Protocol of the Session on July 5, 2007

Den Antrag haben wir in den Ausschuss eingebracht, aber er hat für meine Fraktion einen besonderen Stellenwert. Darum rufen wir ihn hier noch einmal auf. Gestatten Sie mir hierzu ein paar persönliche Worte.

Niemand, der einmal das berüchtigte Lagertor von Auschwitz I durchschritten hat, kann die damit verbundenen Eindrücke vergessen. Jedem, der nicht völlig gefühlskalt ist, graben sich die Bilder der Schuh- und Brillenberge unauslöschlich in das Gedächtnis ein. Hier finden sich die Tatsachen in des Wortes schrecklichster Bedeutung. Die Gegenwart des von Deutschen im deutschen Namen verschuldeten millionenfachen Todes ist an keinem Ort stärker zu empfinden als dort auf den Trümmern der Gaskammern von Birkenau. Die Ermordeten mahnen die Lebenden nirgendwo eindringlicher als an der Stelle ihres schrecklichen Todes.

Kein noch so gut gemachter Film, kein noch so emotional geschriebenes Buch, keine noch so gut gemeinte Aufklärungsbroschüre kann diese Eindrücke ersetzen. Auch wenn es paradox erscheint: Geschichte, gerade eine in ihren schrecklichen Dimensionen so unbegreifliche Geschichte, kann vor Ort viel besser begreifbar gemacht werden. Auschwitz ist tatsächlich ein Lernort von besonderer Bedeutung, auch und gerade für die Nachkommen Deutschlands. Auschwitz ist ein Symbol, ein Symbol dafür, was Menschen Menschen antun können, und zugleich ein ganz realer Ort, ein Tatort.

Mit diesen notwendig schrecklichen Eindrücken sollen und dürfen die Schüler nicht allein gelassen werden. Deshalb legen wir in unserem Antrag auch Wert darauf, dass die Vorbereitung und Durchführung der Klassenfahrten nach Auschwitz unter anderem durch die Landeszentrale für politische Bildung begleitet wird. Mit der richtigen Einsetzung in den Unterricht kann eine solche Fahrt tatsächlich neben dem Erwerb des notwendigen Faktenwissens einen Beitrag zur Aufklärung über die faschistische Vergangenheit leisten, der über die bloße formalintellektuelle Aneignung des Lehrstoffes weit hinausgeht und zudem – auch dieser Aspekt ist nicht zu vernachlässigen – immun macht gegen antidemokratische und menschenverachtende Einstellung. Gerade das haben wir, glaube ich, auch nötig.

Wie aus der Antwort des SMK auf die Kleine Anfrage über die Behandlung des Holocaust im Unterricht an sächsischen Schulen hervorgeht, ist die Staatsregierung durchaus an einer fächerübergreifenden Herangehensweise bezüglich der Behandlung des Holocaust interessiert.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich bitte doch um mehr Ruhe.

Dabei heißt es wörtlich: „Es wird auf außerschulische Lernorte ausdrücklich Wert gelegt, um eine möglichst hohe Wirksamkeit bei der Vermittlung des Lehrplaninhalts zu erzielen.“

Insofern sind wir uns ja einig, denn niemand wird bestreiten, dass Auschwitz ein sehr bedeutender außerunterrichtlicher Lernort ist. Stutzig macht allerdings, dass der Staatsregierung bislang keine Studien bzw. Untersuchungen über die Wirkung der Behandlung des Holocaust im Unterricht an sächsischen Schulen vorliegen – und dies zu einer Zeit, da über alles und jedes Studien in Auftrag gegeben werden, auch über den Zustand der Jugend. Da erscheint es schon seltsam, dass über ein so fundamentales Thema für das demokratische und antifaschistische Bewusstsein der jungen Generation keine Erkenntnisse vorliegen.

