Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Es beginnt die Fraktion GRÜNE, danach CDU, Linksfraktion.PDS, SPD, NPD, FDP und die Staatsregierung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zu einem ideologisch völlig unbelasteten Thema, der Schulpolitik.
Das Sächsische Schulgesetz legt in § 8 Abs. 3 fest, dass Jugendliche ohne Lehrstelle beim Absolvieren eines Berufsvorbereitungsjahres, des sogenannten BVJ, durch Sozialpädagogen zu betreuen sind. Die Betreuung durch Sozialpädagogen wurde vom Landtag beschlossen, weil oft nicht nur schulische Defizite den Beginn einer betrieblichen Erstausbildung verhindern. Die Einstellung der Sozialarbeiter liegt im Verantwortungsbereich der Kommunen und der Freistaat fördert die notwendigen Personalkosten bis zu 90 %.
Herr Colditz, das finde ich auch klasse. Dennoch sind in Sachsen lediglich 14,65 Sozialarbeiter für 64 berufsbildende Schulen eingestellt. Das geht unter anderem aus einer Antwort auf meine Kleine Anfrage, Drucksache 4/7417, hervor.
Meine Damen und Herren! Das Berufsvorbereitungsjahr ist eine berufliche Schulart, die als einjährige vollzeitschulische Maßnahme geführt wird. Sie ist in erster Linie für berufsschulpflichtige Jugendliche ohne Ausbildungsverhältnis oder Arbeitsplatz vorgesehen. Die Schülerinnen und Schüler können hier ihre Allgemeinbildung erweitern und sollen beim Erwerb von Schlüsselqualifikationen gefördert werden. Sie können am Ende des Berufsvorbereitungsjahres über eine Zusatzprüfung einen dem Hauptschulabschluss gleichwertigen Bildungsstand erwerben. Eine Anrechnung auf eine anschließende Ausbildung ist grundsätzlich nicht vorgesehen.
Wie stiefmütterlich das Berufsvorbereitungsjahr in Sachsen behandelt wird, zeigt auch einmal wieder der Blick auf die entsprechende Seite des Kultusministeriums. Hier wird in schlechtem Deutsch nicht viel mehr dargestellt als: „Schülerinnen und Schüler im BVJ erwerben berufliche Orientierung in zwei Berufsbereichen.“ Darüber könnte man ja noch hinwegsehen, wenn die Praxis im Berufsvorbereitungsjahr besser wäre. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall.
Warum wurde überhaupt die Notwendigkeit gesehen, für Schüler im Berufsvorbereitungsjahr eine sozialpädagogische Betreuung zu sichern? Im Antrag der SPD-Fraktion in der Drucksache 3/10638 aus der vergangenen Legislaturperiode heißt es wörtlich: „Die Staatsregierung wird aufgefordert zu sichern, dass an berufsbildenden Schulen im BVJ und BGJ zumindest ein Schulsozialarbeiter zur Verfügung steht.“
In der Begründung heißt es dann: „Mit dem Wegfall entsprechender Förderung durch die Arbeitsämter besteht dringender Handlungsbedarf für das Land, welches für die Schulen zuständig ist. Angesichts der Tatsache, dass insbesondere im BVJ Jugendliche zusammengefasst sind, die in einer hohen Rate nicht nur Lern-, sondern auch Verhaltens- und Entwicklungsprobleme aufweisen, ist eine sozialpädagogische Unterstützung der Schülerinnen und Schüler wie auch der Schule dringend geboten.“
Für die Sächsische Staatsregierung hatte der damalige Kultusminister Rößler Stellung genommen. Darin bezweifelt er zunächst die Notwendigkeit einer
sozialpädagogischen Betreuung im Berufsgrundbildungsjahr. Darüber kann man ja durchaus geteilter Meinung sein. Ich finde jedenfalls, dass Schulsozialarbeiter an jede Schule gehören.
