Nächste Rednerin ist Frau Giegengack für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Giegengack, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden in diesem Plenum noch mehrere Debatten zur Bildungspolitik führen; deswegen werde ich mich jetzt konkret auf den Unterrichtsausfall beziehen. Ich habe Ihnen verschiedene Definitionen von Unterrichtsausfall zusammengestellt. Auch wenn Sie glauben zu wissen, was Unterrichtsausfall ist – glauben Sie mir, Sie wissen es nicht:
„Unterrichtsausfall ist allgemein definiert als das Abweichen von dem in den jeweiligen Stundenplänen vorgesehenen Unterrichtsumfang.“
Unterrichtsausfall „beziffert den Unterschied zwischen dem Lehrerwochenstunden-Soll und dem Lehrerwochenstunden-Ist.“
„Als temporären Unterrichtsausfall bezeichnet man den in einer Schulwoche ausfallenden Unterricht, der nicht durch Vertretungen aufgefangen werden kann.“
Sporadischer Unterrichtsausfall ist der Unterricht, „der im Stundenplan zwar vorgesehen war, jedoch unvorhersehbar nicht planmäßig gehalten wurde“.
Struktureller Unterrichtsausfall bezeichnet „die vor Schuljahresbeginn feststehenden Kürzungen des Unterrichts“.
„Planmäßiger Unterrichtsausfall entsteht durch Stundentafelkürzungen aufgrund von Lehrermangel oder nicht vorhandenen Unterrichtsräumen.“
„Unter außerplanmäßigem Unterrichtsausfall wird der tatsächliche außerplanmäßige Unterrichtsausfall verstanden, der sich aus dem außerplanmäßigen Unterrichtsausfall vermindert um die durchgeführten Vertretungsstunden in einem anderen Fach ergibt.“ Das ist übrigens die sächsische Regelung.
Meine Damen und Herren! Ich halte all diese Definitionen für Spitzfindigkeiten der Kultusbürokratie, gleich welcher Couleur; ich habe die Definitionen aus verschiedenen Bundesländern zitiert. Fest steht: Jede ausgefallene Unterrichtsstunde – ob planmäßig, außerplanmäßig, sporadisch, strukturell oder temporär – ist eine zu viel und sollte, wenn irgend möglich, vermieden werden.
Um die richtigen Maßnahmen gegen Unterrichtsausfall ergreifen zu können, ist es notwendig, den tatsächlichen Umfang und die Gründe des Unterrichtsausfalls adäquat zu erfassen. Dies ist in Sachsen so nicht der Fall, wie aus einer Reihe von Kleinen Landtagsanfragen hervorgegangen ist.
Es ist einfach unredlich, wenn die Staatsregierung behauptet, der Grund für den gestiegenen Unterrichtsausfall im Schuljahr 2009/2010 liege in nicht planbaren Ereignissen wie dem Tornado in Großenhain und dem Kälteeinbruch im Dezember 2010.
(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN – Beifall der Abg. Dr. Monika Runge, DIE LINKE – Dr. André Hahn, DIE LINKE: Unglaublich!)
Ich finde es auch ziemlich anmaßend, wenn das SMK behauptet – ich zitiere –: „Die angeführten Klagen von Eltern und Pädagogen stellen Momentaufnahmen dar und vermitteln kein aussagekräftiges Bild der tatsächlichen Unterrichtsversorgung.“
Einziger Lichtblick ist, dass das SMK wenigstens in seinem kürzlich erschienenen internen Papier „Qualität des sächsischen Bildungssystems langfristig garantieren – Lehrerbedarf sichern“ selbst einräumt, dass es einen kontinuierlich steigenden Unterrichtsausfall an unseren Schulen gibt und dass dieser weiter steigen wird, wenn sich die Lehrerausstattung nicht verändert.
Dies länger zu leugnen wäre absurd; denn selbst mit den jetzigen Statistiken zum Unterrichtsausfall kann nachgewiesen werden, dass an den sächsischen Gymnasien und Mittelschulen jede zehnte Unterrichtsstunde vertreten werden musste bzw. ganz ausfiel.
Es war für mich als Schulpolitikerin, aber auch als Mutter einer schulpflichtigen Tochter eine Offenbarung, dass es überhaupt keine Vorgaben zum maximalen Umfang von Unterrichtsausfall pro Klasse und Fach gibt. Findet in einem bestimmten Fach wiederholt Unterrichtsausfall statt, kann ich als Mutter nicht darauf vertrauen, dass ein vertretbares Maß eingehalten wird. Wir haben es in diesem Halbjahr gesehen: In bestimmten Fächern wurden keine Halbjahresnoten mehr verteilt.
Auch gibt es weder eine Grenze, wie viele Schüler in eine Klasse zusammengelegt werden können, noch, wie lange ein solcher Zustand anhalten darf. Zu diesem Mittel wurde in der Grundschule meines Kindes im vergangenen Jahr mehrmals gegriffen. Die Klassenstärke beträgt dort 25 Kinder. Sie können sich vorstellen, was es einem Lehrer abverlangt und was die Schüler effektiv von einem Unterricht mit nach Hause nehmen, wenn über eine Woche 37 Grundschüler in einem Raum zusammen lernen. Offiziell gilt dieser Unterricht übrigens als vertreten. Ist eine Klasse eine Stunde sich selbst überlassen und muss sie eine schriftliche Aufgabe erledigen, gilt dies ebenso als vertretener Unterricht, je nach Aufgabenstellung als Vertretungsstunde in einem anderen Fach oder als fachgerecht vertreten.
