Protocol of the Session on September 29, 2010

Insgesamt bestätigen die Antworten der Staatsregierung auf unsere Große Anfrage: „Die sächsische Landespolizei – Im Jahre 2010 auf der Höhe ihrer Aufgaben?“ in weiten Teilen die auch außerhalb der Polizei wahrgenommene Situation, dass die sächsische Landespolizei an ihre Grenzen gestoßen ist.

Der Grund dafür ist nicht das fehlende Engagement der Beamtinnen und Beamten, nein, der Grund ist bei Ihnen, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, und bei der Sächsischen Staatsregierung zu suchen. Ich hätte mir im Traum nicht vorstellen können, dass in einem Land, in dem seit 20 Jahren die CDU regiert, die innere Sicherheit nur noch aus fiskalischen Gesichtspunkten beurteilt wird.

Es gab in diesem Hohen Haus eine Zeit, als die Vereinbarung zwischen der Regierung und der Opposition galt: Die Polizei ist keine Verschiebemasse für den Finanzminister. Wie ist die derzeitige Situation der sächsischen Polizei zu bewerten?

Zunächst muss festgehalten werden, dass sich die Staatsregierung aus rein finanziellen Gründen vor vier Jahren entschlossen hat, 2 741 Stellen bei der sächsischen Landespolizei abzubauen. 300 Stellen wurden bereits im Jahr 2006 mit einem künftigen Wegfallvermerk im Haushaltsplan ausgewiesen. Deswegen wird heute nur noch von 2 441 Stellen gesprochen.

Bis heute hat uns die Staatsregierung nicht erklärt, warum die Polizeistellen in diesem Ausmaß gestrichen werden müssen. Das damals und heute strapazierte Argument heißt: Angleichung der Ist-Stärke der Polizei an westdeutsche Flächenländer. Schon dieses Argument läuft aber ins Leere. Wenn schon Angleichung, dann wenigstens an vergleichbare westdeutsche Flächenländer. Aber das ist nicht der Fall. Was soll es bringen, ausschließlich den Personalschlüssel anzugleichen, ohne zu differenzieren, welche konkreten Aufgaben und Schwerpunkte in den jeweiligen Bundesländern die Arbeit dominieren? Genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Es gibt keine Aufgabenkritik der Polizeiarbeit.

Seit Jahr und Tag zeigen wir den Bedarf an. Seit Jahr und Tag mahnen die Interessenvertreter den Bedarf einer tiefgründigen Aufgabenkritik an – ohne Erfolg. Ist es Ignoranz oder Ohnmacht? Diese Frage müssen Sie, Herr Innenminister, beantworten, und wenn schon nicht uns, dann wenigstens den Kolleginnen und Kollegen der Polizei. Diese Antwort sind Sie uns bis zum heutigen Tag schuldig geblieben. Darin unterscheiden Sie sich im Übrigen nicht von Ihren Vorgängern.

Die Antworten zu diesem Thema, die Sie in der Großen Anfrage anbieten, sind – freundlich formuliert – ein Witz. Die dort genannten drei Projekte sind keinesfalls die notwendige Aufgabenkritik. Es ist ein Stückwerk zur Umsetzung von Einzelmaßnahmen. Das vielleicht am tiefsten gehende Projekt stammt aus den Neunzigerjahren.

Seit dieser Zeit – darin sind wir uns, glaube ich, alle einig – hat sich in Sachsen einiges grundlegend verändert. Was unterscheidet Sachsen von anderen Flächenländern? Wir haben zwei Landesgrenzen.

Nun ist Ihr Argument: Das haben andere Bundesländer auch. Richtig! Aber das soziale Gefälle und die daraus resultierende Eigentumskriminalität haben andere Länder nicht. Sie kennen den Schwerpunkt, die Masseneinsätze und die Kontrollen, die Sie derzeitig durchführen. Diese kosten Kraft und Einsatzstunden. Die Ergebnisse möchte ich eher als mager bezeichnen.

