und die Bereitschaft, sich selbst und ihre Arbeit im öffentlichen Diskurs daran messen zu lassen. Na klar, meine Damen und Herren, soziale Arbeit darf den Fragen nach dem erforderlichen Aufwand, dem Effekt und den Kosten sozialer Arbeit nicht ausweichen. Die Instrumente sozialer Arbeit müssen in ihrem Verhältnis zu den erzielten Wirkungen permanent überprüft werden. Das mag hin und wieder zu wenig geschehen, aber – das muss ich ebenfalls sagen – es geht auch nur mit den erforderlichen Ressourcen. Es rechtfertigt also nicht, einfach die Axt anzuwenden, und dies noch am Landtag, an der Opposition vorbei.

Ich kann deshalb nicht akzeptieren, dass solche einschneidenden Maßnahmen ohne Beratung im Parlament erfolgen. Hier verstehe ich unter Parlament nicht nur die Damen und Herren der Koalitionsfraktionen. Im Übrigen, dichten Sie nicht etwas in den Antrag hinein, was da nicht drinsteht! Der vorliegende Antrag fordert Sie auf, sich die daraus resultierenden Konsequenzen vor Augen zu führen und ihre Entscheidung, die Sie hier getroffen haben, noch einmal zu überdenken. Wir arbeiten mit, daran soll es nicht liegen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Der Abg. Wehner hat die zweite allgemeine Runde begonnen. Ich erteile das Wort der SPD-Fraktion; Frau Neukirch, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich war sehr gespannt auf diese Debatte, vor allem darauf, was die Vertreter der Koalition dazu zu sagen haben. Bisher hörte man da relativ wenig, außer, es sei ja Sache der Staatsregierung, man sei nicht beteiligt. Daraus haben viele, die heute draußen auf dem Platz demonstriert haben, auf einen gewissen Unmut geschlossen und Hoffnungen daraus geschöpft, dass eventuell noch etwas zu bessern ist. Damit haben Herr Schreiber und Frau Schütz jetzt erst einmal gründlich aufgeräumt. Das ist ein deutliches Signal. Ich bin noch ziemlich empört und emotional etwas ergriffen, weil ich mir das nicht vorstellen kann.

Es wurde auch darauf hingewiesen, dass Kürzungen im Miteinander und verantwortlich im Dialog mit den Betroffenen durchgeführt werden sollen. Deshalb möchte ich nach den ganzen Fakten über die Ausmaße der Kürzungen, die meine Vorredner schon genannt haben, das Augenmerk noch einmal auf die Art und Weise richten, wie die Kürzungen bisher angekündigt und durchgeführt worden sind.

Das fehlende Gesamtkonzept ist schon erwähnt worden. Intransparenz, scheibchenweises Durchsickern der Information wurde auch schon gesagt. Es gab Aufforderungen an Träger im vorauseilenden Gehorsam, weniger Fördermittel zu beantragen. Förderbescheide ergehen zu einem Zeitpunkt, wenn Träger keinen Widerspruch mehr einlegen können, weil das gesamte Projekt, die ganze Arbeit schon gefährdet ist und somit das Projekt mit dem, was im Förderbescheid steht, einfach leben muss.

Es werden auch verschiedene Förderbereiche aus Förderrichtlinien gegenseitig ausgespielt. Das alles läuft hinter verschlossenen Türen. Die Staatsregierung hat es noch nicht einmal für nötig befunden, im Sozialausschuss umfassend über die Details der Kürzung zu informieren. Der Hinweis, dass die großen Fakten in der Zeitung stehen und die kleinen Details niemanden weiter interessieren, ist schon an Zynismus nicht mehr zu übertreffen.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Wichtig ist mir, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Strukturen, die nie luxuriös waren, die aber solide eine soziale Arbeit ausgestattet haben, nach diesem Rasenmäher weg sein werden. Da nützt kein Ehrenamt mehr, da hilft überhaupt kein Appell an Barmherzigkeit, an Spenden, an Stiftungen oder an ein Ehrenamt. Diese Strukturen sind weg, und die sind auch nicht so schnell wieder aufzubauen.

Die Wohlfahrtsverbände als soziale Partner kämpfen selber um ihr Überleben, geschweige denn, dass sie die Lücke, die entsteht, auch nur annähernd irgendwie schließen können. Nachhaltig an diesem Vorgehen sind einzig und allein die Folgekosten. Die Beispiele aus dem Bereich der Jugendhilfe und aus der Suchtkrankenhilfe sind ebenfalls schon genannt worden. Dass wir hier für die Zukunft keine Schulden aufnehmen und deshalb an dieser Stelle sparen müssen, spottet eigentlich jeder Beschreibung. Von Gleichstellung, Teilhabe behinderter Menschen, Gesundheitsvorsorge kann man sich sowieso nach Kürzung der ganzen Förderrichtlinien verabschieden. Das sind alles nur noch punktuelle kleine Maßnahmen, die irgendwie überleben werden.

