Protocol of the Session on March 7, 2012

Dieses Mal ist es die Weiße Liste für Tier- und Pflanzenarten. Da lässt sie einfach nicht locker. Möglicherweise muss Herr Günther noch eine Wette mit Herrn Minister

Kupfer aus 2008 einlösen und bleibt da richtig zart dran. Ich habe mir Ihre Diskussionsbeiträge vom November 2008 nochmals durchgelesen.

(Zurufe von der SPD und der CDU: Gut!)

Deshalb möchte ich es mir an dieser Stelle ganz einfach machen und zunächst Herrn Clemen zitieren, der viel Richtiges gesagt hat,

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Hört, hört!)

zum Beispiel – ich zitiere –: "In Sachsen hat in den letzten Jahrzehnten die Zahl der ausgestorbenen, vom Aussterben bedrohten oder in ihrem Bestand gefährdeten Arten stark zugenommen. War in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schon ein Verlust von 67 Pflanzenarten festzustellen, so stieg dieser zwischen 1950 und 2000 nochmals rapide auf 101 Arten an. Hauptursache für den Bestandsrückgang der Pflanzen- und Tierarten ist die Zerstörung ihrer Lebensräume."

Ich möchte diese Aussagen aus dem Programm "Biologische Vielfalt in Sachsen", das im März 2009 erschien, gern ergänzen. In der Tierwelt ist von einem ähnlichen Trend auszugehen, zumal zwischen Flora und Fauna häufig direkte Beziehungen bestehen. Durchschnittlich sind von jeder Pflanzenart sieben Tierarten abhängig. Bei den Muscheln und Schnecken sind in den letzten 15 Jahren 14 ausgestorben. Besonders kritisch ist die Situation bei einigen Tierarten. Ich möchte dazu einige Arten nennen: Abbiss-Scheckenfalter, Hirschkäfer, Feldhamster oder bei Lebensraumtypen die Moorfelder und Trockenrasen.

Deshalb meine Gegenfrage an Sie: Was muss eigentlich eine Rote Liste leisten? Rote Listen entstehen schließlich durch Fachgutachten, in denen der Gefährdungsstatus für einen bestimmten Bezugsraum für Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, Pflanzengesellschaften oder Biotoptypen bzw. -komplexe dargestellt ist. Sie dienen unter anderem der Information der Öffentlichkeit, sind Argumentationshilfen für raum- und umweltrelevante Planungen, zeigen Handlungsbedarfe im Naturschutz auf, sind Datenquelle für gesetzgeberische Maßnahmen, und internationale Rote Listen dienen auch der Überprüfung der Erfüllungsrate der "Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt" usw.

Aber mit der Roten Liste erfolgt keine weitere Verknüpfung mit dem Naturschutzrecht, maximal als Gutachten bzw. Argumentationshilfe für raum- und umweltrelevante Planungen. Dafür müssen diese dann auch hochaktuell sein – was sie derzeit aber nicht sind. Diese Listen sind oftmals veraltet und wenig aktualisiert. Sie werden in unterschiedlichen Intervallen fortgeschrieben. Das ist gerade in Sachsen ein Problem.

Beispiel gefällig? Werfen wir einen detaillierteren Blick auf den Zustand der Brutvogelarten in Sachsen. In der aktuellen Roten Liste der Wirbeltiere für 1999 – sie ist also 13 Jahre alt – befindet sich die Hälfte der 193 Brutvogelarten in Sachsen, nämlich 97 Arten. Von diesen

Rote-Liste-Arten gelten 13 % als ausgestorben oder verschollen und 15 % als vom Aussterben bedroht.

Ein weiterer nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt, dass wir zum Beispiel beim Stand der im Rahmen der drei Brutvogelkartierungen in den vergangenen 20 Jahren bei knapp 30 % der Brutvögel in Sachsen Bestände haben, die eine negative oder sogar deutlich negative Tendenz aufweisen. Bei einem weiteren knappen Viertel ist die langjährige Entwicklung gleichbleibend. Wenn diese Zahlen der drei Brutvogelkartierungen in Sachsen als Trend der langjährigen Entwicklung mit dem Rote-ListeStatus der Arten kombiniert werden, ergibt sich folgendes Bild:

Von den Arten mit Status "ausgestorben/verschollen" wurde naturgemäß der überwiegende Teil nicht gezählt. Im Übrigen hat sich die langjährige Entwicklung überwiegend gleichbleibend und in je einem Fall positiv bzw. negativ entwickelt. Beispielarten sind Haselhuhn und Schlangenarten.

