Meine Damen und Herren! Das Folgende war bei mir erst für morgen vorgesehen. Ich freue mich heute ganz genauso, ein Geburtstagskind begrüßen zu können. Herr Fröhlich hat Geburtstag. Alles Gute, Gesundheit und Wohlergehen!
1. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Förderung der unmittelbaren bürgerschaftlichen Selbstverwaltung in den sächsischen Kommunen
Es liegt keine Empfehlung des Präsidiums vor, eine allgemeine Aussprache durchzuführen. Deswegen spricht nur die einreichende Fraktion. Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kommunale Selbstverwaltung ist von jeher von zwei Kernelementen geprägt: einmal der ortsbezogenen Aufgabenerfüllung und zum anderen der unmittelbaren Mitwirkung der Einwohner und Bürgerinnen und Bürger.
Die seit 1993 geltende Sächsische Gemeindeordnung bestimmt in § 1 Abs. 2 genau diese beiden Kernelemente. Interessant ist, dass dieses seit über zwölf Jahren geltende Strukturprinzip einer bürgerschaftlichen Selbstverwaltung im weitesten Sinne von einer Verwaltung durch die Bürgerinnen und Bürger selbst ausgeht, wie es eben das Wort sagt.
Interessant ist der fast vergessene Artikel 86 Abs. 1 unserer Landesverfassung. Danach ist es nämlich möglich, dass in kleineren Gemeinden an die Stelle der gewählten Vertretung des Gemeinderates auch die sogenannte Gemeindeversammlung treten kann, die Versammlung aller Bürgerinnen und Bürger der jeweiligen Ge
meinde. Es ist offenkundig, dass lebendige bürgerschaftliche Selbstverwaltung nur durch die unmittelbare Bürgerbeteiligung in ganz besonderer Weise zur Stärkung der gesamtstaatlichen Demokratie beitragen kann und – ich füge hinzu – in Zeiten zunehmender Entfremdung der Bürgerinnen und Bürger von politischer Mitbestimmung und um sich greifender politischer Verdrossenheit geradezu dazu beitragen muss.
Wir, die Linksfraktion.PDS, erachten es als entscheidend, dass ebendiese Beteiligungsmöglichkeiten vor Ort für die Bürgerinnen und Bürger sowie die Einwohner überschaubar und leicht handhabbar und ohne unnötige bürokratische Hürden ausgestaltet werden. Das erfordert insbesondere, den Bürgern und Einwohnern tatsächliche und nicht nur fiktive Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten bei den kommunalen Selbstverwaltungsaufgaben einzuräumen und genügend Anreize dafür zu schaffen, damit sich Bürger und Einwohner auch aktiv einbringen, ja, auch, damit sie Sachentscheidungen an sich ziehen.
Unserer Meinung nach haben sich die seit dem Jahre 1993 nahezu unveränderten Vorschriften über die unmittelbare
Bürger- und Einwohnerbeteiligung zwar vom Grundsatz her bewährt, bedürfen aber dringend der Evaluierung und Weiterentwicklung in dem von mir genannten Sinne. Genau dies ist der Zweck unserer Initiative, mit der wir im Übrigen einen gewichtigen Diskussionsbeitrag zu der im Jahr 2007 ohnehin anstehenden Novellierung der sächsischen Kommunalgesetze leisten wollen.
Um welche wesentlichen Änderungen geht es uns dabei? Wir haben ein Artikelgesetz geschrieben, mit dem wir nicht nur die einschlägigen Kommunalgesetze, sondern auch die Landesverfassung ändern wollen und müssen.
Artikel 1 unseres Gesetzes will die Landesverfassung ändern, und zwar in Artikel 4 Abs. 2. Gegenwärtig sind alle Bürger wahl- und stimmberechtigt, die im Land wohnen und sich dort gewöhnlich aufhalten und am Tag der Wahlabstimmung das 18. Lebensjahr vollendet haben. Wir hingegen beabsichtigen den Status dieses sogenannten Gemeinde- bzw. Landkreisbürgers dergestalt zu ändern, dass nicht nur die Deutschen nach Artikel 116 Grundgesetz, sondern auch jeder Bürger eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, in diesen Gemeindebürgerstatus kommt. Ich darf an unser Jugend-Mitbestimmungsgesetz erinnern, das wir vor einiger Zeit hier in 1. Lesung eingebracht haben. Aus diesem Grund schlagen wir eine Öffnung der bereits genannten Verfassungsbestimmung vor, die es ermöglicht, für den Geltungsbereich der Gemeinden und Landkreise das Wahl- und Abstimmungsalter abzusenken.
Artikel 2 unseres Entwurfes will die Gemeindeordnung ändern, einmal in dem von mir bereits beschriebenen Sinn, dass wahlberechtigt nicht nur die Bürger der Gemeinde sind, sondern alle Bürger der Europäischen Union. Wir meinen, mit dieser Gleichsetzung wird endlich der Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung der entsprechenden EU-Richtlinie 94 80 EG in sächsisches Kommunalrecht umgesetzt; denn es ist einfach ein Anachronismus, den EU-Bürgern wie bisher den Status eines Gemeindebürgers vorzuenthalten, obwohl sie identische Rechte und Pflichten haben.
Weiterhin: Die derzeitige Regelung zur Einwohnerversammlung in § 22 der Gemeindeordnung lässt eine Antragstellung nur dann zu, wenn mindestens zehn vom Hundert der Einwohner den entsprechenden Antrag unterzeichnet haben. Die Hauptsatzung kann auch fünf vom Hundert festlegen. Wir wollen das vereinfachen und schlagen einheitlich fünf vom Hundert vor, wobei es eine zusätzliche Höchstgrenze von 500 Einwohnern geben soll. Davon würden insbesondere die kreisfreien Städte profitieren.
