Protocol of the Session on March 7, 2012

377 Millionen Euro Städtebaufördermittel sind in den vergangenen drei Jahren in Sachsen verbaut worden. Das sind Aufträge, Arbeitsplätze, Umsätze, Steuereinnahmen, und das kann man sehen. Schauen Sie sich den ehemaligen Bahnhof in Frankenberg an! Das ist jetzt ein soziokulturelles Zentrum. Zwölf Vereinen bietet es ein neues Zuhause, und es entwickeln sich Netzwerke, die in der ganzen Stadt aktiv werden.

(Beifall bei der CDU)

Im Neubaugebiet wurden Wohnblocks zurückgebaut, und es sind sehr attraktive und moderne Wohnungen entstanden. Brachen verschwinden zunehmend aus dem Stadtbild, und an diesen Stellen werden wir eine Kita und ein Seniorenzentrum bauen.

Dennoch ist der Investitionsbedarf nach wie vor groß und am größten in der Altbausubstanz der Innenstädte. Es gibt auch in meiner Heimatstadt viel zu viele Häuser, deren Fenster abends dunkel bleiben. Deshalb ist es richtig und auch notwendig, dass wir hier intelligente Modelle entwerfen, um Wohneigentum im Altbau als Alternative zum Einfamilienhaus auf der grünen Wiese attraktiv zu gestalten, und die Förderung darauf ausrichten. Alte Häuser bieten große Chancen, individuellen Wohnraum zu gewinnen, der sowohl familien- als auch altersgerecht gestaltet werden kann.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Einige Mehrgenerationenhäuser in Sachsen reichen nicht aus. Wir wollen alle Generationen in der Stadt, damit diese lebendig bleibt oder es wieder wird.

Dazu braucht es auch die Kultur, denn sie bringt Farbe in den Alltag. Sachsen leistet sich für Kultur die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben aller Flächenländer. Davon profitiert nicht nur die Landeshauptstadt. Dank des Kulturraumgesetzes und eines angemessenen finanziellen Bekenntnisses der kommunalen Ebene unseres Landkreises Mittelsachsen bietet der Kulturraum ein reichhaltiges kulturelles Angebot für alle Alters- und Interessengruppen. Falls Sie einmal nicht wissen, was Sie am Wochenende unternehmen sollen, und eine Aufführung auf einer Seebühne nach Ihrem Sinn wäre, müssen Sie nicht mehr nach Bregenz fahren, sondern dann lade ich Sie ein, nach

Kriebstein zu kommen und dort auf der Seebühne Kunst und Landschaft in einer ganz faszinierenden Symbiose zu genießen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf all das Erreichte sind die Bürgerinnen und Bürger in meiner Region sehr stolz, und ich denke, mit Recht. Sie von der Opposition, liebe Kollegen, wollen unseren Bürgern gern weismachen, dass der Staat alle Probleme der Gesellschaft lösen könne.

Aber ich bin davon überzeugt: Das ist ein großer Irrtum, und der führt uns geradewegs in die Staatsverschuldung. In Deutschland mischt sich der Staat schon viel zu viel in Dinge ein, die entweder jeder Bürger selbst oder eine private oder ehrenamtliche Initiative besser und preiswerter übernehmen könnte. CDU und FDP stehen für Freiheit, Verantwortung und Solidarität mit denen, die Hilfe brauchen. Dazu gehört nach meinem Verständnis eine starke und aktive Bürgergesellschaft, Frauen und Männer, die sich ehrenamtlich engagieren, zum Beispiel in einem Verein.

In den vergangenen Jahren ist in meiner Heimatstadt eine große Zahl neuer Vereine entstanden: ein Musikverein, ein Tanzsportverein, der Kunst- und Kulturverein, der Kinoverein; ich könnte die Liste fortsetzen.

Das Gemeinschaftswerk ist ein Verein der Stadt, der sich vornehmlich um soziale Belange kümmert, zum Beispiel Bürgerarbeit organisiert und den Streetworker beschäftigt; auch das gibt es bei uns.

