Protocol of the Session on June 7, 2007

(Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Das war die schwächste Kür! – Zuruf von der CDU: Das war sehr gut!)

Die Linksfraktion.PDS erhält das Wort. Frau Falken, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Rohwer, ich hatte schon erwartet, dass Sie sich als Vorsitzender des Schulausschusses zu diesem Thema hier ausführlich äußern, etwas darstellen und nicht wirklich kneifen, wie Sie es jetzt getan haben.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN – Rolf Seidel, CDU: Sie können es ja nachlesen!)

Vorab möchte ich ganz klar darstellen, dass wir, die Linksfraktion.PDS, diesen Antrag der GRÜNEN voll unterstützen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir bereits im November 2004, als die Novellierung des neuen Schulgesetzes gerade frisch war, mit unserem Antrag darauf hingewiesen haben, dass hier eine große Lücke entsteht und wir es für wichtig und notwendig halten, dass die Sozialarbeiter in den Berufsschulzentren für das Berufsvorbereitungsjahr zur Verfügung gestellt werden.

Ich freue mich, Herr Colditz, wenn ich in der „Freien Presse“ lese und es stimmen sollte, dass Sie dieses Problem im Schulausschuss lösen wollen. Ich nehme Sie beim Wort.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Dr. Monika Runge, Linksfraktion.PDS)

Genau das ist auch unser Ansatz. Allerdings, Herr Colditz, hätte ich mir gewünscht, dass wir diese Problematik bereits im November 2004 gelöst hätten. Wir hatten damals dazu einen Antrag gestellt. Leider ist nichts passiert.

Nun zur konkreten Situation. Im Schuljahr 2002/2003 gab es in Sachsen 30 Sozialarbeiter. Damals gab es diese verbindliche Festlegung im Schulgesetz noch nicht. Heute haben wir 14,65 Vollzeitstellen. Meine Kollegin Frau Günther-Schmidt hat es gerade genannt. Muss ich daraus schlussfolgern, dass der Freistaat ohne verbindliche Regelung im Schulgesetz besser aufgestellt war als mit einer verbindlichen Regelung? Das kann ja wohl nicht sein. Herr Kultusminister, hier macht Ihr Ministerium etwas falsch.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

2004 das Schulgesetz, 2005 die Förderrichtlinie und 2007 14,65 Vollzeitstellen. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD – hierzu spreche ich speziell Herrn Dulig an –, dass das nicht im Interesse des Koalitionspartners sein kann. Nach der eben erwähnten Pressemitteilung, glaube ich, müssen Sie sich, Herr Dulig, den Schuh anziehen, weil wir als Parlament in der Pflicht sind, den Minister zu kontrollieren.

Lassen Sie mich ein paar Zahlen nennen. Im Schuljahr 2006/2007, also in diesem Schuljahr, in dem wir uns jetzt befinden, haben wir laut Statistik 3 841 Schülerinnen und Schüler im Berufsvorbereitungsjahr. Wenn ich richtig rechne, dann kommen auf einen Sozialpädagogen 256 Schülerinnen und Schüler. Wir wissen, dass es nicht so ist, aber selbst wenn es so wäre, wäre es eine unglaubliche Größe.

Die Förderrichtlinie wurde am 4. November 2005 festgelegt; das heißt, die Schulen selbst sind nicht in der Lage, einen Antrag zu stellen, sondern sie müssen immer über ihren Schulträger gehen. Wir wissen, dass die Vertreter

des Städte- und Gemeindetages deutlich geäußert haben, dass für dieses Aufgabenfeld, wenn es so verbindlich im Schulgesetz steht, der Freistaat und nicht die Kommune verantwortlich ist.

