Protocol of the Session on September 1, 2010

Herr Tillich selbst hat gesagt, dass 2010 zwar weniger Menschen und eine geringere Fläche betroffen sind; im konkreten Fall seien die Schäden aber vergleichbar mit jenen von 2002. Wenn das so ist, dann muss man heute auch in vergleichbarer Weise helfen.

Davon aber, Herr Ministerpräsident, kann bislang keine Rede sein. Erst vor wenigen Tagen hat sich Innenminister Markus Ulbig noch einmal mit den Bürgermeistern der betroffenen Städte und Gemeinden getroffen. Aber deren eindeutige Botschaft hat er ganz offensichtlich nicht verstanden.

Herr Ulbig, es ist mir ein absolutes Rätsel, wie sich jemand, der 2002 Oberbürgermeister von Pirna war, das von der Flut hart getroffen wurde und dabei die Welle der Hilfsbereitschaft von Bund, Land und vielen Spendern erfahren hat, heute so ignorant gegenüber den Sorgen und Nöten der jetzt betroffenen Menschen und Kommunen verhalten kann. Verantwortungsbewusstsein sieht anders aus.

(Beifall bei der Linksfraktion sowie vereinzelt bei der SPD und der NPD)

Was die bisher bereitgestellten Hilfen anbelangt, so spricht eben nicht nur der Görlitzer Oberbürgermeister zu Recht von einem Tropfen auf den heißen Stein. Als ich über eine Pressemitteilung erfuhr, dass die Landesregierung nach tagelangem Zögern über ein Sofortprogramm nun doch Bargeld bereitstellen wolle, habe ich das als ersten Schritt in die richtige Richtung begrüßt. Bei näherer Betrachtung allerdings sind die 5 Millionen Euro ein

absoluter Hohn, zumal die Hälfte davon über das FAG, also von den Kommunen, finanziert werden soll. Das Land gibt also – das zeigt eine genaue Betrachtung – tatsächlich nur 2,5 Millionen Euro an Bargeldzuschüssen. Das entspricht in etwa 0,3 % der ermittelten Schadenssumme. Wer das medial als wirksame Unterstützung verkauft, ist wirklich nicht von dieser Welt.

(Zuruf von der NPD: Sehr richtig! Das ist ein Witz!)

Auch die Kommunen können die Schäden nicht allein bewältigen. Herr Tillich, man kann sich nicht auf Bilanzpressekonferenzen mit einer Neuverschuldung null auf Landesebene brüsten, aber zugleich die Kommunen in die Verschuldungsfalle zwingen, weil sie die Eigenanteile zur Beseitigung der Flutschäden eben nur durch neue Kredite aufbringen können.

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei der SPD)

Nachdem er tagelang völlig abgetaucht war – Herr Morlok, jetzt sind Sie dran –, meldete sich auch der Wirtschaftsminister irgendwann endlich zu Wort und verkündete die Bereitstellung von Hochwasserhilfen für kommunale Straßen – ein Programm, das in der Tat dringend erforderlich wäre. Herr Morlok erweckte dabei den fälschlichen Eindruck, die Staatsregierung sei endlich bereit, wirklich Geld für Flutschäden der Kommunen lockerzumachen. Tatsächlich aber präsentierte er der Öffentlichkeit eine Mogelpackung, weil die Beseitigung der eingetretenen Schäden aus den ohnehin im Haushalt des Landes für die Sanierung kommunaler Straßen ausgewiesenen Mitteln finanziert wird. Das Geld fehlt an anderen Stellen im Freistaat Sachsen; das wissen Sie ganz genau. Es wird also kein einziger Euro zusätzlich bereitgestellt. Doch genau das wäre notwendig.

(Widerspruch des Staatsministers Sven Morlok)

Sie können das dann gern klarstellen.

Wir bleiben generell dabei: Das Land muss seinen Beitrag deutlich erhöhen. Dafür gibt es aus unserer Sicht auch Möglichkeiten.