Gerade angesichts der Gefahr – ohne sie unnötig dramatisieren zu wollen –, dass einige der sächsischen Schülerinnen und Schüler den faschistischen Rattenfängern auf den Leim gehen, sind hier nicht nur die Staatsregierung, nicht nur das SMK gefordert, sondern alle demokratischen Kräfte dieses Hauses und der Gesellschaft insgesamt.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Neben dem antifaschistischen und demokratischen Aspekt spricht für unseren Antrag, dass eine solche Fahrt zugleich helfen kann, durch eigenen Augenschein antipolnische Ressentiments abzubauen. Es ist eben ein Unterschied, ob die Schülerinnen und Schüler ihr Nachbarland nur dem Hörensagen nach kennen, gefiltert durch Vorurteile, oder ob sie es selbst schon besucht haben und mit Menschen des Nachbarlandes in Kontakt gekommen sind. Ähnliches gilt natürlich auch umgekehrt.

Betrachten wir die deutsch-polnischen Beziehungen der letzten Wochen, so wird deutlich, wie wichtig es ist, die historische Verantwortung auf unserer Seite stärker ins Bewusstsein zu rücken, Vorurteile abzubauen und gerade junge Menschen zueinander finden zu lassen.

(Jürgen Gansel, NPD: Sagen Sie das mal den beiden polnischen Kartoffeln!)

So wie die Sächsische Staatsregierung nicht identisch mit den Sachsen ist, darf man die polnische Bevölkerung auch nicht mit ihrer derzeitigen Regierung verwechseln.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Die steht Herrn Gansel näher als uns!)

Nun bestreite ich gar nicht, dass der „Besuch außerschulischer Lernorte, wie zum Beispiel von Gedenkstätten, Museen und Archiven, fester Bestandteil des Geschichtsunterrichts ist.“ – Zitat. Aber lassen Sie uns doch noch konkreter werden, lassen Sie uns noch einen Schritt weiter gehen.

In der letzten Zeit war in diesem Hause viel und häufig die Rede von der historischen Verantwortung auch meiner

Partei. Ich empfinde das als legitim, solange man Auseinandersetzungen demokratisch und fair führt. Aber, meine Damen und Herren von den demokratischen Fraktionen, erinnern wir uns unserer gemeinsamen historischen Verantwortung und der Verantwortung für die antifaschistische und aufklärerische Bildung der zukünftigen Generationen!

Meine Damen und Herren! Der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern hat einem ähnlich lautenden Antrag fraktionsübergreifend zugestimmt.

(Hört, hört! von der Linksfraktion)

Der Sächsische Landtag selbst ist auf Einladung des Präsidenten nach Auschwitz gefahren, um dort der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Geben wir diese Möglichkeit auch Schülerinnen und Schülern und gewähren wir den Lehrerinnen und Lehrern und den Schulklassen die entsprechende finanzielle, organisatorische und inhaltliche Unterstützung über die Landeszentrale für politische Bildung.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich beantrage deshalb eine Einzelabstimmung und bitte Sie, dem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich frage zunächst, ob es aus den anderen Fraktionen dazu noch Redewünsche gibt. – Wenn das nicht der Fall ist, kommen wir zur Abstimmung. Der Wunsch der Linksfraktion ist jetzt im Kopf etwas umzustricken, da wir über die Beschlussempfehlung des Ausschusses abstimmen.

Wir stimmen also ab über die in der Drucksache 4/9250 enthaltene Beschlussempfehlung des Ausschusses für Schule und Sport zur Drucksache 4/8493. Wer dieser Beschlussempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenstimmen! – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Beschlussempfehlung des Ausschusses mehrheitlich zugestimmt worden.

Meine Damen und Herren! Gemäß § 99 Abs. 7 der Geschäftsordnung stelle ich hiermit die Zustimmung des Plenums entsprechend dem Abstimmungsverhalten im Ausschuss für die anderen Beschlussempfehlungen fest, es sei denn, es wird ein anderes Stimmverhalten angekündigt. – Frau Herrmann.

