Protocol of the Session on November 28, 2013

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Für die SPDFraktion Herr Abg. Mann; bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrter Herr Schiemann!

DIE LINKE legt hier einen Antrag zur Weiterentwicklung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hin zu einer sozialen Union vor. Insofern sehe ich den Antrag als programmatischen Antrag, vor allem in einem europäisch durchaus spannenden politischen Jahr 2014. Ich glaube, da trifft Ihre Kritik daran, dass hier nicht detailversessen einzelne Maßnahmen genannt werden, nicht ins Schwarze.

Aber zum Thema. Wir alle wissen, Europa befindet sich in einer tiefen Krise. Teure Bankenrettungen, hohe Jugendarbeitslosigkeit und eine schwere Rezension rund um unser Land – so geht es für Europa nicht weiter.

Auch wir wollen Europa verändern und, um es zu verbessern, Finanzmärkte bändigen und Sozialstandards einführen, nachhaltiges Wachstum fördern und gute Nachbarn sein; denn Sachsen braucht Europa und Europa braucht uns. Europa muss und soll wieder ein Europa der Bürgerinnen und Bürger werden; denn sie haften mit ihren Steuergeldern für Eurorettungsschirme und die Politik der EZB. Der europäische Währungsraum braucht eine vereinte Stimme. Wir sehen deshalb in einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung und in einer harmonisierten Steuerpolitik die Lösung.

Die europäische soziale Marktwirtschaft braucht aber auch eine starke europäische Sozialunion. Um Lohn- und Sozialdumping in den EU-Ländern vorzubeugen, wollen wir einen sozialen Stabilitätspakt einrichten. Dieser wird klare Vorgaben für Sozial- und Bildungsausgaben machen, ohne dabei nationale Standards zu verschlechtern. Wir brauchen auch verbindliche gemeinsame soziale Mindeststandards, um unsere Sozialsysteme vor der schädlichen Lohndumpingspirale zu schützen, und den Ausbau von Mitbestimmung auf europäischer Ebene.

Das Europäische Parlament selbst hat im Juni dieses Jahres für die Verabschiedung eines Sozialinvestitionspakets für Europa gestimmt. Der Bericht wurde federführend im Beschäftigungsausschuss behandelt und zeigt uns auf, wie sich die EU ändern muss, um neben der Wirtschafts- und Währungsunion zur Sozialunion zu werden. Die Abgeordneten drängen – nicht zuletzt auf Druck der Sozialdemokraten – etwa auf die Einführung von sozialen Indikatoren, die bei den Haushaltsverhandlungen endlich mit makroökonomischen Orientierungswerten gleichgestellt werden sollen.

Statt zögerlicher Maßnahmen zur Katastrophenabwehr à la Merkel und der einseitigen Fokussierung auf eine rigide Sparpolitik braucht es unserer Meinung nach Wachstumsimpulse und mutige Schritte in ein soziales und demokratisches Europa.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Dabei ist auch eine Finanztransaktionssteuer längst überfällig, um Spekulationen zu begrenzen und Steuergerechtigkeit gegenüber der Realwirtschaft sicherzustellen. Die Wirtschafts- und Währungsunion macht vielmehr auch diese Fiskalunion erforderlich.

Europa geht – Sie merken es – aus unserer Sicht auch anders; denn wir müssen erkennen: Marktradikaler Wettbewerb führt zum Zerfall von Gesellschaften. Wir alle als politische Entscheidungsträger müssen deshalb dafür sorgen, dass in Europa nicht nur die Logik der Märkte dominiert. Flankieren wir also diese Wirtschafts- und Währungsunion endlich mit einer politischen Sozialunion, die diesen Namen verdient. Die Zeit der kleinen Schritte ist lange vorbei.

Ohne die Kritik am Kapitalismus in seinen zyklischen Krisen, ohne gesellschaftliche Mobilisierung und politische Reaktion kann es unserer Meinung nach keine soziale Marktwirtschaft geben. Allein den Marktmechanismen überlassen, entwickelt sich dieser Kapitalismus zu selbstzerstörerischen Tendenzen. Das haben wir übrigens in der BRD bereits in den Sechzigerjahren erkannt. Die Finanzkrisen seit 2007 aber haben uns neuerlich gezeigt, wie sich ein vom Finanzkapital getriebenes System ohne ausreichende Regulierung zur Existenzkrise der Europäischen Union entwickelt hat.

Nur durch massive staatliche Intervention und massiven Einsatz von Steuergeldern konnte der Krise vorerst begegnet werden. Damit aber haben die Mitgliedsstaaten der EU die Krise des Finanzkapitalismus zu ihrer eigenen Krise gemacht.

Eines der großen Probleme ist dabei nach wie vor die Asymmetrie der Mobilität von Gütern und Kapital einerseits und die ungenügenden Regulierungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene andererseits. Deswegen brauchen wir dringender denn je europäische soziale Standards und eine verstärkte wirtschaftspolitische Zusammenarbeit, weil die soziale Marktwirtschaft nicht mehr allein national gesichert werden kann.

Wir werden Europa nicht retten, wenn wir nur die bestehende Binnenmarktideologie fortschreiben. Wir werden auch niemanden für Europa begeistern – das zeigen nicht zuletzt die Wahlergebnisse der AfD –, wenn wir nicht das soziale Modell Europas stärken, also wirtschaftlichen Erfolg auf der einen Seite und soziale Sicherheit auf der anderen Seite zusammenführen. Kurz: Wir benötigen diese europäische Sozialunion.

Dabei kann es nicht nur darum gehen, eine marktkonforme Demokratie zu schaffen, wie Angela Merkel fälschlicherweise meint. Es geht vielmehr darum, dem Primat der Politik gegenüber den Märkten Geltung zu verschaffen. Wir erleben diesbezüglich eine gefährliche Entwicklung. Immer häufiger werden wirtschaftliche Entscheidungen von echten oder vermeintlichen Experten getroffen, von sogenannten Technokraten, zunehmend auch in der Rolle als Regierungsmitglieder.

Hinzu kommt, dass durch den Stellen- und damit auch Kompetenzabbau in der öffentlichen Verwaltung teilweise nicht mehr genügend Fachwissen vorhanden ist, immer komplexere Entscheidungen zu verstehen. Als Folge wird immer mehr Beratungsbedarf outgesourct, wodurch wiederum noch mehr Fachwissen in der Verwaltung verloren geht.

Eine europäische Sozialunion muss daher dringend mit einer konsequenten Demokratisierung der EU und ihrer Entscheidungen einhergehen. Es darf schlicht und ergreifend nicht sein, dass in Brüssel oder Berlin darüber entschieden wird, wie eine Regierung in Rom oder Athen auszusehen hat.

Um klarzumachen, dass es hier nicht nur um abstrakte, vielleicht auch ferne EU-Politiken geht, sei noch auf Folgendes verwiesen: Das Europäische Parlament hat erst vergangene Woche die Verordnung für den ESF beschlossen. Die Schwerpunkte werden dabei auf die Bekämpfung von Armut und Jugendarbeitslosigkeit gelegt. Herr Kollege Gebhardt hat es schon erwähnt: Auch die Kommission erwartet für die neue Förderperiode des ESF eben nicht nur den Ausbau von Beschäftigung, sondern auch gute Arbeit und eine Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse – ungewohnte Töne der Kommission.

Davon aber, meine Damen und Herren, müssen wir sagen, scheint in den sächsischen operationellen Programmen wenig enthalten und wenig zu erwarten sein. Genau deshalb ist die Debatte die richtige und unterstützen wir ausdrücklich den hier vorgelegten Antrag der Fraktion DIE LINKE.

Danke schön.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Für die FDP spricht Herr Abg. Herbst; bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gebe meinen Vorrednern zum Teil recht: Es ist vieles unsozial in Europa. Ich finde es unsozial, wenn in einigen Ländern die Massenarbeitslosigkeit immer neue Höchststände erreicht. Ich finde es unsozial, wenn Jugendliche auf der Straße stehen, die keine Perspektive haben. Ich finde es unsozial, wenn einzelne Regierungen Schulden auftürmen, die kommende Generationen belasten und eigentlich nie zurückgezahlt werden können. Und ich finde es unsozial, wenn neue – vermeintlich soziale – Wohltaten beschlossen werden, die von dem beschließenden Land aber nicht bezahlt werden und zulasten der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in diesem Land gehen.

Meine Damen und Herren! Länder, die so handeln, enttäuschen nicht nur ihre Bürger, sondern schwächen auch Europa, das heißt, sie erweisen der europäischen Idee einen Bärendienst.

(Beifall bei der FDP)

Aber anders, als von den LINKEN behauptet, sind Umverteilung und noch mehr zentrale Vorgaben der EU nicht die Lösung. Im Gegenteil, zum Teil hat diese Umverteilung erst zu den Problemen in diesen Ländern geführt. Denken wir beispielsweise an Griechenland.

Es ist genau der falsche Ansatz, im Zusammenhang mit dem Thema Arbeit und Wohlstand in der EU ausschließ

lich über Verteilung zu diskutieren. Verteilt werden kann nur das, was erwirtschaftet worden ist. Wenn die Wirtschaft, wenn die Unternehmen in den Ländern nicht wettbewerbsfähig sind, ist auch kein Wohlstand zu verteilen.

Nun kann man sich viel über Marktmechanismen aufregen – Herr Mann hat es getan – und den Staat quasi als Heilsbringer darstellen. Schauen wir nach Frankreich: Was macht denn Frankreich? Das ist wirklich das Negativbeispiel dafür, wie man die eigene Leistungsfähigkeit zerstört. Dort sehen wir eine Spirale aus überzogenen Steuererhöhungen, aus Überregulierung, Schuldenmachen und schlechter Bildungsqualität. Verwundert das Ergebnis? Die Wettbewerbsfähigkeit nimmt immer mehr ab. Jeden Monat müssen große französische Unternehmen wieder Mitarbeiter entlassen. Die soziale Schieflage steigt.

