Protocol of the Session on April 5, 2006

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Ein weiterer Aspekt bei Familien, meine Damen und Herren, den der Freistaat erkannt hat und für den er sich engagiert: Familien sind die wichtigsten tragenden Netze bei der Versorgung kranker, behinderter oder bedürftiger Menschen. Derzeit werden 69 % aller Personen, die Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten, zu Hause gepflegt. Die große Mehrheit, zwei Drittel, wird von Angehörigen gepflegt. Familien sind also auch hier doppelt gefordert. Sie ziehen Kinder groß und sie kümmern sich um die Familienangehörigen, die nicht mehr selbst für sich sorgen können.

Diese Anforderungen werden weiter steigen. Nach jüngsten Prognosen wird im Jahr 2020 über ein Drittel der sächsischen Bevölkerung 60 Jahre und älter sein. Sachsen ist hier aufgrund der demografischen Entwicklung bundesweit Vorreiter. Dort wird ein solch hoher Anteil Älterer erst 2050 erreicht. Nun heißt aber „alt“ nicht immer unbedingt gleich, krank und pflegebedürftig zu sein. Aber mit einem steigenden Anteil hochaltriger Menschen in unserer Gesellschaft wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigen. Wer soll sie eigentlich pflegen? Ich bin sicher, dass Familien auch dann weiterhin die wichtigsten tragenden Netze sein werden, aber ich erinnere: Sie sind doppelt, oft dreifach belastet; denn zur Erziehung der Kinder und zur Pflege der Angehörigen kommt notwendigerweise noch die Erwerbstätigkeit hinzu.

Deshalb unterstützen wir im Freistaat Sachsen unsere Familien auch bei diesen Aufgaben. Wir verfolgen bei unserer Pflegekonzeption den Ansatz „ambulant vor stationär“ und investieren deshalb in ambulante Pflegeangebote und Tages- und Kurzzeitpflegeeinrichtungen. Solche Einrichtungen sind eine wichtige Entlastung für pflegende Angehörige.

Einen unverzichtbaren Beitrag in der häuslichen und hauswirtschaftlichen Versorgung leisten auch ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bürger. Mit einem Extraprogramm unterstützt und fördert der Freistaat dieses gemeinnützige Engagement in vielen Bereichen der Gesellschaft mit insgesamt 6,5 Millionen Euro in diesem Jahr.

Darüber hinaus unterstützt Sachsen eine Initiative für die Einführung einer Pflegezeit, vergleichbar der Elternzeit. Pflegende Angehörige sollen das Recht auf eine unbezahlte Freistellung von der Erwerbstätigkeit erhalten; denn Pflege im Familienkreis darf nicht mit dem Risiko eines Arbeitsplatzverlustes einhergehen.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Dringenden Handlungsbedarf gibt es auch im Bereich der Pflegeversicherung. Die Pflegeversicherung hat gewissermaßen einen Geburtsfehler; denn die Leistungen für die stationäre Pflege sind sehr viel höher als die für die ambulante und häusliche Pflege. Außerdem werden bestimmte Erkrankungen und Leistungen, wie zum Beispiel Demenz und Hospizarbeit, nicht ausreichend berücksichtigt. Deshalb setzt sich Sachsen für eine Verbesserung der Leistungen bei ambulanter und häuslicher Pflege ein.

Dazu kommt unsere Unterstützung für das generationsübergreifende Wohnen. Diese selbst gewählte Wohnform hat für alle Beteiligten große Vorteile. Kinder wachsen mit Kindern auf, Eltern wohnen mit Eltern, die sich gegenseitig unterstützen, und Jung lebt gemeinsam mit Alt unter einem Dach. Die Vorteile für junge Familien leuchten sofort ein. Aber auch die älteren Bewohner profitieren davon. Wir arbeiten deshalb derzeit an verschiedenen Fördermöglichkeiten und Hilfen für solche Projekte; denn hier wird eine neue Kultur des Miteinanders der Generationen gelebt, in der Alltagssolidarität praktiziert wird und Familien gestärkt werden.

