Protocol of the Session on March 15, 2007

Ich möchte noch einmal deutlich darauf hinweisen, dass diese Aktuelle Debatte sicher zeitlich gut platziert ist, weil in der Tat – und das haben einige Redebeiträge heute deutlich gemacht – nicht jeder tatsächlich die Abgrenzung zwischen Strafvollzug und Maßregelvollzug kennt.

Meine Damen und Herren! Dass mit den Vorgängen der letzten Wochen und Monate diese Debatte natürlich in der Bürgerschaft geführt wird und durch Unwissenheit und Fehlinformationen Prioritäten und Wahrscheinlichkeitstheorien diskutiert werden, die der Sache nicht dienlich sind, macht es notwendig, dass wir uns als Landtagsabgeordnete diesem Thema widmen und dafür sorgen, dass jeder von uns als Multiplikator versucht, diese Informationsdefizite in der Bürgerschaft weitestgehend auszugleichen und die Gesellschaft dafür zu sensibilisieren, was

der Auftrag des Maßregelvollzuges ist. Der ist eben nicht der gleiche wie in den Justizvollzugsanstalten, sondern hier geht es, wie Kollege Schiemann deutlich gemacht hat, um den Patienten.

Ich gebe Ihnen natürlich recht, dass diese Aufgabe, die wir als Dienstleister für die Justiz zu erledigen haben, ein hohes Maß an Herausforderungen an alle Beteiligten stellt. Das gilt vor allen Dingen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Einrichtungen, denen ich an dieser Stelle herzlich Dank sagen möchte.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Dies ist keine leichte Arbeit, sondern stellt tagtäglich einen Spagat zwischen Therapie und berechtigtem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung dar. Dass das, meine Damen und Herren, nicht jeden Tag hundertprozentig gelingen kann und dass die Anforderungen des einen oder anderen oftmals viel höher liegen, ist richtig. Hier gibt es in der Tat noch einiges zu tun.

Lassen Sie mich trotzdem das Fazit ziehen, dass der sächsische Maßregelvollzug mit seinen fünf Einrichtungen nicht nur aus unserer Sicht, sondern auch aus externer fachlicher Sicht als gut bezeichnet wird und dem bundesweiten Vergleich, Herr Martens, sehr wohl standhält. Es gibt keine außergewöhnlichen Situationen in Sachsen, die anders wären als anderswo. Aber – dabei hätte ich eigentlich vermutet, dass Sie das selbst wissen – wir dürfen nicht so tun – vor allem gegenüber der Bevölkerung –, dass das Sicherheitsbedürfnis, welches nachvollziehbar ist, hundertprozentig erfüllt werden kann. Sie selbst wissen sehr genau, dass es einen großen Unterschied zwischen Ausbrüchen und Entweichungen gibt. Das hatten Sie in Ihrem Beitrag nicht so ganz klar herausgearbeitet. Wenn wir von Entweichungen sprechen, handelt es sich um Missbrauch von Lockerungen, die Teil der Therapie sind. – Herr Martens, wenn Sie zuhören würden, könnten Sie vielleicht noch etwas lernen!

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Er will doch nicht!)

Im Rahmen des Vollzugs dieser Lockerungsmaßnahmen ist das Therapieziel, die Resozialisierung der betroffenen Patienten zu erreichen, dringend erforderlich und stellt einen Rechtsanspruch der Patienten dar.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Das, meine Damen und Herren, gibt zumindest annähernd ein Bild dessen wieder, was tagtäglich in diesen Einrichtungen zu leisten ist. Ich will viele Dinge, die zur Sprache gekommen sind – auch von Frau Herrmann –, nicht noch einmal wiederholen, aber Wichtiges unterstreichen. Es ist in der Tat so, dass wir in den letzten neun Jahren in beiden Bereichen, sowohl des § 63, der psychisch Kranken, als auch des § 64, der Suchtkranken, fast eine Verdoppelung der Patientenzahlen verzeichnen – und das, Herr Martens, bei weiterem Rückgang der Entweichungen. Deswegen ist

es einfach unfair und den Bemühungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber ungerechtfertigt, wenn man einfach eine Zahl benennt, ohne sie in den Gesamtkontext zu stellen, um damit die Realität deutlich widerzuspiegeln.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Enrico Bräunig, SPD)