Richtig ist: Sie zeigen Präsenz. Aber das löst die Probleme im grenznahen Raum nicht. Auch das Prinzip Hoffnung greift nicht. Sie kennen die Stimmung in der Region, Ihre Reaktion darauf ist aber falsch: Personalabbau statt Vertrauensbildung, Schließung von Revieren statt materieller und personeller Ausstattung. Ich kann nur feststellen: falsche Antwort zur falschen Zeit.

Nun haben Sie, Herr Innenminister, erreicht, dass der geplante Stellenabbau von 2006 bis 2019 gestreckt wird. Rund 1 300 Stellen sind bereits weg. Offensichtlich fehlt Ihnen, Herr Innenminister, die Kraft zur Durchsetzung bei den Haushaltsverhandlungen; denn wie sonst erklären Sie die Tatsache, dass Sie sich statt einer Rücknahme oder einer Verringerung des Stellenabbaus gleich noch einen Zuschlag abgeholt haben und nach 2019 noch einmal 800 Stellen streichen wollen.

Sie streichen jede vierte Stelle bei der Polizei, Herr Innenminister, und treffen keine Aussage dazu, wie Sie sich die Aufgabenerfüllung ohne dieses Personal vorstellen. In jedem privatwirtschaftlichen Unternehmen würde sich der Vorstand von Ihnen trennen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu dem ständig hergebeteten Einstellungskorridor sagen: Von jährlich 300 Neueinstellungen sprechen Sie, meine Damen und Herren der Koalition. Leider ist das nur die halbe Wahrheit, denn nur circa 260 Einstellungen erreichen wirklich das Ziel. In unserer Großen Anfrage nennen Sie uns die Anzahl der voraussichtlich planmäßig ausscheidenden Polizistinnen und Polizisten. Seit 2009 liegt diese Zahl bei über 300, konkret bei 307 im Jahr 2009. Steigern wird sich diese Zahl bis zum Jahr 2020 auf 411. Wenn Sie den Altersdurchschnitt der Polizeivollzugsbediensteten hochrechnen, der im Jahre 2010 bei 43,2 Jahren liegen wird, können Sie sich ausrechnen, wie sich die Zahl der Altersabgänge nach 2020 entwickeln wird.

Dabei haben wir uns noch gar nicht dazu verständigt, ob eine Beamtin oder ein Beamter mit Ende 50 noch den Anforderungen – vor allem gesundheitlicher und physischer Natur – des täglichen Dienstes unter den jetzigen Bedingungen gewachsen ist. Gleichzeitig wollen Sie das Rentenalter der Kolleginnen und Kollegen erhöhen. Dem setzen Sie real jährlich 260 wirkliche Neueinstellungen entgegen und lassen sich dafür auch noch feiern. Ein wenig mehr Scham und Demut könnten diesbezüglich nicht schaden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Nun haben Sie sich in der Staatsregierung festgelegt. Ein Überdenken der Entscheidung lassen Sie nicht erkennen. Der Finanzminister strahlt und Sie, Herr Innenminister, bekommen die Schläge ab – übrigens zu Recht.

Um wie viel besser wäre Ihre Position bei den Haushaltsverhandlungen gewesen, Herr Innenminister, wenn Sie eine fundierte Aufgabenkritik vorgelegt hätten und die damit zu erwartende Entwicklung darstellen könnten. Diese Chance haben Sie verpasst. Das traurige Ergebnis liegt nun vor.

Was folgt, ist unprofessionelles Stückwerk. Die Kausalkette lautet nun: Der Finanzminister, respektive der Freistaat, hat kein Geld mehr, also Stellen streichen – Stellenstreichung beschlossen, Dienststellenstruktur anpassen, Direktionen und Reviere schließen. Die Konsequenz ist eine erhebliche Verlängerung der Vor-OrtZeiten. Daraus folgen sicherheitspolitische Aufgabe in der Fläche und eine permanente Überlastung der vorhandenen Kräfte. Kurz und gut: Sie gefährden in einem unverantwortlichen Maße die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Ihre Politik stellt eine massive Sicherheitsgefahr für den Freistaat Sachsen dar.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch etwas zu der geplanten zweiten Dienststellenreform sagen. Derzeit wird jeden Tag eine neue Sau durch den Freistaat getrieben. Herr Minister, Sie beklagen sich über die Verwendung falscher Zahlen und Fakten. Ständig werden neue Hiobsbotschaften durchgestochen und bieten Anlass zu Spekulationen.