Herr Tillich, Sie haben vorhin den Fonds von 2002 angesprochen. Natürlich kann man das per Gesetz umwidmen. Wenn Sie bei der Bankenkrise in der Lage sind, ein mehrere tausend Seiten umfassendes Gesetz innerhalb von drei Tagen durch Bundestag und Bundesrat zu peitschen, dann muss es auch möglich sein, den Betroffenen hier durch eine Gesetzesänderung wirksame Hilfe zu leisten.

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei der NPD)

Ich darf auch an Folgendes erinnern: Die genaue Summe kennen wir als Opposition nicht. Aber aus diesem Fonds sind auch Zinsen angefallen. Die Rede ist von 60 oder 70 Millionen Euro. Wenigstens das Geld sollte man

unverzüglich als Direkthilfe an die Betroffenen ausreichen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Im Übrigen: Selbst die im Haushaltsgesetz Sachsens vorhandenen rigiden Bestimmungen, was die Nettokreditaufnahme angeht, lassen eine solche bei Naturkatastrophen ausdrücklich zu. Notfalls muss von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, auch deshalb, weil diesmal, anders als 2002, durch Spenden kein adäquater Anteil für die Schadensregulierung zu erwarten ist.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ministerpräsident und seine Minister haben in den letzten Tagen fast gebetsmühlenartig wiederholt, man habe doch schon 2002 gesagt, eine solche Hilfe wie nach dem damaligen Hochwasser werde es nie wieder geben. Der Staat könne nicht auf Dauer für alle Unwägbarkeiten des Lebens aufkommen.

Dazu will ich Folgendes anmerken: Alle Mitglieder der Staatsregierung haben hier vor dem Landtag einen Amtseid geleistet, in dem sie sich dazu verpflichtet haben, Schaden vom Land abzuwenden und Gerechtigkeit gegenüber jedermann zu üben. Dem Land droht aber Schaden, wenn die Regierenden die vom Hochwasser betroffenen Bürger und die Kommunen, in denen sie leben, im wahrsten Sinne des Wortes weiter im Regen stehen lassen und wirksame Unterstützungsmaßnahmen jenseits von zinsverbilligten Darlehen verweigern.

Wenn es um Gerechtigkeit geht, dann muss den jetzt vom Hochwasser Betroffenen in vergleichbarer Weise geholfen werden wie bei der Flut vor acht Jahren, auch wenn diesmal keine Wahlen vor der Tür stehen.

(Beifall bei der Linksfraktion – Ministerpräsident Stanislaw Tillich: Wir haben auch 2002 in Sachsen nicht gewählt!)

Herr Tillich, in einem allerdings haben Sie recht: Natürlich kann der Staat nicht auf Dauer auf alle Unwägbarkeiten des Lebens eingehen und dafür zahlen. Momentan aber geht es für viele um die nackte Existenz, und dabei hat das Land eine Fürsorgepflicht. Grundsätzlich müssen die Menschen auch eigene Vorsorge treffen, aber, wie gesagt, objektiv konnten viele das nicht.

Deshalb habe ich schon 2002 vorgeschlagen, eine Pflichtversicherung für Elementarschäden einzuführen, nachzulesen im Protokoll der Landtagssitzung. Auch die Verbraucherzentralen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben dies bereits vor sieben Jahren gefordert. Leider ist danach nichts in diese Richtung unternommen worden. Deshalb habe ich dieser Tage meine Forderung erneuert; denn es geht eben nicht allein um Hochwasser oder Überflutungen. Ob Blitzeinschläge, starker Hagel, Windhosen, Erdrutsche oder Lawinen – es gibt viele extreme Wetterereignisse. Prognosen gehen davon aus, dass ihre Zahl zunimmt. Jeder kann betroffen sein. Spätestens der Tornado, der zu Pfingsten über Großenhain hinweggezogen ist und schwere Verwüstungen angerich

tet hat, zeigte doch, dass sich niemand hundertprozentig sicher fühlen kann.