Bei einem Drittel der vom Aussterben bedrohten Arten hat sich der mengenmäßige Zustand über die vergangenen 20 Jahre hinweg mehr oder weniger negativ entwickelt, bei weiteren 20 % ist die Anzahl der kartierten Vögel konstant geblieben. Das sind zusammen mehr als jene, bei denen sich die Entwicklung positiv gestaltet hat, Beispielarten: Knäkente, Steinkauz und Auerhuhn. Last but not least: Bei den stark gefährdeten Arten hat sich die langjährige Entwicklung zu je einem Drittel negativ bzw. deutlich negativ oder konstant gestaltet. Das sind ebenfalls zusammen mehr als jene, bei denen sich die Entwicklung positiv gestaltet hat. Beispielarten: Schwarzhalstaucher oder Steinschmätzer.

Erfolge gibt es im Artenschutz tatsächlich, aber eben erst bei den verhältnismäßig schwächer gefährdeten Arten der Roten-Liste-Einstufungen, also bei "gefährdet" oder "extrem selten", wie zum Beispiel bei Kormoran, Sperber oder Wasseramsel.

Nun noch einige Sätze zum Antrag selbst. Ein Bericht unter "Erstens" und "Zweitens" ist sicherlich hilfreich, aber er ist ebenso einseitig. Alle positiven und negativen Bestandstrends im Artenbestand müssen erfasst werden. Hier wird allein auf positive Entwicklungen abgestellt. Einseitige Auf-die-Schulter-Klopferei ist meines Erachtens nicht angebracht. Das "Programm zur Sicherung der biologischen Vielfalt in Sachsen" zeigt im Kapitel "Gefährlich" jeweils deutlich auf, welche Probleme in den verschiedenen Sparten bestehen: im Naturschutz beispielsweise der Flächenverbrauch, in der Landwirtschaft die rapide Abnahme der Artenvielfalt und damit der Lebensräume für Tiere und Pflanzen; Stoffeinträge in der Forstwirtschaft, beispielsweise die Zerschneidung von Wäldern, und der Anbau gebietsfremder Arten.

Zudem teile ich auch das Argument von Herrn Clemen aus dem Jahr 2008, das damals zur Ablehnung des FDPAntrages geführt hat – ich zitiere –: "Angesichts sinkender finanzieller Mittel ist die Erstellung einer weiteren Liste mit belastbaren Daten momentan nicht zielführend.

Umfangreiche Erhebungen und Auswertungen der Daten führen zu einem kaum vertretbaren Verwaltungsaufwand, der zulasten der Facharbeit geht.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Das ist doch richtig!)

Ein zusätzlicher Nutzen für die betroffenen Arten bzw. die Förderung ihrer Erhaltung resultiert daraus nicht."

(Johannes Lichdi, GRÜNE: So ist es!)

Ich kann dem erst einmal nichts hinzufügen. Auch den unter „Drittens“ ausgeführten Anspruch, das hohe Niveau im Natur- und Artenschutz beizubehalten, kann ich sicherlich nicht schlechtheißen. Ich würde Sie allerdings bitten, die Ansätze im nächsten Doppelhaushalt für die ehrenamtlichen Naturschützer wieder etwas anzuheben.

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN – Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Zu Punkt 4 des Antrages, der Freistaat könne doch seine Roten Listen selbst überprüfen und erstellen: Für mich ist nicht ersichtlich, warum und mit welchem Begehren man sich gegenüber der Bundes- und der Europaebene einsetzen will. Apropos: Jüngste Entwicklungen wie das Baumab-Gesetz tragen nicht zu einer Verbesserung des Artenschutzes, insbesondere im besiedelten Bereich, bei. Den Baumfällungen fallen auch Bäume mit Höhlen zum Opfer. Das Vollzugsdefizit der unteren Behörden wird auch jetzt schon überdeutlich; aber das haben wir schon zur Genüge diskutiert.

Liebe Koalitionäre! Wie sagte Herr Kupfer 2008 so schön? "Weiße Listen sollten mehr als ein Werbeinstrument sein." Der Naturschutzansatz der FDP ist unglaubwürdig, aber, wie gesagt, es gilt hier offensichtlich noch eine alte Wette zu begleichen, und das geht eben vielleicht nur in einer Koalition. Wir werden diesen Antrag deshalb ablehnen.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Frau Dr. Deicke als nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst einmal einen Blick in den aktuellen Koalitionsvertrag geworfen und festgestellt, dass man darin gerade einmal zwei Sätze – und das auch nur mit sehr gutem Willen – unter dem Aspekt Artenschutz oder Biodiversität subsumieren kann.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Wirklich?)

Diese beiden Sätze möchte ich einmal zitieren. Der erste Satz: "Wir wirken darauf hin, die Vielfalt an Ökosystemen und Arten sowie die genetische Vielfalt innerhalb der Arten zu bewahren." Der zweite Satz: "Eine Weiße Liste soll die Erfolgsbilanz Sachsens beim Arten- und Naturschutz dokumentieren." Das Anliegen Ihres heutigen Antrages ist damit mehr als durchschaubar. Pünktlich zur Halbzeitbilanz wollen Sie noch schnell ein Häkchen hinter Ihre Liste machen.