Da wächst etwas auf, was Mut macht und was unser Leben bereichert, und für die Stadt rechnet sich diese Politik. Laut Statistischem Landesamt hat Frankenberg nach Freiberg im Landkreis Mittelsachsen den geringsten Wanderungssaldo. Junge Familien ziehen zu, weil sie in der Stadt ein lebenswertes Umfeld finden. Die Geburtenzahlen steigen seit Jahren. Das zeigt uns: Wenn das alles möglich ist, kann die sächsische Politik so schlecht nicht sein, wie Sie, verehrte Kollegen, sie immer hinstellen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir haben viel erreicht und sind auf einem guten Weg. Wir sind noch nicht am Ziel – das wissen wir –, aber die Richtung stimmt. Es gibt auf diesem Weg auch noch Steine, und manche sind die reinsten Felsen, zum Beispiel

der Fels der Bürokratie. Ich rede lieber von Aufgaben als von Problemen, aber Bürokratie ist ein Problem, und das ärgert mich sehr. Übertriebene Formalitäten, ein weit überzogener Kontroll- und Rückversicherungswahn – das entmutigt ehrenamtliches Engagement und macht auch Unternehmen und Gemeinden das Leben schwer, und manchmal stehen sich die Behörden auch selbst im Weg. Mir scheint, dort liegt viel Potenzial, um das Ziel der 70 000 Stellen im Landesdienst zu erreichen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Herausforderungen der kommenden Jahre sind uns alle bekannt. Sie wurden heute schon von mehreren Rednern der Koalition – auch der Opposition – angesprochen. Ich möchte dafür werben, dass wir sie gemeinsam anpacken: Politik, Wirtschaft und Bürgergesellschaft. Aber bei all dem, was zu tun ist, werden wir unseren Staatshaushalt so anpacken, wie es jeder in seinem privaten Haushalt auch tun sollte: Wir werden nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen. Wir werden keine Geschenke auf Kosten zukünftiger Generationen machen und sind deshalb bereit, der Zukunft unserer Kinder zuliebe auch unbequeme Entscheidungen zu treffen. Wir werden die Politik aussteuern, nachjustieren, wenn etwas nicht ganz aufgeht. Wir werden alte Wege verwerfen, wenn sie sich als falsch erweisen, und neue beschreiten. Liebe Kollegen, das ist Stärke, keinesfalls Schwäche.

Das ist die Aufgabe einer Regierung und der sie tragenden Fraktionen. Dieser Aufgabe haben wir uns in den vergangenen zweieinhalb Jahren gestellt, und wir werden uns ihr in den kommenden zweieinhalb Jahren stellen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Über Redezeit verfügt noch die SPD-Fraktion. Wird sie noch gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Ich frage noch einmal die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht ist. – Das ist ebenfalls nicht der Fall. Damit ist die Aussprache zur Regierungserklärung beendet.

Meine Damen und Herren, ich schließe Tagesordnungspunkt 1.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 2

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 54 Abs. 1 der

Verfassung des Freistaates Sachsen zum Thema: „Untersuchung möglicher

Versäumnisse und etwaigen Fehlverhaltens der Staatsregierung und der ihrer

Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht unterliegenden Sicherheits-, Justiz-,

Kommunal- und sonstigen Behörden im Freistaat Sachsen beim Umgang mit

der als ‚Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)‘ bezeichneten

neonazistischen Terrorgruppe, deren personell-organisatorischem Umfeld

und etwaigen Unterstützernetzwerken, insbesondere im Hinblick auf ihre

Entstehung, Entwicklung und ihr Agieren in bzw. von Sachsen aus

sowie bei der Aufklärung, Verfolgung und Verhinderung der der

Terrorgruppe ‚NSU‘ und ggf. den mit ihr verbundenen Netzwerken

zurechenbaren Straftaten und der Schlussfolgerungen hieraus

(Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen) “ Drucksache. 5/8497, Dringlicher Antrag von Abgeordneten der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Starke Unruhe im Saal – Johannes Lichdi, GRÜNE, wurde von der Präsidentin besonders ermahnt.)

Ich gehe davon aus, dass die Antragsteller ihr Begehren begründen wollen. Das Wort hat damit die Fraktion DIE LINKE, danach die SPD und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ich erteile jetzt Herrn Abg. Bartl das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen liegt zum nunmehrigen Tagesordnungspunkt 2 ein Dringlicher Antrag von 52 Abgeordneten der Fraktionen DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im 5. Sächsischen Landtag vor. Kurzfassung des Themas: Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen.

