Protocol of the Session on April 7, 2006

Nun will ich weniger auf die mögliche Interpretation dieser Festlegung eingehen als vielmehr auf die Wirkung, die das neue Verfahren erzeugt hat. Ich denke, man muss hier kritisch feststellen, dass damit ein ungewollt stärkerer Zulauf an das Gymnasium erfolgt ist. Dabei ist es weniger das quantitative Problem, das damit verbunden ist, sondern – darin gebe ich Ihnen Recht; Herr Kollege Herbst – es ist auch ein qualitatives Problem, nämlich die Gefahr der Lockerung des Leistungsniveaus unserer Gymnasien.

Nun gibt, wie gesagt, der Koalitionsvertrag klare Vorgaben. Die Alternative zur jetzt gültigen Regelung des Kultusministeriums wäre die völlige Freigabe des Elternwillens. Dies würde zu noch größeren und nicht zu rechtfertigenden Übergängen führen. Ich möchte aber auch zu bedenken geben, dass dies vonseiten der Oppositionsfraktionen immer wieder befürwortet wurde. Wir wollen uns dem so nicht anschließen und tragen demnach den Kompromiss des Kultusministers mit.

Nahezu einheitlich, meine Damen und Herren, ist im Ländervergleich festzustellen, dass es nie der alleinige Elternwille ist, der den Übergang an weiterführende Schularten steuert. Vielmehr erfolgen auch eine pädagogische Bewertung des Lern- und Arbeitsverhaltens sowie eine Einschätzung der bisherigen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Die in die Bewertung einfließenden Notendurchschnitte und die zu berücksichtigenden Fächer differieren, wenn auch Kernfächer wie Mathematik, Deutsch und Fremdsprachen deutschlandweit die stärkste Beachtung finden.

Ich denke, meine Damen und Herren, wir tun gut daran, die unterschiedlichen Erfahrungen, die anderswo gesammelt wurden, aufzugreifen und weiterführend zu aktualisieren.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Höhere Übergangsquoten an das Gymnasium, wie es im Ergebnis der Pisa-Studien und in internationalen Vergleichen immer wieder zu Rate gezogen wird, führen nicht automatisch zu höherwertigen schulischen Ausbildungen. Ich möchte hierzu aus einem Kommentar der „F.A.Z“ vom 24. März dieses Jahres zitieren, der die Misere anderswo treffend beschreibt. Es heißt dort: „In Frankreich absolvieren mittlerweile 70 % eines Jahrgangs das Abitur – dreimal so viel wie in Deutschland –, und es gibt erheblich mehr Studenten. Der Begleiteffekt dieser Bildungsoffensive ist eine Senkung des Anspruchsniveaus und eine Entwertung der Diplome. Jedenfalls ist die Jugendarbeitslosigkeit mit 23 % fast doppelt so hoch wie in Deutschland und die französischen Normaluniversitäten gelten – im Unterschied zu Elitehochschulen – inzwischen als ‚Fabriken von Arbeitslosigkeit.’“

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Na ja!)

Meine Damen und Herren! Ich denke, wir sollten einer solchen Misere, zumindest in Sachsen, gemeinsam entgegenwirken.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Was ist also zu tun? Ich gestehe ein und möchte dies auch nicht infrage stellen, dass innerhalb der Koalition eine Rückkehr zur ursprünglichen Festlegung der Übergangsbedingungen an das Gymnasium nicht möglich ist. Es macht auch keinen Sinn, die Vorgaben von Jahr zu Jahr zu ändern. Dies bringt mehr Verunsicherung als Verlässlichkeit. Wir müssen also die Entwicklung aufmerksam analysieren und insbesondere einer Entwertung des Leistungsniveaus gymnasialer Ausbildung entgegenwirken. Für den Bedarf an Mittelschulstandorten ergibt sich meines Erachtens die logische Konsequenz, das Übergangsverhalten an die Gymnasien kritisch zu analysieren und nicht nur aus aktueller Sicht Schnellschüsse zur Aufgabe von Mittelschulstandorten zu treffen.