Beim Punkt Gleichstellung muss ich sagen, dass es für CDU und FDP auch konsequent ist, da den Rotstift anzusetzen; hat man doch im Koalitionsvertrag dazu sowieso schon nicht viel gelesen, und das Thema spielt da keine große Rolle.

Ich fasse zusammen: Sparen für die Zukunft ist aus der aktuellen sozialpolitischen Sicht fehl am Platz, weil Zukunft dadurch für viele junge Menschen erschwert wird und die Zukunft für alle, wenn man alle Folgekosten ansieht, eher teurer wird als günstiger. Für welche Jugendlichen sparen wir, wenn wir diese mit dieser Politik aus dem Lande jagen und gar keine Jugendlichen mehr hier haben, die wir schließlich hier behalten wollen?

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Wir brauchen Anreize für Zuzüge. Wir wollen Fachkräfte herholen, nicht nur den Arzt im Land, sondern ganz andere Fachkräfte wie zum Beispiel Erzieher. Welche Anreize setzen wir, wenn wir keinerlei soziale und kulturelle Angebote gerade in den ländlichen Regionen mehr machen können? Von den weißen Flecken war ebenfalls schon die Rede.

Was der Freistaat anstelle der Kürzungen wirklich braucht, ist eine Debatte darüber, wer für die Schwächsten der Gesellschaft verantwortlich ist, welche Strukturen wir dafür brauchen, ob Wohlfahrtsverbände wichtige Partner sind oder ob wir soziale Aufgaben zukünftig der Barmherzigkeit und den Markmechanismen übergeben. Ist das der Umbau, von dem jetzt die Redner der Koalition gesprochen haben? Die SPD sagt dazu eindeutig nein. Wir fordern auf, verantwortungsvoll mit dieser Haushaltssituation umzugehen, vor allem mit dem Ziel, ein solidarisches und sozialstaatlich verantwortungsvolles Sachsen zu schaffen.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Als Nächstes die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Frau Hermenau, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Frau Neukirch, die Parlamentarier der CDU und der FDP haben noch gar nichts entschieden; die haben von ihrer Regierung zum Teil medienöffentlich nachträglich die Information bekommen, wo gespart wird – das ist ein Unterschied.

Sie denken wirklich, Sie regieren, meine Damen und Herren von der CDU, nicht wahr, Sie denken das? Sie regieren nicht, Sie haben da ein paar Leute in der Regierung sitzen, und das ist ein großer Unterschied. Sie haben darauf verzichtet, als Parlamentarier selbst in dieses Geschehen einzugreifen. Das waren kapitale politische Fehler, die Sie im letzten halben Jahr gemacht haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Es war 2009 voraussehbar – Finanzplanungsrat, zwei Steuerschätzungen –, dass es im Jahr 2010 steuereinnahmetechnisch ähnlich schlecht aussehen würde wie 2009. Das war klar, jeder hat es gewusst. Ich habe damals vorgeschlagen, noch im Wahlkampf, also bevor Sie gewählt worden sind, man könnte zum Beispiel überlegen, ob es eine anteilige Vermögensveräußerung geben könnte, um diese Kürzungen, die so planlos verlaufen wie gerade, auszusetzen und nichts machen zu müssen und in Ruhe zu beraten, wie man ab 2011 den Staat Sachsen auf völlig neue Füße stellt, weil natürlich von jetzt ab die Finanzierung bergab geht. Das ist völlig klar. Das haben Sie abgelehnt.

Wir haben hier im Parlament vorgeschlagen, Sie mögen einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2010 machen, damit

wir im Parlament beraten können, was Hand und Fuß hat und was „Schnaps“ ist. Aber nein, das haben Sie abgelehnt, dem wollten Sie sich nicht unterziehen. Das sind kapitale politische Fehler, die sich jetzt rächen. 190 Millionen Euro Kürzungen inklusive der Kürzungen im Sozialministerium stehen 2010 in den einzelnen Häusern zur Debatte. Die Staatsregierung hat noch 300 Millionen Euro in Reserve. Ich weiß ja gar nicht, ob Sie das wissen, wenn Sie immer alles aus der Zeitung erfahren, was die so machen. Aber das ist genau der Punkt, verstehen Sie?! Verantwortung, Regieren, Bezahlbarkeit, Seriosität – da müssen Sie einmal selbst anfangen zu arbeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Da möchte ich kein denkwürdiges Tremolo in der Stimme junger Abgeordneter hören, die hier auf die Bühne geschickt werden, um noch einmal in ihrer Jugendlichkeit Seriosität vorzutäuschen.

