Protocol of the Session on July 6, 2007

Uns ist vorgeworfen worden, die Menschen ruhigstellen zu wollen. Nein, das wollen wir nicht. Das bezwecken wir nicht mit unserer Forderung nach höheren Regelleistungen. Wir wollen, dass die Menschen mehr Geld zum Leben haben, dass die Menschen eine Grundlage haben, um menschenwürdig leben zu können. Darum geht es.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Dass aus der verdeckten Armut jetzt eine offene Armut geworden ist – na toll! Aber unter dem Strich bleibt es doch immer noch Armut, oder nicht?

Darüber hinaus wollen auch wir eine bessere Integration. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass die Hartz-IV-Gesetze zur besseren Integration das falsche Instrument sind. Darin sehen wir uns bestätigt.

Frau Orosz sagt immer wieder – auch in der Beantwortung unserer Großen Anfrage verblüffend offen –, es geht nicht um Beschäftigung, sondern um soziale Integration. Bei Herrn Krauß ist diese Erkenntnis noch nicht angekommen.

Meine Damen und Herren! Ich komme unter dem Strich zu dem Ergebnis: Das ist ein arbeitsmarktpolitisches Armutszeugnis – sowohl die Ergebnisse der HartzGesetze als auch die Art und Weise der Beantwortung unserer Großen Anfrage durch die Staatsregierung.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zu dem Ergebnis, dass die Hartz-Gesetze gescheitert sind. Die rühmlichen Instrumente, die neu eingeführt wurden, wie zum Beispiel PSA und Ich-AG, sind ja dann en passant wieder abgeschafft worden. Ein-Euro-Jobs sind gescheitert. Viele Frauen stehen ohne eine eigene Existenzsicherung da. Jugendlichen wird das Recht auf eine eigene Wohnung verwehrt, sie werden im „Hotel Mama“ in Unmündigkeit gehalten.

(Angelika Pfeiffer, CDU: Wie sollen sie sich eine Wohnung leisten?)

Von den Ankündigungen zu Beginn, dass jedem Jugendlichen ein Angebot unterbreitet werden soll, um seine

Integration zu verbessern, sind wir auch weit entfernt. Auch von der Ankündigung, dass Langzeitarbeitslose jetzt besser betreut werden sollen, kann ich überhaupt kein Ergebnis sehen. Sie können alle Statistiken zu Betreuungsschlüsseln abfragen. Dann werden Sie feststellen, dass es mitnichten zu einer besseren Betreuung von Langzeitarbeitslosen gekommen ist.

Meine Damen und Herren! Wir wollen nicht zurück zur alten Regelung. Das ist absurd. Das werden Sie in unserem Antrag auch nicht finden. Die Linksfraktion möchte tatsächlich die Einführung einer repressionsfreien Grundsicherung; ich betone das. Genau deshalb sind die HartzGesetze auch die falsche Grundlage für eine wirkliche Grundsicherung, die diesen Namen verdient.

Meine Damen und Herren! Wir haben zahlreiche Änderungsvorschläge gemacht. Nachher wird mein Kollege Karl-Friedrich Zais noch auf unsere Änderungsvorschläge eingehen, damit uns hier niemand vorwerfen kann, dass wir immer nur die Hartz-Gesetze kritisieren und keine eigenen Vorschläge einbringen können. Wir haben Hartz IV sehr oft in diesem Landtag thematisiert. Wir haben viele Änderungsvorschläge gemacht und unter dem Strich auch versucht, das konstruktiv zu begleiten, um im Interesse der Betroffenen noch das Beste herauszuholen. Insofern möchte ich an dieser Stelle bereits um Zustimmung für unseren Antrag werben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wünschen die Fraktionen dazu noch einmal die Aussprache? – Das kann ich nicht erkennen. Dann frage ich die Staatsregierung. Frau Staatsministerin Orosz, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Auch ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen kurz auf die Situation auf dem Arbeitsmarkt eingehen. Es ist heute schon vielfältig diskutiert worden, dass wir in der Tat erfreulicherweise feststellen können, dass sich in den letzten Monaten diese Entwicklung positiv gestaltet. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nimmt nach wie vor zu und die Zahl der Arbeitslosen ist auch im Juni wiederum deutlich gesunken; in Sachsen um 43 000 auf 312 000 Personen. Demzufolge ist die Arbeitslosenquote bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen auf 14,3 % gesunken.