Dem SMWK steht die Anhörungsphase in dieser Frage in den kommenden Wochen bevor und ich gehe davon aus, dass mit diesem beschriebenen Anliegen und auch mit dem Anliegen dieser Debatte verantwortungsvoll und sensibel umgegangen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort; Frau Falken.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Flath, Sie haben gestern, als Sie hier im Hause waren, in Ihrer Fraktion, der CDU, und auch in der SPD die Schließliste herumgezeigt und diese Schließliste, die Sie offensichtlich heute an die Schulträger reichen, mit Ihren Fraktionskollegen und Koalitionspartnern besprochen.

Ich habe gewartet, dass Sie auch zu uns kommen, sich zu mir setzen und mir die Liste zeigen. Leider haben Sie dies nicht getan. Ich bin ehrlich: Nicht wirklich ernsthaft habe ich gedacht, dass Sie es tun. Aber wir sehen, dass Sie hier einen Missbrauch Ihres Amtes tätigen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Sie sitzen hier als Staatsminister, und wenn Sie Informationen für die Mitglieder des Sächsischen Landtages haben, erwarten wir – und ich denke auch, dass dies Ihre Pflicht ist –, dass Sie diese Informationen an alle Mitglieder dieses Hohen Hauses weiterreichen. Wir fordern Sie hiermit auf, umgehend auch den anderen Landtagsabgeordneten diese Liste zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich möchte es auch gleich ganz klar und deutlich sagen, Herr Flath: Es gibt das Gerücht, dass ich sie schon kenne; denn ich sitze ja in Gremien und demzufolge weiß ich es schon. Ich möchte ganz klar betonen: Es wäre vielleicht

wirklich nicht schlecht, wenn man sich einmal das Personalvertretungsgesetz anschaute und wer wofür zuständig ist. Ich bringe es auch gern mit, dann können Sie hineinschauen.

Nun aber zu unserem heutigen Thema. Wir als Linksfraktion wollen natürlich auch ein stabiles Schulnetz, so wie die Regierungsparteien und so wie das Kultusministerium. Aber wir wollen ein flächendeckendes Schulnetz auch für die Mittelschulen. Heute haben wir bereits die Situation, dass im Freistaat Sachsen das flächendeckende Schulnetz nicht wirklich existiert.

Nun stehen wir in diesem Jahr wieder vor einer Schulschließungswelle, dieses Mal höchstwahrscheinlich fast ausschließlich für die Mittelschulen, und damit wird dieses flächendeckende Schulnetz noch viel weiter durchlöchert. In der Zeitung steht: Minister schließt 35 Mittelschulen und wird zirka 20 Mitwirkungsentzüge für 1. und 5. Klassen durchführen. – Wir gehen davon aus, dass Sie das Anhörungsverfahren einleiten und dass, wie Herr Colditz es gerade benannt hat, möglicherweise noch viele Veränderungen in diesem Anhörungsverfahren zugunsten der Mittelschulen durchgeführt werden und nicht zu ungunsten der Mittelschulen.

Ich möchte etwas zu dem Thema „Schülerströme lenken“ sagen. Ab der 5. Klasse haben die Eltern nach dem Schulgesetz die Möglichkeit, ihre Kinder frei in den Schulen anzumelden. Wir wissen aber: Gängige Praxis im Freistaat Sachsen ist, dass Schülerströme gelenkt werden – bewusst, unbewusst, zielgerichtet auch. Herr Flath hat das in der letzten Zeit schon vor den Anmeldeterminen getan.