Ich komme noch einmal auf die angemahnten und notwendigen weiteren Maßnahmen zu sprechen. Ich habe deutlich gemacht, dass die Entwicklung des sächsischen Maßregelvollzuges in den letzten Jahren nachvollziehbar dynamisch war. Es ist natürlich richtig, dass sich die Gesellschaft und ihre Bürgerinnen und Bürger weiterentwickeln – nicht immer positiv, wie wir wissen. So haben wir eine Zunahme vor allem von Straftaten von Suchtkranken zu konstatieren. Auch in Sachsen hat sich hierbei eine Fallzahlsteigerung vollzogen.

Darauf haben wir reagiert. In den letzten Jahren haben wir umfangreiche Baumaßnahmen durchgeführt. Im Moment sind wir dabei, die Baumaßnahme in Großschweidnitz zur Erweiterung des geschlossenen Bereiches durchzuführen. Voraussichtliches Bauende ist 2008 bzw. 2009. Also auch hier passiert etwas.

(Beifall des Abg. Heinz Lehmann, CDU)

Darüber hinaus haben wir uns die Personalsituation im letzten Jahr sehr genau angeschaut und mit zusätzlichen Mitteln im Haushalt 2007/2008 entsprechende Erleichterungen und Veränderungen geschaffen. Auch darauf wurde heute schon hingewiesen. Bereits im vorigen Jahr – nicht erst vor wenigen Wochen – haben wir uns gemeinsam mit meinen Kollegen Staatsminister Herrn Mackenroth und Staatsminister Herrn Buttolo zusammengesetzt, um noch enger als bisher die notwendigen Maßnahmen abzustimmen und uns gegenseitig zu unterstützen. Dadurch wird es auch bei der Personalsituation in der nächsten Zeit weitere Verbesserungen geben.

Darüber hinaus muss ich heute schon feststellen, dass wir teilweise schon an den Grenzen von fehlenden Ressourcen angekommen sind; denn der Ärztemangel, der bereits oft Thema in diesem Haus war, wirkt sich natürlich auch in diesem Bereich aus, sodass es uns teilweise sehr schwerfällt, Fachärztinnen und -ärzte für diesen Bereich zu finden.

Unabhängig davon ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass es weitere Investitionen, zum Beispiel in Dösen, geben wird. Auch das ist eine markante Entwicklung, die wir favorisieren. In Dösen geht es darum, die bestehende Institutsambulanz, ein Projekt der forensischen Nachsorge, zu erweitern. Das, meine Damen und Herren, hat in der Tat etwas mit dem nachhaltigen Wert der Therapie sowohl in den Einrichtungen als auch nach den Entlassungen der psychisch kranken Rechtsbrecher zu tun. Hier kann man in manchen Fällen eine Brücke zu den Vorfällen der letzten Monate finden; denn mit einer noch besseren und erweiterten Nachsorge, zeigen Erfahrungen in

anderen Ländern, kann die Nachhaltigkeit der Therapie eines Straftäters, der Therapieerfolg und damit der Rückfall in Wiederholungstaten, erheblich beeinflusst werden. Bereits im nächsten Jahr werden wir in Dösen mit der Erweiterung der forensischen Institutsambulanz beginnen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Auch die Qualifizierung der Mitarbeiter steht im Fokus. Wir werden die bereits begonnene Auswertung des Gutachtens von Herrn Prof. Konrad, der sicher dem einen oder anderen von Ihnen aus dem Fall Schmökel in Erinnerung ist, fortsetzen und uns um einheitliche Kriterien im Rahmen des Lockerungsmanagements in Sachsen bemühen. Bisher war in den Einrichtungen zwar die große Richtung eine gemeinsame, aber es gab individuelle Unterschiede in den Auffassungen des Verfahrens. Das wird sich ändern. Darüber hinaus werden wir entsprechende adäquate Aus- und Weiterbildungen gemeinsam in den Einrichtungen forcieren und durch mein Haus unterstützen.

