Dass die Linksfraktion mit ihrer Forderung nach 420 Euro oder gar die SPD-Fraktion in der letzten Woche mit 502 Euro – heute sind noch einmal neue Zahlen vorgebracht worden – diesem Urteil nicht im Ansatz nachkommen, ist wohl unbestritten. Der Vorschlag der LINKEN ist unplausibel und der Vorschlag der SPD-Fraktion mal wieder willkürlich. Zudem frage ich mich, warum gerade zu SPD-Regierungszeiten die Regelsätze nicht auf das Niveau erhöht wurden, das sie heute fordern. Das wäre doch mal was gewesen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Regelsätze sind aktuell aus der Einkommenssituation, dem Lebensstandard und dem Verbraucherverhalten der unteren Einkommensgruppen hergeleitet worden. Das wurde 2003 von Rot-Grün so eingeführt und diesem Ansatz ist die jetzige Bundesregierung auch gefolgt. Aber es sind Wertentscheidungen gefällt worden. Es wurde begründet, welche Positionen zur Existenzsicherung gehören und welche eben nicht. Das sind Entscheidungen, die getroffen worden sind. Das sind mutige Entscheidungen. Sie werden es mir nachsehen: Rauchen zähle ich nicht zur Existenzsicherung.
Aber viel wichtiger ist, dass die Regelsätze für Kinder zum ersten Mal eigenständig berechnet wurden. Zum ersten Mal erhalten Kinder die Chance, tatsächlich teilzuhaben, denn wir können es uns nicht mehr leisten, auch nur ein Kind auf dem Bildungsweg ins Erwachsenenalter zu verlieren. Nein, uns ist jedes Kind wichtig.
Für die Leistungen für Teilhabe und Bildung werden bereits im nächsten Haushaltsjahr 625 Millionen Euro bereitgestellt. Das ist eine erhebliche Summe, mit der in keiner Weise mehr unterstellt werden kann, dass wir dieser wichtigen Aufforderung nicht nachkommen.
Aber auch das muss an dieser Stelle gesagt werden: Jede Sache, jede Medaille hat zwei Seiten, die erklärt werden müssen. Nicht nur die Empfänger der Sozialleistungen haben ein Recht, ihre Leistungshöhe erklärt zu bekommen; es wurde ja auch ausführlich getan. Alle Entscheidungen sind zugänglich. Nein, es muss genauso denjeni
gen erklärt werden, die es erarbeiten, die Steuern und Sozialabgaben zahlen und unterm Strich eben auch jeden Cent umdrehen müssen.
Ich bin tatsächlich gespannt, wie Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, diese Erhöhung auf 420 Euro oder gar auf 502 Euro Geringverdienern, wie Büroangestellten, Bauarbeitern, die in Familien leben, oder Alleinerziehenden erklären wollen, die genauso ihre Haushaltspläne führen müssen, die genauso ihre Kino- und Schwimmbadbesuche kalkulieren und planen müssen.
Mit diesem ständigen Schüren von Erwartungen erreichen Sie nur eines: Sie spielen Normalverdiener und Geringverdiener gegen Erwerbslose aus. Das ist ungerecht.
Die Forderungen, die hier von der Opposition aufgemacht werden, bedeuten für Empfänger von Sozialleistungen zwar ein Mehr an Geld, ziehen aber bei der Punktezahl von 500 Euro mit einem Mal zwei Millionen Menschen zusätzlich in ein System passiver Leistungen. Das sind teure Vorschläge mit erheblichen Nebenwirkungen. Sie wollen ein Leben von Sozialleistungen attraktiv machen und schließlich sogar ausbauen. Aber darin liegt nach unserer Meinung tatsächlich soziale Kälte, denn den Menschen nicht zu helfen, ihre Lage aus eigener Kraft zu verbessern, das ist für uns Bevormundung, das ist für uns Stillstand.
Verehrte Frau Kollegin! Sie haben ausgeführt, dass die Vorschläge teuer wären und mit erheblichen Nebenfolgen behaftet sind. Könnten Sie vielleicht einmal darlegen, wie teuer denn Ihre Steuersenkungsmaßnahmen bundes- und landesweit im letzten Jahr waren und welche Nebenfolgen diese Entscheidungen hatten?
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Entscheidend ist, dass die Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt kommen, um ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. Arbeitsanreize zu setzen und Hinzuverdienstmöglichkeiten zu verbessern, darum geht es ebenso, wie die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, dass diejenigen, die arbeiten wollen und zum Teil auch schon Stellenangebote haben, diese auch ergreifen können. Ich denke hier besonders an die bedarfsgerechten Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen für Familien, die aber
besonders wichtig für Alleinerziehende sind. Solche Aspekte vernachlässigen Sie leider bei Ihrer Betrachtung. Stattdessen kommt Ihr Antrag nicht über ein reflexhaftes Rufen nach Mehr hinaus. Aber das ist eigentlich zum Glück nicht unsere Art, Politik zu machen, nein, so etwas lehnen wir grundsätzlich ab.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit dem Urteil der Karlsruher Verfassungsrichter zur Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze im Februar dieses Jahres glühten in den Bundesministerien die Rechenschieber heiß und heraus kam, so Bundeskanzlerin Merkel, ein „beachtlicher Vorschlag“. Gemeint ist damit die sehr überschaubare Erhöhung bei den Hartz-IV-Sätzen um 5 Euro, die der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes als „sozialen Skandal“ gegeißelt hat.