Wenn wir nun aber im Freistaat Sachsen Schülerströme lenken – „wir“ nehme ich zurück, die Regionalschulämter –, dann könnte ich mir vorstellen, dass man Schülerströme auch mal zugunsten der Mittelschulen lenkt und nicht zuungunsten der Mittelschulen. Ich will einmal ein Beispiel für die Stadt Leipzig aufzeigen:

In Leipzig gibt es derzeit 29 Mittelschulen, übrigens weit weniger als die Hälfte der Mittelschulen, die die Stadt Leipzig mal gesehen hat. 16 dieser Mittelschulen haben nach den Vorgaben die Anmeldezahlen nicht erbracht. Wenn ich aber alle Schüler der 5. Klasse, die sich an einer Mittelschule angemeldet haben, zähle und diese nach den entsprechenden Vorgaben auf die Mittelschulen, die existieren, aufteile, sind es eigentlich nur noch vier, die die Zahlen, die vom Kultusministerium bzw. von der CDU in dem Schulgesetz vorgegeben worden sind, nicht erreichen. Von diesen gibt es sowieso schon zwei in der Stadt Leipzig, die gar keine Schüleranmeldungen annehmen durften, was nach unserer Auffassung rechtswidrig ist. Das heißt, ich könnte sehr günstig und geschickt Schulen nur erhalten, wenn ich für die Mittelschulen entscheiden würde und nicht dagegen.

Begrüßen möchten wir ausdrücklich, dass das Kultusministerium auch in diesem Jahr vorsieht, einzügige Mittelschulen – ich nehme auch das wieder zurück, das wäre der Traum –; einzügige Klassenstufen bestehen zu lassen.

Wir unterstützen das. Aber wir möchten wissen, nach welchen Kriterien diese einzügigen Klassenstufen ausgewählt werden. Es kann nicht sein, dass eine einzügige Mittelschule in dem einen Standort sein darf und eine einzügige Mittelschule in dem anderen Standort nicht sein kann. Also, nach welchen Kriterien wird dies ausgewählt?

Zu den Bildungsempfehlungen werde ich in meinem zweiten Beitrag kommen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Herr Dulig, lassen Sie sich Zeit – in diesem besonderen Fall.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf den ersten Blick scheint es sehr plausibel, dass die veränderte Bildungsempfehlung tatsächlich für die Gefahr zusätzlicher Schließung von Mittelschulen verantwortlich ist. Wenn mehr Kinder an das Gymnasium wechseln, bleiben selbstverständlich weniger für die Mittelschulen übrig. Ein zweiter Blick belehrt uns aber, sofern wir fähig sind, einen solchen Blick auch zu riskieren, dass das Problem bei Weitem nicht so einfach ist und auf zwei ungenügend gelöste Strukturprobleme verweist.

Zum einen betrifft dies den Umgang mit dem Rückgang der Schülerzahlen generell. Denn hätten wir in den vielen Jahren, die uns dieses Problem nun schon verfolgt, nachhaltige und finanzierbare Lösungen für kleine Schulstandorte entwickelt, dann könnte uns dies auch bei dem speziellen Problem helfen. Zum anderen können wir doch nicht allen Ernstes jungen Menschen Bildungs- und Lebenschancen nur vorenthalten, indem wir ihnen den Zugang zum Gymnasium verbauen, um Schulstandorte zu erhalten. Der Zynismus, der in dieser Vorstellung steckt, wird noch größer, wenn man das erste Problem mit heranzieht. Nur weil wir es nicht schaffen, produktiv mit demografischen Verwerfungen umzugehen, fällt uns am Ende nichts Besseres ein, als künstliche Barrieren für bessere Bildung aufzubauen. Dieser Zynismus ist auch in Ihrer Rede herübergekommen, Herr Herbst.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das ist Zynismus. Es geht Ihnen um Schulstandorte, um Strukturen und nicht um Bildungschancen.

Das merkt man auch in Ihrer gesamten Programmatik. Schauen Sie sich Ihren Leitantrag an! Darin schreiben Sie: „Wir fordern ein dreigliedriges Schulsystem ab der Klasse 5.“ – 15. Landesparteitag der FDP in Dresden, Ihr Beschluss zur Bildungspolitik.

