Protocol of the Session on September 19, 2013

Warum ist dem so? Ich sage es Ihnen: Das Modell der Bürgerversicherung beschreibt ein Modell für die Zukunft der Krankenversicherung, in der Solidarität konsequent zu Ende gedacht und eine gerechte Verteilung von Lasten nach der Leistungsfähigkeit beschrieben wird. Wir sehen eine nicht allein am Gewinn orientierte Gesundheitspolitik vor. Das ist nicht nur wünschenswert im Sinne einer solidarischen Gesellschaft; es ist auch hochgradig vernünftig für die Bewältigung ungewisser Risiken, wie sie Frau Strempel gerade beschrieben hat.

Für unsere Gesellschaft stellen die demografische Entwicklung und der medizinisch-technische Fortschritt große Herausforderungen dar. Derzeit kann aber niemand wirklich valide voraussagen, welche Auswirkungen diese Entwicklungen haben werden. Die Menschen im Land spüren, dass sie diesen Herausforderungen besser gegenüberstehen, wenn sie gemeinsam solidarisch abgesichert sind, als wenn sie auf Kopfpauschalen oder ausufernde Zuzahlungen setzen.

Ich weiß auch, warum CDU und FDP dieses Konzept so sehr ärgert. Ständig werden Unwahrheiten über die Bürgerversicherung erzählt. Wir haben gerade wieder gehört, die Bürgerversicherung sei eine Einheitskasse. Das ist überhaupt nicht der Fall, das ist eine Unwahrheit. Wer die Konzepte liest, dem ist das eingängig.

Warum wird von CDU und FDP dennoch ständig das Gegenteil behauptet? Ich glaube, das liegt ein Stück weit daran, dass sich das sogenannte bürgerliche Lager darüber ärgert, dass die linken Parteien mit einem Projekt erfolgreich unterwegs sind, das sich ausgerechnet den Namen „Bürgerversicherung“ gegeben hat. Die Bürgerversicherung ist und bleibt eine linke Idee, und das ist auch gut so.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Die Bürgerversicherung steht eindeutig als sozialdemokratische Antwort auf das wirtschaftliche und soziale Desaster, das die neoliberalistischen Ideen und die neoliberale Politik der letzten Jahre hinterlassen haben.

Die Menschen haben die Nase voll vom Gerede, dass jeder nur an sich selber denken müsse und damit sei an alle gedacht.

(Beifall der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Sie wissen, dass sie in einer reichen Gesellschaft leben. Sie verstehen nicht, warum sie dennoch auf existenzielle Leistungen für ihre Gesundheit verzichten oder dafür immer mehr zuzahlen sollen. Wissen Sie was? – Die Menschen haben damit recht. Deshalb wollen wir das auch ändern.

Um zu den Argumenten zu kommen: Bereits in den Sechzigerjahren wurde das Märchen von der Kostenexplosion in der Krankenversicherung erzählt. Es ist ein Märchen, weil diese Behauptungen regelmäßig den Bezugspunkt verschweigen. Der Bezugspunkt ist nicht die absolute Ausgabenentwicklung, Frau Strempel, der Bezugspunkt ist der Anteil der Ausgaben am Bruttosozialprodukt, im Prinzip am Reichtum der Gesellschaft. Das

ist der Bezugspunkt. Dazu muss man sagen, dass dieser Anteil mit der Ausnahme nach der Wiedervereinigung, über die Jahrzehnte betrachtet, sehr stabil geblieben ist. Das Argument wird meistens von denjenigen herangezogen, die Angst haben, vom steigenden Wohlstand nicht genug abzubekommen, weil sie ihn an dieser Stelle mit anderen teilen müssen.

