Protocol of the Session on November 9, 2005

Diese divergierenden Interessen auszugleichen ist Aufgabe der Parlamente. Mir scheint, als ob es in der Praxis ausschließlich um die Liquidität geht. Ich glaube auch, dass der Antrag der FDP weniger auf den Umsatzsteuerbetrug abfährt, sondern die Liquidität für die Betriebe sichern und gewisse Vereinfachungen erreichen möchte. Wenn wir aber betrachten, wie es bei der Kameralistik unserer Haushalte aussieht, bedeutet ein Umstieg auf die Ist-Besteuerung zumindest in dem Jahr, in dem es erfolgt, eine große Verwerfung im Haushalt der öffentlichen Hand, die nach dem Zuflussprinzip arbeitet. In Sachsen haben wir 4,7 Milliarden Euro Umsatzsteueraufkommen. Eine Monatsscheibe würde allein eine Einnahmenverschiebung von rund 400 Millionen Euro bedeuten. Das Geld würde nicht dauerhaft fehlen, aber in einem Haushalt würde es fehlen – und das bei einer so geringen Neuverschuldung von nur noch 350 Millionen Euro, die wir dieses Jahr haben. Das wäre immens. Das muss man berücksichtigen.

Ich denke, dass meine Fraktion und der Landtag eine gerechte Steuerbeitreibung erwarten dürfen – keine Beitreibung, die auf Ist-Basis von der Willkür der Zahlungen abhängt, sondern von der Entstehung der Leistung – und dass eine ausreichende Prüfung der Steuerpflichtigen allerdings auch durchgeführt wird. Ich halte es für gleich, welches Verfahren man anwendet. Die Prüfung korrekter Voranmeldung und die Prüfung der Belege sind ähnlich hoch, insbesondere auch dann, wenn man sich der Rechenzentren und Softwaresysteme bedient und deren Testierergebnisse anerkennt.

Das Problem des Umsatzsteuerbetrugs, das die FDPFraktion angesprochen hat, liegt auf einer ganz anderen Ebene. Weder Soll- noch Ist-Besteuerung können dabei helfen. Die Ist-Besteuerung ist vielleicht etwas leichter. Aber bei aller Papiergläubigkeit, die bei den Menschen und in der Verwaltung herrscht, müssen die den Dokumenten zugrunde liegenden Güter- und Lastenströme geprüft werden. Auch darüber schreibt der Rechnungshof, und erst dann kann es funktionieren. Die internationalen Steuerkarusselle leben alle davon, dass man nur Papier vorlegen muss und aufgrund dieser Vorlage eine Umsatz

steuererstattung erhält. Verkürzt gesagt: Kaufe ich Autos oder Rinderhälften im EU-Ausland, zeige die Rechnungen vor, bekomme ich die Umsatzsteuer, die ausgewiesen ist, erstattet. Aber ob ich diese Rechnung bezahle, ob ich die Ware überhaupt bekommen habe – da gibt es anscheinend miese Möglichkeiten, wie man dies umgehen kann. Derjenige, der die Rechnung gestellt hat, verschwindet ebenfalls, ohne dass er die Umsatzsteuer, die er berechnet hat, je abführt.

Wie kann man das vermeiden? Die Finanzminister – darauf wurde hingewiesen – haben einen anderen Lösungsweg als die Ist-Besteuerung dargelegt. Das ReverseCharge-Verfahren gibt es übrigens mit einem ganz klaren deutschen Begriff: Der Leistungsempfänger schuldet die Steuer, oder „umgekehrte Steuerschuldnerschaft“ könnte man es nennen. Diese Änderung der sonst üblichen Steuerschuldnerschaft des Lieferanten für die von ihm erhobene und vereinnahmte Mehrwertsteuer gibt es bereits. Sie gibt es für die Lieferung von sicherungsübereigneten Gegenständen außerhalb des Insolvenzverfahrens, bei Umsätzen im Immobiliengeschäft, die umsatzsteuerpflichtig sind.