(Zurufe von der CDU)

Aber all das zeigt, dass Sie das Problem nur schwer in den Griff bekommen; egal, ob Sie zukünftig drei, vier oder fünf Direktionen im Freistaat behalten. Das ist nicht das eigentliche Problem. Einer Reform der Leitungsstrukturen verschließen wir uns als Linke überhaupt nicht, wenn sie auf klaren Fakten beruht und zumindest länger als zwei Jahre Bestand haben sollte. Die letzte sogenannte Dienststellenreform – ich sage nur Revierkategorien – war ja nun wirklich ein völliger Rohrkrepierer. Ich würde es als handwerklichen Pfusch bezeichnen.

Was uns große Sorgen macht, ist die Schließung von Revieren. Derzeit geistert die Halbierung der Anzahl der Reviere durch die Medien. Das wäre der absolute GAU.

(Zuruf des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Da brauchen wir über Vor-Ort-Zeiten, Bürgernähe und Prävention nicht mehr zu sprechen. Das ist ein Schritt weg von der Bürgerpolizei, hin zu einer ausschließlich restriktiven Polizeiarbeit. Sie verändern mit Ihrer sogenannten Dienststellenreform im eigentlichen Sinne nachhaltig den Charakter der Polizeiarbeit. Das sollte Ihnen bei Ihrem Tun immer bewusst sein.

Ich muss Ihnen, meine Damen und Herren der Staatsregierung, nicht sagen, dass Ihnen derzeit der Wind stark ins

Gesicht bläst. Sie holen sich zwar Ihre Schläge bei den Betroffenen ab und hoffen, es aussitzen zu können, aber ich denke, das wird nicht ausreichen. Spätestens, wenn die Auswirkung Ihrer verfehlten Politik deutlich wird, müssen Sie gegensteuern.

Was die betroffenen Beamtinnen und Beamten von Ihrer Politik, Herr Innenminister, halten, durften wir uns gemeinsam am Wochenende bei der GdP anschauen oder im offenen Brief der DPolG vom 21.09.2010 nachlesen. Dass dies wahrscheinlich erst der Anfang war, muss ich Ihnen sicherlich nicht sagen. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Nehmen Sie die Sorgen und Nöte der Beamtinnen und Beamten sehr ernst!

Weniger Polizistinnen und Polizisten sollen zukünftig weitere Wege in Kauf nehmen und mehr Aufgaben übernehmen. Dafür belobigt sie die Staatsregierung mit der Streichung der Sonderzahlung. Diese Art der Anerkennung ist nicht akzeptabel. Ich bezeichne sie als Schlag ins Gesicht derer, die täglich ihre Gesundheit für die Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung im Freistaat Sachsen aufs Spiel setzen.

Schon heute ist ein hoher Krankenstand zu verzeichnen. Burn-out ist nicht mehr eine Ausnahme, sondern immer mehr ein Zeichen einer unzumutbaren Überlastung und auf dem Vormarsch, wie wir in Gesprächen mit Interessenvertretungen zur Kenntnis nehmen mussten.

Schon heute werden Überstunden in Größenordnungen angehäuft, aber die Ist-Stärke bei der Bereitschaftspolizei und den Polizeidienststellen befindet sich im Negativbereich, und das ohne den geplanten Abbau des Personals und die Schließung der Dienststellen. Besonders deutlich wird das ganze Szenario am Beispiel der Polizeidirektion Leipzig. Aus unserer Großen Anfrage geht hervor, dass die derzeitige Ist-Besetzung sowohl im mittleren als auch im gehobenen Dienst weit unter der Anzahl der Planstellen liegt. Wie sollen die Leipziger Beamtinnen und Beamten hinsichtlich der Disko-, Banden- und Rockerkriege, die schon längere Zeit im Leipziger Raum wüten, und der ständig stattfindenden Naziaufmärsche Herr der Lage werden?