Aber dann schreibt Herr Rößler – Zitat –: „Die Notwendigkeit einer sozialpädagogischen Begleitung von Schülern im BVJ wurde von der Sächsischen Staatsregierung längst erkannt. Sie ist auch in das Zweite Gesetz zur Umsetzung des besseren Schulkonzepts vom 19. Februar 2004 eingeflossen, welches § 8 Abs. 3 Schulgesetz entsprechend ergänzt.“ Ob und in welchem Umfang gegebenenfalls die sozialpädagogische Betreuung im BVJ unterstützt werden könne, hänge zunächst von den Spielräumen ab, die der Doppelhaushalt des Freistaates bietet. Soweit ich es verstehe, sind die Spielräume im Doppelhaushalt des Freistaates jedes Mal geschaffen worden.
Herr Rößler ergänzt – auch Zitat –: „Für die Frage der Finanzierung der sozialpädagogischen Betreuung kommt aber nicht allein der Freistaat in Betracht. Unabhängig von den neuen Bestimmungen im § 8 Schulgesetz ist grundsätzlich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe aufgerufen, Schulsozialarbeit zu leisten.“
So richtig – so gut. In einem Änderungsantrag zum SPDAntrag machte die CDU-Fraktion dann noch einmal deutlich – Zitat –, „dass Jugendliche gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 Sächsisches Schulgesetz im Berufsvorbereitungsjahr sozialpädagogisch betreut werden“.
Hier heißt es dann in der Begründung: „Die generelle Notwendigkeit der sozialpädagogischen Betreuung von Jugendlichen im Berufsvorbereitungsjahr besteht. Deshalb wurde eine entsprechende Regelung im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Umsetzung des besseren Schulkonzepts in das Sächsische Schulgesetz aufgenommen. Die Umsetzung dieser Regelung ist selbstverständlich zu sichern.“
Das ist der Punkt, um den wir heute streiten werden. Das wurde beschlossen und verkündet im Juni des Jahres 2004.
Meine Damen und Herren, dann sollte ja alles klar sein. Es besteht eine ganz große Koalition, die sich darin einig ist, dass eine Umsetzung der Regelung, dass Schüler im Berufsvorbereitungsjahr sozialpädagogisch zu betreuen sind, selbstverständlich zu sichern ist. SPD, CDU, GRÜNE und der ehemalige Kultusminister sagen alle dasselbe. Ich glaube, dass auch der jetzige Kultusminister Bestandteil dieser Koalition sein könnte.
Allerdings meinte Herr Flath, als ich diese Frage im Schulausschuss gestellt habe, es wäre zu prüfen, ob man mit einem kooperativen Vorgehen nicht einen besseren Erfolg erzielen könne, als die Umsetzung des Gesetzes gegenüber einem Partner von oben durchzudrücken. Der Kultusminister möchte erst einmal Anpassungs- oder Auffassungsdifferenzen, die es etwa mit dem Städte- und Gemeindetag gibt, ausräumen.
Herr Flath, Sie hatten drei Jahre Zeit, das umzusetzen, zu diskutieren und Überzeugungsarbeit zu leisten. Ihre Aufgabe ist es einzig und allein, die Umsetzung des Schulgesetzes sicherzustellen. Und hier haben Sie versagt.
Sie haben es bis heute nicht geschafft. Es hat Sie vielleicht auch nicht sonderlich interessiert. Ich sage es Ihnen ganz offen: Ein Minister, der nicht die Kraft oder das Interesse hat, das geltende Recht umzusetzen, gehört eigentlich nicht auf die Regierungsbank.
Stellen Sie sich einmal die Frage, was Ihre Arbeitsverweigerung – und ich halte es wirklich für ein schwerwiegendes Problem – für die betroffenen Jugendlichen bedeutet. Ich höre Sie immer darüber klagen, welche Probleme auf uns vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in Bezug auf künftig fehlende Fachkräfte zukommen. Können Sie sich vorstellen, dass Sie zumindest einen Teil dieses Problems lösen, wenn Sie Jugendliche im Berufsvorbereitungsjahr entsprechend betreuen würden, sodass diese tatsächlich die Gelegenheit zum Erwerb einer Schlüsselqualifikation erhalten?
