Aber wir können davon ausgehen, dass es Zusatzbeiträge geben wird, wenn die Einnahmesituation der Kassen nicht mehr so gut wie jetzt ist, was ja auch konjunkturell bedingt ist. Denn die einkommensabhängigen Beiträge sind eingefroren und nur noch die Arbeitnehmer haben die Mehrkosten in den Krankenkassen zu tragen. Wir können davon ausgehen, dass es in ein paar Jahren Zusatzbeiträge geben wird.
Das andere Debattenthema hat durchaus etwas mit fehlendem Vertrauen zu tun. Die Vorkommnisse in Leipzig, Göttingen und Regensburg haben das Vertrauen in unser Gesundheitssystem und da vor allem im Bereich der Organspende geschwächt. Die Kassen haben im Herbst darauf verzichtet, eine größere Organspendewerbeaktion zu veranstalten, weil damals in Göttingen und Regensburg die Fälle herausgekommen sind.
Im Moment gibt es 13 Organspenden auf eine Million Einwohner. Das ist der Tiefststand seit 2002 und sicher auch bedenklich. Dabei sind wahrscheinlich viele Patienten und auch wir hier im Saal gar nicht so richtig informiert über die vielen verschiedenen Institutionen, die mit Organspende befasst sind, über die intransparenten Vermittlungs- und Verteilungskriterien in unserem Land sowie über die unzureichenden Kontroll- und Sanktionskompetenzen.
Die Staatsregierung hingegen ist das schon, denn sie hat sich bereits 2009 gegenüber der Bundesregierung kritisch zu dem Kontrollgremium der Selbstverwaltung geäußert. Sie hat es in Bezug auf Sanktionierungs- und Kontrollmöglichkeiten als sehr ineffektiv kritisiert. Das ist in den Bericht der Bundesregierung aufgenommen worden und nachzulesen in einer Bundestagsdrucksache. Leider hat sich das nicht wirklich niedergeschlagen, als das Transplantationsgesetz im Mai 2012 verändert worden ist.
Es sind nur marginale Veränderungen vorgenommen worden. Im Juli kamen dann die Vorfälle von Göttingen und Regensburg heraus. Auch in den Medien ist im August 2012 aufgrund einer Anfrage der GRÜNEN im Bundestag deutlich geworden, dass immer weniger Organe über Eurotransplant verteilt werden, sondern immer mehr über das Schnellverfahren, die Transplantati
Dazu nur einige Zahlen: Von 8 % der Herzen, die über ein Schnellverfahren vergeben worden sind, sind wir jetzt bei 25 %. Es wird also nicht mehr in ausreichender Form kontrolliert. Bei den Lebertransplantationen sind wir von 9 %, die im Schnellverfahren durchgeführt worden sind, inzwischen bei 37 %. Das halte ich für außerordentlich bedenklich. Dort, denke ich, muss man etwas tun. Auch der Chef der Bundesärztekammer, Montgomery, hat das als „erheblich irritierend" bezeichnet.
Wir müssen das Vertrauen in das System stärken. Ich denke, Frau Clauß hat sich dabei wirklich hervorragend im Ausschuss verhalten. Sie hat alles offengelegt, was dem Staatsministerium darüber bekannt geworden ist, was in Leipzig passiert ist. Sie hat versprochen, auch weiterhin darüber zu informieren, und hält Kontakt mit der Leipziger Uni. Aber das ist weniger ein sächsisches Problem, als vielmehr eines, das auf Bundesebene geregelt werden muss, und dabei, denke ich, müssen wir auf Bundesebene nachsteuern.
Wir brauchen nach unserer Auffassung als GRÜNE eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die unter der Aufsicht des Bundesgesundheitsministeriums steht, die die Organspende in Deutschland organisiert. Dabei dürfen die Menschen, die im Organspendeverfahren beschäftigt sind, keine Aufsichtsfunktion mehr ausführen. Das ist eine Überschneidung der Interessen.
Außerdem muss die Bundesregierung eine Neubewertung der sogenannten Allokationskriterien anschieben; denn wir haben nicht nur mehr medizinische, sondern inzwischen auch normative und rechtliche Kriterien. Das Alter und die regionale Zugehörigkeit spielen auf einmal eine Rolle, und das halte ich für außerordentlich bedenklich.
Die Prüfberichte der Kontrollkommission, das ist angesprochen worden, müssen veröffentlicht werden, damit die Öffentlichkeit weiß, –
was in internen Prüfungen herausgekommen ist. Wir brauchen ein öffentliches Register darüber, wohin welche Organe geliefert wurden, um einen besonderen Anstieg von Transplantationen in bestimmten Transplantationszentren nachweisen zu können. Wir müssen die Transplantationszentren in ihrer Zahl einschränken. Inzwischen haben wir schon ein regelrechtes Anreizsystem, Organe zu transplantieren. Der Wirtschaftsgedanke hat in diesem Bereich überhaupt nichts zu suchen; Herr Wehner, Sie haben es angesprochen. Außerdem brauchen wir eine unabhängige Studie über Organtransplantation insgesamt:
Fördert das tatsächlich die Gesundheit? Wie viele Organe werden hinterher noch einmal transplantiert?