Auch zu den Untergangsszenarien im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung und mit dem medizinisch-technischen Fortschritt, wovon wir eben wieder gehört haben, muss ich noch kurz etwas sagen. Beides sind unbestreitbar ganz große Herausforderungen für die Zukunft. Sie haben aber nicht nur systemverteuernde Effekte. Älter zu werden bedeutet nicht gleichsam, länger krank zu sein und höhere Kosten zu entwickeln. Glücklicherweise umfasst das längere Leben auch viele Jahre in Gesundheit. Es gilt, diese zu verlängern. Kostenintensiv sind nur die letzten Jahre vor dem Tod, und die sind nicht abhängig von dem Alter, in dem der Tod eintritt.

Auch der medizinisch-technische Fortschritt ist per se nicht nur teurer. Manche Fortschritte verursachen mehr Ausgaben, andere wiederum sind geeignet, die Behandlung zu verbessern und die Behandlungsabläufe zu optimieren, und sie führen nach einer gewissen Übergangsphase zu großen Einsparungen. Dennoch, das gebe ich zu, stellt sich an diesem Punkt die Frage, wie wir es finanziell abgesichert hingekommen, dass möglichst alle Menschen solidarisch von diesen Vorschriften profitieren können und eben nicht nur eine kleine Zahl von Menschen, die sich Zusatzversicherungen leisten können. Darum geht es.

Wenn wir uns die Kostenentwicklung in der GKV daraufhin noch einmal genau anschauen, dann sehen wir, welche die Kostentreiber in der Krankenversicherung sind. Das ist insbesondere die Zunahme der chronischen Erkrankungen. Diese treten auch bei Kindern und jüngeren Erwachsenen auf. Diese haben jedoch nichts mit dem Alter und mit der demografischen Entwicklung zu tun, sondern meistens mit einer zu hohen Arbeitsbelastung, mit zu großen Stressfaktoren und mit einer ungesunden Lebensweise, die, kulturell bedingt, mit wenig Bewegung und ungesunder Ernährung einhergeht. Hierfür brauchen wir ein Präventionsgesetz und die konsequente Durchführung von Gesundheitszielen und -strategien. Dann würden wir vorankommen und die Kosten für die GKV spürbar senken können.

Zurück zur Bürgerversicherung. Die Bürgerversicherung stellt das einzige demografiefeste Modell dar, das derzeit vorliegt, weil eben nicht nur Erwerbseinkommen eingerechnet werden. Die Bürgerversicherung orientiert sich nachhaltig am Gesamtwohlstand der Gesellschaft und kann dadurch die Teilhabe an den Errungenschaften des Fortschritts für möglichst viele Menschen sicherstellen.

Das Modell der SPD sieht ein bisschen anders aus als das der LINKEN. Es unterscheidet sich durchaus nicht nur im Detail. Ich möchte darauf kurz eingehen.

Unser Bürgerversicherungsmodell besteht aus drei Finanzierungssäulen. Die erste ist der Beitrag wie bisher. Ja, wir wollen die Beitragsbemessungsgrenze vorerst beibehalten.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Wir nicht!)

Die zweite Säule ist der Arbeitgeberbeitrag, der wieder bis zur tatsächlichen Parität angepasst werden soll. Die dritte Säule ist der dynamisierte Steuerbetrag, über den wir die Einkommen aus Vermögen heranziehen wollen. Das hat folgende Vorteile, um das auch noch einmal zu Protokoll zu geben:

Die Beitragsbemessungsgrenze kann erhalten bleiben. Das bewirkt, dass die Mittelschicht nicht über Gebühr belastet wird, und auch der Verfassungsauftrag, der uns zu angemessenen Beiträgen im Vergleich zu den erbrachten Leistungen auffordert, kann erfüllt werden. Daneben ist auch der verwaltungstechnische Aufwand für den Einzug der Beiträge geringer, weil wir uns an die vorhandenen Instrumente des Steuerrechts anhängen, die für die Erfassung von Vermögen und Kapitalerträgen vorhanden sind. Mit dem Gesundheitsfonds, in dem sozusagen alle Beiträge gesammelt werden, lässt sich das technisch problemlos und relativ zügig umsetzen.