Mit dieser Verzögerungstaktik, Herr Flath, rauben Sie den Jugendlichen einen Teil ihrer Zukunft. Das ist verantwortungslos.
Aber lassen Sie uns einmal darüber hinaus überlegen, woran es denn noch liegen könnte, dass Sozialarbeiter nicht in entsprechender Größenordnung bereitgestellt werden. Meiner Meinung nach können drei Ebenen vermutet werden.
Da wäre zum einen die finanzielle Ebene. Es könnte sein, die Kommune als Träger ist entweder nicht bereit oder nicht in der Lage, die 10 % Eigenmittel zur Verfügung zu stellen. Meiner Meinung nach haben die Schulträger hier überhaupt keinen Interpretationsspielraum. Es handelt sich nämlich nicht um eine Kannbestimmung, sondern um eine verpflichtende Regelung.
Die zweite Ebene ist eine schulorganisatorische. Möglicherweise sehen die jeweiligen Schulen keine Möglichkeit, Sozialpädagogen in die Arbeit der Schule zu integrieren. Hier wäre die Frage zu stellen, was an einer solchen Schule falsch läuft und wie sie durch das Kultusministerium schulorganisatorisch unterstützt werden müsste, um die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen.
Das betrifft auch die dritte, die inhaltliche Ebene. Es mag Schulleiter geben, die meinen, eine schulpädagogische Begleitung sei gar nicht notwendig und bringe nur Unruhe in das Lehrerkollegium oder schade sogar dem Ruf der Schule.
Gleich, welche Gründe dazu führen, dass nicht an allen berufsbildenden Schulen Sozialarbeiter tätig sind, wie es das Gesetz vorsieht – aus Sicht meiner Fraktion ist die Situation, dass seit drei Jahren in Sachsen geltendes Recht bewusst gebrochen wird, nicht länger hinzunehmen. Es ist aus juristischen Erwägungen nicht haltbar, aber es ist vor allem nicht haltbar, weil damit die Situation der betroffe
Eine weitere Verzögerung, das Führen weiterer netter Gespräche ist für uns nicht hinnehmbar. Die Staatsregierung ist in der Verantwortung, geltendes Recht umzusetzen, und sie hat auch die Mittel dazu. Ich erwarte, dass das Kultusministerium unverzüglich rechtsaufsichtlich tätig wird. Wir werden, so bedauerlich das ist, nämlich auch im kommenden Jahr wieder Schülerinnen und Schüler haben, die das Berufsvorbereitungsjahr absolvieren werden. Um deren Anspruch auf sozialpädagogische Betreuung ab Herbst zu sichern, müssen wir jetzt die Weichen stellen. Wenn es gar nicht anders geht, müssen Schulsozialarbeiter eben direkt beim Freistaat wie die Lehrer angestellt werden.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie Ihre eigenen Anträge aus der vergangenen Legislaturperiode ernst nehmen wollen, stimmen Sie unserem Antrag zu. Er ist inhaltlich vollkommen deckungsgleich mit dem, was Sie selbst vor drei Jahren beschlossen haben, und fordert nichts weiter als dessen Umsetzung.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Sächsische Landtag hat mit dem letzten Haushaltsgesetz die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt. Nach unserer Auffassung sind die Kommunen ebenso wie die Staatsregierung in der Pflicht, das Gesetz umzusetzen.
Dazu braucht es aus unserer Sicht keinen Antrag der Fraktion GRÜNE. Insofern gebe ich auch den Rest meiner Rede zu Protokoll.
(Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Das war die schwächste Kür! – Zuruf von der CDU: Das war sehr gut!)