(Oh-Rufe)

„Sparen ist noch keine Politik“ – Zitat eines altgedienten CDU-Parlamentariers der letzten Woche. Ich sage Ihnen, es ist auch keine Stärke, Schwache an die Wand zu drücken, nur weil man zu faul ist, sich mit Details zu beschäftigen oder Verantwortung zu übernehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD – Christian Piwarz, CDU: Na, na, na!)

Es ist verantwortungslos, den strategischen Dialog mit der Bevölkerung nicht zu suchen. Eine Regierung, die weiß, dass sie ab 2011 in der Verantwortung steht, einem Volk klarzumachen, dass die dicken Jahre vorbei sind, kann doch nicht das Jahr zuvor blind und ohne Sinn und Verstand und ohne jeden Dialog mit den Betroffenen einfach mal wild herumkürzen. Damit schaffen Sie keine Basis für eine Verständigung zwischen der Regierung, den Parlamentariern und der Bevölkerung über die nächsten Haushaltsjahre. Das ist ein kapitaler politischer Fehler.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Da nützen auch keine selbstherrlichen Halbstarkenposen.

Wissen Sie, ich habe Sparzeiten unter Finanzminister Waigel erlebt, ich habe Sparzeiten unter Finanzminister Eichel erlebt – mal in der Opposition, mal in der Koalition –, ich kenne auch diese ganzen Tremoloreden, ich habe das alles schon gehört.

(Christian Piwarz, CDU: Und?)

Die Kürzungen im Jahre 2010 sind nicht zwingend, sie sind nicht zwingend!

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Das lege ich Ihnen jetzt dar, weil ich möchte, dass Sie nicht wie der Naseweis auf die Debatte im Parlament verzichten, sondern unserem Antrag folgen, sich jetzt zwei Monate Zeit zu nehmen, sich das genau anzuschauen

und dann eine sachkundige Entscheidung zu treffen, um zu heilen, dass Sie auf den Nachtragshaushalt verzichtet haben. Lassen Sie doch nicht Beamte entscheiden! Dafür sind wir doch vor 20 Jahren nicht auf die Straße gegangen, dass es so kommt.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Sie drücken sich, Sie sagen, Sie kennen keine Tabus beim Sparen. Super, das sagen Sie als Christen; ich bin irritiert. Die Einsparbeiträge im Jahre 2009 unterscheiden sich nicht wesentlich von denen im Jahr 2010. 2009 ging es darum, 119 Millionen Euro in den Häusern einzusparen; 2010 geht es um 190 Millionen Euro – das ist ein bisschen mehr, aber kein dramatischer Unterschied. Im letzten Jahr hatte das Sozialministerium einen Bedarf und hat 55 Millionen Euro Haushaltsreste von 2008 nach 2009 übertragen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Hört, hört!)

Dieses Jahr bräuchte es nur knapp 25 Millionen Euro – und das aufzubringen sei nicht möglich, obwohl Haushaltsreste existieren?!

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Lassen Sie sich doch von Ihrer eigenen Regierung keinen Bären aufbinden! Oder, wenn Sie es gewusst haben, dann bringen Sie bitte nicht diese besonders brutale Chuzpe hier zutage.

Die Haushaltsrücklage betrug zum 31.12.2009 – wir haben es schriftlich als Kleine Anfrage nachgefragt – 812,4 Millionen Euro. Das sind reichlich 200 Millionen Euro mehr, als der bisherige Kenntnisstand in diesem Parlament war. Die haben wir also extra. Außerdem sind natürlich noch 130 Millionen Euro Verstärkungsmittel im Haushalt. Das sind in der Summe mehr als 300 Millionen Euro, die erst einmal da sind, ungeplant, mehr, benutzbar – und gebunkert. Es ist nämlich so, dass im Prinzip alle im Finanzministerium wissen, dass im Laufe dieses Jahres ein dreistelliger Millionenbetrag für die Bürgschaftszahlung infolge des Verkaufes der Sachsen LB fällig wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Also wird zurückgelegt in der Hoffnung, dass es ungefähr reichen könnte. Die Staatsregierung ist an Transparenz in diesem Verfahren 2010 bei den Kürzungen nicht interessiert, denn sie möchte nicht schon wieder für die Sachsen LB in Haftung genommen werden – auch Ihnen gegenüber nicht. Und Sie lassen sich das gefallen. Das ist Ihre Regierung. Stellen Sie sie, wenn Ihnen das nicht passt, was da gemacht wird; formulieren Sie Ihre eigene Politik und beauftragen Sie die Regierung mit der Umsetzung.

2009 hat das SMF, das Finanzministerium, auch eine Einsparung von 15 Millionen Euro bringen sollen. Das haben die aus den Verstärkungsmitteln genommen; das ist