Deshalb, Herr Milbradt, appelliere ich an Sie: Setzen Sie in Ihrer Partei und im Bundesrat alle Hebel in Bewegung, um eine Mehrwertsteuererhöhung zu verhindern! Sollte es dennoch zu einer Mehrwertsteuererhöhung kommen, sind Sie aber als Ministerpräsident des Freistaates Sachsen noch viel stärker gefordert. Kämpfen Sie für die Bürger unseres Landes und hören Sie auf, im vorauseilenden Gehorsam Geld zu verschenken, das dann im sächsischen Landeshaushalt dringend benötigt würde!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mich auch etwas gewundert, Herr Ministerpräsident, warum Sie Ihre sachlich begründete Position zum Thema Mehrwertsteuer so abrupt verlassen haben. Ich kann mich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass das unter Umständen damit zusammenhängen könnte, dass Sie tatsächlich mit einem Bein schon in Berlin sind, im Bundeskabinett, und überlegen, wie Sie einen Bundeshaushalt zur Deckung bringen könnten.
Ihre Position, auf eine Mehrwertsteuererhöhung zu verzichten, sie abzulehnen, ist sachlich richtig und begründet. Daran hat sich auch nichts geändert, weil nämlich Sie und wir alle wissen, dass eine Mehrwertsteuererhöhung erst einmal zulasten der Binnennachfrage geht. Das Problem, das wir in Deutschland haben, ist das Fehlen der Binnennachfrage und dieses Problem würde dadurch verstärkt werden.
Sicherlich sind auch die Lohnzusatzkosten zu hoch. Die müssen gesenkt werden. Aber was jetzt passiert ist, ist, dass wir eine Mehrbelastung von 18 Milliarden Euro auf den Konsum und eine Entlastung von acht Milliarden Euro durch den Arbeitnehmeranteil bei der Arbeitslosenversicherung haben werden. Wir belasten die Bürgerinnen und Bürger mit zehn Milliarden Euro. Wir wissen auch, dass das Einkommensniveau in Sachsen noch unterhalb des Bundesdurchschnitts liegt. Das heißt, es trifft auch die Menschen in Sachsen viel stärker als im Bundesdurchschnitt. Deswegen muss man sich gerade in Sachsen in der Diskussion besonders massiv gegen eine Mehrwertsteuererhöhung aussprechen.
Wir müssen einfach einmal überlegen, was jeder von uns privat tut, wenn er in der Situation knapper Kassen ist. Wenn irgendwo das Geld nicht reicht, wird man sparen. Das tun wir alle, das kennen wir alle tagtäglich aus unserer Erfahrung. Ich sage Ihnen, das, was für uns, für den einzelnen Bürger gut ist, ist für den Staat nicht schlecht, nämlich zuerst einmal an das Sparen zu denken, anstatt daran zu denken, wie man über höhere Steuern höhere Einnahmen generieren kann.
Wir werden die Probleme in Deutschland erst dann lösen, wenn wir bereit sind, die Staatsquote zurückzufahren, und zwar deutlich zurückzufahren. Das heißt nämlich: weniger Staat, weniger Ausgaben, weniger Steuern. Die FDP-Bundestagsfraktion hat als einzige der Parlamentsfraktionen im Deutschen Bundestag ein umfassendes Steuerkonzept vorgelegt, ein Konzept für ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit Steuersätzen von 15, 25 und 35 %, das zu einer Nettoentlastung der Bürgerinnen und Bürger führt, denn nur durch eine Nettoentlastung wird sich auch konjunkturell etwas ändern, auch am Arbeitsmarkt. Indem Sie die eine Steuerart durch die andere Abgabenart ersetzen und somit bei den Bürgern unterm Strich insgesamt nicht mehr in der Tasche bleibt, nur beim einen mehr, beim anderen weniger, werden wir die Probleme nicht lösen. Ich hatte immer gedacht, dass die CDU inzwischen zur Einsicht gekommen ist, dass genau das gemacht werden muss.
