Man muss eben feststellen, dass es genügend empirische Erfahrungen zur direkten Demokratie – zum einen auf kommunaler Ebene und zum anderen in anderen Ländern – gibt. Diese empirischen Erfahrungen zeigen, dass die Sorgen, die ich gerade geäußert habe, in aller Regel unbegründet sind. Es ist nicht so, dass die Bürgerinnen und Bürger, wenn sie selbst entscheiden dürfen, so dumm sind, sich dafür zu entscheiden, dass niemand mehr Steuern bezahlen soll. So ist es nicht, sondern das Gegenteil ist der Fall: Entscheidungen, die mit Mitteln direkter Demokratie getroffen werden, sind oft viel klüger und viel nachhaltiger orientiert, als wir es zuweilen befürchten.
Wir sehen, dass die Hürden, die derzeit in Sachsen existieren, zu hoch sind. Dabei haben wir gar nichts gegen ein Zustimmungsquorum, wenn es tatsächlich zu einem Volksentscheid kommt. Wir unterscheiden uns bei der Tatsache, dass überhaupt ein Volksentscheid stattfinden soll, Herr Schiemann. Das muss man doch nicht erst mit 500 000, 800 000 oder 900 000 Menschen erzwingen. Es handelt sich doch nicht um die Entscheidung, ob etwas getan oder nicht getan wird. Beim Volksbegehren geht es lediglich um die Frage, ob eine bestimmte Frage dem Volksentscheid zugänglich gemacht werden soll. Hierbei halten wir es dann doch mit dem bayerischen Vorbild und sagen: Das Quorum sollte so gering wie möglich sein.
Wir halten es deswegen für sinnvoll, mehr Vertrauen in die Bevölkerung zu setzen und beim Thema direkte
Demokratie auch den Weg der direkten Demokratie zu nehmen. Es gibt das eine oder andere Detail, welches wir anders gemacht hätten. Uns erschließt sich nicht die doppelte Hürde aus Prozentzahl und absoluter Zahl. Wir würden dies einfacher gestalten und ein prozentuales Quorum festgelegen. Das sind aber Kleinigkeiten. Im Grundsatz stimmen wir in der Idee, mehr direkte Demokratie wagen zu wollen, mit Ihnen überein. Wir haben diesen Aspekt in den Koalitionsverhandlungen in Berlin auch immer wieder eingebracht und uns dafür starkgemacht. Umso schöner ist es, hier die Gelegenheit zu erhalten, dafür stimmen zu können. Das werden wir tun.
Ja. Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Ich danke der SPD-Fraktion, dass sie dem Antrag zustimmen wird.
Ich möchte, weil Sie sagten, dass Sie der Antrag verwirrt hat, an Folgendes erinnern: Im Jahr 2010 haben wir, als wir unseren Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über Volksanträge, Volksbegehren und Volksentscheide in den Landtag eingebracht haben, bei der Pressekonferenz gemeinsam mit Ihrem CDU-Kollegen Prof. Patzelt gesagt, dass wir hoffen, dass das Gesetz im Landtag eine Mehrheit findet. Wir haben ebenso gesagt, dass, wenn dies aber nicht der Fall sein sollte, wir den Weg über Artikel 74 Abs. 3 gehen werden, um diese Verfassungsänderung dem Volk zur direkten Abstimmung vorzulegen. Ausgangspunkt unseres heutigen Antrages war die Diskussion um die Verfassungsänderung. Wir sind hoffnungsvoll, dass Sie, Herr Schiemann, doch noch vernünftig werden.
Frau Friedel, möchten Sie auf die Kurzintervention antworten? – Das ist nicht der Fall. Nächster Redner ist Herr Biesok für die FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DIE LINKE legt uns heute ein etwas eigentümliches Konstrukt vor. Der Landtag soll mit einfacher Mehrheit dem Volk einen Volksentscheid zur Änderung der Verfassung vorlegen. Rechtlich ist das möglich. Was aber ist das für eine politische Botschaft?