Das war Frau Kollegin Giegengack. Für die Fraktion der NPD ergreift nun der Abg. Dr. Müller das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Nach Organspendediskussion und Abschaffung der Praxisgebühr – Vertrauen ins sächsische Gesundheitssystem stärken“ – für mich ist das ein gesundheitspolitisches Potpourri, was da als Titel gewählt wurde, und ich erkenne – im Gegensatz zu meiner Vorrednerin – sogar drei Themenkomplexe.
Der erste Themenkomplex wäre für mich die Organspende. Sie ist zugleich aus meiner Sicht auch der sensibelste Punkt. Wir haben in Sachsen gegenwärtig zwei Zentren – eins in Leipzig und eins in Dresden – mit guter Arbeit, und einzelne Verfehlungen sollten nicht das gesamte System infrage stellen, sondern unaufgeregt intern und nötigenfalls auch extern mit der Staatsanwaltschaft aufgeklärt werden. Aber eine unsachliche Debatte würde dazu führen, dass die Spendenbereitschaft sinkt und die Menschen verunsichert sind, und das ist bei einem solch sensiblen Thema aus meiner Sicht unbedingt zu vermeiden.
Was ich für die Dringlichkeitsliste sehr begrüßen würde, wäre, ein Vier- oder Mehraugenprinzip einzuführen. Ich denke, das würde die ganze Sache transparenter machen. Was wir als NPD-Fraktion in diesem Punkt begrüßen würden, ist eine Stärkung des Eurotransplant-Systems; denn das ist in diesem Fall mal eine sinnvolle Sache, europaweit gesehen. Allerdings müsste es in diesen Dingen dann auch europaweit gleiche Standards geben, auch, was die Dringlichkeitsbetrachtung und Ähnliches betrifft.
Der zweite Punkt aus der Überschrift dieser Debatte ist das Thema Praxisgebühr. Hierzu möchte ich gern zitieren – es geht um die Beantwortung einer Kleinen Anfrage vom 16. August 2012 –: „Frau Staatsministerin Clauß, die als Vertreterin des Freistaates Sachsen an der 85. Gesundheitsministerkonferenz teilgenommen hat, hat sich gegen eine Abschaffung der Praxisgebühr ausgesprochen, solange es kein besseres Instrument gibt, das praktikabel ist. ,Besser‘ heißt auch, dass die Finanzierung der Krankenkassen zum Wohl der Patienten gesichert sein muss.
Die Praxisgebühr angesichts der hohen Überschüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung abzuschaffen hätte zur Folge, dass die Reserven der Krankenkassen zurück
gehen würden. Der Freistaat setzt sich für eine solide Finanzwirtschaft der Krankenkassen ein. Reserven, die jetzt vorhanden sind, sollen als Rücklage für Zeiten, in denen die Einnahmen zurückgehen, bewahrt werden. Aufgrund der demografischen Entwicklung werden sich die strukturellen Herausforderungen der Ausgabenseite der Krankenkassen in den kommenden Jahren eher verschärfen als entspannen. Um aber die Bürger und Bürgerinnen nicht sofort mit Zusatzbeiträgen belasten zu müssen, wird die Reserve für vertretbar gehalten. Auch der Sachverständigenrat folgt in seinem Sondergutachten dieser Auffassung.
Die Rücknahme der Praxisgebühr würde darüber hinaus den Verzicht auf die Steuerungswirkung zur Folge haben, vor allem, was die Lotsenfunktion über den Hausarzt anbelangt. Es würden auch nur diejenigen entlastet, die tatsächlich zum Arzt gehen. Die gesunden Beitragszahler erfahren diese Entlastung nicht." – So weit die Aussage von Frau Staatsministerin Clauß vom August 2012.
Drei Monate später war das eine Aussage von gestern, sie interessierte dann nicht mehr; denn es ging ja um die Wiederbelebung des klinisch oder – korrekter – politisch toten Koalitionspartners FDP, und da ist diese Maßnahme natürlich populär gewesen. Ich muss sagen: Als Freiberufler mit einer Hausarztpraxis begrüße ich das ausdrücklich.
