Protocol of the Session on December 17, 2013

Lassen Sie uns Handwerker die Löhne am Markt bilden lassen. Wir haben jetzt einen erhöhten Fachkräftebedarf. Die Nachfrage steigt, und durch die demografische Entwicklung ist nicht mehr so viel Nachwuchs vorhanden, wie man bräuchte. Damit werden automatisch die Löhne steigen. Wir brauchen nur keine politischen Instrumente mehr dafür.

Wo bleibt denn auch die Chance für die Ungelernten? Jetzt ist es so, dass ich keine Ausbildung machen muss. Dann habe ich aber auch nicht die Möglichkeit, mich weiterzuqualifizieren, weiterzukommen und den Meister zu machen. Ich kann auch jetzt gleich die Schule abbrechen, die Lehre erst gar nicht antreten und bin mit 8,50 Euro dabei. Wo ist da die Chance für diejenigen, die noch weiterkommen wollen, die auf ihrem Weg aufgehalten werden? Das kann doch so nicht sein. Das ist für mich unverantwortlich, unter der Gürtellinie und respektlos.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Kollege Hauschild sprach für die FDP-Fraktion. – Für die Fraktion GRÜNE spricht jetzt Herr Kollege Jennerjahn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal widmet sich eine Aktuelle Debatte dem Staatsminister Morlok, und wieder einmal lautet der Vorwurf Inkompetenz und Unkenntnis. Das ist eindrucksvoll unter Beweis

gestellt und klang hier schon an. Um Stimmung gegen den Mindestlohn zu machen, wird im Parlament geschwindelt, dass sich die Balken biegen. Das Beispiel stammt aus dem letzten Plenum, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, Herr Hauschild. Herr Staatsminister Morlok hatte behauptet, die Handwerkskammer habe sich gegen einen Mindestlohn ausgesprochen. Die Handwerkskammer wiederum wusste nichts von einem solchen Beschluss. Vor allem aber die Arbeitnehmer haben sich gefragt, ob sie richtig gehört haben, als diese Äußerungen gefallen sind.

Meine Damen und Herren, trotz der Kritik am sächsischen Arbeitsminister möchte ich natürlich nicht verschweigen, dass auch Herr Morlok dazu beigetragen hat, die Lage der sächsischen Arbeitnehmer zu verbessern – allerdings anders, als wir uns das vorgestellt haben. Herr Staatsminister Morlok macht nämlich Politik fürs Herz und nicht so sehr für den Geldbeutel.

Ein Beispiel: Klaus K., 35 Jahre, Berufskraftfahrer aus Löbau, fährt mit seinem Lastkraftwagen quer durch die Bundesrepublik für 1 200 Euro brutto im Monat. Bisher hat er sich in der Fremde oft allein gefühlt und wurde vom Heimweh übermannt. Heute aber, seitdem es die neuen, alten Kfz-Kennzeichen gibt, ist Herr K. wie ausgewechselt.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und der SPD)

Lange musste er mit „ZI“ und dann mit „GR“ am Nummernschild durch die Lande fahren – heute aber prangt wieder das „LÖB“ an der Stoßstange und immer, wenn Herr K. dieses identitätsstiftende Schild ansieht, läuft ihm ein wohliger Schauer den Rücken hinunter.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Ja, meine Damen und Herren, wer braucht denn da noch einen Mindestlohn?

(Heiterkeit der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Die Antwort ist ganz einfach: Circa 25 % der Ostdeutschen und 12 % der Westdeutschen verdienen weniger als 8,50 Euro brutto in der Stunde, und da sprechen wir nur über die vereinbarten Bruttostundenlöhne; denn wenn wir uns die effektiven Bruttostundenlöhne anschauen – zum Beispiel unbezahlte Überstunden einrechnen und dergleichen mehr –, dann steigt dieser Wert auf 32 % im Osten und auf 17 % im Westen.

Allein diese Zahlen zeigen, dass eine Einführung des Mindestlohnes die Lebensrealität sehr vieler Menschen entscheidend verbessern wird.

