Protocol of the Session on March 16, 2006

Aus der historischen Erkenntnis, dass immer diejenigen Gruppen in der Gesellschaft Opfer von Gewalt sind, die ohnehin schon gesellschaftlich diskriminiert sind, wächst doch auch die Einsicht, dass die bisherigen Integrationsbemühungen ungenügend waren und dass unsere Integrationsbemühungen eben anders aussehen müssen als die in den alten Bundesländern mit wesentlich höherem Ausländeranteil.

Beispiel: Die bildungsfernen Migrantinnen bleiben weiter eine Randgruppe. Es gibt noch nicht einmal ein Deutschlehrbuch, das den Interessen und Bedürfnissen dieser Gruppe gerecht wird. Das heißt doch, dass wir uns auch mit der Lebenswirklichkeit dieser Frauen auseinander setzen müssen, damit ihre Integration gelingen kann.

Was immer noch fehlt, ist ein Integrationskonzept für Sachsen. Integration ist ein vielschichtiger Prozess, der entsprechende Strukturen, Effektivität, Kontinuität und auch finanzielle Voraussetzungen braucht. Erinnert sei an dieser Stelle an die Anhörung im Innenausschuss. Integrationspolitik ist mehr als Sprachförderung, mehr als Eingliederungshilfe oder ein streitbares Treuebekenntnis.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Beispiele sächsischer Integrationspolitik sind im Bericht zu finden. Aber weder ein Kuratorium für ein weltoffenes Sachsen noch Feste ersetzen ein Integrationskonzept.

Lassen Sie mich jetzt noch Anmerkungen zu zwei mir wichtigen Punkten machen.

Erstens: die sächsische Härtefallkommission. Auf das gemeinsame Drängen von GRÜNEN und Linksfraktion wurde sie im letzten Sommer endlich eingerichtet. Selbst wenn wir die konkrete Ausgestaltung kritisch sehen –

endlich gibt es für Härtefälle einen offiziellen Anlaufpunkt. Und auch das zeigt der Bericht: Offensichtlich gibt es für dieses Gremium auch tatsächlich einen Bedarf, obwohl dies von den Kritikern immer wieder bestritten wurde.

Zweitens: illegale Einwanderung. Auf der Liste verdrängter und ausgeblendeter Probleme steht das Thema illegale Einwanderung ganz oben. Nicht zuletzt die katholische Kirche hat diesen Umstand mit klaren Worten kritisiert. Ich zitiere den verstorbenen Johannes Paul II.: „Der Status der Ungesetzlichkeit rechtfertigt keine Abstriche bei der Würde des Migranten, der mit unveräußerlichen Rechten versehen ist, die weder verletzt noch unbeachtet gelassen werden dürfen.“

Hier besteht nach unserer Meinung dringender Handlungsbedarf. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus ihre unveräußerlichen Rechte auch einfordern können. Dazu gehören vorrangig die medizinische Behandlung, der Schulbesuch von Kindern und der Schutz vor rassistischen Übergriffen. Nicht zuletzt muss die humanitär motivierte Hilfe für diese Menschen endlich entkriminalisiert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend: Wir müssen es MigrantInnen ermöglichen, ein gleichberechtigter, mündiger, kritischer Teil unserer Gesellschaft zu sein. Das heißt konkret, dass wir neben dem Erreichen der formal rechtlichen Gleichstellung gesellschaftliche Benachteiligungen etwa im Bildungssystem offensiv beseitigen. Es darf nicht sein, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich oft an den Auswahlmechanismen unserer Bildungssysteme scheitern.

In diesem Zusammenhang habe ich mit besonderem Interesse das Kapitel 11 des vorliegenden Berichtes gelesen. Dort wird über das Modellprojekt „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ der Bund-Länder-Kommission berichtet. Natürlich braucht Integration Sprachkenntnisse, sie braucht eine Aufenthaltsperspektive und Rechtssicherheit, sie braucht aber auch einen Ort in unserer Gesellschaft.

