Wenn man sich nun fragt, wie hoch denn die Rückforderungen sein würden, wird in Leipzig gegenwärtig mit 43 bis 45 Millionen Euro gerechnet. Wenn Sie das alles zusammenrechnen, dann kommen Sie auf die zirka 80 Millionen Euro zusätzliche Haushaltsbelastung, wie sie dankenswerterweise Kollege Morlok – der im Unterschied zu Kollegen Albrecht die Zahlen genau wie ich kennt – hier genannt hat.
Deshalb haben wir als Linksfraktion.PDS im Stadtrat eine Studie in Auftrag gegeben. Sie ist inzwischen durch die Stadtverwaltung erschienen. Ich kann sie nur zum Studium empfehlen. Daraus geht hervor: Die erhebliche Zunahme von Bedarfsgemeinschaften ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass eben Tausende Menschen, die bisher, nämlich noch zu Beginn des Jahres, Arbeitslosengeld I bekamen, inzwischen vom Arbeitslosengeld II betroffen sind. Es sind also nicht nur die und vor allem die, die auseinander gezogen wären.
Dann will ich noch auf eines aufmerksam machen. Wenn Sie sagen – auch das habe ich schon gehört –: „Na ja, in Leipzig wird eben das Geld im Sozialbereich mit vollen Händen ausgegeben“, will ich Sie nur daran erinnern: Wir liegen in dieser Stadt – das kritisiere ich ja auch, aber ich stelle es realistisch fest – mit einem Zuschuss von 3,85 Euro pro Quadratmeter für die Kaltmiete auf jeden Fall am Ende der Kreisfreien Städte und zum Teil auch der Landkreise. Es kann also nicht gesagt werden, dass hier etwa Geld verschwenderisch ausgegeben würde.
Dass die Situation und die Misere so sind, liegt am Gesetz selbst und daran – damit komme ich zum Ausgangspunkt zurück –, dass sich ganz offensichtlich die Bundesregierung damals gewaltig verrechnet hat, weil sie ihren Haushalt unbedingt einigermaßen grundgesetzfest machen wollte und dann ganz bewusst mit wesentlich weniger Bedarfsgemeinschaften kalkulierte, um jetzt eine Debatte loszutreten, die schlicht und ergreifend auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen wird, die ich schlimm und nicht würdig für ein reiches Land, in dem wir leben, finde.
Von der GRÜNEFraktion ist mir noch Redebedarf angezeigt worden. Herr Weichert? – Nein. Dann frage ich die Staatsregierung. – Frau Ministerin Orosz, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist von den Vorrednern, denke ich, unisono gesagt worden: Hartz IV ist keine einfache Maßnahme, der wir uns derzeit zu stellen haben, aber sie ist auch ohne Alternative.
Trotzdem muss ich deutlich anmerken, dass in den letzten Wochen in dem System festgestellt worden ist, dass es einige Fehlanreize im Gesetz gibt, die unter anderem dafür gesorgt haben, dass es zumindest im Osten von Deutschland und auch in Sachsen zu teilweise eklatanten Fallzahlsteigerungen der Bedarfsgemeinschaften gekommen ist.
Diesen Dingen müssen wir uns kurzfristig stellen; keine Frage. Dazu ist die Regierungskoalition bereit. Aber ich möchte auch hier erwähnen: Umso schwieriger macht es uns in den letzten Wochen und Monaten die Bundesregierung, in dem Fall der zuständige Bundesminister Clement, der immer wieder mit neuen Zahlen die Kommunen irritierte, was den Bundeszuschuss betrifft.
Wir haben, wenn Sie sich erinnern, im Sommer dieses Jahres von 4,5 % gehört. Wenige Wochen später waren es 7,3 %. Wie wir seit einigen Tagen wissen, gibt es einen im amtierenden Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzentwurf, der mit den Kommunen nicht abgesprochen war und ohne Vorankündigung als Gesetzentwurf verabschiedet worden ist, mit nunmehr 0 %.
Dass diese Verfahrensweise, meine Damen und Herren, zu Irritationen führt – und das mit Recht –, ist uns allen klar. Die eigentlich im Gesetz verabredeten Revisionsverhandlungen haben lediglich im April 2005 stattgefunden, und damals ohne Ergebnis.
Genau das, was heute schon vielfach beklagt worden ist, ist nämlich das Corpus delicti: Es gibt derzeit keine abgestimmten Daten zwischen den kommunalen Spitzenverbänden und der Bundesregierung. Aber nicht nur diese Feststellung ist das Problem. Ich gehe auch davon aus – und mit der Meinung bin ich nicht allein –, dass es kurzfristig nicht möglich sein wird, eine entsprechend abgeglichene Datenunterlage für weitere Abstimmungen zu schaffen. Deswegen, meine Damen und Herren, setzen wir auf einen politischen Kompromiss, der so schnell wie möglich gefasst wird. Soweit ich informiert bin, sind die Signale aus Berlin in dieser Richtung auch bereits gesetzt.