Allerdings zeigt sich in der Tat diese erfreuliche Entwicklung nicht in allen Segmenten des Arbeitsmarktes und, wie wir wissen, auch nicht in allen Regionen von Sachsen gleichermaßen.

Die Zahl der Personen der Bedarfsgemeinschaften mit Bezug von Arbeitslosengeld II verbleibt nach wie vor auf hohem Niveau. Deshalb bleiben die sogenannten HartzGesetze auch ein zentrales politisches Thema. Die Sächsische Staatsregierung agiert hier in Größenordnungen mit

eigenen Förderprogrammen und Unterstützung der kommunalen Verantwortungsträger.

Darüber hinaus leisten wir auch eine Art Prozessbeteiligung, Evaluierung in vielfältigen Gremien und Arbeitsgruppen. In diesem Zusammenhang, Herr Dr. Pellmann, weise ich Ihre Behauptung, die Staatsregierung verharre hier tatenlos, auf das Äußerste zurück.

Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, auf ein, zwei tatsächliche Problemsituationen hinzuweisen, und auch deutlich machen, dass diese bereits in der Diskussion sind, um eventuelle Veränderungen herbeizuführen.

Grundsätzliches Ziel aller Bemühungen ist es nach Auffassung der Staatsregierung, Arbeitsuchenden einen Zugang auf den regulären Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Voraussetzung hierfür ist, dass sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Arbeitsuchenden ein reguläres Beschäftigungsverhältnis auf dem Arbeitsmarkt interessant ist.

In diesem Zusammenhang werden unter anderem auch die geltenden Regelungen für die Grundsicherung für Arbeitsuchende an mehreren Stellen fortlaufend hinterfragt. Beispiel: Wenn das Erwerbseinkommen eines Empfängers von Arbeitslosengeld II steigt, muss die aufstockende Sozialleistung abgeschmolzen werden. Eigenes Erwerbseinkommen der Leistungsempfänger wird jedoch progressiv auf die Sozialleistung angerechnet. Konkret bleiben in diesem Fall die ersten 100 Euro vollständig anrechnungsfrei.

Es ist also nachvollziehbar, wenn sich Leistungsempfänger, die im Niedriglohnbereich arbeiten, überlegen, ob es sich vor diesem Hintergrund für sie noch lohnt, ihre Erwerbstätigkeit auszudehnen, wenn zugleich Vergünstigungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen wegfallen und das zusätzliche Einkommen verstärkt auf das Arbeitslosengeld II angerechnet wird.

Nicht unproblematisch ist die von verschiedenen Stellen immer wieder geforderte Ausdehnung öffentlich geförderter Beschäftigung. Hier nenne ich expliziert den Begriff „Bürgerarbeit“, der letztlich irreführend ist, weil es eben nicht um bürgerschaftliches Engagement, sondern schlicht und ergreifend um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geht.

(Beifall bei der SPD)

Das trifft auch auf das Modell Bad Schmiedeberg zu. Die Besonderheit liegt dort lediglich darin, dass die bei der Agentur für Arbeit und der Arbeitsgemeinschaft verfügbaren Mittel in einer kleinen Kommune konzentriert werden. Das ist aber zum Nachteil der Arbeitslosen in den Nachbarkommunen.

Auch der neue Vorschlag des Kommunalkombilohnes von Herrn Bundesminister Müntefering weist dieselben Risiken auf. Es wird zwar durch viele Bemühungen unterstrichen, weiter voranzukommen, aber es ist schwierig, das Projekt „Fordern und Fördern“ tatsächlich erfolgreich zu realisieren. Es geht darum, Arbeitsuchenden einen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt zu ermögli

chen. Deshalb müssen wir immer wieder fragen und auch prüfen, wie sich solche Beschäftigungsmaßnahmen auf den Bestand von Beschäftigungsverhältnissen auf dem regulären Arbeitsmarkt auswirken.