Zunächst ist zu sagen, dass wir uns eigentlich wie im Landtag generell die Bildung eines solchen – des nunmehr 3. – Untersuchungsausschusses in dieser fünften Wahlperiode liebend gern erspart hätten.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Nachdem jedoch sämtliche Angebote der demokratischen Oppositionsfraktionen, wechselnd in verschiedensten parlamentarisch üblichen Formen vorgetragen, sich doch in niederschwelliger Form aus der Verantwortung des Parlaments heraus mit dem Anteil des Freistaats Sachsen und seiner zuständigen Behörden und der über die Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht diese ausübenden Staatsregierung für die Entstehung, die Umtriebe, die nahezu ein Jahrzehnt andauernde Nutzung des Territoriums des Freistaats Sachsen als Rückzugsraum und Ausgangsgebiet für die lange Zeit unaufgeklärt gebliebene Begehung schwerster Straftaten der NSU, auch Straftaten auf dem Territorium des Freistaates Sachsen selbst zu befassen, unerhört verhallten, blieb uns kein anderer Weg.

Meine Damen und Herren der CDU- und FDP-Fraktion: Die Staatsregierung hat gebockt und geblockt, bis zum Erbrechen.

(Beifall bei den LINKEN und von der SPD – Zuruf von den LINKEN: Ja!)

Sie haben förmlich die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses, dem schärfsten Mittel, das die Opposition hat, um das Parlament an der Aufklärung von Sachverhalten zu beteiligen, die die Bevölkerung eminent und fortwährend bewegen, gewissermaßen erzwungen. Sie haben uns dazu gezwungen, exakt zu diesem Mittel zu greifen.

(Zuruf von den LINKEN: So ist es!)

Das muss ausdrücklich hervorgehoben werden.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Nur mal ganz komprimiert in Erinnerung gebracht: Nachdem Anfang November 2011 die Existenz und die von der sich selbst „Nationalsozialistischer Untergrund“ nennenden Terrorgruppierung begangenen Straftaten auch und unter anderem im Freistaat Sachsen bekannt geworden sind und angesichts des Umstandes, dass es zum Beispiel allein in Sachsen um die zwölf bewaffnete Banküberfälle gab, teilweise auch mit Verletzten – wie in Zwickau ein Auszubildender einer Sparkasse –, haben wir zunächst einen ganz normalen Antrag auf die Tagesordnung gesetzt, der neben einer Berichterstattung eine „Unabhängige Untersuchungskommission“ durch die Regierung einzusetzen erbat, die unter Leitung und Mitwirkung sachkompetenter Persönlichkeiten prüft, welche Rolle das Landesamt für Verfassungsschutz gespielt hat bzw. ihm dabei zukommt, dass die Täter der NSU-Struktur hier in Sachsen untertauchen und von hier aus diese über zehn Morde, Sprengstoffanschläge, Dut

zende bewaffnete Banküberfälle und weitere schwerste Straftaten begehen konnten.

Wir haben vorgeschlagen, dass in dieser Kommission Persönlichkeiten mitwirken, denen man auch privat keine Nähe zu den Oppositionsfraktionen oder einer Oppositionsfraktion – jedenfalls zur LINKEN – unterstellen kann. Wir wollten die ehemaligen Präsidenten des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs, Herrn Budewig und Herrn Pfeiffer, oder den ehemaligen Datenschutzbeauftragten, Dr. Gießen. Wir haben nicht Lothar König, vorschlagen, den Studentenpfarrer von Jena oder meinethalben Prof. Wolf-Dieter Narr vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, die wir uns als Persönlichkeiten hätten auch aussuchen können. Wir haben wirklich Persönlichkeiten vorgeschlagen, die frühere Landtage dieses Landes in verantwortlichste Ämter getragen haben.

Abgelehnt und mehr oder weniger verworfen mit der Erklärung, dass – ich gebe es kurz wieder, 14.11.2011 in der Stellungnahme der Staatsregierung – kein Grund bestehe, an der Gewissenhaftigkeit zu zweifeln, mit der sächsische Polizei und sächsischer Verfassungsschutz die Vorgänge um die NSU aufarbeiten. Im Übrigen wurde erklärt, dass der Freistaat Sachsen – Zitat – „die geplante Regierungskommission unterstützen werde, die sich mit der Überprüfung der Tätigkeit der verschiedenen Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern befassen wird, sodass man keinen Grund sehe, hier in Sachsen ein weiteres eigenständiges Gremium einzurichten.“