(Elke Herrmann, GRÜNE: Ich habe Redebedarf! – Dr. André Hahn, Linksfraktion: Zu einem anderen Punkt!)

Zu einem anderen Punkt. Pardon. Jetzt waren wir schon in der Abstimmung. Aber ich gehe noch einmal zurück. Ich hatte vorher nicht noch einmal gefragt und nehme es auf meine Kappe. – Frau Herrmann, bitte, kommen Sie.

Danke, Frau Präsidentin. – Der Redebedarf war angekündigt, und zwar zu unserem Antrag „Zwangsprostitution und Menschenhandel“.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde die Diskussion, die die Koalition in dem Zusammenhang führt, schizophren. Es wird auch von der Koalition nicht bestritten, dass es sich bei diesen Delikten um Kontrolldelikte handelt. Gleichzeitig wird betont, weil wir zu wenige Fälle hätten, sei es nicht notwendig, die Maßnahmen, die wir in unserem Antrag vorschlagen, umzusetzen. Das ist genau das Dilemma, in dem wir stecken. Wenn Sie nicht kontrollieren, haben wir wenige Fälle, und das ist dann für Sie die Begründung dafür, dass wir nichts machen müssen.

Ich werde die Rede bis auf den letzten Absatz – den möchte ich Ihnen doch gern vorlesen – zu Protokoll geben.

Der Kriminalhauptkommissar a. D. Manfred Paulus, Lehrbeauftragter an der Hochschule der Polizei in BadenWürttemberg, sagte nach 15 Jahren nationaler und internationaler Ermittlungserfahrung im Deliktbereich sexuelle Gewalt gegen Kinder im Dezember 2004: „Das Hauptproblem ist die Ignoranz“. – Wir sollten in Sachsen nicht so tun, als ob wir damit kein Problem hätten.

Den Rest meiner Rede gebe ich zu Protokoll und ich bitte um Einzelabstimmung.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Wir stimmen ab über die in der Drucksache 4/9250 enthaltene Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend zur Drucksache 4/5197. Wer der Beschlussempfehlung dieses Ausschusses die Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen? – Wer ist dagegen? – Enthält sich jemand der Stimme? – Bei einigen wenigen Stimmenthaltungen und einer größeren Anzahl von Stimmen dagegen ist der Beschlussempfehlung des Ausschusses mehrheitlich gefolgt worden.

Gibt es noch zu weiteren Drucksachen Aussprachebedarf und Wünsche nach Einzelabstimmung? – Das ist nicht der Fall. Dann sind wir jetzt wieder an der Stelle von vorhin. Gemäß § 99 Abs. 7 der Geschäftsordnung stelle ich hiermit zu den Beschlussempfehlungen, die wir nicht schon durch Einzelabstimmung behandelt haben, die Zustimmung des Plenums entsprechend dem Abstimmungsverhalten im Ausschuss fest.

Ich sehe, es wird kein anderes Stimmverhalten angekündigt. Damit ist der Sammeldrucksache insoweit im Sinne § 99 Abs. 7 der Geschäftsordnung durch den Landtag zugestimmt und der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Erklärung zu Protokoll

Das Thema Zwangsprostitution und insbesondere Zwangsprostitution von Kindern und Menschenhandel löst Angst und Abwehr aus – zu Recht. Aber es ist Unrecht und nicht zu akzeptieren, wenn sich diese Abwehr nicht aggressiv auf den Kampf gegen diese schwerste Menschenrechtsverletzung richtet. Seit KARO auf das Problem von Kindermissbrauch im deutsch-tschechischen Grenzgebiet laut aufmerksam machte, überwiegt leider der Fluchtinstinkt.