Aber unabhängig davon, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal darauf verweisen, weil ja auch die Sächsische Staatsregierung in ihrer Verantwortung heute von einzelnen Rednern angesprochen worden ist: Die Sächsische Staatsregierung hat in ihrer Verantwor
tung eben nicht erst seit voriger Woche reagiert, sondern wir machen das schon seit Monaten in der Verantwortung a) für die Umsetzung des Gesetzes und b) natürlich auch in der Verantwortung für die Zusagen in Richtung Kommunen.
Die Sächsische Staatsregierung hat sich wiederholt mit der Bundesregierung auseinander gesetzt. Das hat sowohl mein Kollege Horst Metz im Rahmen seiner Finanzministerkonferenz in Richtung Herrn Bundesminister Eichel getan, das habe ich wiederholt getan in Richtung Bundesminister Clement. Wir haben immer wieder auf diese hier eben angesprochene Situation, was das Datenmaterial und damit auch die valide Berechnungsgrundlage betrifft, hingewiesen.
Aber wie gesagt, die Situation ist so, wie sie heute beschrieben wurde. Es gilt jetzt schnellstens Abhilfe zu schaffen. Dazu ist man im Rahmen der Koalition bereit, sodass die Kommunen endlich Sicherheit bekommen.
Um das zu unterstreichen, meine Damen und Herren, hat sich das Kabinett in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt, der heute auch schon erwähnten Bundesratsinitiative der Länder Rheinland-Pfalz und Niedersachsen zuzustimmen. Wir wissen inzwischen, dass es auf der Länderebene eine große Mehrheit für diese Bundesratsinitiative geben wird, und wir wissen auch, dass der Gesetzentwurf der amtierenden Bundesregierung am 25.11.2005 damit keine Mehrheit erhalten wird. Ich glaube, das ist das, was auch heute hier mehrheitlich ausgedrückt worden ist.
Wir müssen sehen, dass wir diese Finanzierungsgrundlage sichern, und uns darüber hinaus schnellstens über die weiteren Veranlassungen unterhalten – sprich über die Verfahren im Jahr 2006 –, nicht nur was die Finanzierung, sondern auch was die notwendigen Neujustierungen im Gesetz betrifft.
Ich bin sicher, dass wir das gemeinsam hinbekommen. Unsere Unterstützung aus Sachsen ist signalisiert. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir recht schnell zu den notwendigen Lösungen für die Kommunen, egal ob ARGE oder optierende Kommune, kommen werden.
Die einreichenden Fraktionen haben nun die Möglichkeit, das Schlusswort zu halten. Wir beginnen mit CDU und SPD. Wer spricht? – Herr Albrecht.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. Wir haben uns jetzt noch mit der FDP zu einem weiteren Punkt verständigt. Dazu wird der Kollege Morlok noch Ausführungen machen.
Wichtig ist mir, noch einmal eines festzustellen: Dieser Antrag der Regierungskoalition ist kein Minimalantrag, sondern er formuliert das, was zu diesem Thema wirklich gesagt werden muss. Dass wir bei der Gesamtproblematik wissen, dass erst die notwendigen Daten vorliegen müssen, bevor wir zu Rückschlüssen kommen, ist dabei klar. Wir glauben auch, dass alle weitergehenden Forderungen, beispielsweise die Forderung, Probleme einer einzelnen Kommune herausgelöst aus der Gesamtproblematik zu betrachten, nicht zielführend sind.
Im Übrigen stelle ich immer wieder fest, dass bei Themen dieser Art entweder die Variante gefahren wird, dass man das Ganze am Allgemeinen festmacht, um unbedingt von der Regierungskoalition abzuweichen, oder man nimmt eine einzelne Kommune, in der sich zugegebenermaßen extreme Zahlen darstellen, um Änderungen zu erwirken.
Also klar ist, dass wir dem PDS-Antrag mit diesen Formulierungen und diesen Forderungen so nicht zustimmen werden.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Albrecht, die Änderung ist nicht falsch. Ich habe vorhin bereits gesagt, dass wir hier nicht beckmesserisch sein werden, und dem gemeinsam bekundeten Anliegen – das ist ja nur die Spitze des Eisberges –, Verschlechterungen im Jahr 2005 nicht zuzulassen, stimmen wir selbstverständlich zu. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner.
Ich hatte in meiner Rede gesagt, dass wir wesentlich mehr wollen; das ist der Punkt 2, der Antwort auf die wirklich krass gestiegenen Kosten für Unterkunft und Heizung gibt. Dazu wieder ein Beispiel: In meinem Landkreis – in anderen Städten und Kreisen wird es ähnlich aussehen – gibt es allein im Jahr 2005 eine Heizkostensteigerung um 38 %, und das ist kein Spaß. Hier muss uns für die Zukunft etwas einfallen; dabei spreche ich gar nicht über das Jahr 2005.