Um dem Gemeinderat die Möglichkeit zu eröffnen, bei bestimmten Entscheidungen den diesbezüglichen Willen ihrer Einwohner bei der Beschlussfassung besonders zu berücksichtigen, führen wir als neues Instrument die sogenannte Einwohnerbefragung ein; siehe § 23a. Grundlage dafür soll ein Beschluss des Gemeinderates sein, die Meinung der Einwohner zu einer konkreten Frage der Gemeindeentwicklung in Anlehnung an das bekannte
Verfahren für einen Bürgerentscheid in Erfahrung zu bringen. Es ist klar, dass dieses Abstimmungsergebnis natürlich keine rechtlichen Wirkungen entfalten kann, wohl aber dazu beitragen wird, die Gemeinderäte in die Lage zu versetzen, auf diesem Wege einen an einem geäußerten Einwohnerwillen orientierten Beschluss zum gemeinsamen Wohl zu treffen.
Kernstück unseres Gesetzentwurfes aber ist die deutliche Vereinfachung und Erleichterung von Bürgerentscheiden und Bürgerbegehren. Ich will hier nur auf die wichtigsten Elemente eingehen. Wir wollen natürlich nicht, um eine Äußerung des innenpolitischen Sprechers der CDUFraktion aus der letzten Wahlperiode aufzugreifen, als wir ein ähnliches Gesetz im Jahre 2001 besprochen hatten, eine „Räterepublik“ errichten. Wir wollen mitnichten die Arbeit der Gemeindeverwaltung und der gewählten Gemeindevertreter lahmlegen.
Wir wollen vielmehr die parlamentarische Demokratie, die gewählten Gemeinderäte, durch eine wirklich aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger insbesondere über Bürgerbegehren und Bürgerentscheide untermauern, untersetzen und aktivieren.
Aus diesem Grunde schlagen wir vor, alle unnötigen Hürden und bürokratischen Hemmnisse bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden aus dem Weg zu räumen. Ja, wir wollen die Bürger ausdrücklich ermuntern, diese beiden Instrumente weitaus stärker als bisher in Anspruch zu nehmen und sich damit aktiv und nicht nur zu Wahlzeiten aller fünf oder aller sieben Jahre in den Willensbildungsprozess der Gemeinde einzumischen. Davon kann und wird letztendlich auch die repräsentative Demokratie profitieren. Davor muss sich kein couragierter Bürgermeister fürchten.
Aus diesem Grund haben wir zunächst das erforderliche Quorum für eine Ratsinitiative, das heißt für einen vom Gemeinderat auf den Weg gebrachten Bürgerentscheid, moderat abgesenkt. Hier soll die qualifizierte Mehrheit statt einer Zweidrittelmehrheit reichen.
Wir haben weiterhin den sehr restriktiven sogenannten Negativkatalog, also die ausgeschlossenen Tatbestände für einen Bürgerentscheid, massiv entschlackt. Ich will hier nicht auf Einzelheiten eingehen, darf aber sagen, dass wir – anders als es die gegenwärtige Rechtslage zulässt – Bürgerentscheide auch über Gemeindeabgaben, Tarife und Entgelte für zulässig halten, so wie dies in Bayern und anderen Bundesländern seit vielen Jahren erfolgreich praktiziert wird.
Gravierend ist unser Änderungsvorschlag, dass wir auf das Zustimmungsquorum beim Bürgerentscheid definitiv verzichten wollen. Die gegenwärtige Gesetzeslage legt bekanntlich fest, dass 25 vom Hundert aller Stimmberechtigten trotz Mehrheit zustimmen müssen, damit ein
Bürgerentscheid gültig ist. Wir schlagen den völligen Verzicht auf dieses Zustimmungsquorum vor. Denn wir meinen, dieses Quorum ist nichts anderes als ein demokratischer Fremdkörper. Es ist aus heutiger Sicht überhaupt nicht nachvollziehbar, warum ein Bürgerentscheid allein daran scheitern soll, dass nur eine Minderheit von weniger als 25 vom Hundert der Stimmberechtigten Interesse an der konkreten Entscheidung hat.
Ich darf darauf verweisen, dass auch die Bürgermeister- oder Landrätewahlen zu Recht ohne ein solches Zustimmungsquorum auskommen. Deshalb ist es hier völlig überflüssig.
Ich könnte hier noch viele weitere Einzelheiten unseres interessanten Gesetzentwurfes darlegen. Aus Zeitgründen werde ich das nicht tun. Ich glaube, wir haben ein außerordentlich interessantes und konstruktives Angebot vorgelegt, wohl wissend, dass wir uns in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis befinden. Ich darf an die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zur Materie – –
aus dem Jahre 1997 erinnern. Ich denke deshalb, es ist angezeigt, dass wir diesen Gesetzentwurf federführend an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss verweisen, und darf alle Abgeordneten zu einer konstruktiven Diskussion einladen.
Meine Damen und Herren, das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz zur Förderung der unmittelbaren bürgerschaftlichen Selbstverwaltung in den sächsischen Kommunen an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss – federführend –, an den Innenausschuss und an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen. Wer der Überweisung an die von mir genannten Ausschüsse zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist es einstimmig so beschlossen und der Tagesordnungspunkt 3 beendet.
Die Verteilung der Gesamtredezeit hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 36 Minuten, Linksfraktion.PDS 31 Minuten, SPD 12 Minuten, NPD 17 Minuten,