Protocol of the Session on June 19, 2013

Durch die Verteilung der Risiken – ob durch Flut, Hagel, Blitzeinschlag oder Sturm – auf alle Eigentümer bebauter Grundstücke, also Privatpersonen und Unternehmen sowie Bund, Länder und Kommunen, wäre die Belastung für den Einzelnen vergleichsweise gering, und der Staat müsste künftig nicht bei jedem extremen Witterungsereignis mit rasch zusammengezimmerten Hilfsprogrammen einspringen.

Schon 2002 habe ich eine solche Versicherung hier im Landtag gefordert. Damals sind mir Dirigismus, Gleichmacherei und Rückkehr zur Planwirtschaft vorgeworfen worden. Heute plädieren das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) – wahrlich kein linker Verein – ebenso dafür wie die Justizministerkonferenz. Selbst Herr Tillich und die Bundeskanzlerin denken jetzt laut darüber nach. Nun aber muss endlich gehandelt werden. Ich hoffe, dass es nicht noch einer weiteren Flut bedarf, bis sich die Staatsregierung spürbar bewegt. Sachsen muss sich auf Bundesebene für die Einführung einer solchen Pflichtversicherung gegen Elementarschäden mit allem Nachdruck starkmachen.

(Beifall bei den LINKEN)

Heute Abend, meine Damen und Herren, steht auch noch ein NPD-Antrag auf der Tagesordnung, mit dem eher halbherzig die Pflichtversicherung für Elementarschäden unterstützt werden soll und die Ausreichung von zusätzlichen EU-Geldern zur Beseitigung der Hochwasserschäden in Sachsen gefordert wird. Der Antrag geht schon deshalb ins Leere, weil die Pflichtversicherung schon Gegenstand von Entschließungsanträgen ist, über die wir gleich hier abstimmen werden. Aber dass gerade die NPD jetzt nach Unterstützung seitens der EU verlangt,

(Alexander Delle, NPD: Wir wollen das deutsche Steuergeld zurück, Herr Hahn! Das ist doch ganz einfach!)

also von einer Institution, die sie eigentlich sonst immer abschaffen möchte, zeigt die Verlogenheit ihres Antrages.

(Zuruf des Abg. Holger Apfel, NPD)

Meine Damen und Herren! Ich bin sehr sicher, die demokratischen Fraktionen in diesem Haus werden es nicht zulassen, dass die Nazis hier versuchen, aus dem Leid der Hochwasseropfer politisches Kapital zu schlagen.

(Alexander Delle, NPD: Bleiben Sie jetzt mal sachlich!)

Darüber hinaus und auch zum Schluss möchte ich gern noch eine Bitte äußern: Tourismusvereine, Hotels und Pensionen berichten in den letzten Tagen über eine zunehmende Zahl von Stornierungen in überfluteten Gebieten, aber auch in Orten, die überhaupt nicht betroffen waren. Hier droht neues Ungemach. Hier drohen neuerliche Einbußen. Ich appelliere deshalb an alle Urlauber, an alle Gäste, sich sorgfältig zu informieren und nicht vorschnell umzubuchen. Gerade die Hochwassergebiete und die angrenzenden Regionen brauchen jetzt wirklich jeden Gast in der Sächsischen Schweiz und anderswo. Auch das ist eine wirksame Unterstützung für den Wiederaufbau.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die CDUFraktion spricht jetzt Frau Abg. Windisch.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor knapp einem Jahr, am 12. Juli 2012, fand im Plenum des Sächsischen Landtages unter dem Titel „10 Jahre nach der Flut – Bilanz und Ziele des Hochwasserschutzes in Sachsen“ die letzte große Debatte zu diesem Thema statt. Staatsminister Kupfer schloss seine Regierungserklärung damals mit folgenden Worten: „Sie alle, meine Damen und Herren, wissen, dass das Schiff noch eine weite Fahrt vor sich hat. Hochwasserschutz ist und bleibt eine Generationenaufgabe. Das haben wir schon 2002 gesagt. Es ist daher ziemlich wahrscheinlich, dass ein großer Teil von uns das Schiff von diesem Raum aus nicht mehr am Ziel ankommen sieht. Aber alle, die wir hier sitzen, können dafür sorgen, dass das Tempo hält und dass wir auf Kurs bleiben.

