Protocol of the Session on May 10, 2012

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Herr Schowtka hatte mich gebeten, kurz die Position der SPD anhand von Wolfgang Thierse zu erklären. Da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen. Ich bin mit Wolfgang Thierse in einer Partei. Das ginge mit dem Verlust meiner geistigen Autonomie einher. Also: Sie müssen sich da keine Sorgen machen.

(Heiterkeit und vereinzelt Beifall bei der SPD, der CDU und bei den GRÜNEN)

Zur Position der SPD-Fraktion in Sachsen: Ich denke, dass die relativ klar ist. Die werde ich jetzt hier darlegen.

Uns liegt also der Bericht des Landesbeauftragten vor. Ich fasse einige wesentliche Punkte und die Position meiner Fraktion zusammen.

Einen wesentlichen Schwerpunkt der Arbeit im Berichtszeitraum markierte die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die sich mindestens quantitativ erhöht hat; ich meine aber auch qualitativ.

Auch das Thema Rehabilitation von DDR-Heimkindern, über das wir heute Vormittag sprachen, wurde durch die offensive Pressearbeit des LStU erfolgreich forciert.

Erfreulich finde ich auch – auch hier bin ich anderer Meinung als Herr Prof. Besier –, dass besonderes Augenmerk auf die Zeitzeugenarbeit gelegt wurde. Die altbekannte Binsenweisheit „Der Zeitzeuge ist der größte Feind des Historikers“ verfängt hier nicht, und es ist schön, dass sich der LStU und sein Team diesen Dualismus nicht zu eigen machen.

Wie gut sich Zeitzeugen und Historiker ergänzen können, haben wir am vergangenen Wochenende gesehen, als 2 300 Besucher das ehemalige Stasigefängnis auf dem Kasberg besichtigten und Führungen mitmachten, die sowohl von Zeitzeugen wie dem Radsportler Wolfgang Lötzsch als auch von Doktoranden, die zu dem Thema forschen, zusammen durchgeführt wurden. Das war ein sehr erfolgreiches Projekt, um Zeitzeugen mehr Raum und Öffentlichkeit zu geben. Das ist ein Ansatz, den meine Fraktion sehr unterstützt.

Neben der politischen Bildungsarbeit, die – da haben Sie recht – auch von anderen Trägern wie der Landeszentrale oder den Stiftungen der Parteien geleistet wird, gibt es allerdings noch einen ganz wichtigen und entscheidenden Punkt, was der LStU leistet, nämlich die Beratungsarbeit für Betroffene. Das wird im Bericht betont. Wenngleich die BStU in Sachsen mit 200 Beschäftigten noch mehr leistet, ist es so, dass die Beratung ein Alleinstellungsmerkmal ist, denn die BStU berät lediglich oder eigentlich nur zum Stasi-Unterlagen-Gesetz, der LStU aber berät auch zu den zahlreichen komplizierten Rehabilitierungsvorschriften.

Außerdem leistet der LStU eine psycho-soziale Beratungsarbeit, die sehr wichtig ist, auch wenn sie nicht ausdrücklich im Gesetz erwähnt ist, aber zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dies übernimmt der LStU. Andere Einrichtungen stehen in Sachsen dafür nicht zur Verfügung. Umso erstaunlicher ist es, dass der LStU für beide Beratungsangebote lediglich mit einer hauptberuflichen und einer Honorarkraft arbeitet.

In Mecklenburg-Vorpommern entsteht derzeit ein Netzwerk für psychosoziale Beratung von SED-Opfern. Dies ist meines Erachtens auch für Sachsen wünschenswert.

Im Bericht wird die Frage nach einer Reform der Behörde nicht konkreter erwähnt. Eine Angliederung an den Landtag wird von meiner Fraktion befürwortet, nicht zuletzt, weil sie den beratenden Charakter der Behörde unterstreichen kann. Die Komplexität des DDR-Regimes, das heute gern auf einige wenige Oppositionelle und

Protagonisten der SED-Nomenklatur reduziert wird, lässt sich in den Akten lesen. Sie legen über ein System Zeugnis ab, in dem Opfer und Täter nicht immer trennscharf sind.

