Den Fraktionen wird für die allgemeine Aussprache das Wort erteilt. Es beginnt die Fraktion der CDU, danach Linksfraktion, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Meine Damen und Herren! Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass die Fraktion der CDU das Wort nimmt. Herr Bandmann, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern haben wir die Funktionalreform beschlossen, damit auf den parlamentarischen Abschluss hingewiesen und diese Reform auf den Weg gebracht. Ich sprach davon, dass es einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Funktional- und Gebietsreform gibt. Wir halten diese Reform für zwingend notwendig. Die CDU-Fraktion hat sich ändernden Rahmenbedingungen zugewandt. Wir haben diese Rahmenbedingungen ausführlich und umfassend diskutiert. Wir kommen im Ergebnis nicht umhin, uns der demografischen Entwicklung, den rückläufigen Einnahmenerwartungen, dem verschärften internationalen Wettbewerb und dem umfassenden Wandel sozialökonomischer Rahmenbedingungen einfach zu stellen, ob es uns passt oder nicht.
In unserer Verantwortung für das Wohl des Freistaates Sachsen ist dies auch ureigenste, uns übertragene Aufgabe. Ziel ist es, die neu zu schaffenden Strukturen so auszugestalten, dass die Gebietszuschnitte über das Jahr 2020 hinaus Bestand haben. Die zahlreichen neuen Anforderungen und Bedingungen für den Freistaat Sachsen und die kommunale Ebene lassen uns keinen Spielraum. Das Gemeinwohlinteresse hat Vorrang, zukunftsfähige Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Annahmen von 1990/91 gelten heute nicht mehr. Mit der umfassenden Kommunalisierung müssen auch leistungsfähige Einheiten auf der Kreisebene geschaffen werden.
Unbestritten haben wir der Anhörung im September 2007 entnommen, dass auch die Funktionalreform und die Kommunalisierung von weit über 4 100 Stellen mit in die Abwägung für das Gemeinwohlinteresse der Kreisgebietsneugliederung einbezogen werden darf. Die bisherigen Gebietszuschnitte und Reformschritte in den Neunzigerjahren stehen dem Vorhaben einer nunmehrigen Neugliederung des Gebietes der Landkreise nicht entgegen. Gründe des Gemeinwohls, die eine Gebietsreform zulassen oder sogar fördern, werden vom Verfassungsgericht nicht strikt vorgegeben. Die Festlegung und Konkretisierung dieser Grundsätze obliegt im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bindung uns, also dem Gesetzgeber. Wir sehen uns damit in der Position bestätigt, dass als Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen und schwieriger werdenden Rahmenbedingungen eine Stärkung der Verwaltungskraft vor Ort der einzig Erfolg versprechende Weg ist. Dies bedeutet aber eben auch Gebietsreform.
Entscheidungen in den dann größeren Landkreisen bieten dennoch die nötige Ortsnähe, weil die Menschen regional näher dran sind als an den bisherigen Regierungspräsidien. Ich darf auch hier auf den allgemeinen Teil der Begründung der Kreisgebietsneugliederung verweisen. Wir machen uns die Ausführungen der Staatsregierung an dieser Stelle zu eigen und haben aufgrund der Abwägungsprozesse weitere Anmerkungen und Ergänzungen in der parlamentarischen Beratung ausdrücklich hinzugefügt. Um den Anforderungen an die mehrstufige Gemeinwohlkonkretisierung gerecht zu werden, schloss sich nach der Auseinandersetzung um die Fragen der sich ändernden Rahmenbedingungen und die Konkretisierung der verfolgten Gemeinwohlziele dies in Leitbildern und Leitlinien der Reform an. Wir sehen uns durch die Sachverständigen bestätigt, dass der Gesetzentwurf in umfas
sender und erschöpfender Weise eine Leitbilddebatte abbildet und diese Debatte im parlamentarischen Verfahren ausreichend geführt wurde. Diese haben wir in den vielen Beratungen des Innenausschusses – und alle, die daran beteiligt waren, wissen das – aufgenommen und fortgeführt. Die Protokolle liegen allen im Hohen Haus vor.
Wenn der Gesetzentwurf die Bildung neuer, größerer Landkreise und die Einkreisung bisher kreisfreier Städte vorsieht, dann handelt es sich unbestritten um einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung. Deshalb haben wir es uns auch nicht leicht gemacht und die Alternativen sehr gründlich geprüft, die Gegenstand der schriftlichen Anhörung, der Stellungnahmen und der mündlichen Anhörung in der ersten Septemberwoche des letzten Jahres waren.