Lassen Sie uns die Zeit nutzen für dieses überaus komplexe, aber auch spannende, dieses gigantische, aber auch kleinteilige, für dieses schwierige, aber lohnenswerte Ziel.“

Diese Worte sind heute genauso aktuell wie vor einem Jahr und fassen zusammen, dass trotz aller bisherigen und zukünftigen Anstrengungen im Bereich des Hochwasserschutzes Ereignisse, wie sie vor zwei Wochen wieder waren, nicht ausgeschlossen und vor allem nicht verhindert werden können. Das ist natürlich im Moment wenig Trost für die Menschen, die zum wiederholten Male von der Flut betroffen sind und denen verständlicherweise die Kraft und der Mut fehlen, an gleicher oder auch an anderer Stelle wieder aufzubauen und neu anzufangen. Ihnen gilt unser aller persönliches Mitgefühl.

Die empathischen Berichte von Herrn Kollegen Dulig aus Meißen kann ich nur untermauern. Auch ich habe Ähnliches in meiner Gemeinde erlebt, wo der Bürgermeister zu der Zeit wegen Krankheit sein Amt nicht versehen konnte und ich als seine Stellvertreterin tätig war: Menschen, die resigniert haben, aber auch eine Frau, die die kleine Postagentur im Ort betreibt, deren Geschäft zum dritten Mal überflutet wurde – Herr Ministerpräsident hat sie nach der vorangegangenen Flut persönlich besucht –, die zunächst gesagt hat: Nein, Schluss! Am nächsten Tag, als ihr viele Menschen geholfen und sie ermutigt haben, hat sie gesagt: Nein, ich kann doch die Postagentur nicht schließen. Ich muss weitermachen, im Moment auf ganz kleinem Raum, aber eben mit großer Kraft und nach vorn blickend.

Meine Damen und Herren! Wichtig ist für mich auch festzustellen: Unsere Zeit wird als kalt und egoistisch beschrieben. Aber: Die Menschen haben wieder das Gegenteil bewiesen. Unsere Gesellschaft hält zusammen, wenn es darauf ankommt.

Trotz aller Anstrengungen nach den Hochwasserereignissen von 2002, 2006 und 2010 hat uns die Natur gezeigt, wie klein der Mensch ist. Demut ist angebracht. Wir stoßen an Grenzen, wenn es sich um solche Extremereignisse handelt. Wohl aber müssen wir weiter alle Anstrengungen dahingehend unternehmen, vermeidbare Schäden zu mindern, gleich, ob wir dabei von Hochwasserschutzkonzepten oder der Eigenvorsorge der Bürger sprechen. Dafür gibt es keine Patentrezepte, auch wenn sich manche Redebeiträge in Teilen so angehört haben.

Aus den vergangenen Hochwasserschäden sind richtige Schlüsse gezogen worden. Das Schadensbild wäre gegenwärtig ein ganz anderes, hätte es nicht ein großes Bündel von Maßnahmen, zum Beispiel im Aufbau eines modernen Hochwasserwarn- und -meldesystems, eine hervorragende grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Tschechien, die Straffung der Kommunikation zwischen Ministerien, Fachbehörden, Landkreisen, Kommunen, Bundeswehr, THW und anderen Hilfsorganisationen gegeben. Auch die sozialen Netzwerke seien an dieser Stelle genannt. Investitionen in den Hochwasserschutz von inzwischen über einer halben Milliarde Euro haben

Wirkung dort gezeigt, wo die Planungen bisher realisiert worden sind. Da denke ich vor allem an Eilenburg, Dresden, Torgau und eine Vielzahl kleinerer Kommunen entlang der Zuflüsse. Dennoch – und das habe ich bedauert – war Eilenburg eher eine Randnotiz in der Berichterstattung, obwohl dieser Stadt eine besondere Aufmerksamkeit gelten sollte, weil dort Stadtrat, Bürgermeister und die Bürgerschaft mit einem vorbildlichen großen Maßnahmenbündel und nicht nachlassender Intensität die Lehren aus der Flut von 2002 gezogen haben.