(Jürgen Gansel, NPD: Das linke Gesindel ist in Connewitz!)

Laut der Kriminalstatistik von 2008 liegt der Anteil an allen Straftaten in der PD Leipzig bei rund 21 % und ist damit innerhalb Sachsens am höchsten. Vergleicht man die Anzahl der Planstellen mit der zuvor beschriebenen Ist-Besetzung verwundert das nicht.

Herr Innenminister, dass Sie sich völlig widerstandslos dem Finanzminister ergeben haben und klar dessen Sparvorstellungen folgen, ohne eigene Akzente zu setzen, lässt tief blicken, was Ihre Verantwortungsnahme als Dienstherr gegenüber den Polizeibeamten betrifft. Dass Sie dem aber auch noch eins draufsetzen und bei den 2 441 Stellen weitere Stellen – derzeit sind 800 Stellen im Gespräch – abbauen wollen und damit Ihr Versprechen gegenüber den Beamtinnen und Beamten brechen, ist

verantwortungslos und erschüttert Ihre Glaubwürdigkeit zutiefst.

Nun könnte man erwarten, dass die Staatsregierung das, was sie an Personal bei der sächsischen Landespolizei einsparen will, durch erhöhte Aufwendungen bei der Modernisierung der Ausrüstung wettmacht, aber auch da weit gefehlt: Digitalfunk für die nächsten Jahre? – Fehlanzeige. Ausrüstung? – Veraltet! Was Sie bringen, ist der Tausch der grünen gegen die blauen Uniformen. Da läuft so einiges schief.

(Jürgen Gansel, NPD: Das hilft nicht gegen linke Pflastersteine!)

Ihr eigener Koalitionspartner schlägt Alarm, Uniformteile in Größenordnungen werden wohl vernichtet werden. Schade ist, dass die Zielrichtung der Liberalen genau das Falsche ist. Statt zu kritisieren, dass völlig unnötige Millionen in neue blaue Uniformen gesteckt werden – es ruckelt und stottert beim Umtausch –, fordert die FDP – wen überrascht es? – die Privatisierung jetzt und schnell.

Dass es zukünftig den Freistaat ein paar Millionen mehr kostet, wenn ein Privatunternehmen die Bekleidungsausrüstung der sächsischen Polizei übernimmt, ist für unsere Freunde der Hotellobby unerheblich, Hauptsache privatisiert – es steht ja so im Koalitionsvertrag – und der Lobbyismus ist gepflegt.

Ich will aber auch eine wichtige Neuanschaffung bei der sächsischen Landespolizei nicht unerwähnt lassen: Ein neuer Hubschrauber für 6,5 Millionen Euro und ein neuer Wasserwerfer wurden auch schon erprobt.

(Jürgen Gansel, NPD: Das ist in Connewitz vielleicht zweckmäßig!)

Inwieweit die Anschaffung dringlich ist, wage ich nicht einzuschätzen. Aber ob die hier angeführten Millionen mit den Streichplänen beim Personal zu vereinbaren sind, ist zumindest diskussionswürdig.

(Volker Bandmann, CDU: Wenn Sie beim Hochwasser in der Nähe gewesen wären, hätten Sie es sehen können!)

Wir sprechen zwar heute nicht über den Haushaltsplan 2011/2012,

(Zurufe der Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE, und Volker Bandmann, CDU)

jedoch möchte ich darauf hinweisen, dass es dort einen Haushaltstitel gibt – ich bezeichne ihn zum besseren Verständnis mit „Kosten für Polizeikräfte aus anderen Bundesländern zum Einsatz in Sachsen“, der sich –

(Zurufe der Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE, und Volker Bandmann, CDU)

Herr Bandmann, Sie können gern noch zuhören!

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

vom Ansatz her 2010 verdoppelt hat. Ich hoffe nicht, um den Personalabbau bei der sächsischen Landespolizei

mit Kräften aus anderen Bundesländern zu kompensieren. Es bleibt eine Tatsache, dass mit erheblich weniger Personal zumindest die gleichen Aufgaben erfüllt werden müssen.