Die Beibehaltung der gegenwärtigen Struktur von 22 Landkreisen und sieben kreisfreien Städten bildet eben keine Grundlage dafür, eine vor allem auf Dauer zukunftsfähige Verwaltung zu gestalten. Aspekte, die für die Bildung neuer, größerer Landkreise und die Einkreisung bisheriger kreisfreier Städte sprechen, sind die steigenden Kosten der Verwaltung, das Schultern der durch die Funktionalreform übertragenen Aufgaben, sinkende finanzielle Zuweisungen und alle anderen Rahmenbedingungen, die sich ändern; denn eines ist auch sicher: Es wird keine erhöhten Zuweisungen vom Freistaat und auch keine höheren Zuweisungen für den Freistaat geben. Man kann es gar nicht oft genug aussprechen: Wir müssen mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln den größten Effekt erzielen und vor allem auch mit diesen Mitteln auskommen und die größte Zukunftsvorsorge sichern. Das ist das Kernziel dieser Reform.
Eine zentrale Rolle hat die Frage eingenommen, ob nicht fünf Großkreise eine sinnvolle und zukunftsfähige Struktur darstellen. Ein Sachverständiger hielt diese Struktur durchaus für rechtmäßig und für Sachsen vorstellbar. Doch auch wenn eine solche Lösung an den Rand des möglicherweise verfassungsrechtlich Zulässigen gegangen wäre, war es richtig, auf die Bildung von nur fünf Großkreisen zu verzichten.
Im Vordergrund stand für uns der zu befürchtende Demokratieverlust. Die Menschen wollen uns persönlich noch kennen und die Menschen sollen auch ihren Landrat in Zukunft noch persönlich kennen. Die Identität mit den gewählten Vertretern ist eine wichtige Frage im ganzen Land und das zeigen immer wieder die Diskussionen.
Das Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern, die Aufhebung der dortigen Reform durch das Urteil des Verfassungsgerichtes, zeigt uns eben, dieser Weg aus Mecklenburg-Vorpommern ist kein sächsischer Weg.
Wir haben uns die Frage gestellt, ob es sich bei der Reform gegebenenfalls um eine Mehrfachneugliederung handelt. Im Ergebnis der Beratung sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass eine solche nicht vorliegt. Die jetzt durchgeführte Gebietsreform stellt den zweiten Teilschritt einer umfassenden Reform dar. Zunächst ging es darum,
nach der friedlichen Revolution und der glücklichen Wiedervereinigung unseres deutschen Vaterlandes die vorgefundene Situation an aktuelle Anforderungen anzupassen. Jetzt befinden wir uns im zweiten Stadium. Der Gesetzgeber muss diese Strukturen zukunftsfähig machen. Dabei müssen wir uns an den verfassungsrechtlichen Grundsätzen, die auch vom Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern aufgestellt wurden, messen lassen.
Die erste Reform erfolgte in der Zeit des Umbruchs. Zu Recht haben uns Sachverständige darauf hingewiesen, dass man in dieser Phase dauerhafte bestandskräftige und umfassende Neugliederungen noch nicht erwarten konnte. Jetzt geht es um die Schaffung von Strukturen, die dauerhaft den sich ändernden Rahmenbedingungen gewachsen sein müssen.
Wir haben uns in Auswertung der Anhörung mit dem Verhältnis zwischen den Zielvorstellungen auf der einen Seite, Effizienz und Rationalität auf der anderen Seite, dem Anliegen bürgerschaftlicher Selbstverwaltung – um nur diesen Schwerpunkt zu nennen – ausführlich auseinandergesetzt und dies umfassend diskutiert.
Wir sind der Überzeugung, dass die immer wieder auftauchenden Leitlinien, insbesondere die wichtigen Aspekte der Bürgernähe, die demokratische Partizipation, die ausreichende Möglichkeit zu bürgerschaftlicher und vor allem ehrenamtlicher Selbstverwaltung, aber auch örtliche Traditionen verfassungsrechtliche Aspekte kommunaler Selbstverwaltung darstellen. Über das Grundgesetz und die Landesverfassung wird den Bürgern eine Teilnahme an den Angelegenheiten des Gemeinwesens eröffnet.
