Herr Colditz hat es ausgeführt, Herr Dulig, und im Prinzip hat ihnen auch Herr Herbst recht gegeben: Was brauchen wir neue Rechtsverordnungen? Es wäre geradezu idiotisch, denn wir haben ein Schulgesetz, das Schulgesetz lässt Schulversuche zu, und wir würden den Schulen die Freiheit nehmen, wenn wir dort die Ausnahme durch eine Rechtsverordnung regelten. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie wir alle Fragen, die wir heute noch gar nicht kennen, die aber auftreten werden, wenn man einen neuen Weg geht, gleich rechtsverbindlich regeln wollen.
Ich will zurückweisen, dass ich Gemeinschaftsschulen verhindere. Gerade beim Beispiel von Frau Falken weiß ich gar nicht, was sie zu dem Thema Nachbarschaftsschule Leipzig sagen wollte, dass innerhalb von wenigen Tagen dies dort zum Ziel geführt wird. Die Anerkennung der Gemeinschaftsschule beweist ja geradezu, dass auch eine Verwaltung in der Lage ist, innerhalb von wenigen Tagen zu handeln. Ich weiß nicht, worin ihr Vorwurf besteht.
Herr Minister, wenn Sie sagen, es soll von unten wachsen, und Sie wollen es nicht verbindlich regeln, wie stellen Sie also sicher, dass das Ganze wachsen kann? Wie unterstützen Sie die Kommunen in ihrer Verantwortung als Schulträger und Antragsteller, die Schulen zu beraten bzw. auch vom Verwaltungsaufbau her zu garantieren, dass die Schulträger diese Beratungs- und Antragstellerfunktion übernehmen können?
Wissen Sie, Frau Bonk, bevor Sie kommen, haben wir schon einen Koalitionspartner, der mich, Herr Dulig, darauf hinweisen würde, wenn wir nicht unterstützend tätig wären.
Leipzig hat gezeigt, wie unkompliziert etwas laufen kann, wenn Eltern es wollen, wenn ein Schulträger es will und wenn die Voraussetzungen vorliegen. In Geithain zum Beispiel wird vor Ort eingeschätzt, dass auch im Regionalschulamt sehr konstruktiv gehandelt wurde. Man hat sich dort relativ schnell auf die Genehmigung verständigt, obwohl es etwas Neues war, was man dort angegangen ist.
Die anderen Anträge jetzt so hinzustellen, als wenn sich dort eine Verwaltung eventuell bockig verhalten hätte, ist nicht so ganz gerecht, weil die Anträge sehr oft noch gar nicht die Qualität ausweisen, um sich wirklich damit befassen zu können. In aller Regel, das liegt in der Natur der Sache, weil wir diese dramatische Anpassung des Schulnetzes in einigen Regionen vornehmen mussten – wenn ich an die Landeshauptstadt denke, da läuft ja
gegenwärtig die Diskussion –, wird sehr oft der Versuch gemacht, einen Antrag Gemeinschaftsschule zu stellen. Dieser Antrag besteht aus ein oder zwei Sätzen. Wenn man genau hinsieht, geht es darum, eine Schule, die vor dem Aus steht, in irgendeiner Weise zu retten, was natürlich kein vernünftiger Ansatz ist.
Ich denke, es bleibt bei unserem gemeinsamen Ansatz, der im Koalitionsvertrag festgehalten ist. Wir wollen nicht verordnen, denn dann hätte die Gemeinschaftsschule keine Chance. Wir wollen, dass sich die Gemeinschaftsschule von unten entwickelt. Es bleibt auch dabei, dass wir solche Versuche wissenschaftlich begleiten. Sie, Frau Falken, wollen einen Auftrag an die Universität formuliert haben, für alle Schulen in Sachsen ein Konzept zu erarbeiten, und dann könnten wir vor Ort schauen, ob das funktioniert. So sollten wir nicht herangehen, denn das wäre sicher nicht im Sinne der Eltern und der Lehrer vor Ort.
Machen Sie sich mal keine Sorgen. Wir werden in der Koalition daran arbeiten, und es wird auch im nächsten Jahr konkrete Gespräche dazu geben. Was wir bisher im Amtsblatt an Leitlinien veröffentlicht haben, ist zum derzeitigen Zeitpunkt vollkommen ausreichend.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, die Äußerungen des Staatsministers geben uns Anlass und Möglichkeit, noch einmal, bezogen auf die Leitlinien, das eine oder andere festzuklopfen.
Herr Flath, ich habe es ausdrücklich in meinem Redebeitrag gesagt: Wenn gegen die Leitlinien zugunsten von Gemeinschaftsschulen verstoßen wird, ist es in Ordnung. Damit habe ich doch gar kein Problem. Aber dann muss ich entweder die Leitlinien verändern oder es großzügiger auslegen.
Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, werden Sie für den kommenden Zeitraum für die Antragstellung zwar die Frist beibehalten, aber wenn Sie nach der Frist noch Anträge erhalten, die es wert sind, für eine Gemeinschaftsschule zu gelten, diese Anträge dann auch noch genehmigen.
Ist das so richtig; habe ich Sie richtig verstanden? – Ich sehe, es ist schwierig, es ist schon spät. Wir sprechen vielleicht anschließend noch darüber; ich erkläre es Ihnen dann noch einmal.
Sie haben es nach meiner Auffassung eben ganz klar so dargestellt: Die Nachbarschaftsschule hat den Antrag später gestellt, als die Frist war – sie hat die Genehmigung bekommen –; also gehe ich davon aus, weil es ja keine Rechtsverbindlichkeit gibt und Sie entscheiden
können, wie Sie wollen – zumindest steht es so in der Leitlinie: Endgültig entscheidet der Kultusminister –, wird es zukünftig auch so sein müssen. Denn was für die eine Schule gilt, muss ja wohl auch für die andere Schule gelten.
Zu dem anderen Ansatz, den Sie, Herr Flath, genannt haben: Nein, wir wollen es nicht und auch ich persönlich will es ausdrücklich nicht: dass weder die Uni Leipzig noch die Uni Dresden einen Auftrag bekommt, ein Konzept für eine flächendeckende Gemeinschaftsschule im Freistaat Sachsen zu erarbeiten. Das wollen wir nicht – klar und deutlich.
Wir wissen auch – und ich ganz persönlich –, dass eine Gemeinschaftsschule nur funktionieren kann, wenn das Kollegium, wenn die Eltern mitziehen, wenn sie mitmachen und wenn sie dieses Programm, das sie sich selbst erarbeitet haben, auch umsetzen wollen. Man kann so etwas nicht aufsetzen, das funktioniert nicht. Das wollen wir nicht.
Wir wollen für die Schulen, für die Schulträger, die sich auf den Weg machen – und zwar mit einer geringen oder
gar keiner Unterstützung aus dem Kultusministerium –, dass sie eine rechtsverbindliche Sicherheit haben, dass sie zur Not auch ihr Recht einklagen können – was sie jetzt nicht können. Wie viele Schulen gehen jetzt vielleicht nicht diesen Weg? – Herr Dulig, Sie haben es gesagt: Es wird Anträge geben und ich gehe fest davon aus und ich kenne diese Schulen, die die Anträge stellen werden, und ich freue mich schon darauf; aber es sind vielleicht vier oder fünf. Mir wäre es lieber, es wären 25, 30 oder 40 Schulen, denn dann wäre es wesentlich günstiger.
Meine Damen und Herren! Damit ist die Aussprache beendet. Ich stelle nun die Drucksache 4/4588 zur Abstimmung. Wer dieser Drucksache seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei Stimmen dafür und Stimmenthaltungen ist dieser Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.
Die Fraktionen können dazu Stellung nehmen. Es beginnt die Fraktion der NPD; danach CDU, Linksfraktion.PDS, SPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung. Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte die Fraktion der NPD, das Wort zu nehmen; Herr Apfel, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitdem der SPD-Vorsitzende Kurt Beck eine Datenerhebung im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung gelesen hat und daraufhin vom Problem der „Unterschicht“ sprach, läuft eine hitzige Diskussion über Armut in Deutschland.
Die besagte Sozialstudie vermied das Wort Unterschicht und benutzte lieber den zynischen Begriff vom „abgehängten Präkariat“. Da wird es gleichgültig, wie man über Menschen mit geringem Einkommen spricht, die meist auf Sozialtransfers angewiesen sind; denn diese Menschen stehen offenbar auch in Zeiten eines lauthals
Obwohl in den letzten zwölf Monaten die Arbeitslosenzahl um über 400 000 Menschen gesunken ist, hatte dies kaum Auswirkungen auf die Zahl der Langzeitarbeitslosen und Hartz-IV-Empfänger. Es kann daher nicht überraschen, dass sich laut der Studie der Friedrich-EbertStiftung der typische Geringverdiener oder Empfänger des Arbeitslosengeldes II abgehängt und von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlt.
Dieser Befund ist nicht neu; doch erschreckend ist, wie sehr sich unsere sonst so moralinsaure Gesellschaft mit dem Schicksal von Millionen Landsleuten abfindet. Die sogenannte Jahrhundertreform des Arbeitsmarktes, wie sie von dem inzwischen unter Korruptionsverdacht stehenden VW-Manager Peter Hartz und dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder am 16. August 2002 bei der
Vorstellung der sogenannten Hartz-Reform im Berliner Dom großspurig angekündigt wurde, hat sich als katastrophenschwangere Politik im Blindflug erwiesen. Wer sich noch an die Prahlereien von Peter Hartz an diesem Tage mit dem traurigen Höhepunkt – Zitat: „Wir haben hier die Zukunft für zwei Millionen Arbeitslose konzipiert“ – erinnert, der kann ermessen, welche Erwartungen damals bei den Arbeitslosen erweckt wurden und wie bitter diese Erwartungshaltung enttäuscht wurde. Für nüchterne Beobachter war freilich schon bei der damaligen Vorstellung des Abschlussberichtes „Moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt“ klar, dass der Berg gekreißt und eine Maus geboren hatte.