Wenn der Staat berechtigterweise erklärt, dass er nicht für alle Schadensfälle aufkommen kann, dann muss er zwingend dafür sorgen, dass nicht nach jeder Katastrophe erneut solche Debatten wie jetzt losbrechen. Das könnte er, indem er eine gesetzliche Pflichtversicherung einführt, und zwar bundesweit.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Dabei sollte es nicht nur um potenzielle Hochwasser, sondern um sämtliche Elementarschäden gehen. Wenn alle Grundstückseigentümer einschließlich der Unternehmen einzahlen würden, blieben die Prämien moderat. Dennoch stünde ausreichend Geld zur Verfügung, um bei Katastrophen die Schäden regulieren zu können.

Lassen Sie mich das an einer einfachen Modellrechnung verdeutlichen: Bei 10 Millionen Einzahlern – Eigenheimbesitzer, Wohnungsgesellschaften, öffentliche Einrichtungen, Kommunen, Land, kleine Firmen, große Firmen – und einem jährlichen Beitrag von lediglich 50 Euro kämen 500 Millionen Euro in die Kassen der Versicherungsunternehmen. Für die Regulierung von Schadensgroßereignissen – wenn man davon ausgeht, dass sie künftig vielleicht alle sechs Jahre auftreten – würde dann jeweils ein Betrag von 3 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Der Staat müsste nicht mehr eingreifen. Deswegen sagen wir: Es braucht jetzt endlich den politischen Willen, in diese Richtung aktiv zu werden. Herr Tillich hat hier jahrelang geschlafen! Es ist allerhöchste Zeit, über den Bundesrat aktiv zu werden. Das fordern wir in unserem Entschließungsantrag.

Ein Versicherungsgipfel – Herr Tillich, auch das will ich sagen – kann nichts entscheiden. Hier ist die Politik gefordert.

Ich habe unmittelbar nach den jüngsten Hochwasserereignissen mehrfach betont, dass jetzt nicht die Stunde von Schuldzuweisungen sei, sondern die Stunde der schnellen Hilfe. Gleichwohl müssen wir die Vorgänge vom August gründlich aufarbeiten und daraus die richtigen Lehren ziehen. Extreme Wetterlagen mit entsprechenden extremen Folgen für die Menschen in den betroffenen Regionen treten auch in Sachsen häufiger als früher auf. Es hat sich bei der neuerlichen Flutkatastrophe gezeigt, dass es insbesondere bei der Prävention sowie vor allem bei der Frühwarnung und der Kommunikation im Ernstfall noch erhebliche Reserven gibt.

Es ist aber aus meiner Sicht ziemlich billig, mit dem Finger nach Polen zu zeigen und das Hochwasser im Raum Görlitz vor allem dem Bruch des WitkaStaudamms anzulasten. Auch hier besteht Aufklärungsbedarf. Wenn es zutrifft, was Generaldirektor Walkowiak vom Turower Kraftwerk am Samstag gegenüber der „Sächsischen Zeitung“ dargestellt hat, dass der Hochwasserscheitel durch Görlitz etwa 100 Millionen Kubikmeter Wasser mit sich führte und davon nach bisherigen Berechnungen lediglich vier Millionen aus dem Witka

Stausee kamen, dann stellen sich in der Tat einige Fragen neu, und diese müssen in erster Linie wir bei uns auf deutscher Seite beantworten.

Auch bei uns gehört das Talsperrenmanagement auf den Prüfstand. Es muss über die normalen Füllhöhen der Stauseen ebenso gesprochen werden wie über das rechtzeitige kontrollierte Absenken des Wasserstandes.

Dass durch ein solches Vorgehen Schäden vermieden werden sollen, darin sind wir uns ja wohl einig. Deshalb plädiere ich auch für eine genaue Untersuchung der Vorgänge an der Talsperre Stollberg bei Chemnitz, wo von Bewohnern der untenliegenden Orte schwere Vorwürfe erhoben wurden und die Aussagen der zuständigen Behörden über die Entscheidung zum Ablassen größerer Wassermengen auch ziemlich widersprüchlich sind.

Unbestritten ist wohl, dass einige Kommunikationsstränge bei der Vorwarnung nicht funktioniert haben. Auch hier müssen die Ursachen ermittelt und möglichst schnell abgestellt werden. Ich finde, es kann einfach nicht sein, dass zwischen den Bürgermeistern von Görlitz und Zgorzelec in kritischen Situationen keine Telefonverbindung zustande kommt, weil man offenbar nicht einmal die Telefonnummer der anderen Seite hat. Das sind Dinge, die schnell geklärt werden müssen.