Ein ganz wichtiger Punkt sind auch Zelleninformatoren, die während ihrer Haftzeit angeworben wurden, und in dieser Zeit von Opfern zu Tätern wurden. Das heißt, wir müssen uns in diesem Kontext immer genau anschauen, wer unter welchen Umständen was unterschrieben hat. Auch diese Arbeit können Akten leisten.

Natürlich kamen Schikanen, Rechtsbeugung, Erpressung und Indoktrination von ganz oben. Aber auch viele weiter unten mussten sich daran beteiligen und ließen sich mehr oder weniger zögernd einspannen. Der Münchner Historiker Christian Meier fasst das in seinem Buch „Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit der Erinnerung“ etwa so zusammen – ich zitiere: „Das Regime wirkte in vielen Brechungen auf seine Bürgerinnen und Bürger und hat sie infiziert. Genau das war doch das Bösartige an der SED-Diktatur. Sie nistete auch in den Seelen ihrer Untertanen.“

Der Dank meiner Fraktion gilt Herrn Lutz Rathenow und Frau Dr. Nancy Aris sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die wichtige Arbeit.

Ich möchte noch begründen, was wir an dieser Arbeit wichtig finden: Das wäre zum einen, dass die Aufarbeitung kein Hemmnis auf dem Weg zur Versöhnung, sondern ein wichtiger Schritt dahin ist. Das heißt, die Akten sind nicht der Konflikt. Den gab es schon zuvor. Die Akten bringen eine Klarheit für die Betroffenen, die freilich auch schmerzlich sein kann. Aber nichts zu wissen, freiwillig auf Wissen zu verzichten, bringt uns in der Aufarbeitung nicht weiter. Ohne Klarheit, ohne Wahrheit und somit auch ohne Akten kann es keine Versöhnung geben.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion spricht Herr Biesok.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Besier, ich war am Anfang geschockt, als ich Ihre Rede gehört habe. Ich denke, gerade, wenn man nicht hier, in den neuen Ländern aufgewachsen ist und dieses System nicht erlebt hat, sollte man sich bei der Bewertung sehr gewählt ausdrücken. Das habe ich bei Ihnen vermisst.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich möchte in meinem Beitrag zuerst einen Dank an Herrn Rathenow und seinen Landesbeauftragten, seinen Vorgänger, Herrn Beleites – es betrifft noch einen Teil seiner Arbeitszeit –, und insbesondere an Frau Dr. Aris, die die Aufgabe zwei Mal vertretungsweise übernommen und dabei ganz hervorragende Arbeit geleistet hat, aussprechen. Diese Übergangszeit hat man mit einem sehr

geringen Personalbestand beim Landesbeauftragten

bewältigen können. Trotzdem wurde eine sehr gute Arbeit geleistet.

Ich sage ganz deutlich – das ist meine feste Überzeugung –: Der Landesbeauftragte hat seinen festen Platz hier im Freistaat Sachsen. Das ist gut so, und daran wollen wir auch nichts ändern.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP, der CDU und den GRÜNEN)

Auch 22 Jahre nach der Wende ist die Arbeit des Landesbeauftragten sehr wichtig und wird vom Bürger sehr stark nachgefragt und in Anspruch genommen. So gab es im Berichtszeitraum vom 1. Juli 2010 bis zum 30. Juni 2011 163 Erstberatungen zur Akteneinsicht nach dem StasiUnterlagen-Gesetz und weitere 134 ausführliche Beratungsgespräche in der Beratungsstelle.

Was ich sehr positiv finde, ist, dass der Landesbeauftragte auch auswärtige Termine wahrnimmt und dort Beratungsgespräche stattfinden, zum Beispiel in Städten wie Delitzsch, Bad Schandau oder Herrnhut. In einigen Gesprächen wurde auch eine Zusammenarbeit mit der Außenstelle Chemnitz des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen genannt.