Medial war Grimma präsent. Tragisch für diese Stadt, für ihre Bürger, dass sich die Hochwasserkatastrophe dort wieder ereignet hat. Aber ich kann mich gut daran erinnern, dass nach dem Hochwasser von 2002 sehr viel Geld in die Planung eines Schutzkonzeptes für Grimma gesteckt wurde. Diejenigen, die damals mit im Umweltausschuss waren, können sich daran erinnern, dass in Dresden-Reick ein riesengroßes Modell der Stadt in einer alten Lagerhalle aufgebaut war, an dem die mögliche Hochwasserschutzkonzeption für Grimma sehr plausibel dargelegt worden war und bei dem das ganzheitliche Schutzkonzept, das hier auch gefordert worden ist, gezeigt wurde.

Das Wasser kam entweder zu früh für Grimma, für Gohlis und andere Gemeinden oder aber die Realisierung der Maßnahmen hat zu lange gedauert. Das Problembewusstsein ist vielerorts geschwunden, so wie das Wasser zurückgegangen ist.

Es ist heute nicht die Stunde der Schuldzuweisungen. Aber es ist an der Zeit, tabulos und ehrlich darüber zu diskutieren, wie Verzögerungen bei der Umsetzung von Hochwasserschutzkonzepten vermieden und die Diskussionen über diese Konzepte entideologisiert werden können.

Es ist auch Gebot der Stunde, beginnenden Legendenbildungen vorzubeugen.

Legende 1 betrifft das angebliche Primat des technischen Hochwasserschutzes in Sachsen. Beim Hochwasserschutz handelt es sich immer um eine sinnvolle Kombination von technischen und nichtbaulichen Maßnahmen. Hochwasservorsorge in der Fläche: Ja. Aber diese Möglichkeiten sind begrenzt, wenn es wochenlang regnet. Dann fassen auch die Wurzeln der Bäume kein Wasser mehr, dann fasst die Fläche kein Wasser mehr. Über viele Tage kann man auch das Wasser nicht zurückhalten.

Die Flächenversiegelung ist ein Problem. Unsere Koalition hat immer wieder gesagt, dass hierbei eine Reduzierung erfolgen muss.

(Zuruf der Abg. Gisela Kallenbach, GRÜNE)

Aber jeder fasse sich selber an die Nase, wie viel Fläche er in seinem Grundstück gepflastert hat. Es ist nicht nur die Staatsregierung, die Flächen versiegelt, wie Sie es glauben machen wollen. Es ist jeder Einzelne, der an dieser Stelle seinen Beitrag leisten muss.

Legende 2 ist, dass Sachsens Flüsse eingedeicht oder eingemauert wären. Dieses Argument ist ganz einfach Unsinn. In Sachsen haben wir 24 000 Kilometer Flussgebiet. Das sind 48 000 Kilometer Uferlinie. Lediglich 664 Kilometer Deiche gibt es in Sachsen.

Legende 3 besagt, Hochwasser ließe sich durch mehr Überflutungsflächen vermeiden.

Meine Damen und Herren! Dieser Satz hört sich abstrakt sehr gut an, in einem Hörsaal oder hier im Landtag vorgebracht, ohne konkret auf eine Fläche zu zielen, auf die jeweilige Gemeinde, auf das jeweilige Eigentum, das davon betroffen ist. Wenn es aber konkret wird, sieht die Welt anders aus.

Die Ausweisung von Überflutungsflächen hat in Tälern Grenzen. Sachsen ist sehr gebirgig. Hinzu kommen die Siedlungsstrukturen, die in den Tälern historisch begründet gewachsen sind. In einem dicht besiedelten Land wie Sachsen stehen insbesondere an den Gebirgsflüssen kaum Flächen zur Verfügung. Aber diese Flüsse bringen die Hauptmenge an Wasser zu den großen Strömen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Frau Kallenbach.

Frau Kallenbach, bitte.

Frau Windisch, können Sie sich vorstellen, dass man mit einer flussgebietsübergreifenden Betrachtung von der Quelle bis zur Mündung auch länderübergreifend Lösungen finden kann, bei denen man die nötigen Retentionsflächen frühzeitig findet und dann ein gemeinsames finanzielles Projekt daraus macht?