Verbal wird allerorten betont: „Ja, es gibt das Problem der Zwangsprostitution – auch von Kindern. Das bestätigte die in der Evaluationsstudie zum Projekt KARO zitierte Polizeibeamtin: „Wir sagen nicht, das gibt es nicht. Wir sagen aber auch nicht, dass es bestätigt werden kann, sondern wir verlassen uns auf das, was wir haben. Und wir haben sehr wenig.“ (S. 23)

Auch der Bürgermeister von Cheb hat auf einer Fachtagung 2004 erklärt: Kinderprostitution existiert, aber man hat keine Beweise. Er ärgere sich über das rufschädigende Medienbild und wisse nicht, was er gegen Kinderprostitution tun könne. – Damit geben sich auch die Verantwortlichen in Sachsen zufrieden: es gebe da wohl ein Problem, aber Genaues ist nicht bekannt.

Die Sächsische Staatsregierung antwortet auf unsere Anfragen und in der Stellungnahme zu unserem Antrag Drucksache 4/5197. Dort heißt es: „Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt, dessen statistisches Hellfeld unter anderem von der Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane – zum Beispiel polizeilichen Reaktionsmustern – bestimmt wird. Gleichwohl lassen die sehr geringen Fallzahlen im Freistaat Sachsen zumindest mittelbar darauf schließen, dass Menschenhandel und Zwangsprostitution im Freistaat Sachsen bezogen auf die Gesamtkriminalität derzeit nur eine untergeordnete Rolle spielen. …Veränderungen der gegenwärtigen Verfahrensweise, zum Beispiel durch Einrichtung von Spezialdienststellen für Ermittlungen wegen Menschenhandels/Zwangsprostitution, werden derzeit nicht als notwendig erachtet.“

Das ist doch ein Widerspruch in sich! Es wird verbal anerkannt, dass Menschenhandel und Zwangsprostitution Kontrolldelikte sind. Es wird auch anerkannt, dass diese Delikte in den Bereich der Organisierten Kriminalität gehören. Insbesondere Kinderprostitution, die per se Zwangsprostitution mit grausamen Folgen für die physische und seelische Gesundheit dieser Kinder ist. Aber: Die Fallzahlen sind so gering, dass in Sachsen nicht besonders kontrolliert werden muss.

In dem Evaluationsbericht, der zur Einstellung der Förderung von KARO e. V. durch das SMS geführt hat, ist zu lesen, wie das Verfahren war: KARO hat Fälle von Tätern gemeldet. Der entsprechende Ansprechpartner der Polizeidienststelle hat den Fall weitergemeldet. Dann wurde festgestellt, dass KARO nur Indizien vorzuweisen hatte, und aufgrund von Indizien könne man kein Ermittlungsverfahren einleiten. Kann das ernsthaft ein geeignetes

Verfahren für ein Kontrolldelikt sein? Und liegt hier die Verantwortung wirklich bei den Streetworkerinnen?

Stattdessen hat ja offenbar auch der Verfassungsschutz Indizien gesammelt! Den Opfern hat das nichts geholfen.

Jetzt lesen wir, dass es in Leipzig auch ein Kinderbordell gegeben hat: „Jasmin“. Die Tagesschau dazu am 15. Juni: „Es gibt Hinweise darauf, dass Einladungen ins Bordell nicht nur als Schmiermittel dienten, um Entscheidungsträger gefügig zu machen, sondern auch, um sie später erpressen zu können. So sagte der einstige und später verurteilte Betreiber des „Jasmin“ öffentlich, er verfüge über Videoaufzeichnungen von prominenten Kunden. Das Geschäft mit einflussreichen Freiern und minderjährigen Prostituierten soll – an wechselnden Orten – bis in die jüngere Vergangenheit weitergegangen sein.“

Prostitution mit Minderjährigen ist bekanntermaßen ein nahezu perfektes Mittel für Erpressung. Wie reagiert die Staatsregierung und wie die Koalitionsfraktionen? Der Antrag hat sich erledigt, weil die Staatsregierung schließlich berichtet hätte! Wir brauchen nach diesem Bericht keine Änderungen in den Ermittlungsbehörden. Alles wie gehabt.