(Beifall der Abg. Eva Jähnigen, GRÜNE, und Enrico Stange, DIE LINKE)

Wir führen in diesem Jahr mittlerweile die dritte Diskussion zu diesem Thema im Sächsischen Landtag; allerdings stehen wir diesmal vor einer etwas veränderten Situation: Bisher hat sich die sächsische Koalition in die politische Großwetterlage eingeordnet; nun steht Sachsen

auch bei diesem Thema auf verlorenem Posten. Der Redebeitrag von Herrn Heidan war diesbezüglich eindrücklich; das hatte schon etwas Kabarettistisches.

75 % der Deutschen wollen einen Mindestlohn – zumindest sagen das die Zahlen, die ich von „Infratest dimap“ gefunden habe. Die Große Koalition hat sich dafür entschieden, den Mindestlohn einzuführen – allein die Verhinderer aus Sachsen beschwören nach wie vor den Untergang des Abendlandes durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes.

Da steht offenbar auch Ministerpräsident Tillich fest an der Seite von Staatsminister Morlok und apostrophiert, der Mindestlohn sei eine Katastrophe für den Osten. Offensichtlich hält es die Staatsregierung für ein ökonomisches Naturgesetz, dass der Mindestlohn Arbeitsplätze vernichtet. Das ist so eine Behauptung, die mantraartig immer wieder von CDU und FDP vorgetragen wird. Aber wenn wir den Blick auf wissenschaftliche Studien werfen – ich habe die Studie oft genug angesprochen; einschlägig ist vor allem die Berkeley-Studie, – –

(Kristin Schütz, FDP: Darüber unterhalten wir uns in zwei Jahren noch einmal!)

Das können wir gern tun.

Ich zitiere aus der Berkeley-Studie: „Mindestlohnerhöhungen führen nicht zu kurz- oder langfristigen Jobverlusten bei Niedriglohntätigkeiten.“

(Thomas Schmidt, CDU: Da sind wir in Frankreich!)

Das ist nach wie vor eine der wenigen systematischen empirischen Studien, die großflächig die Auswirkungen von Mindestlöhnen auf den Beschäftigungsbereich untersucht haben; insofern ist das nach wie vor einschlägig.

Nun hat die Große Koalition beschlossen, den Mindestlohn ab 2015 einzuführen; geltende Tarifverträge haben Schonfrist bis Ende 2016, auch wenn die Löhne unter 8,50 Euro liegen. Nach einer Studie der Heinrich-BöllStiftung betrifft das 41 Branchen, die aber 2017 ebenfalls in den Genuss des Mindestlohnes kommen werden. Der Anfang ist also gemacht.

(Sebastian Fischer, CDU: Viel Spaß in Hessen!)

Das zeigt: Auch die CDU kann sich bewegen, wenn der Bremsklotz FDP erst einmal entfernt ist.

Umso bedauerlicher ist es allerdings, Herr Ministerpräsident Tillich, dass Sie sich in Nibelungentreue an die sächsische FDP ketten. Die Zeit der Fundamentalopposition gegen den Mindestlohn ist vorbei und hat keine Perspektive mehr. Die Diskussion, die wir jetzt führen, braucht einen neuen Schwerpunkt; und zwar müssen wir mehr den Blick darauf richten, was mit unbezahlten Überstunden passiert, mit kreativen Rechenspielen wie zum Beispiel bei Schicht- und Wochenendzulagen, mit Urlaubs- und Weihnachtsgeld oder auch dem Abdriften in Scheinselbstständigkeiten – da gibt es noch einige

Schlupflöcher –, die möglicherweise den Mindestlohn unterlaufen könnten.

Die Redezeit geht zu Ende.

Noch einen Satz, bitte. – Diese Fehlentwicklungen müssen wir im Blick halten und ihnen entgegensteuern. Das ist jetzt das Gebot der Stunde, und dann wird auch der Mindestlohn ein Erfolg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Herr Jennerjahn sprach für die Fraktion GRÜNE. – Jetzt sehe ich eine Kurzintervention am Mikrofon 5; bitte, Herr Kollege Fischer.