Das Verfassungsgericht in Mecklenburg-Vorpommern betonte sehr stark bürgerschaftliche Selbstverwaltung. Aus diesem Grunde sieht das Verfassungsgericht dort die Bildung von Großkreisen als verfassungswidrig an. Das Gericht ging insbesondere davon aus, dass bei Großkreisen eine eigenverantwortliche Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht mehr möglich ist. Damit könne eine Aktivierung der Beteiligung für ihre eigenen Angelegenheiten nicht mehr geschehen.
Das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt geht davon aus, dass Gründe des Gemeinwohls eine Eingliederungsmaßnahme dann rechtfertigen, wenn sie die Kommune oder den Landkreis in die Lage versetzen, ihre Aufgaben aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes bzw. der Landesverfassung erfüllen zu können. Das Gemeinwohl verlangt danach, Kommunen bzw. Körperschaften zu bilden, die hierzu effektiv in der Lage sind.
Natürlich haben wir uns im Abwägungsprozess fachlichen Rat geholt. Das ist überhaupt keine Frage. Wir gehen davon aus, dass die gewählten Strukturen der künftigen Landkreise und kreisfreien Städte im Freistaat Sachsen mit einer Mindesteinwohnerzahl von 200 000 Einwohnern dies berücksichtigten. Diese Strukturen sind verfassungsmäßig und sie sind geeignet, dauerhafte leistungsstarke Strukturen zu schaffen.
Einzubeziehen in die Überlegung zur Veränderung des Gebietes der Landkreise war natürlich die Frage, ob es bessere oder gleich geeignete Alternativen gibt, die ein milderes Mittel darstellen. Zu diskutieren waren dabei Kooperationsformen, ohne jetzt schon ein bestimmtes Kooperationsmodell zu thematisieren.
Wenn man sich die Zweckvereinbarung nach § 71 des Sächsischen Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit genauer anschaut, stellt man fest, dass es sich nur auf konkrete, bestimmte Aufgaben bezieht, die von einer Körperschaft wahrgenommen werden können. Wir haben aber diskutiert, ob Kooperationsmodelle geeignete Mittel zur Gewährleistung umfassender Kommunalisierungsansätze sein können, und sind immer wieder an deren Grenzen gestoßen.
Die im Sächsischen Gesetz über kommunale Zusammenarbeit geschaffenen Kooperationsformen sind auf ganz spezielle gemeindliche Aufgaben zugeschnitten.
Auch dafür sind sie richtig, dafür sind sie notwendig und dort müssen sie nach unserer Überzeugung auch beibehalten werden.
Sie sind allerdings nicht eingerichtet und nicht geeignet für eine vollständige Aufgabenübertragung. Zentraler Punkt in der Überlegung, ob solche Kooperationsmodelle zulässig sind, war für uns zum einen die Einräumigkeit der Verwaltung und zum anderen die demokratische Legitimation und Verantwortlichkeit. Das heißt, die Verantwortung muss klar sein und ihr muss auf der anderen Seite eine klare Kontrolle gegenüberstehen.
Eines ist aus unserer Sicht allen Kooperationsmodellen gleichsam behaftet: Sie basieren auf Freiwilligkeit. Das heißt, ich kann mit diesen Modellen keine abschließende Sicherheit über eine Situation bekommen. Scheitert ein Kooperationsmodell auch nur an einem einzigen Punkt, dann ist die Situation nicht dadurch zu bereinigen, dass ich sie auf das zugrunde liegende Leitbild zurückführe, da die Struktur vorher nicht existiert hat. Es bleibt eine nicht geklärte Situation. Und es bliebe eine Situation in einer bestimmten Region, die mit dem Gesamtleitbild der Reform nicht vereinbar wäre.
Die CDU-Fraktion sieht aber gerade die Notwendigkeit von dauerhaften Lösungen, die Sicherheit für die Bürger bringen. Uns als Koalition ist das Demokratieprinzip sehr wichtig. Kooperationsmodellen fehlt es ganz eindeutig an der demokratischen Legitimation für die Ausübung der öffentlichen Gewalt.
