Protocol of the Session on November 9, 2005

(Beifall bei der FDP und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Für die Fraktion der GRÜNEN Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren aus den demokratischen Fraktionen! Ich möchte hieraus keine Spaßdebatte machen, das Thema ist mir eigentlich zu ernst und es verdient eine ernste Diskussion.

(Beifall der Abg. Peter Schowtka und Horst Rasch, CDU)

Ich möchte zunächst einmal einen Dank an Dr. Hähle sagen, wobei seine Worte doch ein Stück Befriedung innerhalb der Koalition waren, wie mir schien. Aber ich möchte ihm vor allem dafür danken, dass sich Ton und Inhalt seiner Worte wohltuend von der Parteitagsrhetorik des Ministerpräsidenten Milbradt unterschieden haben, der dort in seiner Rolle als Parteivorsitzender kräftig auf die 68er eingeschlagen hat. Sein Lieblingsfeind war offensichtlich der amtierende Bundesumweltminister Trittin, dem er unterstellte, dass er als westdeutscher Altkommunist beim Singen der Nationalhymne die Zähne aufeinander beißt.

(Starke Unruhe – Zurufe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stand bisher nie im Verdacht, ein Altkommunist zu sein. Wenn ich an das Jahr 1968 denke, dann erinnere ich mich an meine jugendliche Wut, als der Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrages den Prager Frühling verblühen ließ. Wenn ich mich mit einem Jahr identifiziere, dann mit dem Jahr 1989. Und ich gestehe Ihnen an dieser Stelle: Ich erweise der Nationalhymne meine Referenz, aber ich singe sie nicht, ich kriege auch die Zähne nicht auseinander. Ich singe sie aber nicht etwa deshalb nicht, weil ich den Text nicht kenne, sondern weil die schönen und klaren Worte von Heinrich Hoffmann von Fallersleben durch die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts, durch den verbrecherischen Nationalsozialismus, schwer belastet und missverständlich geworden sind.

Deshalb, und nur deshalb, haben die Bürgerbewegungen im Jahre 1990 vorgeschlagen, auf Haydns Melodie Bertolt Brechts Text „Anmut sparet nicht noch Mühe“ zu legen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der Abg. Karl Nolle und Martin Dulig, SPD)

Ich freue mich, dass das inzwischen auch die Unterstützung der PDS und der Linksfraktion.PDS gefunden hat.

(Oh-Rufe von der CDU)

Ich bin ein Realist. Dieser Vorschlag ist in einer konkreten historischen Situation entstanden, und ich glaube, er wäre nur in dieser Situation der Wiedervereinigung umsetzbar gewesen. Die Chance dafür ist vergeben, so wie viele

andere Chancen einer Wiedervereinigung auf Augenhöhe auch.

In dieser Frage eines neuen Textes gibt es in unserer Fraktion sehr unterschiedliche Positionen – ich habe jetzt für mich gesprochen –, aber in einem sind wir uns in der Fraktion der Bündnisgrünen vollkommen einig: Die Grundschule ist ein völlig ungeeigneter Ort für den Umgang mit der Hymne oder mit anderen nationalen Symbolen. Warum das?

Das Lied der Deutschen, so wie es Heinrich Hoffmann von Fallersleben gedichtet hat, lehren heißt zugleich, seinen Missbrauch und Missverständnisse verhindern. Das heißt, wir müssen Wissen vermitteln, Wissen über die historische Situation, in der Hoffmann von Fallersleben damals auf Helgoland – Exilgebiet – angesichts des Deutschen Bundes aus 39 Kleinstaaten war, einer historischen Situation, in der „Deutschland, Deutschland über alles“ kein Zeichen großdeutschen Chauvinismus war, sondern ein Ausdruck der Sehnsucht nach einer politischen Einheit der deutschen Länder, einer Einheit in Freiheit.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Diese Diskussion, diese Wissensvermittlung kann Grundschule nicht leisten.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Das Lied der Deutschen lehren heißt auch, Wissen vermitteln – Wissen über den Missbrauch der Hymne in der Zeit des Nationalsozialismus, als ihre erste Strophe zum Vorspiel des Horst-Wessel-Liedes erniedrigt wurde. Eine solche Diskussion ist an Grundschulen nicht möglich.

Eine Hymne mit „Einigkeit und Recht und Freiheit“ lehren, das heißt, darüber sprechen, wie sich darin in Einigkeit und Recht und Freiheit die republikanischen Ideale der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ widerspiegeln. Das heißt, diese dritte Strophe auch als eine Zusammenfassung unserer Verfassungsgrundsätze verstehen, also Verfassungspatriotismus in der Lyrik des 19. Jahrhunderts zu vermitteln. Dafür ist die Grundschule der falsche Ort.