(Widerspruch bei der FDP)

Ich darf es Ihnen zeigen. Sie können gern einmal im Internet nachschauen.

In Ihrem Wahlprogramm wiederum schreiben Sie:

„Wir wollen die frühe Auslese der Schüler beenden. Zukünftig sollen alle Schüler bis zum Abschluss der Klasse 6 die Grundschule besuchen.“

Was ist jetzt richtig? – Ich vermute, beides, weil Sie immer beliebig sind, mal dies, mal das, je nachdem, wie Sie es brauchen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Diese Beliebigkeit lassen wir Ihnen nicht durchgehen, denn es ist Zynismus, was Sie hier praktizieren.

Aber spätestens jetzt müssen wir uns als Politiker doch die Frage stellen, die eine Administration von sich aus nicht stellt: Wofür betreiben wir Schulen, wem dient das Schulsystem? – Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Antwort sollte in beiden Fällen klar sein: Es geht darum, „jedem jungen Menschen in Sachsen optimale Entwicklungsbedingungen zu geben, damit er ein selbstbestimmtes Leben in sozialer, ökologischer und kultureller Verantwortung führen kann“.

So haben wir es mit unserem Koalitionspartner vereinbart, denn: „Die Koalitionspartner sind sich der Schlüsselrolle von Bildung für die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen wie für die nachhaltige Entwicklung unseres Landes in einer modernen, dynamischen Welt bewusst. Sie werden alle Anstrengungen unternehmen, um chancengerecht die Leistungsfähigkeit des sächsischen Bildungswesens zu erhöhen und an die sich wandelnden Bedingungen in einer globalisierten Welt anzupassen. Die Koalitionspartner orientieren sich dabei an den Ergebnissen der Besten in Europa.“ – So weit der Koalitionsvertrag.

Einen Schritt zur Umsetzung dieses wohl unstrittigen Ziels ist der Kultusminister mit der Veränderung der Bildungsempfehlung gegangen. Er hat dabei im gleichen Atemzug den Gymnasien den Auftrag gegeben, den Schülerinnen und Schülern eine solche Förderung zu geben, dass sie auch das Abitur erreichen können. Denn: Wenn wir uns an den Besten in Europa orientieren, dann können wir uns nicht mit 35 % Abiturienten zufrieden geben, dann sollten es wenigstens 60 % sein. Unsere jungen Menschen sind doch in ihren Anlagen nicht dümmer als die in den meisten OECD-Staaten.

Aber auch wenn wir die Belange unseres Landes im Blick behalten, können wir uns nicht mit den niedrigen Abiturientenquoten zufrieden geben, schon gar nicht mit der noch niedrigeren Rate an Studierenden im Jahrgang. Wir brauchen nach verschiedenen Prognosen der Wirtschaft und Wissenschaft zwischen 60 und 80 % Studierende im Jahrgang, um nur annähernd den Ersatzbedarf in den akademischen Berufen zu sichern. Wenn wir in einer zunehmend wissensbasierten Gesellschaft vorn mitmischen wollten, brauchten wir noch mehr und müssten so attraktiv sein, entsprechend Gebildete nach Sachsen zu ziehen und hier zu binden.

Auch vor diesem Hintergrund wäre es das Falscheste, was wir machen könnten, wenn wir, einem Strukturkonserva

tismus folgend, den Zugang zum Gymnasium weiter verknappen wollten. Erfolgreiche OECD-Staaten mit einem Vielfachen der deutschen Entwicklungsdynamik haben immer auch einen hohen Anteil an akademischer Bildung. Meist fußt dies auf einem breiten Potenzial Hochschulzugangsberechtigter. Offenbar lohnen sich solche Investitionen, die zudem überhaupt nicht mehr Geld kosten, als wir in Sachsen in das Bildungssystem stecken. Es geht nicht um Geld und Ressourcen, es geht um die Verwendung dieser Ressourcen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung)