Wir müssen uns ansehen, mit welchen Resultaten wir es zu tun haben. Mitwirkungsentzüge und Schulschließungen bedeuten für die Schülerinnen und Schüler längere Schulwege. Die, die ohnehin schon lange unterwegs gewesen sind, müssen nun durch die Schließung der Schule, die sie bislang angefahren haben, noch länger unterwegs sein, oft sogar über Kreisgrenzen hinweg.
Der § 4a des Sächsischen Schulgesetzes, der nicht nur die Mindestschülerzahlen, die Klassengrößen und die Mindestzügigkeit regelt, die in ihrem Kern Ursache für die Schulschließungen und die Mitwirkungsentzüge sind, regelt außerdem noch, dass der Schulweg, der den Schülerinnen und Schülern zugemutet worden ist, zumutbar sein muss. Diese Zumutbarkeit allerdings, meine Damen und Herren, wird weder im Gesetz noch in einer Verordnung klar definiert. Man muss sich schon fragen, ob das nicht möglicherweise eine bewusste Lücke ist, weil man mit der bloßen Formulierung, Schulwege müssen zumutbar sein, nichts anfangen kann. Es bietet keine Sicherheit für Eltern, Schülerinnen und Schüler. Das kann für uns nicht sein.
Wir haben in der Linksfraktion.PDS in den letzten Wochen den traurigen, aber notwendigen Wettbewerb nach dem längsten Schulweg durchgeführt, traurig vor allem wegen der vielen Zuschriften und wegen der Ergebnisse,
die wir erhalten haben. Ich möchte Ihnen aus den Zuschriften etwas zitieren, und zwar um klar zu machen, es handelt sich hier nicht um Einzelfälle und es sind Schulwege eines Ausmaßes, über die man diskutieren muss. Das sind ganz praktische Auswirkungen. Will man sich das von der Politik her in diesem Land leisten?
Ich zitiere also: Ein Schüler aus Papendorf, der nach Frankenberg fahren muss, ist jeden Tag eine Stunde und zehn Minuten auf dem Weg zur und von der Schule, insgesamt zweieinhalb Stunden, unterwegs. Das ist im Grunde eine normale Beförderungszeit im ländlichen Raum. Die Frage ist, ob man das als zumutbar betrachten will und welche Konsequenzen das hat.
Eine Schülerin aus Kieselbach – das betrifft den Kreis Döbeln – fährt pro Tag 06:00 Uhr los, um 07:20 Uhr die Schule in Leisnig zu erreichen, weil die Schule in Hartha mit diesem Schuljahr geschlossen worden ist. Sie ist praktisch täglich drei Stunden unterwegs. Sie muss morgens 06:00 Uhr losfahren. – Was bedeutet das für junge Menschen?
Alles, was wir über die Entwicklungsbiologie und den Tagesrhythmus junger Menschen wissen, sagt, dass das überhaupt nicht den Bedingungen entspricht, die wir brauchen. Ich lege Ihnen das deshalb klar, damit wir für die Praxis Lösungen finden können.
Ein Schüler fährt auf dem Nachhauseweg 14:35 Uhr los, um über unglaublich viele Halte, die einfach durch die Organisation des ÖPNV begründet sind, 15:32 Uhr, also eine Stunde später, zu Hause anzukommen.
Auf diese Art und Weise sind junge Menschen – neben dem Unterricht von sieben oder acht Stunden – insgesamt neun oder zehn Stunden unterwegs, was an einen Arbeitstag eines erwachsenen Menschen gut heranreicht. Wenn man sich überlegt, dass das auch die Fünftklässlerinnen und Fünftklässler betrifft, die zwischen zehn und elf Jahre alt sind, und ebenso gut und gern acht Stunden unterwegs sind, muss man sich fragen, ob das die Auswirkungen sind, die wir von sächsischer Schulpolitik haben wollen und was das für die Einzelnen bedeutet.
Das heißt zum Beispiel, Schülerinnen und Schüler, die ja ganz knappe Buszeiten haben, die sie nicht verpassen dürfen, weil das sonst entsprechend länger dauert, und bei denen die Angebote möglicherweise angepasst sind, können keine Freizeitangebote in der Schule mehr nutzen, können keine gemeinsame Zeit verbringen und können die eventuell noch vorhandenen Neigungsbereiche der Schulen zur individuellen Förderung nicht nutzen. Das ist eindeutig verfehlte Bildungspolitik.