Es gibt sie bei bestimmten Bauleistungen und auch bei Werklieferungen von ausländischen Unternehmen an inländische Unternehmen. Der Abnehmer im unternehmerischen Bereich schuldet die Umsatzsteuer und hat den Vorsteuererstattungsanspruch gleichzeitig. Damit entsteht überhaupt kein Zahlungsfluss mehr. Beide Zahlungen können miteinander verrechnet werden. Es mag etwas bürokratisch sein, aber es ist ganz ordentlich erklärt. Ich kann nicht erkennen, wie die Mindermeinung eines Ministers in Sachsen-Anhalt, der sich bei dem ReverseCharge-Modell enthalten hat oder dagegen stimmte, bedeutsam sein kann, nur weil derjenige annahm, dass über dieses Verfahren nur eine geringe Größe vereinnahmt werden könnte. Voraussetzung ist, dass ich den Waren- und Leistungsstrom prüfe und nicht nur die Papiervorlagen.

Fazit: Die CDU unterstützt die sächsischen Betriebe.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Wo denn?)

Unsere Bundespolitiker werden sich in Berlin für eine Ausdehnung der bisherigen Ist-Besteuerungsgrenze von 500 000 Euro (Ost) auf bundesweit 750 000 Euro oder andere Beträge einsetzen. Damit soll den Liquiditätssorgen kleinerer Betriebe entgegengekommen werden. Ich wünsche mir, dass die anderen Fraktionen zumindest nachziehen.

Die CDU-Fraktion im Landtag unterstützt auch die vorausschauende und prägende Arbeit des Finanzministeriums, um Bürokratie- und Verwaltungsaufwand zu vermeiden. Wir begrüßen deshalb die Lösungsansätze eines Reverse-Charge-Modells. Da es sich letztlich um Bundesgesetze handelt und wir uns mit unseren sächsischen CDU-Abgeordneten im Bund ausreichend vertreten fühlen, sehe ich auch keinen weiteren Handlungsbedarf.

Wir werden den Antrag in Ziffer 2 ablehnen. Zu Ziffer 1 möchte ich sagen, dass es selbstverständlich ist, dass die Landesregierung zu den Anmerkungen des Rechnungshofes Stellung nimmt. Das brauchen wir nicht besonders zu beschließen.

Mir sei noch ein Hinweis an Herrn Zastrow gestattet, sozusagen von Unternehmer zu Unternehmer, und zwar zur praktischen Relevanz Ihres Antrages. Ich denke, dass Sie eine Dauerfristverlängerung beantragt haben. Mit der Dauerfristverlängerung im Umsatzsteuervoranmeldeverfahren können Sie auch im Soll-Verfahren Ihre Zahlungsfrist um insgesamt zwei Monate, also einen Monat länger, als Ihnen das jetzt schon möglich ist, hinausschieben. Solange Ihr Zahlungsziel – wie Sie eben eingestanden haben – kürzer als sechzig Tage ist, gewinnen Sie nach diesem Soll-Modell möglicherweise sogar noch an Liquidität. Vielleicht prüfen Sie das noch einmal mit Ihrem Steuerberater. Sie haben ja genügend Berater in Ihrer Fraktion. Vielleicht gibt es da auch gute Berater. Ansonsten helfen wir Ihnen als CDU gern.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön. – Frau Simon spricht für die Linksfraktion.PDS.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Abg. Holger Zastrow, FDP, unterhält sich mit Abgeordneten der CDU-Fraktion.)

Herr Zastrow, bitte!

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Jetzt kommt nämlich ein konstruktiver Beitrag!)

Frau Simon hat das Wort.

Sicher wird sich der eine oder andere an die dramatischen Tage Mitte Dezember 2003 erinnern. Der Vermittlungsausschuss tagte Tag und Nacht. Gelegentlich trat ein übernächtigter Politiker völlig erschöpft vor die Tür des Verhandlungsraumes, um die Medien mit versagender Stimme über Rückschläge und Fortschritte zu informieren. Am 19. Dezember war es dann vollbracht. Gerade noch rechtzeitig gelang der Kompromiss, um das große Reformwerk Anfang 2004 im Bundestag beschließen zu können. Damals ging es allerdings um Hartz IV.

Dieser Kraftakt deutscher Bundes- und Landespolitik ist ein gutes Beispiel dafür, zu welcher Entschlossenheit, Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit die Politik in unserem Lande fähig ist, wenn es darum geht, den kleinen Leuten in die Tasche zu fassen und abertausend Leute in die Armut zu treiben.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Daran muss angesichts der heutigen Debatte sehr wohl erinnert werden.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Mit den Stimmen der FDP!)