Dennoch wurden die Hartz-Empfehlungen Stück für Stück umgesetzt. Als elementarer Bestandteil des Umsetzungskartells ist hier vor allem die PDS zu nennen. Schließlich enthielten sich die beiden damals rot-roten Landesregierungen in Berlin und MecklenburgVorpommern bei der Abstimmung im Bundesrat zu den Hartz-Reformen der Stimme, und dies nur, um die Futtertröge der Macht weiterhin zu sichern. Mit Ihrer aktiven Mithilfe, meine Damen und Herren der PDS, wurde somit ein Lehrstück neoliberaler Deregulierungspolitik durchgesetzt. Ministerpfründe und Regierungspöstchen sind der vermeintlich sozialen Opposition der PDS offensichtlich wichtiger als die Sorgen und Nöte sozial schwacher Menschen.
Doch ihre tatkräftige Mithilfe bei der Verabschiedung von Hartz IV hinderte die PDS natürlich nicht daran, Krokodilstränen zu vergießen und Hartz IV im Wahlkampf als „Armut per Gesetz“ zu bezeichnen. Dabei war kein einziger der Hartz-Vorschläge im Wortsinne radikal, das heißt, packte das Problem an der Wurzel, die da schlicht und einfach lautet: Es fehlen Arbeitsplätze in Millionenhöhe. Kürzungen beim Arbeitslosengeld vor allem für Ältere, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf dem Niveau der Letzteren, die Ausweitung von Leiharbeit über Arbeitsagenturen, die Privatisierung der Arbeitsvermittlung durch Vermittlungsgutscheine und die Beauftragung privater Dritter mit der Vermittlung und Durchführung von Eingliederungsmaßnahmen, die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen und die Lockerung des Kündigungsschutzes, neue Modelle der Scheinselbstständigkeit wie Ich-AGs und geringfügige Beschäftigung, Minijobs und Midijobs – all dies, meine Damen und Herren, schuf und schafft keinen einzigen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz.
Genau deshalb sind wir in der Arbeitsmarktpolitik meilenweit von unseren Zielen entfernt. Die HartzVorschläge konnten noch nie helfen, sie zu erreichen; denn sie zielen letztlich nur auf eine effizientere Verwaltung der bestehenden Arbeitslosigkeit. Anstatt sich endlich um die Abstellung dieser fatalen Geburtsfehler zu kümmern, überbieten sich die Regierungsparteien wieder in Kürzungsforderungen, die im Rahmen der für 2007 angekündigten Reform des Niedriglohnsektors vorgenommen werden sollen.
Da stellt es eine erfreuliche Ausnahme dar, wenn in dem von Hartz IV befallenen Chor mit dem vom NRWMinisterpräsidenten Jürgen Rüttgers zu Recht gefordert wird, endlich wieder den Zusammenhang zwischen den Einzahlungen von Arbeitnehmern in die Arbeitslosenversicherung und dem Arbeitslosengeld herzustellen. Jürgen Rüttgers bezeichnet es als Kardinalfehler von Hartz IV, dass Arbeitsbiografien entwertet werden, wenn die Leistungen nicht mehr an den Umstand geknüpft werden, wie lange jemand überhaupt in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat.
Aber abgesehen von diesen Stimmen der Vernunft wird wieder die altbekannte Missbrauchsdebatte aufgewärmt, um neue Kürzungspläne nachzuschieben. So soll der Kreis der Bezugsberechtigten des Arbeitslosengeldes II weiter eingeschränkt werden. Der Wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Wend, forderte vor ein paar Monaten sogar, den Regelsatz für Mitglieder von Haushaltsgemeinschaften zu kürzen, um angebliche Fehlanreize zu vermeiden – ein ungeheuerliches Ansinnen angesichts der sozialen Realitäten und des Mangels an Arbeitsplätzen; denn schon der geltende Regelsatz von 345 Euro für einen Erwachsenen und von 207 Euro für ein Kind unter 14 Jahren ist zu niedrig, um die Betroffenen vor Armut zu schützen. Nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes müssten die Sätze für Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Sozialhilfe um 20 % auf 415 Euro angehoben werden, um wirklich alle Bedürfnisse des täglichen Lebens abzudecken.
Wie ungerecht die Bestrafungsmentalität von Langzeitarbeitslosen ist, die sich in immer neuen Kürzungsforderungen ausdrückt, wurde vor Kurzem auch durch eine Studie des Landkreistages enthüllt, in der 69 Kommunen untersucht wurden, die die Betreuung von Langzeitarbeitslosen selbst übernommen haben.