Meine Damen und Herren! Sie werden sicher wissen, die Höhe des Existenzminimums in Deutschland lässt sich sehr unterschiedlich berechnen. Das zeigt der Blick auf die Alternativrechnung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, die hier schon eine Rolle gespielt hat. Der hat nämlich, um einen wesentlichen Unterschied zur Bundesregierung zu nennen, eine größere Vergleichsgruppe gewählt. Auch das hat schon eine Rolle gespielt. Statt der unteren 15 % aller Einkommensbezieher wurden die unteren 20 % zum Vergleich herangezogen. Dadurch werden natürlich deutlich höhere Maßstäbe für Hartz IV herangezogen und das entsprach eigentlich auch der bisherigen Berechnungsgrundlage. Insofern spiegelt die Rechnung der Bundesregierung lediglich die Großwetter- und Kassenlage wider und wer solche Worte wie Objektivität oder auch Wissenschaftlichkeit in den Mund nimmt, der wird sich sicher auch nicht davor scheuen, die Erde für eine Scheibe zu halten, solange es ins Konzept passt.
Arbeitsministerin von der Leyen betont immer wieder gern: Es kommt nicht auf das Ergebnis an, sondern auf den Rechenweg. Das Bundesverfassungsgericht forderte, das Zustandekommen der Regelsätze transparenter und nachvollziehbar zu machen. Die Betroffenen können jetzt also leichter selbst nachrechnen, warum sie wie viel Geld nicht bekommen werden. Dabei gibt es auch berechtigte Zweifel an der Rechtssicherheit des mathematischen Geniestreiches zur Ermittlung des neuen Regelsatzes, denn es wurden lediglich die Haushalte herausgerechnet, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich aus staatlichen Transferleistungen beziehen. Zu einem großen unbekannten Teil – darauf hat Kollege Pellmann schon aufmerksam gemacht – wurden hingegen Haushalte berücksichtigt, die bereits auf staatliche Gelder angewiesen sind, um überle
Es wurde auch eine weitere wichtige Auflage der Karlsruher Richter nicht beachtet, Sie hatten nämlich gefordert, beim Errechnen eines neuen Regelsatzes einschränkend die Geldentwertungsrate mit zu berücksichtigen, und zwar – so das Gerichtsurteil wörtlich – „zeitnah“.
Nun ist es so, dass die Inflationsentwicklung seit dem Jahr 2005 um 11,18 % gestiegene Preise aufweist. Also, einem damaligen Regelsatz von 345 Euro entspräche heute ein Betrag von 383,57 Euro, ohne dass darin auch nur ein Cent realer Kaufkraftverbesserung enthalten wäre. Da der Gesetzgeber aber nun eine „Anhebung“ des alten Regelsatzes auf 364 Euro beschlossen hat, ist damit in der Realität eine Kürzung des Regelsatzes beschlossen worden, und zwar um circa 5 %. Wir fordern als Fraktion, ebenso wie die LINKEN im vorliegenden Antrag, den Regelsatz für Erwachsene auf 420 Euro anzuheben. Dieser Betrag orientiert sich am solide gerechneten Gutachten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Der Bedarf von Kindern muss selbstverständlich ebenfalls eigenständig ermittelt und die Regelsätze an dieser Stelle angehoben werden.
Noch ein Wort zur Verhältnismäßigkeit, die hier auch schon eine Rolle gespielt hatte, Kollege Krauß. Nur zum Vergleich: Die Caritas hat 2001, also etwas ältere Zahlen, errechnet, dass auf einen Euro Sozialhilfemissbrauch rund 540 Euro Steuerhinterziehung kommen – um einen Vergleichswert zu nennen. Ein anderer Vergleichswert wäre, auf einen Euro Missbrauch bei der Sozialhilfe kommen 18 Euro nicht abgerufene Mittel in der Sozialhilfe, worauf Leute einen Anspruch gehabt hätten.
Von den LINKEN hätte ich mir gewünscht, dass der Antrag noch einmal ein Stück weit überarbeitet würde, denn in der Dringlichkeit, die im September angeblich vorlag, steht immer noch, dass die Entscheidung nur im September-Plenum gefällt werden könne. Ich hätte mir eine gründlichere Vorgehensweise gewünscht. An dieser Formalie und Kleinigkeit soll aber unsere Zustimmung selbstverständlich nicht scheitern.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie lautete die Maßgabe, die das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 9. Februar 2010 der Bundesrepublik auferlegte? Aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip gemäß § 20 Abs. 1 Grundgesetz ergibt sich, dass jeder Hilfsbedürftige Anspruch auf unerlässliche materielle Voraussetzungen hat zur Sicherung seiner physischen Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.