Die genannten Beispiele sind wirklich nur ein Ausschnitt. Ich halte persönlich diese Folgen für eine gesamte Schülergeneration im ländlichen Raum für Sachsen nicht für wünschenswert. Das ist nicht zumutbar. Die Folgen sind verantwortungslos. Sie zeigen eindeutig – ich muss das
wieder formulieren –, dass sich die Schulpolitik an der Finanzpolitik des Landes orientiert. Die Bevölkerung wünscht sich wohl wohnortnahe Schulen. Hier geht die Politik an den Interessen der Menschen vorbei.
Das müssen wir noch einmal auf die Tagesordnung setzen, was wir mit diesem Antrag machen wollen. Deswegen fordern wir die Definition des zumutbaren Schulweges. Eigentlich müsste das in Gesetzesform oder auf dem Verordnungsweg erfolgen. Unser Antrag lautet auf 45 Minuten.
Der Änderungsantrag der FDP, der vorliegt, bezieht sich auf die Vorgabe des Landesentwicklungsplanes. Herr Flath, Ihnen ist auch bekannt, der Landesentwicklungsplan orientiert darauf, dass Schüler der Grundschule nicht länger als 30 Minuten und Schüler der weiterführenden Schulen nicht länger als 45 Minuten unterwegs sein sollten. Wir können dem Änderungsantrag mit dem Verweis auf den Entwicklungsplan zustimmen. Auch für die Staatsregierung sollte es von Interesse sein, sich daran zu orientieren. Wenn man sich ansieht, wie die Beförderungszeiten sind, dann sind sie oftmals doppelt so lang wie vorgegeben. Das ist die Situation, die auch für Sie nicht haltbar sein dürfte.
Zum zweiten Punkt des Antrages: Wenn die Schulwege durch leider geschlossene Schulen faktisch schon länger werden, muss die Beförderung sinnvoller organisiert werden. Es muss also eine sinnvolle Organisation von Schulwegen, die die kleineren Orte einschließt, so orientiert sein, dass die Schüler nicht eineinhalb Stunden zwischen kleineren Orten unterwegs sind. Das muss von den Verkehrsbetrieben gewährleistet und organisiert werden. Die Kosten können dann aber nicht an den Verkehrsanbietern und an den Eltern hängen bleiben. Wenn das Land die Rahmenbedingungen in Bezug auf das Schulnetz ändert, müssen auch die entsprechenden Folgen mitgetragen werden. Das Land muss eben dann entsprechend mehr fördern, um die Schulwege so zumutbar wie möglich zu gestalten. Das sind die Instrumente, die man hat, um wenigstens den entstandenen Folgen abzuhelfen. Es kann nicht sein, dass die Eltern jetzt einfach zwei Tarifzonen mehr bezahlen müssen. Das wäre unverantwortlich. Wir fordern Sie mit dem Antrag auf, an der Stelle aktiv zu werden.
Meine Damen und Herren! Wir haben das Thema Schulschließungen hier im Haus und im Vorfeld oft und lang diskutiert. Wir haben uns dazu positioniert. Wir haben dazu Unterschriften gesammelt. Die Linksfraktion steht immer noch eindeutig zu wohnortnahen Schulen, weil sie mehr Integrationsmöglichkeiten und mehr Leben an den Schulen ermöglichen, weil Schulen kulturelle Zentren in den Orten sind. Es wäre unglaublich schade und unverantwortlich, wenn das wegfallen würde.
Da nun die Situation entstanden ist, wie sie in der strengen Durchsetzung der Kürzungs- und Schließungspolitik des Kultusministeriums entstanden ist, muss die Staatsre
gierung eben jetzt die Folgen auch abfedern, muss Verantwortung für zumutbare Schulwege, für die Schulwegorganisation übernehmen, die auch die Eltern und die Kreise nicht finanziell übermäßig belasten, sondern die von Ihnen vorgenommenen Veränderungen abfedert.
Wir fordern Sie dazu auf und bitten um Zustimmung für den Antrag – eben im Interesse für verantwortungsvolle Schulpolitik und zumutbare Schulwege.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst zu meiner Vorrednerin: Unsere Schulpolitik ist nicht an der Finanzpolitik des Freistaates ausgerichtet,
sondern an den Schülern, an gut qualifizierter Bildung und Erziehung in den Schulen. Das können wir hier einmal so einfach festhalten.
Es ist richtig, Frau Bonk, da gebe ich Ihnen Recht, wir haben in diesem Hohen Hause sehr oft über die Schülerbeförderung gesprochen. Normalerweise könnten wir auf die anderen Landtagssitzungen zurückgreifen.