Nicht nur aus aktuellem Anlass komme ich auf einen weiteren Punkt zu sprechen, meine Damen und Herren. Manchmal können Familien keine tragenden Netze sein. Es gibt auch in unserem Land Kinder, die in einer Atmosphäre der so genannten Erziehungsohnmacht aufwachsen. Sie erleiden körperliche und seelische Gewalt und Verwahrlosung. Diese Kinder dürfen wir nicht allein lassen. Grundsätzlich liegen Erziehung, Bildung, Förderung und Schutz der Kinder in der Verantwortung der Eltern. Dazu haben Eltern nicht nur das Recht, dazu sind sie verpflichtet.

(Beifall des Abg. Frank Kupfer, CDU)

Sie haben die Pflicht, ihren Kindern ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen, sie zu stärken und sie zu schützen. Wenn sie dazu nicht in der Lage sind, muss der Staat in seiner Wächterfunktion helfend eingreifen. Deshalb wird sich der Freistaat Sachsen an der Umsetzung eines Frühwarnsystems aktiv beteiligen, um Kinder frühzeitig zu schützen und Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Wir werden entsprechende Initiativen im Bundesrat mit auf den Weg bringen; denn, meine Damen und Herren, ohne Kinder gibt es keine Zukunft, ohne Familien ist kein Staat zu machen. Das ist eine biologische und eine soziale

Wahrheit und es ist eine ökonomische Tatsache. Ohne Kinder keine Konsumenten, keine Nachfrage, keine Unternehmerinnen und Unternehmer, keine Fachkräfte.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Und keine Freude!)

Das hatte ich schon gesagt! – Ohne Kinder sinkt unsere Innovationskraft und ohne Kinder sind unsere sozialen Sicherungssysteme gefährdet.

Sachsens Familien erbringen also mit der Erziehung jedes Kindes einen wichtigen Zukunftsbeitrag für uns alle. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bei den Familien ganz herzlich bedanken.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Dr. Simone Raatz, SPD)

Herr Dr. Hahn, hören Sie jetzt zu!

(Heiterkeit)

Familie zwischen Emotion und Zahlen, Familie zwischen Liebe und Wirtschaftsfaktor! Unser Ziel ist: Sachsen soll das familienfreundlichste Bundesland werden.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Dafür unterstützen wir Familien entsprechend ihren individuellen Lebensentwürfen, entsprechend den veränderten Anforderungen der Arbeitswelt und entsprechend den Ansprüchen der Menschen. Politik für Familien ist nicht singulär zu betrachten. Familienorientierte Politik ist eine Querschnittsaufgabe. Unternehmen, Medien, Kommunen, Kultureinrichtungen, Sportvereine, Gaststätten, Ferienanbieter, Wohnungseigentümer, Nachbarn – alle tragen zu den Lebensbedingungen von Familie bei. Keiner darf in Sachsen Nachteile haben, weil er eine Familie hat. In Sachsen haben Kinder Vorfahrt.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir brauchen ein Bündnis für Familien, so wie es vor Ort in den lokalen Bündnissen für Familien bereits zunehmend geschieht. Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Bis zum familienfreundlichsten Land haben wir noch einiges zu bewegen, in der Tat.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Aber miteinander schaffen wir das. Unser Ziel, mehr Kinder in die Familien und mehr Familien in die Gesellschaft zu bringen, erfordert eine schöpferische Politik. Das heißt auch andere Wege gehen als bisher.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Ja, längere Schulwege!)

Das heißt zum einen erneuern, aber auch prüfen, ob Bisheriges gerechtfertigt ist, und Bewahren dessen, was erfolgreich ist.

Wir haben in Sachsen ein gutes Fundament für unsere Familien geschaffen. Darauf bauen wir und wir bauen weiter an der Zukunft.

Als Familienmensch bin ich seit Jahren dem Optimismus verpflichtet, meine Damen und Herren. Deshalb sehen Sie mich auch heute hier optimistisch: Wir werden gemeinsam unser Ziel erreichen.

(Beifall bei der CDU)

Dafür brauchen wir auch mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Dazu gehört neben mehr Gerechtigkeit für Familien bei Steuern und Rente auch mehr Gerechtigkeit bei der Einflussnahme auf politische Entscheidungen.

Meine Damen und Herren, zirka 16 Millionen Bundesbürger haben bei Wahlen keine Stimme. Das sind die Kinder in unserem Land. Kinder brauchen dringend eine Lobby. Das wurde inzwischen auch parteiübergreifend erkannt. Auch wir sollten über das Familienwahlrecht diskutieren. Kinder brauchen eine Stimme, und zwar von Geburt an. Wir müssen sicherstellen, dass sich Politik nicht nur den Gegenwartsinteressen stellt, sondern auch den Interessen derer, die unsere Zukunft sind.

