Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: FDP, CDU, Linksfraktion.PDS, SPD, NPD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile der Fraktion der FDP als Einreicherin das Wort. Herr Abg. Herbst, bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es sollte unser aller Anliegen sein, optimale Lern- und Lehrbedingungen für unsere sächsischen Schüler zu schaffen. Die Schulschließungspolitik von SPD und CDU hat leider dazu geführt, dass wir weit davon entfernt sind. Im Gegenteil. Das Schulnetz wurde massiv ausgedünnt, die Schulwege haben sich deutlich verlängert. Es sind nicht nur Einzelfälle, wenn heute Schüler bereits zwischen 05:00 und 06:00 Uhr aufstehen müssen, um zum Schulbus zu kommen und dann rechtzeitig in der Schule zu sein. Das ist deshalb so, weil der Unterrichtsbeginn in Sachsen häufig zwischen 07:00 Uhr und 07:30 Uhr liegt.
Wir halten die Aufstehzeiten, die Schüler einhalten müssen, um rechtzeitig da zu sein, in weiten Teilen für nicht mehr zumutbar, denn ich glaube – da sollten wir uns über die Parteigrenzen hinweg einig sein –, dass fitte und aufnahmefähige Schüler eigentlich die Grundvoraussetzung sind, um auch Inhalte vermitteln zu können. Wenn wir also Unterrichtsqualität verbessern wollen, bringt es nur etwas, wenn es auch bei den Schülern ankommt und sie nicht auf der Schulbank gegen den Schlaf ankämpfen.
Längere Schulwege sind sicher ein Grund, sich über einen späteren Schulbeginn Gedanken zu machen. Aber es gibt auch einen zweiten Grund. Sie alle wissen, dass Wissenschaftler herausgefunden haben, dass der Biorhythmus der Schüler sich oft nicht mit den UnterrichtsAnfangszeiten, wie wir sie hier in Deutschland insgesamt haben, verträgt, weil früh noch ein Leistungstief ist. Sie sprechen da sogar von einer Schlafträgheit. Mancher
Jugendliche in der Pubertät hat früh die Aufnahmefähigkeit eines Erwachsenen mit einer hohen Alkoholkonzentration im Blut. Das heißt, er ist nicht in dem Maße aufnahmefähig, wie wir uns das wünschen. Daher ist es auch im Ausland oft so, dass Schulen ihren Unterricht erst gegen 09:00 Uhr beginnen.
Nun werden Sie als Gegenargument sagen, dass es einen zeitlichen Rahmen gibt, der jetzt bereits an Schulen ausgenutzt werden kann. Das ist richtig. Bei Mittelschulen liegt er zwischen 07:00 und 09:00 Uhr. Nur hat die Praxis gezeigt, dass dieser Rahmen von einigen Einrichtungen ausgeschöpft wird, und zwar nach vorn. Das heißt, die Schulen beginnen so zeitig wie möglich. Das liegt vielleicht auch daran, dass mancher Lehrer Interesse hat, relativ schnell mit dem Unterricht fertig zu sein, und sich vielleicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht überall durchgesetzt haben.
Doch, meine Damen und Herren, ich glaube, der Schulbeginn sollte sich in erster Linie an den Bedürfnissen der Schüler orientieren
(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS, und der Abg. Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)
und nicht an der Tagesplanung von Lehrern oder vielleicht Busfahrplänen regionaler Verkehrsgesellschaften.
Daher schlagen wir vor, einen veränderten Zeitraum einzuführen. Wir wollen nicht mehr Regulierung, wir wollen aber die bestehende Regelung verändern, das heißt, eine Unterrichtsspanne für den Beginn von 08:00 bis 09:30 Uhr vorschlagen, und über den konkreten Unterrichtsbeginn an der einzelnen Schule soll dann die Schulkonferenz im Einvernehmen mit dem Schulträger entscheiden. Jetzt entscheidet die Gesamtlehrerkonferenz in Übereinkunft mit der Schulkonferenz und dem Schulträger. Es gibt daher schon einen Unterschied zur jetzigen Regelung.
Ich weiß, dass in der Vergangenheit – das haben wir bei unseren Recherchen gesehen – hier schon einmal über dieses Thema diskutiert wurde und auch Wissenschaftler bei Anhörungen die Position eines späteren Schulbeginns unterstrichen haben. Das Problem hat sich nur weiter verschärft. Sie alle wissen um die längeren Schulwege. Erst unlängst, Herr Flath, wurden Sie selbst einmal in den Tagesthemen an einem sicher herausgehobenen Beispiel zitiert, nämlich im Erzgebirge, wo jemand 05:00 Uhr aufstehen musste, um pünktlich in der Schule zu sein.