(Volker Bandmann, CDU: Wer ist daran schuld?)

Die Fragen der Sirenen, Herr Ministerpräsident, haben Sie mit Recht angesprochen. Wir haben hier schon vor acht Jahren darüber gesprochen. Ich wünschte mir, dass die Kommunen mehr Gebrauch von den vorhandenen Programmen machen.

Aber die Staatsregierung hat auch in anderen Bereichen ihre Hausaufgaben nur teilweise erledigt. Eine Kleine Anfrage meiner Kollegin Dr. Pinka hat dies deutlich gezeigt. Als Konsequenz aus der Flut 2002 wurde zwei Jahre später in das Sächsische Wassergesetz in § 99a aufgenommen und die Verpflichtung des Landes eingefügt, einen landesweiten Hochwasserschutz-Aktionsplan zu erstellen. Zur Erinnerung, das war 2004. Dieser Verpflichtung ist die Regierung bis zum heutigen Tage nicht nachgekommen. Dazu hat der Ministerpräsident in seiner Rede heute kein einziges Wort verloren. Das allerdings verwundert kaum, denn der zuständige Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft hieß in den Jahren 2004 bis 2007 Stanislaw Tillich. Damit hat auch der heutige Ministerpräsident persönlich mitzuverantworten, dass es in Sachsen kein fachübergreifendes nachhaltiges Gesamtkonzept zur Vermeidung von Flutkatastrophen als Ergebnis zunehmender extremer Witterungslagen gibt. Es bleibt für mich die Frage, wie viele Fluten die Menschen noch erleiden müssen, bevor die Regierung beim Hochwasserschutz endlich ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt.

In den zurückliegenden Jahren – das will ich nicht bestreiten – sind viele Deiche erneuert, Rückhaltebecken und Schutzwände gebaut worden, aber ein Gesamtkonzept ist nicht zu erkennen. Auch die bereits geplanten Bauvorha

ben müssen aus meiner Sicht angesichts der jüngsten Ereignisse überprüft werden. Notfalls müssen dann auch neue Prioritätenlisten erstellt werden.

Auch halte ich es für unabdingbar, endlich auch die Gewässer II. Ordnung in das Hochwasserschutzkonzept vollständig zu integrieren, was derzeit nicht der Fall ist.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Es gibt noch einen letzten Punkt, der mich sehr geärgert hat und den ich hier ansprechen will. Herr Ministerpräsident, es war ein positives Zeichen, dass Sie nach dem Hochwasser die Fraktionsvorsitzenden zu einem Gespräch eingeladen und über die beabsichtigten Hilfsmaßnahmen informiert haben. Sie haben zwar unsere Forderung nach direkten finanziellen Zuschüssen in der Folge weitgehend ignoriert, aber mit diesem Gespräch, wie ich finde, zumindest ein demokratisches Zeichen gesetzt.

Danach aber begann dann wieder das alte Spiel. Zu den Vorort-Terminen des MP wurden immer jeweils die Landtags- und Bundestagsabgeordneten der CDU eingeladen und medienwirksam in Szene gesetzt.

(Zurufe von der CDU)

Das gab schließlich, meine Damen und Herren, schöne Fernsehbilder und schöne Fotos in den Zeitungen, zum Beispiel mit Herrn Kretschmer in Görlitz, mit Herrn Michel im Kirnitzschtal, in Sebnitz und in Bad Schandau.

(Unruhe bei der CDU)

Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind. Ich stelle nur fest, Vertreter der Opposition sind zu keinem dieser Termine eingeladen worden. Sie waren auch offenkundig nicht gewollt.

Um es klar zu sagen, Herr Ministerpräsident: Ich persönlich brauche keinen Begleittross der Medien, wenn ich mir vor Ort ein Bild über die Schäden mache und mit den betroffenen Menschen sprechen will. Aber wie Sie auf dem Rücken der Hochwasseropfer hier Parteipolitik betrieben haben, war schlichtweg unanständig.