Als Vertreter eines wichtigen Wirtschaftsbereiches in Sachsen – als Vorsitzender des Vereins Dresdner Köche – bin ich bestürzt darüber, wie dieses Thema, das zu Arbeitsplatzverlust, besonders in meiner Branche, in der Gastronomie, führen wird, hier mit Lachen und Zähneklappern behandelt wird.

Wenn Sie sich die Situation in der sächsischen Gastronomie einmal ganz genau anschauen, meine Damen und Herren, dann werden Sie Folgendes feststellen: Gering qualifizierte junge Arbeitnehmer werden durch den Mindestlohn ihre Arbeit verlieren. Es wird viel in die Schwarzarbeit abwandern. Wir werden es gemeinsam erleben – und das wird auch der Qualität für unsere Gäste nicht guttun –: Der Mindestlohn, der jetzt kommen soll, ist die Schlinge um den Hals der sächsischen Gastronomie.

Deshalb kann ich als Vorsitzender des Vereins Dresdner Köche nur sagen: Hoffen wir das Beste, dass es auf Bundesebene gelingen möge, diesen Wahnsinn zur rechten Zeit aufzuhalten.

(Zurufe von den LINKEN, der SPD und der NPD)

Das ist unser Anspruch an die Politik in Berlin, meine Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Das war eine Kurzintervention von Kollegen Fischer auf Herrn Kollegen Jennerjahn, der jetzt darauf reagiert.

Vielen Dank. – Herr Fischer, das ist genau das, was ich angesprochen hatte: Diese Behauptung Arbeitsplatzverluste wird mantraartig immer wieder vorgetragen, ohne wirklich untersetzen zu können, woher diese Annahme eigentlich kommt.

Es gibt eine Fülle von Ländern im europäischen Ausland, die nicht belegen, dass die Einführung eines Mindestlohnes – zum Teil auch deutlich über 8,50 Euro – zu Arbeitsplatzverlusten führt.

Ich verweise einmal auf Studien von Mindestlohnkritikern, zum Beispiel von Herrn Ragnitz, zur Einführung von Mindestlöhnen – „empirische Relevanz des Niedriglohnsektors“ –, um deutlich zu machen, wie diese vermeintlich wissenschaftlichen Berechnungen des Arbeitsplatzverlustes zustande kommen. Ich zitiere daraus: „Empirische Schätzungen deuten auf eine negative Lohnelastizität der Arbeitsnachfrage in einer Größenordnung von rund 0,75 hin. Beispielsweise schätzen Zimmermann und Bauer die Elastizität bei Geringqualifizierten auf minus 0,85.

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Verstehen Sie, was Sie da lesen?)

Rievan, Thalmeier und Zimmermann halten für den Niedriglohnsektor in Deutschland eine Elastizität von minus 0,6 für das plausibelste Szenario. Eine Lohnelastizität der Arbeitsnachfrage von minus 0,75 bedeutet, dass bei einer einprozentigen Lohnerhöhung die Beschäftigung um 0,75 % zurückgeht.“

(Zurufe von der CDU und der Abg. Kristin Schütz, FDP)

„Empirische Schätzungen“ wird es genannt. Die Frage ist: Es werden hier Zahlen in den Raum geworfen, ohne auch nur in einem Satz zu begründen, worauf diese Zahlen basieren. Je höher ich diesen Faktor schraube – 0,75 %, 1 %, 1,5 % –, desto höhere Horrorzahlen kann ich auch produzieren.

Ich würde mir einfach wünschen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse, die nicht irgendwelche Spekulationen in die Zukunft darbieten, sondern die reale Situation nach Einführung eines Mindestlohnes in den Blick nehmen, auch tatsächlich ernst genommen werden und dass nicht immer irgendwelche Horrorszenarien an die Wand gemalt werden.

Vielen Dank.