Insofern enttäuscht uns auch das Bundestagswahlprogramm der CDU. Aber uns hier in Sachsen enttäuscht insbesondere, dass der Ministerpräsident, den wir auch innerhalb der CDU als jemanden kennen gelernt haben, der genau diese Dinge benennt und der auch genau diese richtigen Punkte öffentlich dargestellt hat, jetzt plötzlich im Angesicht der zuwachsenden Macht in Berlin, vielleicht auch im Angesicht von Ministerposten, volkswirtschaftliche Grundsätze über Bord geworfen hat. Ich kann Sie nur aufrufen, Herr Ministerpräsident: Kehren Sie zu Ihrem alten, richtigen Kurs zurück! Wenn Sie das machen, haben Sie unsere Unterstützung auf jeden Fall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wissen Sie, Herr Pecher, der Ministerpräsident verzichtet für uns alle, und er tut es, ohne uns zu fragen, geschweige denn, es für nötig zu befinden, an der Debatte teilzunehmen. Ich halte das zumindest für eine paternalistische Geste. Vielleicht ist es wirklich der gerade angesprochene Fluchtversuch – das mag möglicherweise auch daran liegen, was wir sonst hier debattieren –, aber es gibt in dieser Runde, Herr Ministerpräsident, durchaus Sachverstand, mit dem man diese Frage hier in Sachsen einmal diskutieren kann, und der Betroffenheitsfaktor spielt eine Rolle. Es ist im Prinzip für sächsische Rentner eine verkappte Rentenkürzung, die stattfindet, wenn man das so macht, und ich finde, man muss das unbedingt thematisieren.
Ob dieser Vorschlag solidarisch ist – wie Sie meinen, Herr Pecher – oder nicht; wenn er wirklich solidarisch wäre, würden wir den Reformstau West anpacken. Der Reformstau West besteht in der Rentenversicherung, in der Krankenversicherung und nicht auf dem Nebenkriegsschauplatz der Arbeitslosenversicherung. Das ist meine Meinung. Wer aufmerksam die Presse verfolgt hat, weiß, dass Frau Merkel übrigens schon angedeutet hat, im Arbeitsbereich der Bundesanstalt für Arbeit dafür zu sorgen, dass die Ich-AGs und die ABMs heruntergefahren werden – das wird noch mehr Arbeitslose in Sachsen bedeuten. Das heißt, der geringe Vorteil, der eventuell für Arbeitsplätze in Sachsen zu erwarten wäre, ist längst hinüber, allein schon durch diese ganzen geplanten Maßnahmen.
Kommen wir noch einmal auf den Fluchtversuch des Herrn Ministerpräsidenten Milbradt zurück. Der Finanzminister im Herbst in Deutschland – egal, wie er heißt, wie er aussieht und wo er wohnt – wird umstellt sein von den Problemen, die von der europäischen Ebene kommen. Almunia, der Kommissar in Brüssel, hat sich bereits deutlich geäußert: Es ist klar, dass Deutschland vor strengen Sparauflagen steht. Ich rechne damit, dass
der Ecofin einen Mehrheitsbeschluss der Finanzminister hinbekommt, mit dem deutlich gemacht wird, welche konkreten Schritte Deutschland ab Herbst zu unternehmen hat, um seinen Haushalt zu konsolidieren.
Man wird also in diesen Reformstau hineinregieren, und das ist interessant. Das heißt nämlich, dass dann vielleicht die Frage der Absenkung der Arbeitslosenversicherung gar nicht erst zur Debatte stehen wird, weil ganz andere Themen anzupacken sind, wie es gerade schon von mir angeführt worden ist.
Die GRÜNEN haben einen eigenen Vorschlag eingebracht, die Lohnnebenkosten bei niedrigen Einkommen anzupacken – übrigens alle, nicht nur die Arbeitslosenversicherung –, indem man Freibeträge für Sozialbeiträge macht. Wir haben diese Sache am Wochenende diskutiert. Es gab auch bei uns einige, die in der Minderheit geblieben sind, die dafür die Mehrwertsteuer anheben wollen. Das ist aber mit Mehrheit abgelehnt worden, und zwar aus guten Gründen: Wir haben in den letzten Jahren Erfahrungen gesammelt, zum Beispiel bei der Frage der Ökosteuer, und man konnte damit übrigens die Rentenbeiträge nur gerade so stabil halten – von Absenken war noch gar nicht die Rede, und es sind enorme Beträge, die die Ökosteuer eingespielt hat.
Das zweite Beispiel ist die Tabaksteuer. Dabei ging man auch davon aus: Wenn man die Steuer erhöht – prima, da bekommt man mehr Einnahmen; herausgekommen ist natürlich, dass diese Einnahmen gar nicht eingetreten sind, weil die Leute auf Methoden gekommen sind, diese Steuer zu vermeiden: Sie haben dankenswerterweise aufgehört zu rauchen, sie haben ihre Zigaretten eingeschmuggelt; irgendetwas geht immer.
Das bedeutet doch, dass Sie gar nicht damit rechnen können, dass Sie die ganzen 16 Milliarden Euro wirklich bekommen, wenn Sie die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte hochsetzen. Ich halte das nach wie vor für ein Problem. Uns bleiben die hohen Preise und vielleicht noch das Strohfeuer einer kleinen Konjunkturerwartung, bevor zum 01.01. nächsten Jahres die Mehrwertsteuer angehoben wird: Das Weihnachtsgeschäft; das ist ein Strohfeuer. Nach dem Weihnachtsgeschäft ist dann erst einmal jeder blank und keiner kann sich etwas leisten.