Frau Kallenbach, das ist schön abstrakt gesagt. Zunächst einmal wird das ja gemacht. Bei Elbe und Labe funktioniert das flussübergreifend im Einzugsgebiet der Elbe bis in die Nebenflüsse hinein. Die Hochwasserschutzkonzepte werden selbstverständlich

flussgebietsweise gemacht. Schauen Sie einmal in die Karten des Landeshochwasserzentrums. Nur der Vollzug erfolgt nach Verwaltungseinheiten. Das ist hier auch von Herrn Gebhardt kritisiert worden. Aber es hat niemand sagen können, dass die jetzige Struktur nicht funktioniert habe. Über alles hat die Landestalsperrenverwaltung die Oberaufsicht. Die Konzepte werden flussgebietsweise erstellt. Das muss ich mir nicht erst vorstellen. Das ist bereits so. So weit zu Ihrer Zwischenfrage.

Ich komme noch einmal zu den Überflutungs- bzw. Rückhalteflächen an den Zuflüssen der Ströme.

In meiner Heimatgemeinde Burkhardtsdorf fließt die Zwönitz. Der Ort ist am dritten Tag des Dauerregens am ersten Juniwochenende endgültig in den Fluten versunken. Der Scheitel des Pegels war über Stunden hinweg bei 2,96 Meter. Normal sind 30 bis 40 Zentimeter. Auch an den beiden vorangegangenen Tagen war es nicht anders.

Die Durchflussmenge betrug 68 Kubikmeter/Sekunde. Unter dieser Zahl kann sich niemand etwas vorstellen. Aber Sie haben vielleicht die Bilder gesehen, als die Notentlastung der Talsperre Eibenstock ansprang. Dort rauschten 36 Kubikmeter/Sekunde hinunter. Bei uns war es also die doppelte Menge. Um nur das Wasser eines einzigen Tages, das über die normale Menge hinausgeht, aufzunehmen, brauchten wir eine Fläche von

5,7 Quadratkilometern. Das ist im Zwönitztal nicht anders als in anderen Regionen.

Meine Damen und Herren! Dagegen haben die realisierten technischen Vorsorgemaßnahmen alle Wirkung gezeigt und den Schaden minimiert.

Ich möchte noch ganz kurz etwas zum Sächsischen Wassergesetz sagen, weil das angesprochen wurde. Es ist im Geschäftsgang des Landtages.

Richtig ist, dass die Schadensereignisse sorgfältig ausgewertet und mögliche Schlussfolgerungen eingearbeitet werden müssen. Aber falsch ist der Weg, den die Opposition gehen will, nämlich das Gesetzgebungsverfahren anzuhalten. Würden wir Ihrer Intention folgen, schütten wir das Kind mit dem Bade aus. Denn wichtige Regelungen für den Hochwasserschutz in überschwemmungsgefährdeten Gebieten, beim Sofortvollzug, bei Planfeststellungsverfahren werden im Gesetzentwurf jetzt schon geregelt. Alles, was uns derzeit noch an Erkenntnissen kommt, können wir in einer zweiten Novelle einarbeiten.

Meine Damen und Herren! Das müssen wir dann gründlich machen. Das Hochwasser hat uns ebenfalls wieder – wie die anderen auch – gelehrt: Eine statistische Hundertjährlichkeit muss nicht hundert Jahre dauern. Aber, um das Bild des Schiffes oder des Bootes am Schluss wieder aufzunehmen: Wir sitzen alle in dem einen: der Landtag, die Opposition und die Koalition, natürlich unsere Bürger, die Behörden, Landkreise und Kommunen. Jeder an Bord muss seine Aufgabe erledigen und die richtigen Lehren ziehen. Der Kurs stimmt, Feinkorrekturen sind jederzeit möglich. Treibstoff in Form ausreichender finanzieller Mittel ist ebenfalls an Bord. Aber das Tempo muss erhöht werden. Packen wir die Aufgabe beherzt an! „So geht sächsisch!“

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wird von der SPD noch einmal das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir nun zur FDP-Fraktion. Herr Karabinski, bitte. Sie sind mir gemeldet worden.

(Zuruf von der FDP: Keine Redezeit mehr!)