Des Weiteren war der Beauftragte ein wichtiger Gesprächspartner für Kommunen. Er erstellt gutachterliche Bewertungen zu Einzelfällen. Auch das ist eine Arbeit, die wir nicht unterschätzen sollten.

Für mich ist besonders wichtig, dass er sich auch Vortrags- und Schulprojekten widmet. Er veranstaltet Gesprächsreihen und macht bei der Lehrerfortbildung mit. Das ist eine Aufgabe, die meines Erachtens in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Deshalb möchte ich hier eine Sache besonders erwähnen: Ich finde es gut, dass das Projekt „Alles auf Hoffnung“ als Theaterprojekt fortgesetzt wird, dass man junge Leuten durch Originaltöne und Textquellen aus der Wendezeit in die damaligen Ereignisse eintauchen lässt. Wir haben Generationen, die jetzt volljährig sind, die überhaupt nicht wissen, was die Wende gewesen ist, oder dass es einmal zwei deutsche Staaten gegeben hat. Deshalb finde ich es gut, dass diese Arbeit geleistet wird.

Erwähnen möchte ich auch die Wanderausstellung „Aufbruch 89“ über die friedliche Revolution in Sachsen. Dort werden wichtige Informationen gerade für die jüngere Generation gegeben, die diese Zeit nicht miterlebt hat.

Es ist für mich und für meine Fraktion beachtlich, was hier von vier Mitarbeitern, die teilweise durch Krankheit oder Überbrückung nur zu dritt waren, geleistet wurde und geleistet wird. Besonders freut mich, dass das besondere Augenmerk der Arbeit mit Jugendlichen und Schülern gilt, denn neben der Beratungstätigkeit wird dies mehr als 20 Jahre nach der friedlichen Revolution immer wichtiger. Denn die Beschäftigung mit dem Unrecht der Vergangenheit sensibilisiert die Jugendlichen im Umgang mit den Gefährdungen der Demokratie von heute, und

davon haben wir ja auch hier ein Beispiel bei uns im Landtag sitzen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Arbeit des Landesbeauftragten im Staatsministerium der Justiz und für Europa ist weiterhin wichtig. Seine Aufgaben werden nicht abnehmen. Die Vermittlung von Wissen über die Staatssicherheit an die jüngere Generation wird dabei immer wichtiger. Auch diese Aufgabe wird der Landesbeauftragte mit seinen Mitarbeitern verantwortungsbewusst weiterhin wahrnehmen. Hierfür wünsche ich Ihnen, Herr Rathenow, persönlich viel Erfolg. Auch ich wünsche Ihnen Gesundheit und wünsche Ihrem Team, dass Sie weiterhin Ihre Arbeit für den Freistaat Sachsen und die Menschen hier so erledigen, wie es bisher gewesen ist.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir fahren in der allgemeinen Aussprache fort. Es spricht Frau Kallenbach für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Kallenbach, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Auch im Namen meiner Fraktion herzlichen Dank für den Bericht des Landesbeauftragten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, insbesondere auch Frau Aris.

Es wurde bereits mehrfach erwähnt, dass der Bericht nur den Beginn der neuen Amtszeit umfasst. Er konnte aus sehr bedauerlichen Gründen auch erst sehr spät vorgelegt werden. Es ist verständlich, dass der Bericht vorerst vor allem auf der anerkannten Arbeit des geschätzten Vorgängers aufbaut und nur begrenzt eigene Akzente setzen konnte. Daher sind wir besonders gespannt auf die Fortsetzung, die uns in Bälde vorgelegt werden soll. Wir sind gespannt darauf, welche neuen Ideen Sie entwickeln, um die Erfahrungen aus Diktatur und Verfolgung in angemessener und eindringlicher Weise immer wieder in das Gedächtnis zu rufen und an nachfolgende Generationen weiterzugeben.