Diese genannten Veränderungen, meine Damen und Herren, werden sich auch in einer entsprechenden Rechtsverordnung niederschlagen. Das wird nicht noch Jahre dauern. Unser Zeitplan, der im vorigen Jahr begonnen wurde, ist sehr eng und soll spätestens im Sommer dieses Jahres Früchte tragen.

Lassen Sie mich abschließend darauf hinweisen: Es ist gut und richtig, die Debatte „Maßregelvollzug in Sachsen“ hier in diesem Hause zu führen. Ich bin auch der Meinung derer, die angemahnt haben, dass wir zu gegebener Zeit einen Bericht abgeben sollten. Das ist keine Frage. Ich habe Wert darauf gelegt, Ihnen deutlich zu machen, dass wir gemeinsam mit den Fachleuten vor Ort auf einem guten Weg sind. Es geht nicht darum, dass Geld eine Rolle spielt, sondern dass wir dort investieren, wo es notwendig ist, um am Ende einen noch größeren Erfolg zu erzielen.

Ich möchte noch einmal klar und deutlich sagen, dass die Zusammenarbeit mit meinen beiden Kollegen in den nächsten Wochen, wie bereits in den vergangenen Monaten, einen erheblichen Platz einnehmen wird. Auch hier bin ich guter Hoffnung im übertragenen Sinne, dass diese Zusammenarbeit allen Beteiligten zugute kommt und dass wir hoffentlich bei der nächsten Debatte im Hohen Hause einen entsprechend erfolgreichen Vollzug signalisieren können.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Damit ist die Debatte, beantragt von den Fraktionen der CDU und der SPD zum Thema „Situation im Maßregelvollzug“, beendet.

Wir kommen zu

2. Aktuelle Debatte

Haltung der Sächsischen Staatsregierung zu den aktuellen familienpolitischen Auseinandersetzungen

Antrag der Linksfraktion.PDS

Zuerst hat die Linksfraktion.PDS das Wort. Danach folgen CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Das Wort ist erteilt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man konnte in den letzten Jahren einen erstaunlichen, aber vor allem erfreulichen Wandel in der familienpolitischen Diskussion in Deutschland wahrnehmen. Das „Gedöns“ von einst – so hat es Bundeskanzler Schröder einmal formuliert – ist zum Gewinnerthema geworden.

Dieser Wandel ist längst überfällig. Trotzdem hinkt die Familienpolitik noch immer hinter den sich verändernden gesellschaftlichen Realitäten her, aber sie bewegt sich wenigstens. Dass sich aber insbesondere Unionspolitiker – da spreche ich ganz bewusst in der männlichen Form – sehr schwer tun, die heutige vielschichtige Familienwirklichkeit zu akzeptieren, wissen wir auch. Einige von ihnen sind ja fast zu Tode erschrocken aufgrund der Initiativen von Frau von der Leyen. Beruf und Kinder zu verbinden ist zwar nichts Neues, aber es sind neue Töne aus der CDU; denn so lange ist es noch nicht her, dass Kurt Biedenkopf über die zu hohe Erwerbsneigung ostdeutscher Frauen klagte.

Gerade im Osten sind nun einmal die Erfahrungen und Maßstäbe in dieser Hinsicht ganz andere als im Westen, insbesondere auch ganz andere als in der persönlichen Erfahrungswelt von Bischof Mixa, der Frauen zur „Gebärmaschine“ degradiert sieht, wenn sie sich nicht ins konservative Rollenbild fügen.

Vor diesem Hintergrund wirkt es geradezu skurril, wenn sich ausgerechnet Herr Flath als Kronzeuge gegen Kinderkrippen zu Wort meldet. Was Herr Mixa sagt, ist mir relativ egal. Er trägt keine politische Verantwortung, schon gar nicht in Sachsen. Bei Herrn Flath sieht es etwas anders aus, denn Sie, Herr Flath, sind Minister in diesem Land und nicht mehr Landwirtschaftsminister, sondern inzwischen Kultusminister. Da wird es schon beängstigend. Dass ein Bildungsminister erklärt, dass die frühkindliche Bildung schlecht für Kinder ist, ist das eigentlich Verwerfliche an diesem Vorgang, und das können wir so nicht stehen lassen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Protest bei der CDU)

