Protocol of the Session on January 22, 2008

Die panische Angst der Staatsregierung vor einer Experimentierklausel im Vogtland ist völlig unbegründet. Wir als LINKE haben eine hohe Sympathie für diese regionale Initiative aus dem Vogtland. Wir werden nachher mit einem entsprechenden Änderungsantrag versuchen, den Vogtländischen Weg auf rechtssichere Weise umzusetzen. Im Übrigen werbe ich dafür, dass wir die entsprechenden Änderungsanträge aus den anderen Fraktionen unterstützen, auch wenn sie nicht die Qualität unseres Änderungsantrages haben.

(Oh-Rufe von der CDU und der FDP)

Wir wollen uns nicht auseinanderdividieren lassen, Kollege Bandmann. Das wird Ihnen nicht gelingen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wir werden auch den anderen Änderungsanträgen zum Vogtland bzw. zu den Kreissitzen zustimmen.

Wer sagt denn, dass die erkennbar missratene Konstruktion aus der Kreisreform 1994 unbedingt konserviert werden müsste und dass keine Kreise mehr zerschnitten werden dürfen? Niemand sagt das. Die Staatsregierung aber scheut vor diesem Schritt zurück, weil sie die Büchse

der Pandora nicht aufmachen will – das ist einfach der Grund – und weil sie dann den erhöhten Begründungsaufwand zur Neugliederung scheut.

Sinnvolle Alternativen – etwa in der Lausitz, in Nordsachsen oder im Raum Oschatz/Riesa – werden so ohne Not verbaut. Offenbar erweisen sich die Koalitionsfraktionen CDU und SPD als zu feige oder als schlicht unfähig – wahrscheinlich sind sie beides zusammen –, um sich der Denkarbeit zu unterziehen und am regierungsamtlichen Leitbild noch substanzielle Veränderungen vorzunehmen. Wir hätten das gern getan. Unsere Änderungsanträge sind nicht angenommen worden. Heute ist die letzte Chance.

Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer historischen Begebenheit enden. Zwickau war Ende des 14. Jahrhunderts eine überaus reiche Stadt.

(Staatsminister Thomas Jurk: 1952!)

Grund genug, dass Markgraf Wilhelm der Einäugige von Meißen sie in seinen Machtbereich einverleiben wollte. Das ist 600 Jahre her. Dies gelang ihm, indem er den Zwickauer Stadtrat Steussing zum Verrat überredete und als Handlanger nutzte. Steussing plauderte geheime Ratsbeschlüsse aus, säte Zwietracht im Stadtrat und – ganz nebenbei gesagt – wirtschaftete dabei geschickt in die eigene Tasche.

(Zurufe von der CDU)

Kurz darauf wurde ein neuer Zwickauer Bürgermeister gewählt: Peter Mergenthal. Dieser duldete das hinterhältige Verhalten des Stadtrates Steussing nicht. Als Markgraf Wilhelm von Meißen kurz darauf plötzlich starb, ließ Mergenthal Steussing hinrichten. So war das damals.

(Heiterkeit bei der Linksfraktion)

Zwickau konnte aufatmen – aber nur kurz. Kurz darauf traten Wilhelms Neffen dessen Nachfolge an. Es dauerte nicht lange und sie fanden die Schuldigen am Tod des Spitzels. Bürgermeister Mergenthal im Kreis seiner Ratsherren, namentlich Johannes Dithmar und die Gebrüder Gülden, wurden des Hochverrats beschuldigt und nach Meißen geladen. Meißen war damals so etwas wie Dresden heute.

(Heiterkeit bei der Linksfraktion)

Dass sie dort der Tod erwartete, wussten sie. Sie hatten ihre Totenhemden mit im Gepäck. Am 10. Juli 1407 wurden sie ohne Prozess im Zwinger der Meißner Burg geköpft. Grund genug übrigens für Meißen, heute mit zwei Stadtspaziergängen vor Ort an diese Hinrichtung zu erinnern.

(Zurufe von der CDU)

Warum erzähle ich Ihnen diese grausige Geschichte? Keine Angst, ich fordere kein Schafott, so weit gehe ich nicht. Aber ich ziehe drei Lehren daraus. Vielleicht fallen Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, im Laufe des heutigen Tages noch einige weitere ein.

Erstens. Vor 600 Jahren brauchte wahrlich niemand eine Kreisgebietsreform. Dass dies heute ganz anders ist und wir Hunderte Seiten öder Gesetzestexte in Dutzenden von Stunden durchackern müssen, ist eine nicht zu unterschätzende zivilisatorische Errungenschaft.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Diese Erkenntnis sollte uns über die 70-stündigen Beratungen des Innenausschusses und die der beiden Beratungstage gestern und heute tröstlich hinwegsehen und die Plenarwoche gut überstehen lassen.

