Protocol of the Session on December 15, 2011

Wir werden uns sicherlich mit dem Thema Abwanderung stärker befassen müssen, weil wir just in den nächsten zwei bis drei Jahren starke Generationswechsel – nicht nur in der staatlichen Verwaltung, sondern auch im Wirtschaftsleben – verzeichnen werden. Der Fachkräftebedarf, nach dem bereits jetzt gerufen wird, wird in den nächsten Jahren noch viel deutlicher werden. Er wird erst dann spürbarer werden, wenn wirklich niemand mehr zu finden ist. Es wird ein Umdenken notwendig sein mit den Möglichkeiten, die uns auch die Europäische Union bietet, vielleicht mehr für den Fachkräftenachwuchs zu tun.

Der ländliche Bereich darf nicht aus dem Blick verloren werden. Die Impulse, die in den ländlichen Bereich gehen, helfen oft Selbstständigen, Handwerkern und kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Maßnahmen, die in den ländlichen Bereichen zu erarbeiten sind, abzuarbeiten. Wir brauchen Impulse und Signale für die junge Generation. Die Investition in die junge Generation beginnt natürlich bei der Bildung. Sie geht weiter in der Ausbildung.

Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Thema ansprechen, das für mich und für viele Mitglieder dieses Hohen Hauses außerordentlich wichtig ist: Wir brauchen mehr Impulse für die Mehrsprachigkeit in unserem Land.

(Beifall bei den LINKEN)

Jeder Mensch, der eine Sprache lernt, hat ein Leben. Mit jeder hinzugewonnenen Sprache erhöht sich die Anzahl der Leben, die ein Mensch hat. Das ist ein Impuls. Diesen sollten wir unserer jungen Generation nahebringen. Es ist eine Chance. Sie haben die Chance gehabt, Herr Staatsminister, Französisch zu lernen. Ich habe das nie geschafft. Ich weiß nicht, welche Sprachen Sie noch können; Sie können bestimmt noch ein paar mehr Sprachen. Ich gehe davon aus, dass die junge Generation diese Trennlinie – nur eine Sprache zu erlernen und dies vielleicht noch nicht einmal richtig – nicht mehr hat. Die junge Generation hat eine andere Chance. Ich gehe davon aus, dass die Mehrsprachigkeit viel stärker in den Fokus rücken muss.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Wir haben festgestellt – das ist in der Großen Anfrage nachlesbar –, dass Forschung und Entwicklung besonders im kleinen und mittelständischen Bereich auch in der Krisenzeit sehr stark nachgefragt worden ist. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen haben in der Zeit von 2008 bis 2010 eine gewisse Kontinuität bei der Nutzung von F und E gehabt. Das sollte uns auch den Mut geben, in der Zukunft stärker für kleine und mittelständische Unternehmen im Forschungs- und Entwicklungsbereich zu agieren.

Sachsen hat die Solidarität der Europäischen Union erhalten. Wir haben eine Chance, die wir noch besser nutzen sollten. Im 7. Forschungsrahmenplan gibt es für uns noch Potenziale. Das, was bisher genutzt wird, sollte ausgebaut werden. Das ist ein guter Grundstock. In der nächsten Förderperiode wäre es allerdings gut, wenn die universitären Landschaften im nächsten Forschungsrahmenplan noch mehr für Forschung, Wirtschaft und Infrastruktur leisten könnten.

Ich gehe von Folgendem aus: Wer in Europa agiert, sollte sich nicht nur darüber ärgern, was alles schiefläuft. Er sollte auch mit Freude herangehen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Prof. Dr. Dr. Gerhard Besier, DIE LINKE)

Europa ist für uns kein Einheitsbrei. Europa soll in der Zukunft ein Europa der Vielfalt bleiben. Deshalb brauchen wir auch im Freistaat Sachsen starke Regionen, die diesen europäischen Gedanken weiterführen können. Die starken Regionen, die sich um die urbanen Zentren wie Chemnitz, Leipzig und Dresden ranken, müssen stark sein, damit sie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit unseren tschechischen und polnischen Nachbarn pflegen. Das Land Baden-Württemberg hat die Freundschaft zu den französischen Nachbarn viele Jahre gepflegt. Das wurde mit jungen Menschen begonnen.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit beginnt bereits bei den Kindern, die die Sprache des Nachbarlandes erlernen. Wenn wir hierbei investieren – Sie können das auch in der

Antwort der Staatsregierung nachlesen –, werden Sie sehen, wie viele Projekte es mit Kindergärten entlang der sächsisch-tschechischen und sächsisch-polnischen Grenze gibt.