Ich sage ganz ehrlich: Das ist nicht nur eine Frage des Bruttoinlandsprodukts bzw. von irgendwelchen Statistiken. Ich finde es unsozial, wenn 25 % der Jugendlichen in Frankreich keine Arbeit haben.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)

Ich setze lieber auf Länder, die auf Marktwirtschaft setzen, um ihren Jugendlichen eine Perspektive zu bieten.

Die Forderungen der LINKEN sind, wie im Antrag ausgeführt, inspiriert durch ein Papier der EU-Kommission, in dem die „stärkere Überwachung der beschäftigungs- und sozialpolitischen Herausforderungen“ sowie „verstärkte Maßnahmen für Beschäftigung“ gefordert werden.

Nun gut. Gefordert werden also mehr zentrale Lösungen und mehr Umverteilung. Ich glaube nur, das wird nicht funktionieren. Die Herausforderungen, vor denen die europäischen Staaten stehen, sind nicht gleich. In einigen Ländern sind die Unternehmen nicht wettbewerbsfähig. Woanders besteht ein nur ungenügendes System der Berufsausbildung. In anderen Ländern steht nicht genügend Kapital für Investitionen zur Verfügung.

Statt – wie die EU es plant – an den Wirkungen herumzudoktern, sollten wir die Ursachen beseitigen. Wir brauchen in Europa die richtige Balance zwischen Eigenverantwortung und Solidarität. Ja, wir sind solidarisch, wenn jemand in eine Notlage gerät. Aber wir sind gegen die Vergemeinschaftung von Schulden; denn damit wird das Prinzip von Eigenverantwortung und Haftung unterhöhlt.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)

Welche Anreize soll es denn noch für ein Land geben, sich verantwortlich zu verhalten, wenn es genau weiß: Egal, wie man sich verhält – das Füllhorn aus Brüssel wird immer aufgemacht.

(Jürgen Gansel, NPD: Dafür ist die FDP doch mitverantwortlich gewesen, zumindest bis zur Bundestagswahl!)

Das ist kein Anreiz, meine Damen und Herren.

Wir sind für Hilfe zur Selbsthilfe. Wir in Sachsen profitieren davon – dank der Unterstützung der EU. Es gibt viele Beispiele für Länder, die aus der europäischen Solidarität etwas gemacht und nicht nur die Hand aufgehalten haben. Ich brauche mir nur die baltischen Staaten anzuschauen. Auch dort hat es im Zusammenhang mit der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise einen enormen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts gegeben, und man stand vor enormen Herausforderungen. Dabei ist dort die soziale Sicherung eine ganz andere – niedrigere – als hier in Deutschland. Dennoch haben diese Länder es geschafft, sich aus eigener Kraft aus dieser schwierigen Situation herauszuarbeiten und wieder auf einen Wachstumskurs einzuschwenken. Manchmal sage ich mit Blick auf Europa: Vielleicht sollten wir etwas mehr von Tallinn, Riga und Vilnius lernen als von Paris oder Athen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU – Beifall des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)

Wenn wir Europa stärken wollen – auch in sozialer Hinsicht –, müssen wir den Wirtschaftsstandort Europa stärken. Es müssen Anreize für Innovationen und Investitionen gesetzt werden. Wir brauchen flexible Arbeitsmärkte, auf denen auch Berufseinsteiger eine Chance bekommen und nicht ausgegrenzt werden. Die Bildungssysteme müssen eine hohe Qualität haben. Es bedarf auch einer soliden Finanzpolitik. All das gehört dazu, wenn wir über ein soziales Europa reden. Aber einen Hinweis auf diese Erfordernisse habe ich bei Ihnen leider nicht vernommen, meine Damen und Herren von den LINKEN.

Eine Einheitslösung im Sinne einer europäischen Einheitssozialpolitik kann nicht funktionieren. Schauen Sie sich nur die verschiedenen Rentenniveaus an. Vergleichen Sie in dieser Hinsicht Deutschland mit Rumänien oder Bulgarien; die Bedingungen sind sehr unterschiedlich. Insofern kann eine Einheitslösung nicht funktionieren.

Mehr Zwangsumverteilung, mehr Zentralismus – das ist der falsche Weg, um ein sozialeres Europa zu erreichen.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Sie sollten einmal den Antrag lesen!)

Meine Damen und Herren! Wir brauchen durchaus eine grundlegende Reform der EU; diese Auffassung teile ich. Die EU soll ein hohes Maß an Wohlstand und sozialer Sicherheit bieten. Allerdings funktioniert das nicht über Umverteilung, sondern über mehr Wettbewerbsfähigkeit bzw. mehr wirtschaftliche Stärke der Länder innerhalb der Europäischen Union.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Für die Fraktion der GRÜNEN Frau Abg. Kallenbach, bitte.

Danke, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich unterstützen wir GRÜNE ein starkes Europa, und das ist ohne europäische Sozialunion nun einmal nicht zu haben.