Mir liegt jetzt noch eine Wortmeldung von der PDS vor. Ich frage vorher, ob die anderen Fraktionen noch das Wort wünschen. – Wenn das nicht der Fall ist, dann bitte Herr Hilker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der CDU, ja, Sie wollen Wachstum erreichen. Aber gleichzeitig vergessen Sie die Wachstumsgrenzen zu beschreiben. Herr Nolle hat dazu zumindest einige Dinge angemahnt. Viele Unternehmen, so zeigt es sich, scheitern bei der nächsten Wachstumsstufe am Kapitalbedarf, weil sich Unternehmen ja nicht mehr über 100 Jahre hinweg entwickeln können, sondern ziemlich schnell Wachstumsstufen nehmen müssen. Zudem gibt es Ergebnisse von Untersuchungen – und diese betreffen nicht nur Ostdeutschland und ostdeutsche Unternehmen –, die besagen, dass über 75 % der Erweiterungsinvestitionen in den Sand gesetzt sind, weil man sich doch nicht auf dem Markt durchsetzen kann. So ist natürlich zu fragen, ob man im Wesentlichen noch auf Erweiterungsinvestitionen setzen soll.
Weiterhin ist zu fragen – Herr Jurk, wie ich Sie verstanden habe, haben Sie in Ihrer Rede 15 Jahre Wirtschaftspolitik im Freistaat Sachsen weitgehend verteidigt –, warum zum Beispiel im Jahr 2002, wenn die sächsische Wirtschaft doch wächst, wenn die Nachfrage nach Forschung und Entwicklung wächst, über 23 Millionen Euro der Mittel für die Technologieförderung nicht abgeflossen sind und ob das nicht den Trend anzeigt, dass die Unternehmen die bereitgestellten Mittel gar nicht mehr nutzen können.
Es ist zu fragen, warum der Freistaat Sachsen in den letzten fünf Jahren über 200 Millionen Euro für eine Biotechnologieoffensive bereitgestellt hat, die im Wesentlichen in Beton gegossen wurde, und warum mittlerweile die Unternehmen darüber klagen, dass ihnen die Fachkräfte, die Facharbeiter, die Meister, die Ingenieure, fehlen. So muss ich mich doch fragen: Warum gibt es keine integrierte Förderpolitik, die über mehrere Ministerien hinweggeht?
Der Wirtschaftsminister hat in diesem Land den größten Förderetat, mehr als 600 Millionen Euro. Frau Ludwig, Sie werden wissen, dass so viel nicht einmal alle Ihre Universitäten haben. Der Freistaat Sachsen gibt drei Milliarden Euro jährlich für die Bildung aus, für Kitas, für Schulen, für Berufsschulen, für Fachhochschulen, für Berufsakademien und für Universitäten. Aber diejenigen, die hier eine Ausbildung durchlaufen haben, die Ausgebildeten mit ihrem Forschungs-Know-how, mit ihren Promotionen und ihrem Wissen, wandern zum größten Teil ab. Wie ist denn die Rendite dieser Bildungsförderung, meine Damen und Herren von der CDU? Und – so muss ich fragen – wo sind die ansetzenden Förderprogramme vom Wissenschaftsministerium, vom Wirtschaftsministerium, aber auch vom Umwelt- und Landwirtschaftsministerium, um diejenigen, die hier in Forschung und Bildung für sich selbst investiert haben, hier zu halten, um diejenigen, die nicht weggehen wollen, hier zu halten?
Ja, das, was fehlt und was nicht aufgeführt ist, ist eine integrierte ressortübergreifende Politik, eine Wirtschaftsförderpolitik, die das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium, das Wissenschafts- und Kunstministerium, das Kultusministerium sowie das Wirtschaftsministerium einbezieht. Nur eine Förderpolitik, die auf Nachhaltigkeit setzt, wird Erfolg haben, und Nachhaltigkeit, meine Da
men und Herren von der CDU, hat nicht nur etwas mit Umsatz und Export zu tun, sondern auch mit dem Abbau von Arbeitslosigkeit.
Wort wünscht. – Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, damit ist die 1. Aktuelle Debatte, beantragt von der CDU- und der SPD-Fraktion zum Thema „Sächsische Industrie auf Wachstumskurs“, beendet.
Es beginnt die Fraktion der PDS, danach CDU, SPD, NPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Ich übe mich heute in Zurückhaltung, zumindest stimmlich. Ich bin nämlich erkältet. Ich bitte das zu entschuldigen.
Ich bin echt erstaunt, was das für Reaktionen bei Ihnen auslöst. Entschuldigung, aber das kostet meine Zeit, meine Damen und Herren. Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Zurück zu Inhalten. Drei Jahre ist es nun her, dass ein Schrei des Entsetzens ob der schlechten Ergebnisse Deutschlands in der Pisa-Studie durch die deutschen Lande ging. Mit ihm gab es einen Ruf nach Veränderung, nach grundlegender Veränderung.
Die Ergebnisse der zweiten Stufe der OECD-Bildungsstudie liegen nun vor. Das Bild ist in etwa das gleiche: 41 Länder haben sich beteiligt und mal wieder rangiert Deutschland im Mittelfeld. Auffällig dabei ist die Streuung der Leistungen. So haben wir eine relativ große Risikogruppe und nur eine kleine Leistungsspitze sowie eine hohe Korrelation zwischen Bildungshintergrund der Eltern und Erfolg der Kinder. Hier ist Deutschland bei den Industriestaaten führend, also im rechten Maßstab betrachtet Schlusslicht. Das kann nicht sein, meine Damen und Herren. Es ist doch eine wesentliche Aufgabe von Schule, alle Kinder zu fördern.