Aus der Kleinen Anfrage von Frau Günther-Schmidt – sie selbst hat sie erwähnt – geht hervor, dass gerade die großen Städte wie Leipzig, Dresden und Chemnitz, in denen wir Brennpunkte im Berufsvorbereitungsjahr haben, keine Sozialarbeiter und Sozialpädagogen an den Berufsschulzentren haben. Im Übrigen möchte ich unterstreichen: Auch die Linksfraktion.PDS ist der Auffassung, dass Sozialpädagogen nicht nur an Berufsschulen, sondern an alle Schulen im Freistaat Sachsen gehören. Aber dazu gibt es im Schulgesetz leider noch keine verbindliche Regelung.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Ich fordere den Staatsminister auf, seine Fachaufsicht voll wahrzunehmen und endlich dafür zu sorgen, dass das, was im Gesetz steht und was dieser Landtag beschlossen hat, umgesetzt wird. Wir fordern die Einstellung von Sozialpädagogen an Berufsschulen, und zwar nicht nur für ein Jahr, wie es zurzeit der Fall ist – denn die Förderung gilt immer nur für ein Jahr –, sondern wir fordern eine unbefristete Einstellung von Sozialpädagogen. Ein Beschäftigter – egal, wo er beschäftigt ist – hat, wenn er unbefristet beschäftigt ist, ganz andere Möglichkeiten, sich an einer Schule zu integrieren.

(Beifall der Abg. Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)

Herr Rohwer, Sie hätten es nachrechnen sollen, denn die Zahlen im Haushalt muss ich Ihnen schon um die Ohren hauen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Verbal!)

Ja. – Im Haushalt – ich habe es mir noch einmal angeschaut – sind 2 Millionen Euro für Sozialpädagogen eingestellt. Dafür könnte man 46 Sozialpädagogen einstellen. Das würde zwar immer noch bedeuten, dass ein Sozialpädagoge 83 Schülerinnen und Schüler zu betreuen hat, aber ich glaube, dass das nicht realistisch ist.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Gleich, ich möchte den Gedanken gern noch zu Ende führen. – Herr Rohwer, Sie wissen, dass diese Titelgruppe deckungsfähig ist mit der Titelgruppe 73 – Ganztagsangebote – und dafür 30 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Wenn man das voll ausschöpfen würde, dann haben wir nicht 30 Millionen Euro für die Ganztagsangbote, sondern nur noch 28 Millionen Euro. Ich gehe also davon aus – Sie offensichtlich auch –, dass das Kultusministerium von vornherein weiß und berücksichtigt, dass die Mittel sowohl für die Ganztagsangebote als auch für die Sozialpädagogen nicht ausgeschöpft werden, und demzufolge

kann man diese schnell deckungsgleich machen. Schon in der Hauhaltsdiskussion haben wir das angemahnt.

Wir sind der Auffassung, wenn die Mittel eingestellt sind, dann müssen sie auch ausgeschöpft werden. Wenn das nicht durch die betroffenen Personen passiert, dann ist der Freistaat, insbesondere das Kultusministerium, verpflichtet, dafür zu sorgen.

(Beifall der Abg. Andrea Roth, Linksfraktion.PDS)

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Herr Rohwer, Sie können Ihre Frage stellen.

Frau Falken, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich eine inhaltliche Rede zu Protokoll gegeben habe, um im Thema voranzukommen?

(Zurufe von der Linksfraktion.PDS)

Herr Rohwer, wenn Sie in diesem Thema vorankommen wollen, hätte ich erwartet, dass Sie mit uns diskutieren und sich damit auseinandersetzen, möglicherweise auch in der zweiten Runde, wie Sie es sogar angekündigt haben.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Herr Rohwer, gerade Sie haben sich bei der Abgabe Ihrer Rede auf den Haushalt bezogen, und demzufolge halte ich es für legitim, dass ich mich dazu äußere.

Wir fordern das Kultusministerium auf, umgehend und nicht in einer der nächsten Schulausschusssitzungen dafür zu sorgen, dass Sozialpädagogen an jedem Berufsschulzentrum, und zwar in Abhängigkeit von den Bedürfnissen der Schule, eingestellt werden, zur Not auch, wenn es die Kommunen nicht leisten können oder wollen, über den Freistaat als klassische Einstellungen wie im Lehrerbereich.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der Abg. Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)

Die SPD-Fraktion erhält das Wort; Herr Abg. Dulig, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die rechtliche Situation zur Finanzierung von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern im Berufsvorbereitungsjahr ist klar: Die Kommunen müssen einen Antrag stellen, der Freistaat finanziert Personalkosten zu 90 %. Mir ist nicht bekannt, dass dies seitens der Kommunen beklagt oder dagegen geklagt wurde.