Heute Vormittag wurde bedauerlicherweise ein weiteres Mal die Bedeutung des Verfassungspatriotismus relativiert. Ich bedauere das sehr, denn das, was uns einen sollte, ist dieser Stolz auf die Verfassungsprinzipien und die Bereitschaft, dafür mit aller Kraft zu streiten. Das sollte niemand kleinreden, denn das sind beste deutsche politische Traditionen, und ein Verfassungspatriotismus ist es auch, der die demokratischen Fraktionen dieses Sächsischen Landtages ohne jeden Streit verbindet.

Deshalb bin ich mir sicher, dass wir uns einig sind in der Zurückweisung des NPD-Antrages.

Sie merken, dass ich in dieser Rede vom Hymnenverweigerer zum Hymnenverteidiger geworden bin. Es ist unsere Aufgabe, die Nationalhymne zu verteidigen gegen die

Nazis im Parlament, die die territorialen Botschaften des Deutschlandliedes nicht historisch begreifen, sondern sie als eine Beschreibung von revanchistischen Ansprüchen vor sich hertragen.

(Uwe Leichsenring, NPD: Woher wissen Sie das?)

Das zeigt nicht nur der bereits zitierte Blick auf diverse Landkarten in NPD-Websites; das zeigt auch, wie Herr Gansel heute mit einem Verweis auf den MDR geflüchtet ist, um nicht zu bekennen, dass Mitteldeutsche für die NPD keine Nord-Süd-Einordnung sind, sondern eine Infragestellung der Oder-Neiße-Grenze.

(Uwe Leichsenring, NPD: Das haben wir nie angezweifelt!)

Das, was hier mit Ausflüchten und Verklausulierungen im Parlament gesagt wird, sagen Leute wie Herr Menzel, der hier gegebenenfalls mit Gewalt vom Reden zurückgehalten wird, im Klartext, wenn sie sich unter ihresgleichen glauben, wie damals am 27. November 2004 bei der Demonstration in Pirna.

Ich zitiere die Rede von Herrn Menzel: „Andererseits wollen wir unser Land, das Land unserer Väter, verteidigen und, wenn es sein muss, auch wieder zurückerobern. Unser Land geht von den blauen Bergen der Vogesen bis zu der Mühle von Tauroggen, von der Königsau in Nordschleswig bis nach Brixen in Südtirol und keinen Quadratmeter weniger.“

Das versteht die NPD unter dem Deutschlandlied und unter territorialen Ansprüchen.

(Karl Nolle, SPD, steht am Mikrofon.)

Wenn wir gemeinsam die Nationalhymne gegen den Missbrauch durch die NPD verteidigen – –

Herr Dr. Gerstenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Nolle, bitte.

Kollege Gerstenberg, erlauben Sie mir, den Text des Horst-Wessel-Liedes, der den wenigsten heute noch bekannt ist, – –?

(Uwe Leichsenring, NPD: Das ist keine Frage!)

Das ist keine Frage.

Erlauben Sie mir, dies vorzutragen? Ich wollte dem Abg. Apfel die Frage stellen, was er und die NPD zu den zwölf Jahren Tradition in Deutschland,

(Uwe Leichsenring, NPD: Sie spielen doch auch Klavier, oder?)

als dieses Horst-Wessel-Lied grundsätzlich nach der ersten Strophe des Deutschlandliedes gesungen worden ist, sagen.

Im Text heißt es – –

Nein, Herr Kollege Nolle, das machen wir bitte nicht.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Das entspricht nicht dem Stil unseres Hauses. Es werden bei Zwischenfragen Fragen gestellt und es wird nicht Ihr eigener Standpunkt auf diese Weise herübergebracht.

Danke schön, Herr Präsident.

(Uwe Leichsenring, NPD: Das können Sie auf dem Parteitag singen!)

Ich muss diese Frage nicht beantworten. Ich bin Ihnen aber dankbar dafür, dass Sie versucht haben, sie zu stellen. Ich denke, es entspricht unserem gemeinsamen Anliegen, die Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland gegen den Missbrauch durch die NPD zu verteidigen. Dies umso mehr an einem Tag wie heute, wo nicht weit von hier, in Dresden am Standort der ehemaligen Synagoge am Hasenberg, wo in ganz Sachsen und deutschlandweit brennender Synagogen gedacht wird, die den Auftakt für eine systematische Judenvernichtung bildeten.

Niemand steht so im Gegensatz zu den demokratischen und republikanischen Grundsätzen von Einigkeit, Recht und Freiheit wie die Mitglieder der NPD-Fraktion, die geistigen Nachfolger

(Dr. Johannes Müller, NPD: Wie die Grünen!)

der Mörder und Brandstifter von damals.