Wenn wir hier weiter investieren, dann werden wir die Extremisten aus unserem Land treiben, weil die Mehrsprachigkeit den Kindern auch eine Chance gibt, den Blick zu den Nachbarn zu haben und die Welt viel größer zu sehen, als uns das die Extremisten mit ihrer Kleintümelei immer einreden wollen.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD und der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich aber am Schluss dennoch etwas zu Europa sagen, was über unsere Grenzen hinausgeht. Wenn gestern in einer Regierungserklärung auch über Gründungsfehler bei der Europäischen Union gesprochen worden ist, dann gehört das natürlich auch zur Wahrheit. Wir haben selbst hier im Hohen Haus davor gewarnt, dass man Bulgarien und Rumänien zu einem Zeitpunkt aufnimmt, wo die Kriterien für die Aufnahme nicht gewährleistet worden sind.

(Zuruf der Abg. Gisela Kallenbach, GRÜNE)

Wir wissen aus den Fortschrittsberichten, dass es besonders für Bulgarien eben nicht gut war, schon zu einem zu zeitigen Zeitpunkt in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Das Gleiche trifft für Griechenland zu. Es sind politische Konzessionen gemacht worden, die nicht die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in diesen Ländern beachtet haben.

(Thomas Jurk, SPD: Was war mit den Grenzkontrollen?)

Es ist auch ein Fehler gewesen, dass man die Grenzkontrollen zu zeitig herabgesetzt hat. Wir können ebenfalls nachlesen, dass auch die Kriminalitätsbelastung dadurch höher geworden ist, als sie es bei Grenzkontrollen geblieben wäre.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Andreas Storr, NPD: Das ist ja ganz neu!)

Nein, mein Kollege Bandmann hat aus Görlitzer Sicht immer darauf hingewiesen, dass man solidarisch auch solche Entwicklungen beachten muss. Denn Kriminalität macht eben bei freien Grenzen viel, viel stärker von dieser Freiheit Gebrauch.

Was mich ernst stimmt, ist die Frage, wie schnell man jetzt schon wieder die Erweiterung mit Kroatien über die Bühne gebracht hat. Das hat kaum jemand mitbekommen. Ich glaube, dieser Erweiterungsprozess ist auch wieder übereilt. Ich weiß nicht, ob die Kriterien für Kroatien dafür sprechen würden, dass sie aufgenommen werden.

Zur Türkei möchte ich deutlich sagen, dass wir eine Partnerschaft brauchen, aber eine Mitgliedschaft lehnen wir weiterhin deutlich ab.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Europa braucht Engagement und Herzblut. Wir haben die Chancen von Europa in den letzten Jahren bekommen, und diese sollten wir nutzen. Ich ende mit einem Zitat von Altbundeskanzler Helmut Kohl.

(Thomas Jurk, SPD: Das muss nicht unbedingt sein!)

Ich kann aber auch mal Helmut Kohl zitieren, das ist gar nicht mal so schlecht. Helmut Kohl hat 1990 einen heute noch aktuellen Satz geprägt: „Für den Aufbau eines in Freiheit vereinten Europas kommt insbesondere den deutsch-polnischen Beziehungen eine herausragende Bedeutung zu. Ohne deutsch-französische Freundschaft hätte das Werk der Einigung Europas nicht begonnen werden können. Ohne deutsch-polnische Partnerschaft wird es sich nicht vollenden lassen.“

Partnerschaft ist gute Nachbarschaft. Es ist für uns im Freistaat Sachsen eine Bürgerpflicht, etwas dafür zu leisten, dass es zu dieser Partnerschaft mit unseren Nachbarn kommt. Nutzen wir die Chancen, die der Freistaat Sachsen dafür von Europa bekommt. Nutzen wir sie gemeinsam und geben wir Europa Impulse zurück.

Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der FDP und der Staatsregierung)

Frau Hermenau, Sie möchten vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen. Dazu haben Sie jetzt Gelegenheit.

Danke schön, Herr Präsident! – Herr Schiemann, Sie haben sich in Ihrer Rede insbesondere auch mit dem Instrument der einzelbetrieblichen Förderung auseinandergesetzt. Sie haben dafür lobende Worte gefunden. Wir haben im letzten Jahr eine Studie beim Ifo-Institut in Auftrag gegeben über die ökonomische Hebelwirkung unterschiedlicher Förderprogramme für den Aufbau Ost, unter anderem auch über die einzelbetriebliche Förderung. Diese Hebelwirkung war außerordentlich bescheiden, um nicht zu sagen, dass es eine Gießkannenförderung ist.

Das Problem, das ich erkenne, ist folgendes: Wenn wir mit solchen Instrumenten weiterarbeiten, dann bekommen wir keine vernünftige Einsicht darüber, wie viele der sächsischen Unternehmen wirklich wettbewerbsfähig wären, wenn sie keinerlei Hilfen mehr bekämen. Es gibt auch keine verlässliche Erkenntnis zu dem Themengebiet. Ich habe keine von Ihnen gehört. Der Wirtschaftsminister hatte in der Haushaltsberatung auch keine anzubieten. Das heißt, es fehlt uns die Einsicht darüber, welche unserer sächsischen Unternehmen wirklich wettbewerbsfähig sind, wenn es keine Aufbau-Ost-Förderung und keine EUFörderung mehr gibt. Das ist ein Problem.

Ich würde deswegen das Instrument der einzelbetrieblichen Förderung nicht so nach oben schieben, wie Sie das

tun. Es könnte ein böses Erwachen geben, wenn zum Beispiel die EU-Förderung in der Haushaltslage davon abhängig gemacht werden muss, wie im Jahr 2012 die Euro-Krise bewertet wird. Es kann durchaus sein, dass solche Instrumente nicht mehr in dem Umfang zur Verfügung stehen, und zwar selbst in der laufenden Förderperiode und vielleicht erst recht in der kommenden, in der sowieso abgespeckt gefahren wird.

Deswegen bin ich der Meinung, dass man diesem Instrument jetzt nicht das Wort reden, sondern es kritisch nutzen und die wahre Wettbewerbsfähigkeit der sächsischen Unternehmen herausarbeiten sollte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Schiemann, möchten Sie auf die Kurzintervention antworten? – Das ist der Fall.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage, wie stark Unternehmen wettbewerbsfähig sind, wird jedes Unternehmen für sich beantworten müssen. Das wird auch ein Ifo-Institut, das von außen hineinblickt, nicht bewerten können.

Ich gehe davon aus – und das habe ich deutlich gemacht –, dass wir einen enormen Nachholbedarf haben. Wir sind an der ersten Hälfte der Wegstrecke angelangt. Wir haben noch eine zweite Hälfte vor uns. Das beschreibt den Nachholbedarf.

Es gibt Unternehmen, die sich unwahrscheinlich stark im Wettbewerb behaupten können und eine Konkurrenz nicht scheuen müssen. Es gibt Unternehmen, die sich gerade so im Wettbewerb halten können. Diese Frage werden wir heute mit der Großen Anfrage nicht klären können. Das wird eine Herausforderung in den Regionen, in den Unternehmen sein.

Jedes Instrument, das dazu beiträgt, auch die kleinere Gruppe der Unternehmen, die nicht wettbewerbsfähig sind, am Markt zu halten, um wettbewerbsfähige Strukturen und Produkte zu liefern, ist eine Chance für dieses Land, die uns Europa bieten sollte, damit wir diesen Nachholbedarf für die nächsten Jahre abbauen können.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Es gibt eine Verzerrung!)

Sicherlich gibt es eine Verzerrung in der Frage, ob ich allumfassend das Bild einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft male. Aber das ist der Durchschnitt. Wir müssen uns auch um die Unternehmen kümmern, die noch Nachholbedarf haben. Das habe ich, glaube ich, deutlich gemacht.

Danke, Herr Präsident.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Herbst, Sie möchten auch vom Instrument der Kurzinter

vention Gebrauch machen? – Dazu haben Sie jetzt Gelegenheit.

Vielen Dank, Herr Präsident.