Rechtlich geht das. Das sage ich ja. Was ist die politische Botschaft? Erstens ist DIE LINKE kein ernstzunehmender Verhandlungspartner bei einer Verfassungsänderung im Sächsischen Landtag mehr, weil sie sich das
Zweitens braucht sie rechtzeitig vor der Wahl noch einmal das Thema der direkten Demokratie. Deshalb bringen Sie es hier noch einmal als Placeboantrag ein.
Drittens fängt – nach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nun auch DIE LINKE an, die Themen, die sie gern im Rahmen der Diskussion um das Neuverschuldungsverbot in die Verfassung mit eingebracht hätte, für die sie aber keine Mehrheit erreichen konnte, über Einzelanträge in das Parlament einzubringen.
Meine Damen und Herren! Elemente der direkten Demokratie sind mir zu wichtig, um sie für solche durchschaubaren politischen Spielchen einzusetzen. Der Staatsrechtler Prof. Hans Herbert von Arnim aus Speyer hat einmal Folgendes gesagt: „Die direkte Demokratie ist ein notwendiges Korrektiv der politischen Klasse im Parteienstaat.“
Ich teile diese Aussage ausdrücklich. Wenn man aber eine solche Aussage tätigt, muss man mit diesen Instrumenten sehr sorgfältig umgehen. Man muss sich genau überlegen, was man macht. Hierzu gibt es Bedenken in Bezug auf den Antrag der LINKEN. Ich komme nun inhaltlich zum Antrag.
In Ihrem Antrag aus dem Jahr 1999 forderte DIE LINKE – damals hießen sie noch PDS oder anders – eine Absenkung des Quorums für einen Volksentscheid auf 250 000 Unterschriften. Im Jahr 2010 waren es 175 000 Unterschriften. Heute sollen es 280 000 Unterschriften sein. Für ein Volksbegehren wollten Sie im Jahr 1999 noch 40 000 Unterschriften ausreichen lassen. Im Jahr 2010 und heute sind es 35 000 Unterschriften. Frau Roth, würfeln Sie diese Zahlen? Wie kommen Sie darauf? Gibt es ein Konzept, was dahintersteckt?
Ich frage mich, welches Konzept dies sein sollte. Herr Bartl, Sie haben gestern die angeblich unzureichende Evaluierung und Vorbereitung unseres Gesetzentwurfes zum Polizeigesetz kritisiert. Was machen Sie hier? Haben Sie sich einmal darüber Gedanken gemacht, ob es ein stringentes Konzept gibt, welches man machen kann? Einmal gibt es eine Referendumsinitiative und einmal gibt es sie nicht – so, wie es Ihnen gerade passt, um das Thema wieder einmal zu platzieren.
Diese Zahlen und die unterschiedlichen Möglichkeiten, direkte Demokratie zu gestalten, zeigen auch eines: Wir haben sehr viele verschiedene Stellhebel. Marko Schiemann sagte dies. Ich bin mit ihm in der Sache nicht einig. Ich möchte die Quoren heruntersetzen, um mehr
direkte Demokratie zu ermöglichen. In einem Punkt hat er jedoch recht: Wenn man sich über Quoren unterhält, muss man sich auch über die unterschiedlichen Quoren und deren Wirkungsweise unterhalten. Hierbei kritisiere ich, dass Sie ein Verfahren gewählt haben, welches flexibel wie eine Bahnschwelle ist.
Wenn wir mit diesem Antrag den Volksentscheid durchführen, ist in Stein gemeißelt, was in Ihrem Antrag enthalten ist. Wir könnten keine Diskussion mehr führen, welches Quorum heruntergesetzt, ob ein anderes eingeführt oder die Zahlen anders kommentiert werden sollen. Das Volk hätte nur noch die Möglichkeit, mit Ja oder Nein abzustimmen.
Wir haben uns keiner Diskussion verweigert. Wir haben nur eine andere Entscheidung getroffen, Herr Bartl. Das wissen Sie ganz genau.