Die Pisa-Studie macht offenbar, dass die Schule ihre beiden für mich wesentlichen Aufgaben nicht erfüllt. Das ist zum einen die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen – da sind wir im Mittelfeld – und zum anderen genau die Förderung für jedes Kind, die es gemäß seinem Hintergrund braucht, also die Chancengerechtigkeit.
Da reicht es eben nicht, wie gestern Herr Milbradt in seiner Regierungserklärung sagte, dass sich die Eltern mehr
um ihre Kinder kümmern sollen. Das ist natürlich auch nicht falsch. Aber was passiert mit den Kindern, deren Eltern das nicht leisten, vielleicht auch, weil sie es nicht leisten können? Da muss die Schule ihre Aufgabe sehen. Wer denn sonst? Oder soll es in letzter Konsequenz wirklich heißen: Entweder die Eltern kümmern sich oder du, liebes Kind, hast Pech gehabt? Da hat die Gesellschaft eine Verantwortung. Denn kein Kind darf einfach so zurückgelassen werden.
Die Schule muss natürlich entsprechend gestaltet sein, um das leisten zu können. Genau deshalb muss man sich nicht wundern, wenn die Ergebnisse von „Pisa“ im Wesentlichen die gleichen sind. Woher sollten die anderen Ergebnisse auch kommen? Da hätte ja etwas Grundlegendes passieren müssen, wie es zum Beispiel in Polen der Fall war. Polen lag bei „Pisa I“ im hinteren Feld. Dort wurden aber die Empfehlungen der OECD zur Bildungsreform befolgt. Es wurde längeres gemeinsames Lernen eingeführt, mehr in die Ausstattung investiert und die Methodik überprüft. Dadurch hat man im Ergebnis in „Pisa II“ zur Spitze aufgeschlossen. Nichts Annäherndes ist in Deutschland passiert.
Nach Veröffentlichung der Ergebnisse und bevor eine gesellschaftliche Debatte angefangen werden konnte, wie Schule sein soll, wurde erst einmal festgelegt, worüber man nicht diskutiert. Dazu gehörte zum Beispiel die Schulstruktur – und das gerade in Sachsen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass der Erfolg von Schule mit der Qualität des Unterrichts und der Lernkultur steht und fällt. Aber für dieses Innere von Schule muss man die richtige Struktur schaffen und die Kinder nicht als gut, schlecht oder ganz schlecht auf die Schulformen verteilen,
wenn doch alle Kinder ob ihres Hintergrundes einfach unterschiedlich sind und ebenso gefördert werden müssen.
Die Spitzenländer in der Pisa-Studie machen es uns vor. Die ersten zehn setzen auf integratives Lernen und die OECD empfiehlt es.
Nun, meine Damen und Herren, könnte man sagen: Da bewegt sich ja etwas in Sachsen. Das hatte ich zuerst auch gehofft. Schon in der ersten Woche nach der Ankündigung zeigten über 100 Schulen Interesse am längeren gemeinsamen Lernen. Da muss Ihnen angst und bange geworden sein, meine Damen und Herren von der Staatsregierung. Umgehend ließ Minister Flath verkünden, dass die Anzahl der Gemeinschaftsschulen auf 50 bis 60 begrenzt werde. Mit der selbstbestimmten Einführung laut Koalitionsvertrag hat das nichts mehr zu tun, wenn Schulen, die ein neues Lernen wagen wollen, es nicht dürfen. Mit Gemeinschaftsschulen hat das auch nicht mehr viel zu tun. Denn die Einschränkung, die auf dem Fuße folgte, war, dass das Konzept nur bis zur 6. Klasse gehen dürfe. Das ist keine neue Lernkultur. Das ist eine verlängerte Grundschule.
Herr Milbradt ist leider bei diesem wichtigen Thema nicht im Saal. Gestern habe ich aus seiner Regierungserklärung eine sehr unglückliche Tendenz herausgehört. Man werde bei der Auswertung innerhalb Deutschlands wieder vorn stehen. Das mag sein und ist auch nicht schlecht. Trotzdem ist es nur Mittelfeld und passt nicht zu der Spitzenbildung für unsere Kinder, die er gleichzeitig ausruft.
Dafür müssen endlich grundsätzliche Veränderungen in Inhalt und Struktur von Schule durchgeführt werden.
Meine Damen und Herren! Natürlich gelingt eine Bildungsreform nicht über Nacht. Aber sie muss endlich angefangen werden, damit „Pisa 2006“ ein anderes Bild zeigt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Bonk, mit Blick auf Ihre Ausführungen empfehle ich Ihnen einfach die Lektüre des heutigen Pressespiegels, und zwar den Artikel in der „FAZ“. Dort werden Sie sehr eindrucksvoll die Aussagen, die Sie eben gemacht haben, widerlegt bekommen.
(Starker Beifall bei der CDU – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Sie ist hier in die Schule gegangen! – Dr. Volker Külow, PDS: Lesen Sie die „taz“!)
Meine Damen und Herren! Es bereichert wohl kaum die schulpolitische Debatte zur Entwicklung des Schulsystems in Sachsen, wenn in der Pisa-Studie getroffene Analysen immer wieder aus dem Gesamtzusammenhang der Betrachtung herausgelöst, ideologisch überhöht, verallgemeinert und ohne Bezug zu konkreten Aussagen über das Schulangebot in unserem Land verabsolutiert werden.