Zweitens. Machtansprüche und Intrigenspiele haben letztendlich noch immer die Gebietszuschnitte bestimmt.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Vor 600 Jahren brauchte wahrlich niemand ein Leitbild, da gab es derbere Methoden. Ich habe sie eben genannt. Seinerzeit wäre auch niemand auf die Idee gekommen, 70 Stunden lang in irgendeinem Ausschuss zu beraten und im Prinzip mit dem gleichen Ergebnis herauszukommen, wie er hineingegangen ist.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Heute geht es mit Leitbild, Anhörungen und parlamentarischen Beratungen wesentlich zivilisierter zu, Herr stellvertretender Ministerpräsident Jurk.

(Staatsminister Thomas Jurk: Gehen Sie einmal auf 1952 ein.)

Das ist ein Gewinn. Habe ich sie verteidigt? Ich habe sie nicht verteidigt. Aber täusche sich niemand. Letztendlich haben noch immer die geballten Machtansprüche der Oberen die administrativen Grenzen bestimmt, natürlich auch 1952, da gebe ich Ihnen gern recht – seinerzeit die der Markgrafen, Fürsten und Bischöfe, heute die der Fachminister, der Landräte und der Oberbürgermeister,

(Beifall bei der Linksfraktion)

damals, wenn es gut lief – das ist natürlich schön –, auch mit dieser oder jener Heirat, wenn es weniger gut lief wie in Zwickau, das Schwert oder das Schafott. Damals und heute ist das Ergebnis aber genauso weit offen, wie weit das Kräfteparallelogramm der Macht reicht. Da hat sich in 600 Jahren nichts geändert.

Drittens und letztens. Wer prosperierenden Städten wie Zwickau oder auch Plauen an den Kragen will, der wird übel enden,

(Beifall bei der Linksfraktion)

nun zwar nicht mehr auf dem Schafott – das ist auch gut so –, wohl aber auf den harten Bänken des Verfassungsgerichtshofes in Leipzig.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei der FDP und den GRÜNEN)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Frau Weihnert, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist der Sache angemessener, wenn wir wieder zur Sachlichkeit zurückkehren.

(Beifall bei der CDU)

Die vorgeschlagene Kreisgebietsreform ist ein nicht zu trennender Teil der gestern verabschiedeten Verwaltungsneuordnung im Freistaat. Die Kreisgebietsreform ist kein Selbstzweck, sondern sie muss sich aus diesem Gesamtansatz legitimieren lassen. Die Verfassungsgerichte fordern von uns, dass wir zum einen zwingende Gründe des öffentlichen Wohls nachweisen und gleichzeitig die Kommunen insgesamt im Gesetzgebungsprozess ausführlich dazu hören. Die Gründe des öffentlichen Wohls können dabei unterschiedlicher Art sein. Es ist Sache des Gesetzgebers, sie auszuwählen und zu konkretisieren und in einer Abwägung von Alternativen darüber zu entscheiden.

Im Zuge dieses Abwägungsprozesses ist es notwendig, sich für ein Leitbild mit definierten Kriterien, für eine Anzahl von Kreisen und deren konkrete Zuschnitte sowie jeweils für eine Kreisstadt zu entscheiden. Wenn man sich dann im Rahmen der gesamten Diskussion und Abwägung nach unterschiedlichsten Etappen – viele sind benannt, ich brauche gar nicht noch einmal daran zu erinnern – wie Freiwilligkeitsphase, öffentliche Anhörung und auch Diskussion im Innenausschuss –, dann für einen Vorschlag entscheidet – im Übrigen sind wir dazu laut Verfassung verpflichtet, das wissen auch Sie –, heißt dies weder, wir würden die Argumente von Bürgern und Bürgermeistern ignorieren, die bis zum Schluss aus ihrer Sicht alternative Vorschläge machen, noch bedeutet dies für uns, diese Regionen oder Gemeinden würden ins Abseits gestellt.