Herr Prof. Besier, wenn Sie uns heute Vergessen empfehlen, dann ist das für mich unglaublich und gefährlich. Sie sollten es eigentlich aus Ihrer jüngsten Arbeit besser wissen.

Weil es immer mal vorkommt, dass irgendjemand die Legitimation des Landesbeauftragten infrage stellt, möchte ich für unsere Fraktion klar sagen: Wir brauchen noch lange in Sachsen eine solche Behörde und möchten gern darüber diskutieren, ob wir den bisherigen Aufgabenbereich nicht erweitern sollten. Warum? Die Muster und Parolen, mit denen noch heute Demagogen von Rechtsaußen

(Jürgen Gansel, NPD: Wir reden über das Thema Stasi!)

oder auch ewig Gestrige der jüngsten Geschichte – ich erinnere nur an das unerträgliche Interview mit Frau

Honecker – hantieren, haben ihre Wurzeln in den Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts. Sie gefährden bis heute unsere Demokratie.

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU)

Daher hat für mich die Behörde einen klaren Bildungsauftrag, den wir gern gesetzlich fixiert hätten.

Die Arbeit der Behörde ist für uns eine willkommene und gute Ergänzung zu den Aktivitäten anderer Institutionen. Ich möchte da überhaupt keine Konkurrenz zu der Landes- oder Bundeszentrale für politische Bildung aufbauen. Solange wir noch erschreckende Wissenslücken über die jüngste und jüngere Geschichte haben, brauchen wir so viele Institutionen als nur irgend möglich, die dazu beitragen, dass diese abgebaut werden.

Wir haben Verantwortung für unsere Vergangenheit und vor allen Dingen für unsere Zukunft. Ich begründe das gern damit, dass wir Teil der europäischen Familie sind. Es waren die Kollegen aus Mittel- und Osteuropa, die nach dem Beitritt im Jahr 2004 sehr bald darauf drängten, eine Resolution mit dem Titel „Gewissen Europas und der Totalitarismus“ zu verabschieden. Das geschah unter dem Verweis, dass Europa erst dann vereint sein wird, wenn es imstande ist, zu einer gemeinsamen Sicht der Geschichte zu gelangen, Kommunismus, Nazismus und Faschismus als gemeinsames Vermächtnis anzuerkennen und zur Sicherung der Demokratie in Europa eine ehrliche und tiefgreifende Debatte über das vergangene Jahrhundert zu führen. Genau dafür brauchen wir auch die sächsische Behörde. Sie kann einen wertvollen Beitrag dafür leisten.

Das demokratische Bewusstsein auch bei unserer Jugend setzt Wissen über Geschichte und die unerträglichen Machenschaften willfähriger Diener von Systemen voraus. Wenn die Landesbehörde dabei wichtige Aufgaben übernehmen soll, müssen Mindestvoraussetzungen erfüllt werden. An mehreren Stellen im Bericht heißt es: „Diese wichtige und umfassende Aufgabe ist nicht zu bewältigen.“ In diesem Zitat ging es um Beratungsleistungen für Opfer. Ein weiteres Zitat lautet: „… kann jedoch mit der personellen Ausstattung der Behörde nicht geleistet werden“ oder „… kann die Behörde die Flut der Anfragen personell nicht mehr abdecken“. Hier betraf es das Gebiet Bildungsarbeit.

Daher sehe ich den Freistaat und das Parlament in der Pflicht, für eine angemessene Balance zwischen Aufgabenstellung und Personalausstattung zu sorgen. Im Bericht ist in diesem Zusammenhang auch auf die bereits vor der Wahl von den Opferverbänden angemahnte Neuprofilierung und institutionelle Anbindung der Behörde im Rahmen einer Gesetzesnovellierung die Rede. Nach Aussagen im Bericht finden dazu Gespräche mit der Staatsregierung und dem Landtag statt. Ich hoffe, sie kommen wirklich bald zu einem Abschluss, zumal unsere Fraktion dazu vor etwa einem Jahr einen entsprechenden Vorschlag formuliert hat.