Um sich als Vertreter eines konservativen Welt- und Familienbildes zu profilieren, redet Herr Flath munter an den Problemen und Realitäten vorbei. Niemand will Eltern dazu zwingen, ihre Kinder einer Kita anzuvertrauen, wenn sie es nicht wollen, außer vielleicht der Ministerpräsident, der schon einmal öffentlich über eine Vor

schulpflicht nachgedacht hat. Aber Eltern müssen doch erst einmal in die Lage versetzt werden, sich frei zu entscheiden, ob sie ihre Kinder zu Hause allein betreuen oder ob sie dies gemeinsam mit einer Kindertageseinrichtung tun.

Es gibt selbst in sächsischen Großstädten Wartelisten für einen Krippenplatz. Das ist keine Grundlage für eine freie Entscheidung der Eltern, ganz zu schweigen vom Westen Deutschlands. Dort ist ein Ausbau der Kinderbetreuung um ein Vielfaches nötiger.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig!)

Sie jedoch provozieren bundesweite Schlagzeilen gegen diesen dringend nötigen Ausbau, was natürlich auf uns in Sachsen zurückfällt. Wie wollen Sie denn so in Verhandlungen mit der Bundesregierung sichern, dass auch Sachsen trotz einer besseren Situation als im Westen noch an der Kinderbetreuungsoffensive der Bundesregierung partizipieren kann?

Leider vermisse ich eine deutliche Klarstellung aus der sächsischen Koalition. Frau Orosz verweist zurückhaltend auf das Landeserziehungsgeld, und Herr Milbradt tut die Bemerkung seines Staatsministers als persönliches Trauma ab. Schön war es bestimmt nicht, dass die Kinder in der DDR früh um sechs an der Bushaltestelle standen. Das lag aber nicht an den Krippen, sondern an den unfreundlichen Arbeitszeiten, und da sollten Sie sich mächtig zurückhalten, Herr Flath. Sie sind ein großer Verfechter der Abschaffung des Ladenschlusses. Schon heute haben die Kinder einer Verkäuferin in der Woche kaum etwas von ihrer Mutter, wenn diese halb oder um neun nach Hause kommt. Nach Ihren Vorstellungen sollen sie künftig noch länger arbeiten. Reden Sie doch einmal darüber, wenn Sie sich zu familienpolitischen Fragen äußern!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ganz abgesehen davon: Heute stehen wieder Kinder um sechs an der Bushaltestelle, Kinder, die über eine Stunde Fahrtweg zur Schule haben. Das liegt an Ihrer verfehlten Schulpolitik.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Sehr geehrte Damen und Herren! So wichtig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist, so geht es nicht allein darum. Seit Langem machen Wissenschaftler verschiedener Couleur darauf aufmerksam, wie wichtig die frühkindliche Bildung für Kinder ist. Gerade in einer Zeit, in der viele Kinder als Einzelkinder aufwachsen, ist die Begegnung mit anderen Kindern enorm wichtig. Kinder treffen auf Gleichaltrige, schließen Freundschaften und

müssen sich mit ersten Konfliktsituationen auseinandersetzen. Kinder brauchen Kinder. Also nutzen wir doch die frühkindliche Bildung als Chance, unterbreiten wir dieses Angebot allen Kindern, nutzen wir die Chance, sozial bedingte Bildungsdefizite frühzeitig abzubauen oder, besser noch, gar nicht erst zuzulassen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Offensive zum Ausbau der Kindertagesbetreuung und damit der frühkindlichen Bildung ist voll und ganz zu unterstützen. Wenn sich die Diskussion nicht im Nachholbedarf des Westens erschöpfen soll, müssen wir als ostdeutsches Bundesland in dieser Diskussion verstärkt die Notwendigkeit einer qualitativen Weiterentwicklung der frühkindlichen Bildung, den Einstieg in die Kostenfreiheit und natürlich auch den freien Zugang für alle Kinder deutlich machen, denn nur das würde der sächsischen Situation gerecht werden und uns die Chance geben, das bestehende Angebot weiterzuentwickeln. Da wird von der Staatsregierung mehr erwartet, als sie bisher geleistet hat.