Zur PKV. Wir wollen einen Bestandsschutz für die Versicherten und einen fairen Umgang mit den privaten Versicherungen und mit ihr gemeinsam die Möglichkeiten auch des Übergangs von Personal organisieren. Die Bürgerversicherung soll auch von den privaten Krankenversicherungen angeboten werden können. Deren Kerngeschäft kann durch die Möglichkeit von Zusatzversicherungen erhalten bleiben.

Ich möchte an dieser Stelle auch einmal sagen: Es ist unbestreitbar, dass die PKV und die GKV reformiert werden müssen. Das sagen auch die Ärzte. Diejenigen aber, die sich hier hinstellen und die PKV als Retter der Qualität im Gesundheitswesen darstellen, verschweigen, wie sie die PKV reformieren wollen. Die PKV hat nämlich ein ganz großes Problem. Dieses Problem ist aber nicht die Bürgerversicherung. Das Problem ist, dass die PKV mit ihren risikoorientierten Beiträgen ihre mittlerweile gealterte Versicherungspopulation nicht mehr ausreichend wird versorgen können, ohne dass die Menschen immer mehr Beiträge bezahlen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Menschen können das im Alter aber nicht mehr tun. Wir wissen, dass in der PKV viele Menschen versichert sind, die nicht die hohen Einkommen haben. Das sind die Beamtinnen und Beamten und die vielen kleinen Selbstständigen, die nicht hohe Summen für das Alter zurücklegen können. Diese Menschen werden im Alter in der PKV mit enorm hohen Beiträgen belastet. Das ist das eigentliche Problem der PKV.

Gerade für diese Personengruppen soll es nach der Einführung der Bürgerversicherung eine Übergangszeit

geben, in der sie in das GKV-System wechseln oder bei ihrer privaten Krankenversicherung den Bürgerversicherungstarif wählen können.

Mit der Einführung der Bürgerversicherung soll es endlich auch eine einheitliche Vergütung ärztlicher Leistungen geben. Die bisherigen unterschiedlichen Vergütungsniveaus führen nämlich in der Versorgungsrealität zu ungleichen Behandlungen. Das ist nicht moralisch verwerflich. Es sind aber eben Anreizstrukturen, die von den Anwendern in diesem Bereich genutzt werden. Die Zusammenführung der zwei Gebührenordnungen wird ein Grundstein dafür sein, dass der Zugang zu medizinischen Leistungen nicht mehr vom Geldbeutel abhängt, sondern vom tatsächlichen Bedarf nach dieser medizinischen Leistung.

Zum Thema Versorgung ist weiterhin zu sagen, dass mit der Bürgerversicherung der bisherige Leistungskatalog vollumfänglich erhalten bleiben soll. Es soll auch geprüft werden, ob Leistungen, die in der Vergangenheit aus Kostengründen ausgegliedert worden sind, wie zum Beispiel die Brillen für Kinder oder der Zahnersatz, in den Leistungskatalog zurückgeholt werden. An dieser Stelle sage ich auch, wir teilen nicht die Einsparerwartungen, die die LINKEN an dieser Stelle geäußert haben. Für uns geht es mit der Bürgerversicherung tatsächlich um eine bessere und gerechtere Versorgung mit medizinischen Leistungen in unserem Land.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass die Modelle der Bürgerversicherung eine solidarische und qualitätsorientierte Weiterentwicklung des jetzigen Systems und eben keinen Systembruch darstellen, wie es immer behauptet wird. Diese Weiterentwicklung ist vernünftig, und vernünftige Ideen setzen sich durch.

Wir brauchen mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein Gesundheitssystem, welches gleiche Teilhabe und gleiche Chancen bietet. Dafür steht die Bürgerversicherung und dafür steht auch die SPD.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Schütz, Sie möchten vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen. Dazu haben Sie jetzt Gelegenheit.

Herzlichen Dank. – Erst einmal Hut ab, Frau Neukirch, wie es sich die LINKEN gefallen lassen, dass Sie über diesen Antrag hier ganz locker das Modell der Bürgerversicherung der SPD vorstellen, und das Ganze ohne Widerspruch. Daran lässt sich ablesen, was man nach dem Sonntag an dieser Stelle von Rot-RotGrün zu erwarten hat.