In der Überschrift des Antrages heißt es zwar „Kampf gegen den Steuerbetrug“, aber von Kampf kann ja wohl angesichts der Trägheit der gleichen Parteien, die sich bei Hartz IV vor Aktionismus bald überschlugen, nur schwerlich die Rede sein. Das ist mehr als bedauerlich. Denn die Dimension des Problems erzwingt in der Tat ein schnelles Handeln.

Die FDP beziffert in ihrem Antrag den Schaden, der der Bundesrepublik durch Umsatzsteuerbetrug jährlich entsteht, auf 20 Milliarden Euro. Es gibt Schätzungen, die liegen noch darüber. Die Steuergewerkschaft geht von 21 Milliarden Euro aus. Der Finanzminister von BadenWürttemberg rechnete schon im Jahr 2000 mit 23 Milliarden Euro. Bezogen auf die ganze EU wird von über 60 Milliarden Euro gesprochen.

Die zu erwartende Parallelität von Wirtschaftswachstum und Umsatzsteueraufkommen war bereits 1999 nicht mehr gegeben, und zwar trotz Erhöhung der Mehrwertsteuer von damals 15 auf 16 %. Während sich das Bruttoinlandsprodukt von 1999 bis 2002 auf rund 130 Milliarden Euro erhöhte, verringerte sich das Umsatzsteueraufkommen im gleichen Zeitraum von 111 Milliarden Euro auf 105 Milliarden Euro. Die Papiere, in denen erstmals auf das Problem und seine Ursachen verwiesen wurde, sind inzwischen vergilbt.

Bereits im Jahr 1997 verwies die Bundesbank auf das stagnierende Umsatzsteueraufkommen. Im Jahr 2000 befasste sich der Bundesrechnungshof ausführlich mit dem Problem und seinen Ursachen. Die Darstellung hat heute, nach über fünf Jahren, noch volle Gültigkeit, und das, obwohl Bundesregierung und Bundestag inzwischen aktiv geworden waren.

Am 27. November 2002 wurde ein Gesetz beschlossen, dessen wunderschöner Name Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz schon auf mangelnde Handhabbarkeit und Lebensnähe schließen ließ. So kam es auch. Bereits ein Jahr später musste der Bundesrechnungshof feststellen, dass dieses Gesetz noch nicht den gewünschten Erfolg bei der Bekämpfung der Umsatzsteuerkarusselle gezeigt hat. Die Ursachen dafür liegen sowohl beim Gesetz selbst als auch bei seiner Umsetzung.

So sollte zum Beispiel mit § 25d des Umsatzsteuergesetzes ein Unternehmer für die Steuer aus dem vorangegangenen Umsatz haften, wenn er bei dem Abschluss des Vertrages Kenntnis davon hatte, dass der Aussteller der Rechnung schuldhaft keine Umsatzsteuer zahlen würde. Aber so schlau waren bisher alle an solchen Betrügereien Beteiligten, dass bisher keinem einzigen eine solche Kenntnis nachgewiesen werden konnte.

Ebenso erwies sich die in § 18f des Umsatzsteuergesetzes festgelegte Bestimmung, dass für die Vorsteuererstattung eine Sicherheitsleistung im Einvernehmen mit dem

Unternehmer geltend gemacht werden kann, als reichlich lebensfremd.

Die einzige Bestimmung, die sich als wirksam erwies bzw. hätte erweisen können, war die Umsatzsteuernachschau nach § 27b des Umsatzsteuergesetzes. Ihr zufolge können Vertreter der Finanzbehörden unangemeldet in Unternehmen auftauchen, um sich die entsprechenden Umsatzsteuerunterlagen vorlegen zu lassen. Damit bin ich bei der Arbeit der sächsischen Steuerbehörden.

Da wir es inzwischen gewohnt sind, dass wir nicht nur die größten Sachsen weltweit sind und dass sich die Staatsregierung mit ihrem Tun und Lassen stets an der Spitze jeglicher Entwicklung wähnt,

(Holger Zastrow, FDP, lacht.)

ist es für uns nicht überraschend, dass sie der Meinung ist, dass die sächsische Steuerverwaltung, wenn es um den Kampf gegen Umsatzsteuerbetrug geht, auch im Vergleich zu anderen Ländern gut aufgestellt ist. So heißt es jedenfalls in der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage, Kollege Zastrow.