Herr Bartl, Sie und Herr Scheel wissen aus der Diskussion über die letzte Verfassungsänderung, wie lange es manchmal dauern kann, bis man eine Lösung findet. Als Sie aus Berlin noch nicht im Hinblick auf diese Diskussion zurückgepfiffen wurden, haben wir gemeinsam erlebt, wie man sich annähern und Positionen austauschen kann. Nachdem Frau Hermenau kurzzeitig die Verhandlung verlassen musste, weil ihre grüne Weltverbesserpolitik nicht in die Sächsische Verfassung Eingang finden sollte, haben wir die unterschiedlichen Stellhebel für ein Neuverschuldungsverbot gegeneinander abgewogen und eine gemeinsame Lösung gefunden. Sie haben diese leider nicht mehr mitgetragen. So ist die Welt. Genau dieses Austarieren und diese Diskussion gehen über den von Ihnen gewählten Weg leider nicht. Sie wählen das falsche Verfahren.
Meine Damen und Herren! Frau Roth, Sie waren zumindest so ehrlich zu sagen, dass dies so ist. Sie wissen ganz genau, dass, wenn wir dem Antrag heute zustimmen würden, Sie ihn niemals durchbekämen. Sie benötigen 50 % der Abstimmungsberechtigten, um diesen Volksentscheid überhaupt durchzubekommen. Sie sagen, dass Sie direkte Demokratie einführen möchten, wissen aber auch, dass die Hürden viel zu hoch sind, um diese Verfassungsänderung durchzubringen.
Wenn wir uns über die direkte Demokratie und eine Änderung der Verfassung unterhalten, sollten wir auch die Lektion verinnerlichen, die wir aus dem letzten und einzigen durchgeführten Verfassungsentscheid hier im Freistaat Sachsen lernen mussten: Wir müssen in die Verfassung eine Sperre für das Parlament aufnehmen.
Bei dem einzigen durchgeführten Volksentscheid im Freistaat Sachsen hat das Volk abgestimmt und eine klare politische Entscheidung getroffen. Der Landtag hat sich
kurze Zeit später hingesetzt und die Entscheidung, die das Volk getroffen hat, korrigiert. Aus dem SachsenFinanzverband wurde die Sachsen-Finanzgruppe. Ansonsten änderte sich nichts, außer einigen kosmetischen Korrekturen. Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn man sich darüber wundert, warum die Instrumente der direkten Demokratie im Freistaat Sachsen nicht mehr genutzt werden. Da hat man sich an der direkten Demokratie versündigt.
Herr Tischendorf, ich habe damals gemeinsam mit Ihrem ehemaligen Fraktionskollegen Herrn Jurk – Entschuldigung, Herr Brangs – in der Bürgerinitiative für diesen Volksentscheid gearbeitet. Um es Ihnen einmal deutlich zu sagen: Ich weiß sehr genau, wie die Verfahren gelaufen sind. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, falls Sie das andeuten möchten, auch nicht in meiner beruflichen Tätigkeit.
Das habe ich aber daraus gelernt: Da gab es eine ganze Menge Engagement. Das hat man vom Parlament wieder kaputt gemacht. Meines Erachtens müssen wir, wenn wir uns über eine Verfassungsänderung unterhalten, eine ähnliche Regelung wie bei der Sächsischen Gemeindeordnung einführen. Wenn das Volk entschieden hat, dann ist für uns hier erst einmal drei Jahre Ruhe. Diese Diskussion können wir nicht über den Weg führen, den Sie jetzt einzuschlagen versuchen, und deshalb halte ich ihn für den falschen Weg.
Meine Damen und Herren! Insgesamt ist das von Ihnen vorgeschlagene Verfahren ungeeignet und inhaltlich noch nicht ausgegoren. Deshalb empfehle ich Ihnen, diesen Antrag abzulehnen.