(Tino Günther, FDP: Genau!)

Doch der Antrag ist genauso überflüssig wie der Satz im Koalitionsvertrag. Sachsen braucht keine Weiße Liste, Sachsen braucht ein stärkeres Engagement im Bereich des Artenschutzes und der Biodiversität.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Sie als Koalitionsfraktionen haben hier nur einen Placeboantrag eingebracht. Zwar begründet die Koalition im Punkt 3 des Antrages, dass sie ihre Anstrengungen für den Natur- und Artenschutz fortsetzen will – zunächst eine durchaus löbliche Einstellung. Allerdings sprechen die bisherigen Maßnahmen der CDU/FDP-Koalition nicht unbedingt für eine Stärkung des Artenschutzes. Als Beispiele lassen sich die Diskussion um die Aufnahme des Wolfes in das Jagdgesetz oder auch die Abschaffung der Baumschutzsatzungen anführen.

Sie haben die Mittel für die Naturschutzverbände gekürzt. Dabei ist es die Koalition, die immer wieder betont, wie wichtig das ehrenamtliche Engagement ist. Das ist ja richtig, aber für das Ehrenamt brauchen wir auch Strukturen. Wir brauchen Leute, die die Ehrenamtlichen koordinieren und fachlich anleiten.

Was ist mit den sächsischen Landschaftspflegeverbänden? Die Arbeit dieser Regionalverbände und all der Ehrenamtlichen ist für den Natur-, Umwelt- und Artenschutz für Sachsen unerlässlich. Eine verbindliche Förderung lehnt die Staatsregierung jedoch seit Jahren ab.

Meine Damen und Herren! Die Artenschutz-PlaceboDebatte um eine Weiße Liste hat die FDP-Fraktion – das wurde schon genannt – in der letzten Legislaturperiode schon einmal auf die Tagesordnung gesetzt. Herr Günther, ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie Sie sich bei dieser Debatte ins Zeug gelegt haben.

Ich habe auch noch ein anderes interessantes Zitat gefunden, was Frau Pinka noch nicht zitiert hat.

(Heiterkeit der Abg. Dr. Jana Pinka, DIE LINKE)

Damals hat Staatsminister Kupfer Folgendes gesagt: „Wer neue Weiße Listen fordert und den Begriff ernst nimmt, muss wissen, dass dafür die Bestände aller Arten der einzelnen Artengruppen neu bewertet werden müssen. Das können wir personell nicht leisten.“

(Zuruf des Staatsministers Frank Kupfer)

Ich wiederhole das noch einmal und ich höre es gerade als Bestätigung: Das können wir personell nicht leisten. Ich bin jetzt etwas irritiert; denn ich habe gedacht, dass Sie versuchen, Ihrem Kollegen Wöller nachzueifern, um zusätzliches Personal dafür einstellen zu können.

Zulasten welcher Facharbeit wird die Erstellung einer Weißen Liste dann gehen? Die Weiße Liste bringt keinerlei Nutzen für die betroffenen Tierarten. Auch eine stärkere Förderung des Artenschutzes und der Biodiversität

resultiert daraus nicht. Doch das ist die vordringliche Aufgabe in Sachsen und das wissen Sie auch.

Wenn man sich den Anhang des Entwurfs des Landesentwicklungsplanes 2012 anschaut, dann findet man eine kritische Darstellung der Istsituation. Im Entwurf des Landesentwicklungsplanes stellt die Staatsregierung dar, dass die Zahl der ausgestorbenen, vom Aussterben bedrohten oder in ihrem Bestand gefährdeten Arten in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Von den bislang 27 untersuchten Artengruppen aus der Roten Liste Sachsens sind im Durchschnitt circa 10 % ausgestorben bzw. verschollen und circa 40 % stark gefährdet. Jetzt wollen Sie uns mit einer Weißen Liste vorgaukeln, dass wir im Bereich des Artenschutzes gut dastehen? Wir haben wahrlich wichtigere Aufgaben.

Die natürliche biologische Vielfalt verschlechtert sich, insbesondere im intensiv landwirtschaftlich genutzten Offenland. Das analysieren Sie auch im Landesentwicklungsplan. Statt durch eine Weiße Liste unsinnig Personal und Finanzmittel zu binden, sollte besser an den Maßnahmen gearbeitet werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir müssen in Zukunft die natürlichen Lebensgrundlagen im ländlichen Raum schützen. Wir müssen den Flächenverbrauch eindämmen. Wir müssen die Art der Bewirtschaftung und intensiven Bodennutzung ändern usw. usf.

Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion wird diesen Schaufensterantrag der Koalitionsfraktionen nicht unterstützen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)