Protocol of the Session on November 23, 2011

Das hilft vielleicht bei manchem volkswirtschaftlichem Verständnis.

(Zurufe von den LINKEN und der SPD)

Der gesetzliche Mindestlohn ist kein Problem für Normalverdiener. Er ist ein Problem für diejenigen, die Nachteile auf dem Arbeitsmarkt haben. Das sind vor allem die Geringqualifizierten. Für sie ist der Mindestlohn die Einstiegshürde. Er erschwert den Einstieg in reguläre Beschäftigung. Wir wollen aber genau das Gegenteil. Wir wollen, dass die Menschen auf dem Arbeitsmarkt eine Chance erhalten und wieder Fuß fassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Sie wollen die Unterteilung zwischen guter und schlechter Arbeit. Sie wollen im Zweifelsfall die Menschen lieber zu Hause alimentieren, und wir wollen sie in den Arbeitsmarkt integrieren. Ich finde, das ist der deutlich sozialere Ansatz,

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok – Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

weil es bei der Arbeit um mehr als um Geldverdienen geht – es ist auch eine Frage der gesellschaftlichen Teilhabe und des Selbstwertgefühls.

Wenn diese Art Kombilohn – nichts anderes ist die Aufstockung –, diese aktivierende Sozialpolitik dazu führt, dass wieder mehr Menschen in Beschäftigung kommen, dann ist das doch ein Erfolg. Genau das war einer der Grundsätze, die unter einem SPD-Bundeskanzler eingeführt wurden. Okay, bei der SPD ist die Zeit mittlerweile vorbei, dass man auf Schröder hört. Jetzt schaltet man wieder auf Marx um. Ich weiß nicht, ob das besser ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und des Staatsministers Sven Morlok)

Ich möchte mit ein paar Vorurteilen aufräumen. Es wird immer gesagt: Von Arbeit muss man leben können. – Mehr als 80 % der vollzeitbeschäftigen Aufstocker

(Thomas Kind, DIE LINKE: Ergänzer heißt das!)

Ergänzer! – beziehen ihr Arbeitslosengeld doch nicht ergänzend wegen des niedrigen Stundenlohns, sondern weil sie aus familiären Gründen einen höheren Grundbedarf haben. Diesen höheren Grundbedarf haben wir als Sozialstaat definiert. Das wollten wir so, und das ist der Grund dafür. Ich finde es gut, wenn die Menschen arbeiten und nicht zu Hause sitzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Schauen wir uns das anhand eines praktischen Beispiels an. Ein verheirateter Alleinerziehender lebt in Berlin mit zwei Kindern.

(Enrico Stange, DIE LINKE: Ein verheirateter Alleinerziehender?)

Alleinverdiener, Entschuldigung. – Dieser bekommt ein Stundenlohnäquivalent von 14 Euro. Sind Sie dann der Meinung, dass wir einen Mindestlohn von 14 Euro einführen müssen, sodass derjenige ohne soziale Transfers von seinem Einkommen leben kann? Wenn Sie dieser Meinung sind, dann wird es eine ganze Reihe von Arbeitsplätzen in Deutschland nicht mehr geben.

(Beifall bei der FDP)

Es mag für einige linke Ohren sehr grausam klingen, aber in der sozialen Marktwirtschaft ist es nicht die Aufgabe der Unternehmen, sozialpolitische Wünsche von Politikern zu erfüllen. Dort, wo der Mensch am Markt nicht ausreichend Einkommen erzielt, ist der Sozialstaat gefragt. Ich sage: Es ist allemal besser, genau diesen Weg zu gehen und Arbeit anstatt Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

(Beifall bei der FDP – Enrico Stange, DIE LINKE: Das ist eine bodenlose Frechheit gegenüber denjenigen, die …!)

Wir können ja mal das Exempel durchrechnen, was es bedeuten würde, wenn die Frisöse in Görlitz 9 Euro pro Stunde verdienen würde. Wenn sie Pech hat, gibt es ihren Arbeitsplatz nicht mehr. Wenn sie Pech hat, geht der Kunde auf die andere Seite der Grenze und lässt sich dort die Haare schneiden.

(Zuruf der Abg. Dr. Jana Pinka, DIE LINKE)

Im besten Fall, wenn es dem Frisörsalon gelingt, ein höheres Preisniveau durchzusetzen – dann reden wir wahrscheinlich über einen Stundensatz von 15 bis 20 Euro, weil es sich am Ende des Tages rechnen muss –, kommen noch Kunden zu diesem Frisör. Dann würde die Frisöse ihre 9 Euro bekommen. Diese bekommt sie dann vom Frisörsalon, wahrscheinlich fallen ihr Trinkgeld und ihre Umsatzbeteiligung weg, sie hat am Ende aber genau dasselbe in der Tasche und keinen Cent mehr.

(Zurufe von der SPD: Oh mein Gott!)