Es ist nicht nur ein Einzelfall. Zahlreiche Eltern haben sich an unsere Fraktion gewandt und uns auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Man sieht es mittlerweile überall im Land. Es ist nicht nur eine Frage der Organisationsprobleme von Verkehrsgesellschaften. Das Problem ist akut. Wir sollten uns bemühen, dafür eine Lösung zu finden.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jawohl, Herr Herbst, was Sie ausgeführt haben – dass es wissenschaftliche Untersuchungen dazu gibt –, ist richtig; das steht ja auch in Ihrer Begründung. Ihr Kollege Günther hat es vorhin angemahnt: Wir sollten hier wirklich sachlich arbeiten, und darüber müssten Sie vielleicht auch einmal in Ihrer Fraktion sprechen. Es gibt diese Regelungen, das ist sehr wohl richtig, es gibt auch die Absprachen mit der Lehrerkonferenz, der Schülerkonferenz und dem Schulträger. Das heißt, die Rahmenbedingungen, die im Freistaat Sachsen festgelegt werden, geben die Möglichkeit, die Schulöffnungszeiten von 07:00 bis 09:00 Uhr gleitend herzustellen.
Das sollte auch im Bewusstsein der Eltern und der Lehrerschaft sein. An dieser Stelle finde ich es nicht angebracht, Herr Herbst, dass Sie hier Lehrerschelte betreiben und sagen, die Schulen würden so zeitig öffnen, weil die Lehrer schnell wieder nach Hause wollen. Das haben unsere Lehrer so nicht verdient.
Ich gehe mal zurück zu dem, was wir in der letzten Anhörung im Schulausschuss zum PDS-Gesetz hören konnten. Meine Damen und Herren von der PDS, hören Sie jetzt noch einmal zu, weil Sie ja alle nicht anwesend waren zu der öffentlichen Sitzung. Frau Gerold, Vorsitzende der GEW, hat zu Ihrem Gesetzentwurf ausgeführt – selbstverständlich hat sie diesen auch begrüßt; das will ich hier nicht negieren –, dass das Gesetz zu viele Reglementierungen enthält und dass darin zu viel vorgeschrieben wird. Weiter führte sie aus, dass die Demokratie für einen Defizitabbau herhalten muss, und zu viel Bürokratie gewährt keine Chancengleichheit.
Das ist genau das, was wir auch nicht wollen. Wir möchten, dass die Schule in Selbstverantwortung arbeiten kann, dass die Eltern einbezogen werden, dass über die Schulkonferenzen der Unterrichtsbeginn festgelegt wird – also ganz einfach so, wie wir die Regelung jetzt haben – im Interesse der Kinder. Von daher werden wir Ihren Antrag ablehnen, weil er überflüssig ist.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine beiden anwesenden Herren von der FDP-Fraktion, man hängt meiner Partei ja manchmal das Attribut Nachfolgepartei an mit der Absicht, uns zu schaden. Ich will zu Ihren
Gunsten sagen: Sie sind eine Nachfolgepartei neuen Typs, und das finde ich durchaus positiv. Sie greifen alles auf, was an Kampagnen und Anträgen von der PDS-Fraktion hier in diesem Hohen Hause in den letzten Jahren eingebracht worden war – heute den späteren Schulbeginn, morgen geht es dann um die Quorenanpassung an die Bevölkerungsentwicklung; auch darüber haben wir uns hier schon lange gestritten.
Das ist ja gar nicht schlimm, sondern ich bin sehr froh darüber. Es ist ja nicht so, wie es in Ihrer Begründung des Antrages steht, dass der frühe Schulbeginn erst jetzt ein Problem geworden ist durch die Ausdünnung des Schulnetzes. Das ist seit Jahren ein Problem und seit mindestens acht Jahren kämpfe ich hier allerdings gegen Windmühlen. Und, Frau Henke, Sie haben sich hier auch wieder als Windmühle geoutet; das tut mir wirklich Leid.