Ein Beispiel sei einfach genannt. Der Amtsträger, der Landrat oder der Oberbürgermeister, wird von den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern in einer Gebietskörperschaft gewählt. Das Amt verpflichtet den Inhaber zur Rechenschaft über die Ausübung des Amtes. Bei einem Kooperationsmodell, bei dem eine Aufgabenerfüllung nur einmal ausgeführt und auf verschiedene Körperschaften verteilt werden soll, gibt es keine Möglichkeit der Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger der
Dieses Beispiel zeigt die Defizite dieser Vorschläge. Die sind einfach nicht von der Hand zu weisen, zumal die Aufteilung der Aufgaben – und das wird ja in dem Kooperationsmodell des sogenannten Vogtländischen Weges vorrangig beschrieben – auf Landkreise und kreisfreie Städte erfolgen und dieser Aufgabenbereich nur einmal erfüllt werden soll. Damit klafft eine Lücke zwischen Zuständigkeitsbereich der Verwaltung und Bevölkerung des Gebietes, wo die demokratische Legitimation für die Amtsträger eben durch die Wahlen herkommt.
Natürlich waren die Sachverständigen unterschiedlicher Auffassung. Wenn der Kollege von der linken Seite hier meint, es sind Ausreden, dann werde ich Ihnen das im Detail noch am Beispiel der verschiedenen vorgeschlagenen Vogtländischen Wege deutlich machen. Ihr Modell litt ja in der Tat gerade an dem größten Mangel. Aber dazu kommen wir noch.
Die CDU-Fraktion haben wiederum die Sachverständigen überzeugt, die das Inkrafttreten einer Neugliederungsmaßnahme aus Rechtssicherheits- und Legitimationsgründen nicht in das Ermessen der beteiligten Gebietskörperschaften stellen. Rechtssicherheit bedeutet eben auch, dass keine rechtlichen Unsicherheiten bleiben oder dass gar der Gesetzgeber diese rechtlichen Unsicherheiten noch per Gesetz festschreibt. Wir sind der Auffassung, dass die Neugliederung eines Kreisgebietes nicht abhängen kann von freiwilligen Vereinbarungen über eine Kooperation von Aufgaben, die dann mehr oder weniger unverbindlichen Charakter haben.
Dass dabei Kooperationsmodelle als solche sehr sinnvoll, richtig und zukunftsfähig sind, wie sie im Sächsischen KomZG enthalten sind, das ist unbestritten und steht außer Frage. Das ist auch hier nicht das Thema. Sie beziehen sich aber eben nur auf ganz konkrete Einzelmaßnahmen und sind an der Stelle begrenzt.
Mit der gesetzgeberischen Gebietsänderung des Gebietes eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt
Der Gesetzentwurf setzt sich sehr detailliert mit den Kooperationsalternativen, insbesondere sehr umfassend mit den sogenannten vogtländischen Modellen, auseinander. Sieht man sich die unterschiedlichen Wege der einzelnen Oppositionsfraktionen an, die den Plauener Weg als den Erhalt der Kreisfreiheit
der Stadt Plauen umsetzen sollen, muss man festhalten, dass der von der Staatsregierung aufgezeigte Weg der Einkreisung von Plauen und damit die Schaffung eines einheitlichen, wirtschaftlich starken Vogtlandkreises unter dem Gesamtschauaspekt keine gleichwertige Alternative findet. Die Modelle der Opposition sind im Ergebnis eben nicht konsequent.
Der von der Linken vorgeschlagene Weg der Bildung eines Kreisverwaltungsverbandes auf Landkreisebene ist uneffektiv. Es wird sozusagen eine vierte Verwaltungs- und eine vierte Bürokratieebene geschaffen. Dem Kreistag wird die Entscheidungshoheit entzogen. Diese Entscheidungshoheit geht auf diesen Kreisverwaltungsverband über, und er wird damit förmlich seiner Aufgaben und seiner Zuständigkeit entleert. Es gibt für ihn fast nichts mehr zu beschließen außer der Bildung dieses Kreisverwaltungsverbandes. Die Kontrolle wird eine Leerformel. Das zeigt: Dies kann nicht der Weg sein.
Das von der FDP bislang vertretene Modell springt am kürzesten. Es bleibt beim Vogtlandkreis und es bleibt bei der Kreisfreien Stadt Plauen; egal, ob das dem Leitbild entspricht oder nicht.
Es ist auch fraglich, welchen Vorteil das von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verfolgte Freiwilligkeitsmodell dem bereits Gesagten entgegenzusetzen hat.