Meine Damen und Herren! Ich finde es deshalb grundsätzlich richtig, dass die seit Längerem tätige Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“ mit Vertretern der Bundesregierung, des Bundestages und zwei Landesministern kein Modell nach dem Muster von Bad Schmiedeberg für Langzeitarbeitslose mit besonderen Vermittlungshemmnissen empfohlen hat, sondern einen speziellen Beschäftigungszuschuss für Arbeitgeber als Ausgleich der bei diesen Personen zu erwartenden Minderleistung sowie gegebenenfalls ergänzende Leistungen für begleitende Qualifizierungen. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt mittlerweile vor.

Darüber hinaus werden wir Erkenntnisse aus Evaluationen der bisherigen Arbeitspolitik weiter diskutieren, um mögliche Veränderungen von Rahmenbedingungen zu veranlassen. Konstruktive Beiträge zu dieser Diskussion nehme ich natürlich entgegen.

Ich bedanke mich an dieser Stelle für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Damit ist die Aussprache zur Großen Anfrage beendet. Es liegt ein Entschließungsantrag vor, den die Linksfraktion einbringen möchte. Herr Abg. Zais, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Orosz, besonders Ihr Schlusswort gibt mir Gelegenheit, weil Sie von den positiven Zahlen gesprochen haben, auf die Statistik einzugehen. Sie wissen – glaube nur deiner eigenen Statistik –, was Herr Krauß in seinem Redebeitrag fälschlicherweise hier dargestellt hat. Ich will Ihnen und auch dem Hohen Haus eine Grundrechnung geben, damit Sie sehen, in welcher Situation wir uns befinden.

In Deutschland gibt es 6 038 000 Arbeitsuchende, die einen Job mit einer existenzsichernden Bezahlung suchen, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Das ist die soziale Ausgangslage, Frau Orosz. Das sind ALG II- und ALG I-Bezieher. Diese beiden Gruppen machen in Deutschland sechs Millionen Arbeitslose aus. Wie kommt man dann auf 3,6 Millionen Arbeitslose? Das heißt abzüglich Ein-Euro-Jobber und Personen, die in Maßnahmen sind. Drei Millionen Menschen sind in fast prekären Arbeitsverhältnissen und können ihr Leben nicht mit eigener Arbeit und deren Verdienst bestreiten. Das sind die Hartz-Gesetze – weshalb wir dieses Gesetz als gescheitert bezeichnen und für dessen Beseitigung eintreten.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Frau Orosz, Sie wie Herr Jurk brauchen monatlich keine Arbeitslosenstatistik zu lesen, denn es gibt noch eine

Faustformel seit 17 Jahren. Darin liegt der Stillstand der Sächsischen Staatsregierung. Jeder zehnte Arbeitslose – Herr Rößler, auch in Johanngeorgenstadt gibt es besonders viele Arbeitslose – in Deutschland kommt aus Sachsen. Das heißt, wir haben in Sachsen 600 000 Arbeitsuchende.

Herr Krauß, es gibt Arbeitsplätze, das ist richtig. Wer schreibt eigentlich vor, dass die Obsternte für einen Euro absolviert werden muss – Sie?

(Zuruf von der CDU)

Ihre Fraktion? Jeder Einzelne? Woher nehmen Sie eigentlich das Recht, Herr Krauß, zu behaupten, dass man für einen Euro eine Obsternte durchführen muss?

(Alexander Krauß, CDU: Das ist kein Ein-Euro-Job!)

Was ist das für eine Moral? Wir werden dafür sorgen, dass solche Reden wie die Ihrige an die Öffentlichkeit kommen.

(Beifall bei der Linksfraktion – Widerspruch bei der CDU)

Frau Orosz, deshalb biete ich Ihnen an: Sie und ich holen sich jeweils 50 Arbeitslose in den Landtag und wir machen dazu ein Podiumsgespräch über alle Maßnahmen, die die Staatsregierung veranlasst.

(Staatsministerin Helma Orosz: Dazu brauche ich Sie nicht!)

Aber die Arbeitslosen brauchen Sie!

(Staatsministerin Helma Orosz: Aber nicht Sie!)

Mich nicht, aber die Arbeitslosen brauchen Sie, und Sie leisten nichts dazu.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)