Das SMK engagiert sich sehr und wird auch weiterhin im Gespräch mit den Trägern bleiben.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Das ist ganz was Neues!)

Das eigentliche Problem, über das wir hier sprechen sollten, ist kein rechtliches, sondern ein gesellschaftliches und ein politisches. Wir sollten in erster Linie über die individuelle Lebenssituation der jungen Menschen sprechen, die ein Berufsvorbereitungsjahr absolvieren, über ihre spezifische Situation, die nicht nur, aber sehr viel mit den Erfahrungen zu tun hat, die die jungen Menschen im Vorfeld der Schule und in der Gesellschaft gemacht haben.

Ziel des Berufsvorbereitungsjahres ist es, junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, bei der Berufswahl zu unterstützen und zu motivieren, eine Ausbildung zu absolvieren. Die meisten jungen Menschen kommen in das Berufsvorbereitungsjahr bereits mit negativen Erfahrungen und einem Gefühl, das sich mit dem Wort „übrig geblieben“ beschreiben ließe. Übrig geblieben fühlen sich diese jungen Menschen in doppelter Hinsicht, und zwar zum einen, weil sie sich aus unterschiedlichen Beweggründen in einer Phase befinden, in der sie weder eine schulische noch eine berufliche Ausbildung absolvieren oder weil sie nicht unmittelbar an die schulische Phase mit einer beruflichen Ausbildung anknüpfen können; zum anderen haben diese jungen Menschen meistens keinen oder nur einen sehr schlechten Schulabschluss.

Daraus resultieren die Erfahrung und das Gefühl, versagt zu haben. Für diese jungen Menschen hält die Gesellschaft keine Anerkennung bereit. Entsprechend demotiviert und frustriert gehen die meisten jungen Menschen in ein Berufsvorbereitungsjahr, und das kann man ihnen auch nicht vorwerfen.

Mit den Maßnahmen zur Berufsvorbereitung versucht man dann, die verkorkste Entwicklung vieler Jahre im Schnelldurchlauf halbwegs zu richten. Es liegt nicht an den vielen engagierten Projekten, dass genau das häufig scheitert. Die Ansprüche berücksichtigen zu wenig die Lebenssituation und den Lebensblick der Schülerinnen und Schüler. Vorher ist eben zu viel schiefgelaufen.

Genau das ist mein Kritikpunkt. Im Vorfeld muss in den Schulen die immer noch vorherrschende Defizitorientierung beendet werden. Jede Schülerin und jeder Schüler muss in die Lage versetzt werden, sich in der Lebenswelt zurechtzufinden und eine guten Schulabschluss zu machen. Wenn dies nicht geschieht, dann ist die tägliche Misserfolgserfahrung vorprogrammiert und die jungen Menschen erhalten keine Chance, ihre eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen zu entwickeln. Auf ihre individuellen Bildungsbedürfnisse wird nicht eingegangen und das Gefühl, versagt zu haben, abgehängt zu sein und nicht den Anforderungen zu entsprechen, reproduziert sich täglich. Zudem kommen diese jungen Menschen häufig aus bildungsfernen Elternhäusern, sodass auch auf dieser Ebene kaum Lebens- und Lernperspektiven und Anregungen eröffnet werden oder werden können.

Eigentlich könnte Schule dem entgegenwirken; denn genau hier ist der Ort, an dem junge Menschen – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft – erfahren sollten, dass Bildung Spaß macht, dass sie entsprechend ihren individuellen Voraussetzungen die Möglichkeit haben, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zu entdecken und zu entwickeln – eine Schule, die über eine andere Lernkultur die teilweise aus dem Elternhaus mitgebrachten Demotivationen auszugleichen hilft.

Sozialpädagogische Betreuung ist gerade und insbesondere im Berufsvorbereitungsjahr äußerst notwendig und dringend geboten. Die Lösung des eigentlichen Problems müsste jedoch viel früher ansetzen.

(Zuruf des Abg. Thomas Colditz, CDU)

Ich freue mich, dass mich Thomas Colditz auf dem Weg „Mehr Gemeinschaftsschulen in Sachsen“ unterstützen wird, dann ist ja schon einmal der erste Teil meiner Rede von Erfolg gekrönt.