(Johannes Lichdi, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Ministerin?

Ich würde meinen Beitrag gern zu Ende führen. – Natürlich sind mir die verfassungsrechtlichen Bedenken bekannt, aber wer Familie denkt, muss weiterdenken. Familienpolitik betrifft alle in der Gesellschaft, also tragen wir auch alle Verantwortung, auch für Veränderungen. Eine gesunde wirtschaftliche Basis ist eine wesentliche Voraussetzung für Familie.

Der Freistaat Sachsen spielt mit seiner Familienpolitik schon heute in der 1. Liga. Wir wollen aber noch besser werden und den Platz an der Tabellenspitze erreichen. Meine Damen und Herren, ich lade Sie alle ein, sich an diesem Prozess aktiv zu beteiligen.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Eigentlich ist es schade, dass keine Kinder hier sind. Ich halte die Kinderparlamente in den Sommerferien für eine gute Übung. Eine solche Ursprünglichkeit täte gelegentlich auch diesem Hohen Hause gut.

Lassen Sie mich also mit einem O-Ton schließen. Der sechsjährige Paul, Sohn einer Mitarbeiterin bei mir im Haus, hat auf die Frage, was denn besser werden müsste für Kinder und Familien, Folgendes gesagt – ich zitiere und übersetze ein bisschen ins Parlamentsdeutsch –: „Kinder brauchen viel Bewegung und frische Luft. Man muss sie gut behandeln und man muss ihnen etwas zu essen geben. Manchmal, wenn sie richtig brav waren, soll man ihnen auch eine Belohnung geben, aber nicht so viel Süßes, sondern mehr Obst. Sie brauchen eine gute Wohnung mit einem Spielplatz vor der Tür. Die Nachbarn sollen nicht gleich schimpfen, wenn es mal zu laut ist. Mama und Papa, Oma und Opa brauchen auch manchmal ein bisschen Freude und einen Blumenstrauß, aber vor allen Dingen mehr Zeit für uns Kinder.“

Meine Damen und Herren, so einfach ist das. Wir sollten einfach auf Paul hören.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich danke der Ministerin für ihre Fachregierungserklärung. Wir kommen jetzt zur Aussprache zu dieser Erklärung. Das Präsidium hat folgende Redezeiten für die Fraktionen festgelegt: CDU 50 Minuten, Linksfraktion.PDS 35 Minuten, SPD 15 Minuten, NPD 13 Minuten, FDP 13 Minuten, GRÜNE 13 Minuten. Die Staatsregierung hat bereits gesprochen. Dabei ist eine kleine Restzeit übrig geblieben.

Die Debatte ist eröffnet. Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort.

(Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sind die schon in der Opposition?)

Entschuldigung! Zuerst die Linksfraktion.PDS, bitte. Herr Neubert.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wort „Zukunft“ ist wohl das meistverwendete Wort in Regierungserklärungen überhaupt, jedenfalls in Deutschland. Es stimmt immer, es klingt positiv, es weckt gute Gefühle, es bleibt dabei sehr unbestimmt, um nicht zu sagen: oftmals inhaltslos. Auch die Staatsregierung liebt Regierungserklärungen mit Titeln, in denen die Worte „Sachsens Zukunft“ vorkommen. Vor zwei Jahren beispielsweise haben wir in diesem Hohen Hause aus dem Munde des Ministerpräsidenten wohlklingende Worte unter der Überschrift „Sachsens Zukunft in der Mitte des vereinten Europas“ vernommen. Das Wort „Familie“ allerdings kam damals kein einziges Mal vor.

Irgendetwas wird schon die Zukunft Sachsens bilden. Je nach Bedarf und Medienlage sind es entweder die Unternehmen und die Arbeitsplätze, wenn gerade einmal über Wirtschaft gesprochen wird, oder es sind die Schulen und Hochschulen, wenn gerade wieder einmal eine PisaStudie ergeben hat, dass Sachsen wenigstens im deutschlandweiten Vergleich den Anschluss noch nicht verpasst hat.