Deshalb ist Ihre Politik eine Placebopolitik, meine Damen und Herren. Das ist kein sozialpolitischer Fortschritt.

(Zurufe des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Sie fördern Arbeitslosigkeit, Jobverlagerung und

Schwarzarbeit. Diesen Weg gehen wir nicht mit!

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Löhne müssen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern festgelegt werden. Der Staat hat dort nichts zu suchen. Löhne dürfen nicht zum Spielball der Politik werden.

(Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD)

Dazu stehen wir als FDP ganz klar.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Enrico Stange, DIE LINKE: Blödsinn! So eine Ignoranz!)

Für die FDP-Fraktion sprach der Abg. Herbst. – Für die Fraktion GRÜNE spricht jetzt Kollege Jennerjahn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Lesen des Antrages habe ich kurz gestockt und mich gefragt, was der Hintergrund dieses Antrages sein soll: eine kurze Handlungsanweisung an die Staatsregierung, sich im Bundesrat für Mindestlöhne einzusetzen?

Ich vermute einmal, Sie haben versucht, einen Parteitagsbeschluss der CDU „Pro Mindestlohn!“ zu antizipieren, um dann mit einem sehr schlichten Antrag den kleinsten gemeinsamen Nenner zu formulieren, der es überhaupt erst ermöglichen würde, in das Thema Mindestlohn einzusteigen.

Das ist legitim, und ich halte das auch für richtig, diesen Weg zu gehen. Das Problem ist aber, dass Ihnen die CDU einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, denn durch die Reihen der Christdemokraten geht beim Thema Mindestlohn ein Riss, der sich auch mit der lauwarmen Konsenssoße des Leipziger Parteitages nicht zukleistern lässt.

Das Ergebnis dieses Parteitages ist für Millionen von Niedriglohnbeschäftigten eine Farce, denn mit diesem Beschluss bleibt die Ausnahme vom Mindestlohn die Regel. Mit der CDU wird es nur weitere Mindestlöhne in Branchen ohne tarifvertragliche Vereinbarungen geben. Tariflich vereinbarte Niedriglöhne – beispielsweise 3,06 Euro für die Frisörin in Sachsen – haben damit weiterhin Bestand.

Dabei ist es offensichtlich, dass in der CDU längst nicht alle mit dem Resultat des Leipziger Parteitages zufrieden sind. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hält einen Mindestlohn zwischen 7 und 8 Euro für unerlässlich. Für einen nach Ost und West differenzierten Mindestlohn gibt es seiner Meinung nach keine Rechtfertigung mehr.

(Beifall der Abg. Thomas Kind, DIE LINKE, und Thomas Jurk, SPD)

Ich habe die Ausführungen des Kollegen Krauß so verstanden, dass er mit den Ergebnissen des Leipziger Parteitages nicht wirklich glücklich ist. Der Fortschritt scheint zu sein, dass seine Fraktion jetzt doch keine Pickel mehr im Gesicht bekommt, wenn er das Wort „Mindestlohn“ sagt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Der Arbeitsmarktforscher Joachim Möller, Direktor des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor

schung, sagte in einem Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“, dass ein vernünftiger Mindestlohn nur Vorteile habe. Er könne in gewissem Umfang sogar Beschäftigung fördern, weil die Attraktivität von Jobs steige, offene Stellen schneller besetzt sowie die Fluktuation reduziert würden. Das seien im Übrigen auch die Erfahrungen, die zum Beispiel mit dem Mindestlohn in Großbritannien gemacht worden seien.

Eine weitere Studie des Prognos-Instituts kommt zu dem Ergebnis, dass dem Staat nach Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro Mehreinnahmen von mehr als 7 Milliarden Euro im Jahr zur Verfügung stünden. Auch auf dieser Strecke macht es also Sinn, über das Thema nachzudenken.

Meine Damen und Herren! Wir GRÜNE werden die Einladung – –

(Torsten Herbst, FDP, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

An der Stelle bitte nicht. – Wir werden die Einladung der CDU zur Einführung von Dumpinglöhnen nicht annehmen. Ein allgemeiner flächendeckender Mindestlohn muss für alle Beschäftigten ohne Ausnahme gelten.

Ich kann Sie beruhigen: Wir wollen keine politischen Mindestlöhne, sondern wir schlagen eine Mindestlohnkommission nach britischem Vorbild vor, die unabhängig vom politischen Einfluss eine Mindestlohnhöhe ermittelt. Diese Kommission besteht aus Vertretern des Arbeitgeberlagers, der Gewerkschaften und aus Wissenschaftlern. Sie soll unter Berücksichtigung der sozialen und wirtschaftlichen Anforderungen angemessene und faire Arbeitsbedingungen schaffen sowie sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen erhalten.

Die vorgeschlagene Mindestlohnhöhe wird durch eine von der Bundesregierung erlassene Rechtsordnung wirksam. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, werden wir den Antrag der Fraktion DIE LINKE unterstützen.

Herzlichen Dank.