Das machen wir nicht. – Ich habe mich immer als Kassierer der Krankenkassen gefühlt und mich dafür geschämt. Aber gut gemeint ist nicht gut gemacht. Wenn man diese Lotsenfunktion haben wollte, hätte man den Direktzugang über den Hausarzt von der Praxisgebühr befreien können und zum Beispiel den Direktkontakt mit dem Facharzt belassen können; denn hinterher gab es hektische Betriebsamkeit in der Ärzteschaft, den Patienten zu vermitteln, dass der Besuch beim Facharzt über den Hausarzt immer noch sinnvoll ist, weil nur dadurch der Rückfluss von Informationen vom Facharzt an den Hausarzt als Koordinator möglich wird. Da wurden Flugblätter und Plakate erarbeitet; aber, wie gesagt, es musste ja um die Wiederbelebung der FDP gehen, und da ist es dann wieder übers Knie gebrochen worden.
Der dritte Punkt: Vertrauen in das sächsische Gesundheitssystem. Ich denke, die Patienten haben das Vertrauen in das sächsische Gesundheitssystem; denn es ist noch recht gut, und wir haben ein überwiegend motiviertes Personal, ganz gleich, ob Ärzte, Krankenschwestern, Arzthelferinnen, auch im Bereich Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie – ich kann als praktizierender Hausarzt eigentlich nur Gutes berichten.
Doch ich sehe auch dunkle Wolken am Horizont. Wenn ich gerade im ländlichen Raum den Altersdurchschnitt der Hausärzte und Fachärzte sehe, dann werden aus meiner Sicht ambulant demnächst noch größere Probleme zu erwarten sein als im stationären Sektor, und es gibt nur hilflose Kompensationsversuche. Die Wartezeiten, die
Frau Strempel als sehr gering eingeschätzt hat, sind leider für bestimmte Fachbereiche schon extrem angestiegen.
Für die NPD-Fraktion sprach der Abg. Dr. Müller. – Wir sind am Ende der ersten Rednerrunde angekommen und treten in eine zweite ein, falls Redebedarf in den Fraktionen besteht. Ich schaue in die Runde. – Die einbringende Fraktion der CDU hat Redebedarf. Das Wort ergreift Frau Kollegin Strempel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst für die sehr sachliche Teilnahme danken, auch von Ihnen, Frau Neukirch und Frau Giegengack. Ich möchte kurz darauf eingehen.
Ja, es ist richtig: „Vertrauen stärken“ heißt das Ende des Debattenthemas. Unser System ist sehr gut, das wurde auch gesagt; und wir müssen das Vertrauen auch weiterhin bewahren und stärken. Es ist unser Auftrag als Politiker, die Situation sachlich zu analysieren und den Menschen Mut zu machen, nicht das Vertrauen zu verlieren. Dafür sind wir gewählt, dafür stehen wir in einer Verantwortung und deshalb stehen wir auch hier vorn und debattieren darüber, dass wir ein gutes Gesundheitssystem haben – gelebt von Menschen, die jeden Tag am Patienten arbeiten und für dessen Gesundheit und Leben kämpfen – vom Kind bis zum alten Menschen.
Es ist richtig: Maßnahmen im Bereich Transplantation sind ergriffen worden und werden auch weiter gestrafft. Ich hatte sie vorhin genannt. Die Prüfberichte werden veröffentlicht, die alles rund um die Organspende betreffen. Es werden verschärfte Kontrollen vorgenommen. Dafür setzen sich die Fachleute zusammen und arbeiten genau aus, wie das erfolgen soll. Es wird auch eine unabhängige Vergabestelle eingerichtet. Alle diese Maßnahmen werden durchgeführt. Das sind wir in unserer politischen Verantwortung auch schuldig, den Optimismus mitzutragen. Und wir müssen darauf achten, dass die ganzen Maßnahmen erfolgreich durchgesetzt werden.
Frau Giegengack, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass bereits im Jahr 2009 unsere Sächsische Staatsregierung die Mängel angesprochen hat. Keiner in dem Raum kann doch daran zweifeln, dass unser Freistaat Sachsen bereits erkannte, dass Veränderungen im Organtransplantationssystem kommen
Ich bin auch dankbar dafür, dass die Vorredner darauf hingewiesen haben, dass wir gute medizinische Einrich
tungen haben. Es ist unsere Pflicht, den Menschen auch dieses Vertrauen zu vermitteln. Ich habe jedenfalls Vertrauen. Ich sage das so – nicht nur als Versicherte, sondern auch als mögliche Patientin.
Ich gebe offen zu, dass wir über die Abschaffung ohne Kompensation der Praxisgebühr nicht gejubelt haben. Ich sage etwas, was auch von der Landesärztekammer so bestätigt wurde. Letztendlich hat das Hausarztprinzip eine Gatekeeperfunktion. Das ist gesetzlich im SGB V festgelegt worden. Dazu gehört auch, dass er die Rückkopplung haben muss, was der Patient, den er überwiesen hat, von anderen Fachärzten an Behandlungen bekommt. Mit der Überweisung, die bisher durch ihn getätigt wurde, war die gesetzlich geregelte Rücküberweisung bzw. die Rückkopplung der Information gesichert.