Es ist auch nicht so, dass wir das nicht ernst nehmen würden. Wir haben auch gestern über Schulpolitik debattiert. Herr Minister hat sehr wohl ausgeführt, dass dort noch einige Dinge sind, die verändert werden müssen. Wir sind auch dazu mit den Landkreisen in Gesprächen. Aber das, was Sie hier vorhaben, ist eigentlich das, was uns heute Morgen vorgeworfen worden ist. Man sollte mit der Schule bitte keine Politik betreiben, sondern man sollte sich als verantwortlicher Politiker in diesem Hohen Hause daran beteiligen, dass wir unsere Schule weiter qualifizieren.
Da Sie sich aufregen, habe ich Recht. Das ist in Ordnung. Also gehen wir davon aus, dass die Schulnetzwege – –
Frau Henke, erinnern Sie sich daran, dass Lars Rohwer vor den Sommerferien in einer Rede im Plenum geäußert hat, dass die
sächsische Schulpolitik sehr wohl an der Finanzpolitik ausgerichtet ist, und ich ihm das als Offenbarungseid der CDU-Schulpolitik vorgeworfen habe?
Sicherlich war das im Zusammenhang mit den Haushaltsdiskussionen zu sehen, aber es ist nicht so, dass wir ausschließlich an der Finanzpolitik orientiert sind. Wir können aber in einem Land, das noch in der Aufbauphase ist, nicht die Finanzen aus dem Auge lassen. Das sagen wir immer und dazu stehen wir. Daraufhin sind auch die Tarifverhandlungen geführt worden. Darauf haben sich auch die Gespräche innerhalb des Kultusministeriums sowie in allen anderen Ministerien ausgerichtet. Aber selbstverständlich! Die Hauptaufgabe des Kultusministeriums – und auch wir sollten uns dafür einsetzen – ist das Voranbringen von qualifizierter Bildung und Erziehung an unseren Schulen im Freistaat.
Nun noch einmal zu den Schülerverkehrsregelungen. Ich habe hier schon sehr oft ausgeführt, dass dafür die Landkreise verantwortlich sind. Sie nehmen das auch wahr. An dieser Stelle sollten wir uns einmal bei den Landkreisen und bei den Abgeordneten der Kreistage dafür bedanken, dass sie diese schwierige Aufgabe sehr gut meistern. Sicherlich gibt es dort Ausfälle und, bedingt durch den ländlichen Raum, das will ich nicht negieren, größere Entfernungen. Der Kultusminister hat jederzeit zugesagt, dass wir hilfreich zur Seite stehen, wenn Problemfälle vorhanden sind. Die Aufgabe bleibt aber bei den Landkreisen.
Meine Damen und Herren! Wenn wir inhaltlich richtig über Bildungspolitik sprechen würden, was manchmal an Grundsubstanz vorhanden ist, wie zum Beispiel, dass durch mehrere Fraktionen in diesem Hohen Haus darüber diskutiert wird, ob wir nicht die Lehrer kommunalisieren könnten … Ich finde das sehr, sehr gut. Der Minister hat darauf eine Antwort gegeben, die heute im „Pressespiegel“ zu lesen war. Ich stelle die Frage an diejenigen, die das gut finden und die Verantwortung an die kommunale Ebene geben wollen, ob sie der kommunalen Ebene nicht zutrauen, eine Schülerbeförderung auf die Beine zu stellen. Ich glaube, das ist ein bisschen scheinheilig.
Wir können davon ausgehen, dass wir alle mehr Freiheit haben wollen. Wir wollen der kommunalen Ebene mehr Freiräume gestatten. Dann müssen wir es an der Stelle auch tun. Wenn wir solche Festschreibungen machen, was würde dann mit den Landkreisen passieren, die schon eine geordnete Schülerbeförderung ohne große Entfernungen auf den Weg gebracht haben? Die müssten ihre Schülerbeförderung wieder ändern, weil der Staat eine Vorgabe
Weiterhin haben Sie angeführt, die Schülerbeförderungszeiten wären nirgendwo festgeschrieben. Darauf zielt sogar der Änderungsantrag der FDP-Fraktion. Ich habe in diesem Haus schon sehr oft betont, dass das sehr wohl im Landesentwicklungsplan festgeschrieben ist, und zwar für Grundschulen 30 Minuten und für Mittelschulen und Gymnasien 45 Minuten als Empfehlung. Diese Empfehlungen werden die Landkreise berücksichtigen.