Ich habe persönlich und auch – ich weiß – sehr viele von uns in diesem Haus haben sehr großen Respekt vor jedem Landrat oder jeder Landrätin und Bürgermeister(in), der bzw. die mit fairen Mitteln gemeinsam mit seinem Kreisrat oder Stadtrat und Bürgern bis zum Schluss aus deren Sicht Alternativen vorschlägt. Ich nehme aber auch für die Koalition und ganz besonders für mich in Anspruch, die Vorschläge der Staatsregierung, der Kommunen und der Bürger ausführlich beraten und im Einzelnen abgewogen zu haben – in vielen Gesprächen vor Ort, in den Arbeitskreisen, in den Fraktionen wie auch im Ausschuss. Allein über die Frage des Vogtländischen Weges haben wir zum Schluss über acht Stunden beraten, und dann wird uns noch vorgeworfen, dass wir nur beraten haben. Lieber Kollege Friedrich, ich glaube, das ist schon in sich schizophren.

Ein wochenlanger Sitzungsmarathon des Innenausschusses und viele Tage Expertenanhörung sprechen eine klare Sprache. Auch ich möchte mich deshalb bei allen Mitstreitern im Innenausschuss trotz mancher gegenteiliger Meinungen in Sachfragen für das konstruktive Miteinander bedanken. Bedanken möchte ich mich auch bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, dem Ausschusssekretariat, dem Stenografischen

Dienst, dem Juristischen Dienst und den Vertretern der Ministerien und Beratern der Fraktionen. Wir alle hatten ein hartes Pensum zu bewältigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns alle einig: An einer Reform führt kein Weg vorbei. Jeder weiß um die Rahmenbedingungen bis 2020: Bevölkerungsprognose, geringeres Verwaltungsaufkommen, geringere Finanzkraft, Wegfall der Solidarpaktmittel. Dieser notwendige Konsolidierungsbedarf unserer bisherigen Verwaltungsstruktur, staatlich wie kommunal, muss in ein langfristiges Konzept bis 2020 eingebettet sein. Nur so schaffen wir es, die notwendigen Synergien ohne Kündigungen zu erreichen. Dies ist nicht zuletzt auch im Interesse der Beschäftigten und damit auch der Bürger. Der Freistaat ist dringend gehalten, sich auch landesplanerisch fortzuentwickeln, ohne an der verfassungsrechtlich verbürgten Existenz von Landkreisen zu rütteln.

Mit dem Sächsischen Verwaltungsneuordnungsgesetz werden zahlreiche Landesaufgaben kommunalisiert, und es wird mehr Verantwortung in kommunale Hände gegeben. Damit ist diese Reform eine Stärkung der kommunalen Ebene und sichert gleichzeitig auch in demografischer, aber auch in fiskalischer Hinsicht deren Bestand. Mehr Aufgaben bedeutet aber auch leistungsfähigere gebietliche Einheiten, die den genannten Veränderungen Rechnung tragen und langfristig ausreichend Verwaltungskraft entwickeln, um diese Aufgaben übernehmen zu können.

Meine Damen und Herren! Meine Fraktion steht durchaus im Wort bei der kommunalen Ebene, dass – anders als zur Kreisgebietsreform 1995 –, nicht nur eine Gebietsreform, sondern auch eine Aufgabenkommunalisierung kommt. Gleichzeitig – auch das wurde diskutiert – wird die Rechtsfrage aufgeworfen, ob nun nach einem guten Jahrzehnt eine mehrfache Neugliederung verfassungsrechtlich zulässig ist. Wir haben dies beraten. Damals ging es aber darum, die überkommenen kleinteiligen Verwaltungsstrukturen aus DDR-Tagen zu überwinden und den Verwaltungsaufbau des Freistaates erstmals grundhaft zu ordnen. Dieser Sonderfall sowie die damals noch nicht vorhersehbaren demografischen Entwicklungen und die Übertragung der neuen Aufgaben erlauben uns nicht nur, sondern zwingen uns gerade, eine Neugliederung vorzunehmen. Wir als Gesetzgeber müssen die Leistungsfähigkeit der Verwaltung im Blick behalten und unsere Maßnahmen darauf ausrichten, dass sie gestärkt wird.

Ein weiteres Gebot des Gemeinwohls ist auch, die Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung zu sichern. Es obliegt allen Verwaltungsträgern, ein angemessenes Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag herzustellen und möglichst auf Dauer zu sichern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei einer gebietlichen Neuordnung ist der Gesetzgeber gehalten, die verschiedenen Interessen und Rechtspositionen, die durch die Reform berührt werden, miteinander abzuwägen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und

der meisten Landesverfassungsgerichte steht dem Gesetzgeber ein erheblicher Einschätzungsspielraum zu, soweit es um die Ziele der Reform, die Gewichtung der verschiedenen Belange und die Prognose der künftigen Entwicklung geht. Ich bitte hier insbesondere die Opposition, einmal zuzuhören, Herr Zastrow, auch Sie.