Wir haben lange gekämpft, wir haben die entsprechenden Anträge gestellt, wir haben Anhörungen veranstalten lassen, wir haben die Schlafforscher bemüht, die immer auf unserer Seite waren, und selbst die im Fernsehen übertragenen Qualen meines Sohnes beim Aufstehen um 05:00 Uhr früh haben an der Sache aber nicht rütteln lassen und nichts geändert; alles hat nichts genutzt. Es sind immer wieder Ausreden gekommen, die wir auch heute wieder von Frau Henke gehört haben – deshalb ist es wirklich gut, wenn wir alle gemeinsam weitermachen – ; auch der gut gemeinte Rat von Herrn Hatzsch dazumal bei der Anhörung, sozusagen als Patentrezept verstanden, die Schülerinnen und Schüler sollten halt früher ins Bett gehen, dann würden sie auch leichter aufstehen, hilft doch nicht.
Sie müssen ja nicht gleich eine wissenschaftliche Weltanschauung entwickeln, aber die Wissenschaften in ihrem Blick auf die Wirklichkeit sollten Sie schon beachten. Alle Schlafforscher stellen unisono fest, dass die innere Uhr von Heranwachsenden so funktioniert, dass sie vor 11:00 Uhr überhaupt nicht ins Bett geschickt werden müssen, weil sie gar nicht einschlafen können, und dass sie deshalb früh, wenn sie 05:00 Uhr aufstehen müssen, wie Betrunkene auf die Straße kommen und wie Betrunkene einzuschätzen sind in ihrer Reaktionsfähigkeit. Das ist allgemeines Gut der Schlafforschung in Bezug auf Heranwachsende, und das sollten Sie endlich mal zur Kenntnis nehmen.
Aber die Anhörung in der vergangenen Legislaturperiode hat auch gezeigt, dass Mängel in der Schule, vor denen ich mich ja nicht verschließen will – also zum Beispiel zu wenig Sport haben und das Problem des Schülerverkehrs und vielleicht auch hin und wieder das Bedürfnis eines Lehrers oder einer Lehrerin, nachmittags beizeiten zu Hause zu sein –, wichtiger waren als die Situation der Schülerinnen und Schüler. Ich will ja gar nicht leugnen, dass, wenn wir erst 08:00 Uhr anfangen, einige Dinge neu bedacht werden müssen. Natürlich muss sich der Schüler
verkehr umstellen, möglicherweise muss das Betreuungssystem in der Schule ein bisschen anders aussehen, vielleicht sollte auch die Meinungsbildung zu der Sache in der Schule kritisch betrachtet werden.
Aber wir haben eine neue Situation, und insofern ist es so wichtig, dass die FDP-Fraktion dieses Anliegen wieder aufgegriffen hat: Wir haben einen Kultusminister, der sich öffentlich als Morgenmuffel geoutet hat, und vielleicht ist das eine Chance; denn die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte ist nicht zu leugnen, das wusste schon Lenin.
Also nutzen wir gemeinsam die Chance – und es ist dabei wirklich egal, wer aktuell gerade den Antrag stellt. Wir unterstützen den neuen Antrag, der unser altes Anliegen aufgreift, und werden ihm dann natürlich zustimmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP hat uns schon einmal überrascht mit einem Antrag, in dem sie ihre liberalen Grundsätze völlig über Bord warf. Ich meine den Antrag „Leistungsvermögen als Maßstab – Für eine realistische Bildungsempfehlung beim Übergang zum Gymnasium“. Heute haben wir ein zweites Beispiel. Während wir in der Koalition gerade dabei sind zu deregulieren und den Schulen die Verantwortung für die Organisation der Bildungs- und Entwicklungsprozesse zu übertragen, wollen Sie diese wieder einschränken.
Statt zu fragen, warum von den heutigen Möglichkeiten eines späteren Schulbeginns kein Gebrauch gemacht wird, wollen Sie ihn einfach per Dekret heraufsetzen. Natürlich erhalten Sie den Beifall der PDS, die mit ihrem Schulgesetzentwurf unsere Schulen weiter verregeln und verstaatlichen will.
Aber haben Sie sich auch schon einmal gefragt, was Sie mit einer derartigen Regelung in der Praxis erreichen? Verändern Sie damit die Länge der Schulwege? – Nein! Verkürzen Sie damit das Unterrichtspensum der Schüler? – Nein! Verlängern Sie damit den Arbeitstag der Schüler? – Ja! Aber das ist nicht alles.
Herr Kollege Dulig, sind Sie mit mir einer Meinung, dass die Festlegung, die Schule sollte zwischen 07:00 und 09:00 Uhr beginnen, genauso eine Regel ist, wie es eine
Die Regel gibt es, aber die Frage ist, wer die Verantwortung dafür hat, diese Regel zu nutzen, und die liegt nun einmal vor Ort. Punkt.