Das dabei zu wählende Verfahren muss „transparent und sachgerecht sein, weiterhin sind alle existenznotwendigen Aufwendungen realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.“ Ende des Zitats. Soweit die Theorie, meine Damen und Herren.
Erstens. Statt wie bisher für die Einkommens- und Verbraucherstichproben die, bemessen an ihrem Nettoeinkommen, unteren 20 % aller Haushalte heranzuziehen, wurde nunmehr – das wurde bereits erwähnt – einfach auf die unteren 15 % abgestellt. Auch wenn die Hartz IVBezieher dabei herausgerechnet werden, ändert das nichts an der willkürlichen Veränderung der Referenzgruppe. Die Zielsetzung ist klar: Man geht von einem deutlich niedrigeren Einkommens- bzw. Ausgabenverhalten aus und kann somit die Regelsätze künstlich drücken.
Das zweite große Täuschungsmanöver besteht darin, dass Haushalte, die ein vergleichbares niedriges Einkommen wie Hartz-IV-Bezieher aufweisen, nicht aus der Referenzgruppe herausgenommen wurden. Hierzu gehören beispielsweise BAföG-Bezieher oder Personen, die keinen Leistungsantrag gestellt haben.
Verhöhnung Nummer drei besteht darin, dass bestimmte Ausgaben bei der Ermittlung des Regelsatzes gar nicht in ihrer tatsächlichen Höhe, sondern mit ihrem wahren Wert eingesetzt wurden. Offenbar geht die Bundesregierung von vornherein davon aus, dass alle Hartz-IV-Bezieher sich ausschließlich von der Tafel versorgen.
Es gäbe noch viel zu den Einzelheiten anzumerken. Festzuhalten bleibt: Dass die Regelbedarfsermittlung in der aktuellen Form einer Überprüfung durch das BVG standhalten würde, darf auch stark angezweifelt werden; denn, meine Damen und Herren, zu sehr schreit die Erhöhung von lediglich 5 Euro nach einer bewussten Missachtung des höchsten deutschen Gerichtes, ganz abgesehen von der Verachtung, die den Betroffenen seitens der Regierung mit diesem Gesetzentwurf entgegenschlägt.
Auch der Paritätische Gesamtverband sieht das so und taxiert nach seinen Berechnungen einen angemessenen Regelsatz auf 416 Euro. Allerdings hätte auch DIE LINKE die Gutachten und Stellungnahmen des Paritätischen Gesamtverbandes genauer lesen sollen. So ist nach dessen Konzept keinesfalls eine pauschale Übernahme der Kinderregelsätze von denen der Erwachsenen vorgesehen. Vielmehr will der Paritätische Gesamtverband ein Modell, das sich aus vier verschiedenen Bestandteilen zusammensetzt:
der Förderleistung, bei der es vor allem um den Zugang der Kinder zu Bildung, Erholung, gesellschaftlicher Teilhabe, Sport und Kultur geht,
der Regelleistung, die auf Grundlage einer eigenen Referenzgruppe mit Kindern anhand eines realistischen Warenwertes oder Warenkorbes ermittelt werden soll,
und der atypischen Leistung. Bei der Letztgenannten geht es vor allem darum, die Vorgaben des BVG umzusetzen, das davon sprach, dass auch für einen über den Regelsatz hinausgehenden „unabweisbaren laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf ein zusätzlicher Leistungsanspruch einzuräumen sei.“
Dem Paritätischen Gesamtverband geht es also nicht gerade darum – wenn ich das einmal so sagen darf –, gewissermaßen als Kontrastprogramm zur Bundesregierung die Gießkanne über alle Anspruchsberechtigten auszuschütten, sondern vielmehr sehr differenziert und möglichst objektiv den tatsächlichen Bedarf festzustellen. Es wäre schön gewesen, wenn Sie das so auch in Ihren Antrag hineingeschrieben hätten. Auch wenn der Antrag der LINKEN wieder sehr einfach gestrickt ist, wird die NPD-Fraktion diesem zustimmen. Die Bundesregierung muss bei diesem Thema zu einer Korrektur gezwungen werden.
Ich frage die Staatsregierung, bevor wir in eine zweite Runde einsteigen, ob sie das Wort ergreifen möchte. – Das ist nicht der Fall. Damit eine zweite Runde. Herr Dr. Pellmann, möchten Sie in einer zweiten Runde das Wort ergreifen? – Das kann ich nicht erkennen. Die CDUFraktion? – Auch nicht. SPD, FDP, GRÜNE, NPD? – Damit ist die Staatsregierung an der Reihe. Frau Clauß, Sie haben das Wort.