Ich weiß gar nicht so richtig, wo ich anfangen soll. Sie haben das schlimme Gesundheitssystem in Deutschland beschrieben. Dann wundere ich mich, dass wir alle, wenn wir im Urlaub sind, eine Auslandskrankenversicherung abschließen, damit wir im Krankheitsfall so schnell wie

möglich nach Deutschland zurückkommen und in unserem Gesundheitssystem gut behandelt werden.

Sie haben von den gleichbleibenden Ausgaben seit dem Jahr 1990 gesprochen. Das ist bei einer älter werdenden Bevölkerung eine große Leistung, die wir vollbracht haben, sicherlich auch auf der Grundlage eines medizinisch-technischen Fortschritts, der es uns ermöglicht hat, all diese Leistungen und Möglichkeiten des Systems tatsächlich auszunutzen.

Ich möchte Sie noch daran erinnern, dass die gesetzliche Krankenversicherung noch vor vier Jahren vor einem möglichen Defizit in Höhe von 5 Milliarden Euro bis 9 Milliarden Euro stand. Nur, damit Sie es noch einmal im Kopf haben, auf welcher Grundlage wir hier eigentlich sprechen, wie leistungsfähig sich letzten Endes das Wirtschaftssystem unter Schwarz-Gelb gezeigt hat, um aus dieser Wirtschafts- und Finanzkrise herauszukommen und diese Defizite letzten Endes auch in Rücklagen umzuwandeln.

Sie haben eines angesprochen, aber das ist letzten Endes kein Problem, das die private Krankenversicherung hat, sondern das hat genauso die gesetzliche Krankenversicherung, das heißt die älter werdende Bevölkerung, unser demografischer Wandel.

Frau Schütz, ich bitte Sie zum Schluss zu kommen.

Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen: Im Jahr 2050 werden die über 80-Jährigen um 300 % zugenommen und die arbeitsfähige Bevölkerung um 33 % abgenommen haben. Das ist die Herausforderung, der sich die Versicherungssysteme stellen sollen, und zwar beide, die private und die gesetzliche Krankenversicherung.

(Beifall bei der FDP)

Frau Neukirch, Sie möchten sicherlich auf die Kurzintervention antworten? Bitte schön.

Ja, ich kann das nicht so stehen lassen. Ich habe in keiner Weise das deutsche Gesundheitssystem schlechtgeredet, ich habe die Herausforderungen beschrieben, vor denen wir stehen, und ich bin darauf eingegangen, dass, wenn wir die Herausforderungen bewältigen wollen, wir genau hinschauen müssen, an welcher Stelle sie entstehen, dass es eben nicht per se die demografische Entwicklung ist, sondern auch die Entwicklung von besonderen Krankheiten, eben der chronischen Erkrankungen, die auch mit anderen Faktoren einhergehen, als wir sie jetzt in dieser Diskussion immer anführen.

Das Defizit, vor dem die Krankenversicherungen vor einigen Jahren standen, hat sich daraus ergeben, dass eben in der gesetzlichen Krankenversicherung nur die Erwerbseinkommen verbeitragt werden und wir genau in

der Zeit durch die Einbrüche am Arbeitsmarkt einen Einnahmenausfall hatten.

(Beifall bei der SPD)

Das ist genau der Hintergrund dafür, dass wir das jetzt für die zukünftigen Herausforderungen ändern wollen. Wir sind der Meinung, dass sich gerade die demografische Entwicklung, der technische Fortschritt und die Erkrankungen, die wir bewältigen müssen, besser in einem ausgebauten solidarischen gemeinsamen Gesundheitssystem bewältigen lassen, als dass man an der Stelle ein weltweit einmaliges System von zwei verschiedenen Versicherungssystemen aufrechterhält. Da sehen wir die Zukunft eher in einer solidarischen Krankenversicherung.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Frau Jonas spricht für die FDP-Fraktion. Sie haben das Wort.