Das SMK teilt in seiner Stellungnahme zu unserem Antrag mit, Stillbeschäftigung sei ein methodischdidaktisches Instrument des Lehrers und stelle eine legitime Unterrichtsform dar.
In eine Klasse mit sechs- oder siebenjährigen Schülern Aufgaben hineinzureichen und diese nach 45 Minuten wieder abzuholen – dabei kommt einfach nicht viel rum. Ich muss kein Lehrer sein, um das zu wissen. Dass das Aufgabenhereinreichen in der Grundschule etwas schwierig ist, erscheint sicher auch Ihnen einsichtig. In der Grundschule meiner Tochter wird jetzt zu einem ganz neuen Mittel gegriffen: Da sagt man, wir schauen gemeinsam ein Video.
Eltern, die für ihre Kinder eine Schule suchen, die Förderunterricht anbietet oder Kinder mit Behinderung
integrativ beschult, sollten sich vorher ganz genau informieren, ob die Schule dieses Angebot auch aufrechterhalten kann, denn der Ausfall von Förderunterricht und Integrationsstunden wird überhaupt nicht erfasst. Begründung vom SMK: Diese Stunden gehören nicht zur regulären Stundentafel.
Meine Damen und Herren! Ich finde es etwas verlogen, sich groß für die Einführung einer besonderen Schuleingangsphase zu preisen, die Förderstunden regulär ausweist, und diese dann zur regulären Unterrichtsabsicherung zu nutzen und damit Unterrichtsausfall zu kaschieren. Gleiches gilt für die Integrationsstunden für Kinder mit Behinderung. Wir mahnen deshalb in unserem Antrag eine Reihe von Neuregelungen oder Reformen bei den Regelungen zum Unterrichtsausfall an.
So wollen wir, dass der Förderunterricht und die Integrationsstunden mit in die monatliche Erhebung von Unterrichtsausfall aufgenommen werden, auch wenn diese nicht zur regulären Stundentafel gehören. Das ist für uns kein hinlänglicher Grund, den Ausfall dieser Stunden nicht zu erfassen. Wir wollen auch, dass die sogenannte Stillbeschäftigung erfasst wird. Wenn dies tatsächlich nur 0,1 % des Gesamtstundensolls betrifft, was spricht dann dagegen, diese auch auszuweisen, um einer eventuellen Legendenbildung vorzubeugen? Für wichtig halten wir darüber hinaus auch die Veröffentlichung des fächerspezifischen Unterrichtsausfalls und freuen uns sehr, dass dies, wie der Stellungnahme zu unserem Antrag zu entnehmen ist, gegenwärtig auch vom Kultusministerium geprüft wird. Die Daten werden sowieso erfasst und sind also vorhanden. Welchen Grund gibt es, diese nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen?
Wir wollen weiterhin eine Regelung, dass das Zusammenlegen von Klassen im Schulhalbjahr begrenzt wird. Es bedarf einer Grenze, wie viele Schüler zusammen in einer Klasse lernen dürfen, sonst ist das Schulgesetz mit seiner Klassenobergrenze von 28 Schülern nur Makulatur. Darüber hinaus braucht es auch eine zeitliche Begrenzung für die Zusammenlegung. Damit wird nach unserer Meinung nicht die Autonomie der Schuldirektoren eingeschränkt, sondern im Gegenteil, diese haben vielmehr die Möglichkeit, bei der drohenden Überschreitung dieser Vorgaben die Notbremse zu ziehen. Wir wollen weiterhin, dass die Elternvertretungen verbindlich und nicht nach Gutdünken der Direktoren in die Probleme, die an Schulen anstehen, einbezogen werden.
Eltern sind Partner. Die Einstellung, dass Eltern gut sind für die Organisation der Altstoffsammlung oder zur Vorbereitung des jährlichen Kuchenbasars, ist von gestern und muss sich dringend ändern. Eltern müssen informiert und einbezogen werden.
Erfreulich ist, dass das sich SMK in Bezug auf unsere letzte Forderung einsichtig zeigt. So teilte das Ministerium in seiner Stellungnahme zu unserem Antrag mit, dass die Bereitstellung von finanziellen Mitteln und Unterstützungsleistungen für die Schulen für die kurzfristige und eigenverantwortliche Regulierung von Vertretungsbedarf Bestandteil des im Dezember verabschiedeten Bildungspaketes ist. Und wenn Sie jetzt noch die 100 Millionen Euro bereitstellen, wäre das ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eine atmosphärische Vorbemerkung machen. Es ist aus meiner Sicht völlig legitim, dass die Opposition ihre Aufgabe ausführt und die Regierung kritisiert, wo sie denkt, es gibt etwas zu kritisieren.
Ich kann aber nicht ganz nachvollziehen – und ich glaube, da teilen wir auch hier und da die Auffassungen –, dass man eine neue Ministerin, die noch keine zwei Wochen im Amt ist, heute durch so eine Anzahl von Anträgen laufen lässt.
(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung – Protest bei den LINKEN und der SPD – Dr. André Hahn, DIE LINKE: Es geht um den Ministerpräsidenten und den Finanzminister!)