Im Schlusswort darf man auf seine Vorredner eingehen. Herr Albrecht, Sie haben wieder einmal die berühmte Frisöse bemüht, die angeblich weniger verdient, als eine Bedarfsgemeinschaft ALG II brutto bekommt. Warum stellen Sie denn nicht die richtige Frage? Warum fragen Sie nicht: Warum gibt es für die Frisöse oder den Lagerarbeiter keinen Mindestlohn? – So herum müssten Sie die Frage stellen, dann wird ein Schuh daraus.
Dann können Sie das auch beantworten. Warum schafft es denn selbst das ultraliberale Großbritannien, einen Mindestlohn einzuführen, und wir nicht?
Zum Schluss zwei Anregungen, damit diese Probleme der Beziehung zwischen Bund und Kommunen – am Ende sprechen wir über Bund und Kommunen – gelöst werden können. Der Bund verlagert Aufgaben, ob es die richtigen
sind, lasse ich dahingestellt sein. Es sind nicht die richtigen, das hat die Linksfraktion klar gesagt; aber er verlagert Aufgaben auf die Kommunen und finanziert nur unzureichend. Die Kommunen haben offenbar völlig unzureichende Anhörungsrechte im Bund. Das ist ein Thema für die Föderalismuskommission, und da Herr Staatsminister de Maizière freundlicherweise hier sitzt, der ja in Kürze ein nicht ganz unwichtiges Amt in Berlin übernehmen wird, möchte ich ihm Folgendes mit auf den Weg geben: Setzen Sie sich bitte im Rahmen der Föderalismusdiskussion dafür ein, dass die Kommunen verbindliche Anhörungsrechte auf Bundesebene bekommen, so wie dies etwa in Österreich üblich ist, dann kann das Konnexitätsprinzip – Finanzen folgen den Aufgaben – durchgesetzt werden.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn der Bund sich verrechnet, kann er sich nicht einfach bei den Kommunen schadlos halten. Die etablierten Politiker fahren nach wie vor in einer Schönwetterperspektive, wenn es um die Beurteilung der Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Situation in unserem Lande geht.
Dieser Zweckoptimismus hat letztlich auch zu der Milchmädchenrechnung bezüglich des Bundeszuschusses für die kommunalen Kosten für Heizung und Unterkunft geführt. Die Finanzplanungen für das ALG II sind 2004 aufgrund der Daten von 2003 erstellt worden, wie Holger Schäfer vom unternehmerfreundlichen Institut der Deutschen Wirtschaft gegenüber „Spiegel online“ erklärte.
Da aber die Langzeitarbeitslosigkeit deutlich höher als erwartet ausgefallen ist und die Kommunen ferner mehr Sozialhilfeempfänger für arbeitsfähig erklärt haben, sollte sich diese Prognose bald als Makulatur erweisen.
Noch-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement verschweigt außerdem, dass im Jahre 2005 weitere 402 288 Vollzeitarbeitsplätze vernichtet und weitere 101 939 Menschen arbeitslos wurden. Diese gestiegene Massenarbeitslosigkeit verursacht natürlich höhere Kosten, nicht aber die von Wolfgang Clement beschworene angebliche Abzocke.
Wolfgang Clement hat unseres Erachtens auch mit voller Absicht nicht, wie vereinbart, erst die Revisionssitzung in den Städten und Gemeinden über den Stand des Hartz-IVProgramms im Oktober abgewartet, sondern voreilig das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet. Vermutlich handelte Clement wegen eines drohenden Ablaufs von Fristen; denn wenn die Gesetzesinitiative nicht jetzt auf den Weg gebracht worden wäre, dann hätte sich der Bund zur Übernahme des knapp 30-prozentigen Anteils bis Ende 2006 verpflichtet.
Wenn Clement nun die entgleisten Hartz-Gesetze durch den vermehrten Einsatz von Prüfdiensten wieder in die Spur setzen will, dann steht endgültig zu befürchten, dass aus dem Hartz-Motto „Fordern und Fördern“ sehr schnell ein „Fordern, Verfolgen und Verwalten“ werden könnte. Die jüngsten Nachzahlungsforderungen Clements reihen sich ein in eine schlechte und letztendlich verfassungswidrige Tradition von ausgabenwirksamen Bundesgesetzen zulasten der Kommunen. Die Länder müssen sich nun, wenn ihnen die Erhaltung der bundesstaatlichen Kompetenzordnung am Herzen liegt, schützend vor die Kommunen stellen.
Deshalb bitte ich Sie herzlich, unserem Antrag zuzustimmen. Gleichzeitig kündige ich an, dass wir, weil wir weniger dogmatisch handeln und denken als die selbsternannten demokratischen Fraktionen in diesem Hause, auch den Anträgen der PDS und der Koalitionsfraktionen zustimmen werden.