Die Vermessenheit und Selbstverliebtheit dieser Behauptung des Finanzministers wird allein dadurch deutlich, dass die eingangs genannten jährlichen Umsatzsteuerverluste von über 20 Milliarden Euro ein Problem der gesamten Bundesrepublik und damit auch Sachsens sind.

Ein Umsatzsteuersystemwechsel, wie ihn die Finanzministerkonferenz am 20.10.2005 vorschlug, wäre gar nicht nötig. Denn die anderen Bundesländer bräuchten doch nur nach Sachsen zu blicken, um Erlösung von all ihren Steuerübeln zu finden.

(Beifall der Abg. Dr. Michael Friedrich, Linksfraktion.PDS, und Holger Zastrow, FDP)

Die Thematik ist viel zu traurig, als das man darüber scherzen könnte, gerade wenn wir auf die sächsischen Verhältnisse blicken.

Der Sächsische Rechnungshof stellt in seinem aktuellen Jahresbericht für den Freistaat parallel zur Bundesrepublik fest, dass trotz des um 2,4 % gestiegenen Bruttoinlandsprodukts das Umsatzsteueraufkommen von 2003 auf 2004 von 4,9 auf 4,7 Milliarden Euro sank. Wie kann man da behaupten, gut aufgestellt zu sein?

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Gar nicht!)

Die detaillierten Ausführungen lassen nicht nur Trauer, sondern regelrechtes Entsetzen aufkommen. Gerade bezüglich der im Allgemeinen als effektiv und zweckmäßig eingeschätzten Nachschauen bzw. Außenprüfungen wimmelt es im Bericht des Rechnungshofes von kritischen Wertungen. So wird festgestellt, dass sehr häufig nur eine schematische Belegprüfung erfolgte, ohne festzustellen, ob der Unternehmer seine gebuchten Geschäftsvorfälle tatsächlich in der dargestellten Weise entwickelt hatte, und dass in einigen Fällen die Mängel der Außenprüfung so groß waren, dass sich Zweifel an der ausreichenden Qualifikation der Prüfer ergeben haben.

Wie meinte der Finanzminister? Sachsen ist gut aufgestellt im Vergleich zu anderen Ländern.

Die Feststellung des Rechnungshofes von der Selbsttäuschung der Steuerverwaltung kann somit getrost auch auf die Staatsregierung übertragen werden. Da der Rechnungshofbericht auch in den anderen Bundesländern gelesen wird, ist sicher nicht zu befürchten, dass diese sich an Sachsen orientieren. Aber vielleicht sollte sich Sachsen bei anderen umsehen. Zum Beispiel empfiehlt der Rechnungshof als Ersatz für die von ihm als ungeeignet bewerteten EDV-Programme die Software aus Mecklenburg-Vorpommern zu übernehmen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört, hört!)

Dort sollte sich die Staatsregierung nicht nur diesbezüglich umsehen. Da gibt es noch anderes zu übernehmen.

Die gigantischen Unterschiede zwischen Staatsregierung und Rechnungshof in der Bewertung der Situation der Umsatzsteuerprüfung lassen es als sehr zweckmäßig erscheinen, dem ersten Punkt des vorliegenden Antrages zuzustimmen.

Mit dem zweiten Punkt, die Umsatzsteuer insgesamt auf die Ist-Besteuerung umzustellen, habe ich, ehrlich gesagt, jedoch einige Probleme. Es ist offensichtlich, dass hier die FPD auch von der Bundesebene her versucht, aus der katastrophalen Umsatzsteuersituation parteipolitisches Kapital zu schlagen. Allein aus der Umsatzsteuerabführungspflicht zum Zeitpunkt der Zahlung resultiert ja nicht per se Missbrauchssicherheit, sondern lediglich ein erheblicher Liquiditätsvorteil für die Unternehmen, aber eben auch auf Kosten der öffentlichen Hand. Um den Missbrauch zu unterbinden, müsste vor der Rückzahlung der Steuer geprüft werden, ob sie bereits beim Finanzamt eingegangen ist. Von dieser Cross Check genannten Gegenprüfung ist allerdings in Ihrem Antrag keine Rede.