Integration braucht konkrete Projekte, aber vor allem unser Interesse, unsere Neugier und unsere Offenheit. Wir sind offen für eine weitere gute Zusammenarbeit mit der Sächsischen Ausländerbeauftragten und wir danken ihr für das Engagement im letzten Jahr.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS, der FDP und vereinzelt bei der CDU und der SPD)

Jetzt spricht die Ausländerbeauftragte. Frau de Haas, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Zum zwölften Mal steht im Sächsischen Landtag der Bericht

eines, heute besser einer Sächsischen Ausländerbeauftragten auf der Tagesordnung. Ich komme damit nicht nur meiner gesetzlichen Pflicht nach, Sie, meine Damen und Herren, über die Tätigkeit meines Amtes und die Situation der gemeinsam mit uns in Sachsen lebenden Ausländerinnen und Ausländer zu informieren. Indem damit auch die Regierung wie die Öffentlichkeit über die Arbeit unterrichtet werden, setze ich bewusst ein Signal zugunsten eines gewollten und tatsächlich erlebten weltoffenen und toleranten Sachsen.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Kontinuität und Veränderung bestimmten mein erstes Jahr im Amt und so stehe ich wie mein Amtsvorgänger den mit uns lebenden Ausländerinnen und Ausländern selbstverständlich als verlässliche Ansprechpartnerin für Bitten, Beschwerden, Petitionen gern zur Verfügung. Jedoch sind zugleich vielfältige neue Herausforderungen in rechtlicher wie politischer Hinsicht zu bewältigen.

Da wäre zunächst das Zuwanderungsgesetz. Erfüllt es die vielseitig begründeten Erwartungen und Hoffnungen, die mit seinem In-Kraft-Treten verbunden waren? Wie steht es um drängende gesellschaftliche Fragen zu einer zeitgemäßen Migrations-, Integrations- und Sicherheitspolitik? Wie ist Pluralität in Meinung, wie Kultur zu fördern und wie die Integration als wechselseitiger Prozess zu begleiten oder die Entschlossenheit zur Bekämpfung von Rassismus wie Radikalismus?

Meine Damen und Herren, das sind Herausforderungen, die auch weiterhin einer intensiven Begleitung bedürfen. Die wohl wichtigste mit In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes verbundene Neuerung war – nun vom Allgemeinen zum Besonderen – die Möglichkeit der Einrichtung einer Härtefallkommission. Parteienübergreifend sind Sie darauf eingegangen. Diese Kommission arbeitet seit dem Sommer 2005 unter meiner Leitung. Sie trägt eine besondere Verantwortung nicht nur für das persönliche Schicksal der Betroffenen, sondern auch die Interessen der Gesellschaft, und wir nehmen unsere Verantwortung in dieser Kommission sehr bewusst wahr.

In vielen Fällen zählen Familien zu den Betroffenen, die lange hier in Deutschland und Sachsen gelebt haben, mit Kindern, die zum Teil hier geboren wurden oder zumindest den größten Teil ihres bisherigen Lebens mit uns verbracht und die Schule hier besucht haben.

In vier Sitzungen konnten 13 Anliegen mit insgesamt 41 Personen beraten und in sieben Fällen ein Härtefallersuchen an das Sächsische Staatsministerium des Innern gerichtet werden. Dieses hat in bislang sechs Fällen jeweils die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen veranlasst.

Dennoch stehen wir vor einer Schwierigkeit. Die Kommission ist nach dem Gesetz berufen, bei den Betroffenen den spezifischen Härtefall aus persönlichen oder humanitären Gründen im Einzelfall festzustellen. Sie ist hingegen kein geeignetes Instrument zur Lösung sämtlicher offener

Fälle. Wir müssen uns deshalb nach wie vor die Frage stellen, wie wir mit Menschen und insbesondere Familien umgehen, die seit Langem in Deutschland leben, deren Kinder hier geboren sind, die unsere Schule besuchen, die deutsch sprechen und ihr Heimatland nur aus den Erzählungen ihrer Eltern kennen und die über kein gesichertes Aufenthaltsrecht verfügen, sondern lediglich geduldet sind.

Womit ich beim nächsten Problem und einer unerwarteten Hoffnung an das Zuwanderungsgesetz wäre. Die Zahl der so genannten Kettenduldungen konnte nicht signifikant reduziert werden. Die jetzt stattfindende Evaluierung des Gesetzes begrüße ich außerordentlich und werde sie mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln auf Länder- wie auf Bundesebene begleiten.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Es muss eine Lösung für diese Menschen, die zum Teil zehn Jahre und länger in unserem Land leben, gefunden werden. Im Übrigen ist dies kein spezifisch sächsisches Problem.

Zum nächsten Punkt, der Integrationspolitik. Wo müssen wir in Sachsen ansetzen, wenn wir anerkennen, dass Integration keine Einbahnstraße ist, sondern Zuwandernde wie Einheimische gleichermaßen gefordert werden? Die Förderung der Sprache als Schlüssel der Integration und die Sicherung des Zugangs zu Arbeit, Bildung und Ausbildung stehen dabei im Mittelpunkt unserer Politik. Nun gelingt Integration nicht auf Konferenzen oder während einer Parlamentsdebatte. Sie gelingt oder misslingt vor Ort in den jeweiligen Kommunen mit den dort lebenden Menschen. Wir können und müssen diesen Prozess begleiten. Dies will ich über gezielte und umfassende Öffentlichkeitsarbeit tun.