Wir fahren fort in der ersten Runde der allgemeinen Aussprache. Für die GRÜNEN spricht als nächster Redner Herr Jennerjahn.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde haben wir heute hier eine ganz einfache Frage zu beantworten. Die Frage lautet: Haben wir als Abgeordnete des Sächsischen Landtages den Mut, den Souverän selbst darüber abstimmen zu lassen, ob die Hürden für die Volksgesetzgebung gesenkt werden sollen oder nicht. Das ist die Frage, die dieser Antrag stellt.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, offenbar sehen Sie schon die Zacken aus Ihrer Krone fallen, wenn wir die Menschen mit genau dieser Frage befassen. Aber es geht bei dieser Frage gar nicht um Ihre Krone, denn Sachsen ist keine Monarchie, sondern eine Demokratie. Dazu gehört eben auch die direkte Demokratie. Insofern ist die Vorlage der LINKEN auch nur folgerichtig, da – das ist ja schon angeklungen – in den Ver
handlungen zur Verfassungsmodernisierung die Vorschläge von LINKEN und GRÜNEN zur Absenkung der Quoren an CDU und FDP gescheitert sind. Da kann ich nur sagen: Schade, dass in den Verfassungsverhandlungen diese Tür zugeschlagen wurde.
In der Verfassung selbst ist idealtypisch die Gleichrangigkeit von parlamentarischer und Volksgesetzgebung festgeschrieben. In der Realität hat Sachsen diese Gleichrangigkeit allerdings nicht erreicht. Es gab – auch das ist schon angeklungen – nur ein erfolgreiches Volksbegehren in Sachsen vor mehr als zehn Jahren. Statistisch gesehen, findet pro Bundesland etwa alle 35 Jahre ein Volksentscheid statt. In Sachsen wären wir also ungefähr 2033/2034 an der Reihe. Das finden wir äußerst unbefriedigend.
Was sind die Gründe dafür, dass Volksentscheide so selten stattfinden? Dazu ist auch schon etwas gesagt worden. Die Chance für die Volksgesetzgeber, einen Volksentscheid zu initiieren, ist einfach zu gering. Das scheitert in der Regel an den viel zu hohen Quoren. 450 000 Stimmen muss ein Volksbegehren erreichen, um in einen Volksentscheid überführt werden zu können. Das entspricht 13 % der Stimmberechtigten. Dass diese Quoren zu hoch sind, ist auch schon von Experten in Anhörungen im Sächsischen Landtag kritisiert worden.
Wir haben gestern oder heute Herrn Prof. Patzelt in der „Freien Presse“ zu diesem Thema lesen können. Sie wissen, Prof. Patzelt steht nicht unbedingt unter dem Verdacht, ein linksgefärbter Agitprop-Professor zu sein, sondern er steht eher der CDU nahe. Auch Prof. Patzelt sieht Änderungsbedarf und setzt sich für eine Senkung der Quoren auf 5 % ein. Das entspricht etwa 170 000 Stimmberechtigten.
Herr Schiemann, Sie geben sich immer wieder alle Mühe, Ihre Angst vor direktdemokratischen Entscheidungen zum Maßstab für unsere Entscheidungen zu erheben. Sie haben sich in der „Freien Presse“ auch geäußert. Wenn Sie Angst haben, dass nur wenige Stimmberechtigte Gesetze verabschieden und so das Ergebnis demokratischer Wahlen umgehen, sodass quasi eine Minderheit über die Mehrheit herrscht, dann müssen Sie aber auch so konsequent sein und darüber nachdenken, ob Sie nicht eine allgemeine Wahlpflicht einführen. Nicht dass ich das wollte! Es liegt mir fern, das zu fordern. Aber Sie wissen auch, es gibt keine Mindestbeteiligung für die Wahl des Sächsischen Landtages. Gesetzt den Fall, es würden nur 10 % der Stimmberechtigten in Sachsen den Stimmzettel abgeben, wäre der Sächsische Landtag nach wie vor legitimiert, Gesetze zu verabschieden.