Sie können es im Jahresbericht nachlesen: In Sachsen leben etwa 86 000 Ausländer aus 177 Ländern. Das macht etwa 2 % der Wohnbevölkerung aus. Das ist wenig, verglichen mit den Zahlen der alten Bundesländer, bei denen etwa 8 % der Wohnbevölkerung ausländischer Staatsangehörigkeit sind. Großstädte, also Ballungszentren, erreichen Ausländeranteile von etwa 25 %. Unsere Ballungszentren Dresden und Leipzig sind bei etwa 5 bis 7 %.

(Uwe Leichsenring, NPD: Ja, Dr. Martens, aufgemerkt!)

Meine Damen und Herren! Wenige Ausländer bedeuten nicht wenig politischen Handlungsbedarf; denn ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht zuletzt der geringe Anteil mit uns lebender ausländischer Menschen ist, der Fremdenfeindlichkeit ermöglicht. Wenn kaum persönliche Berührungspunkte zwischen deutscher und ausländischer Bevölkerung bestehen,

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Marko Schiemann, CDU)

bleibt das Fremde abstraktes Phänomen und kann leicht als Spielball irregeleiteter Ausgrenzungsideologie missbraucht werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN und vereinzelt Beifall bei der SPD – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig!)

Wir haben auch heute wieder ein eindeutiges Beispiel bekommen. Hier sind wir alle, hier ist nach wie vor auch die Politik gefordert. Berührungspunkte zu ermöglichen und zu vermitteln wird durch die kommunalen Ausländerbeauftragten in vorbildlicher Weise praktiziert. Sie sind erste und vertrauensvolle Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, sie haben immer in allen Fragen ein offenes Ohr für die gemeinsam mit uns lebenden Ausländerinnen und Ausländer.

Integration beginnt auch bei institutioneller Gewährleistung. Wer hier sparen will, der spart letztlich am Erfolg der Integration.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und Beifall bei den GRÜNEN)

Kommunale Ausländerbeauftragte sind unverzichtbar als Schaltstelle zwischen Zuwanderern und Bevölkerung wie Verbänden und Vereinen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN sowie des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Meine Damen und Herren! Vorrangige Aufgabe der Politik muss es sein, durch gezielte und gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit den Bereicherungsaspekt hier lebender und zuwandernder Menschen ausländischer Herkunft für alle Bereiche der Gesellschaft, insbesondere der Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, zu betonen.

Mit dem Kuratorium für ein weltoffenes Sachsen sowie den von mir ins Leben gerufenen Veranstaltungen zu aktuellen Themen wie Zuwanderung und demografische Entwicklung oder Bereicherung durch kulturelle Vielfalt leiste ich dazu einen Beitrag. Es sind aber weitere Anstrengungen aller gesellschaftlichen wie politischen Bereiche notwendig.

Meine Damen und Herren! Es liegt noch viel Arbeit vor uns. Wir dürfen darüber nicht die Gedanken, Anregungen und Wünsche derjenigen überhören, für deren Wohl ich mich – wie viele andere auch – einsetze und deren Interessen und Anliegen ich vertrete. Dies ist einer der Gründe, warum ich mich entschieden habe, sie in meinem nächsten Jahresbericht zu Wort kommen zu lassen. Ich bitte die hier lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie diejenigen, die hier eingebürgert worden sind, über ihre eigenen hier gesammelten Erfahrungen mit Land und Menschen zu berichten; denn ich möchte ihnen – fern der streng rational geführten statistischen integrationswissenschaftlichen oder wirtschaftspolitischen Diskussionen – wirksam Gehör verschaffen. In meinem

Bericht finden Sie dazu einen Aufruf, den ich Sie bitte weiterzugeben.

Meine Damen und Herren! Ihre Anerkennung hat mich sehr gefreut und ich danke Ihnen dafür.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Meinen Dank möchte ich an Sie weitergeben; denn Ihre Unterstützung, Ihre Anregungen und hin und wieder Ihre Kritik erleichterten mir mein erstes Jahr im Amt nicht unwesentlich. Auf dieses Fundament gemeinsamer Zusammenarbeit baue ich sehr gern auf und hoffe auch weiterhin auf Ihre – auch kritische – Begleitung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)