Ich halte das für völlig verfehlt, bin auch nicht die Einzige, kann übrigens auch CDU-Politiker als Kronzeugen bemühen, zum Beispiel Herrn Oettinger, der der Meinung ist, dass man den Reformdruck auf die sozialen Sicherheitssysteme aufrechterhalten muss und sich deswegen eine Mehrwertsteuererhöhung verbietet.
Dasselbe sagt zum Beispiel Herr Austermann, ein Kollege von mir, der früher mit mir zusammen im Haushaltsausschuss des Bundestages saß und jetzt Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein ist, der auch in ein Land zurückgegangen ist. Herr Austermann hat gesagt: Die Steuererhöhung darf nicht der erste Schritt sein, denn dann kommen natürlich die Begehrlichkeiten. Nicht nur, dass die EU vielleicht ihre Forderungen stellt, son
dern es kann zum Beispiel auch die Debatte aufkommen, ob man das Geld nicht doch für andere Sachen braucht. Wie gesagt, die Kopfpauschale ist nach wie vor nicht finanziert.
Wenn man immer argumentiert, wir wollen am skandinavischen Modell entlang diskutieren – das heißt, man macht mehr Verbrauchsteuern und weniger direkte Steuern, zum Beispiel Einkommensteuer und Unternehmensteuer, sie sollen ja auch abgesenkt werden, sie sind aber auch nicht richtig gegenfinanziert –, dann muss man dazusagen: Die skandinavischen Sicherungssysteme sind steuerfinanziert, sie sind nicht beitragsfinanziert. Wenn wir das in Deutschland machen wollten, müssten wir erst einmal diese Umstellung in die Steuerfinanzierung machen, bevor man überhaupt darüber reden kann, die Verbrauchsbesteuerung dafür anzuheben.
Deswegen glaube ich, dass es im Prinzip – wenn Sie das, was wir mit Ökosteuer und Rentenversicherung gemacht haben, als „Gemurkse“ bezeichnen – die Fortsetzung des „Gemurkses“ auf derselben Ebene ist, wenn Sie versuchen, mit einer Mehrwertsteuererhöhung, die allen Leuten wehtut – die kann man nämlich nicht vermeiden; die Ökosteuer kann man vermeiden, da kann man klug reagieren, aber Mehrwertsteuer kann man nicht vermeiden –, eine Tarnung aufzubauen, die überhaupt nicht funktioniert und nicht den gewünschten Effekt bringen wird.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hermenau, ich denke, Sie reden hier wie vor einem Spiegel. Ihr Lieblingswort „saubere Finanzierung“ hier anzuführen und dann die rot-grünen Desaster von Nordrhein-Westfalen dem neuen Ministerpräsidenten Dr. Rüttgers anzuhängen, das finde ich schon infam.
Oder zur Ökosteuer: Die Ökosteuer hat so deutliche Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Alle Produkte müssen in Deutschland transportiert werden, auch Lebensmittel, und da wirkt sich die Ökosteuer sofort aus. Das kann man eben nicht umgehen – die Ökosteuer kann man nur durch Abwanderung vermeiden, und das ist das, was wir nicht wollen.
Als Drittes sprechen Sie die Auswirkung der Arbeitslosigkeitszeiten für die Rentner an. Sie haben lange genug, wie es Prof. Bolick gesagt hat, im Bundestag gesessen und hatten die Möglichkeit, vieles zu vermeiden, aber auch Frühverrentung und Ähnliches abzuschaffen. Das ist eine Aufgabe der Bundesebene, über die wir hier diskutieren, und es sind letztlich auch beide Seiten des Arbeitsmarktes, die davon profitieren: Der Arbeitnehmer hat mehr Netto übrig, wenn die Gegenfinanzierung durchgesetzt wird, und der Arbeitgeber hat geringere Lohnkosten.
Geringere Lohnkosten sind übrigens, Kollege Morlok, vielleicht der Bereich, der Ihnen in Ihrer Rechnung fehlt, wenn Sie sagen, von 18 Milliarden Euro ziehen Sie acht Milliarden Euro ab, die die Arbeitnehmer als Vorteil haben. Vielleicht vergessen Sie, dass wir eine paritätische Sozialversicherungsfinanzierung haben. Wir müssen auch noch die Vorteile für den Arbeitgeber abziehen und dann bleiben noch die Milliarden Euro übrig, die – so wie es der Herr Ministerpräsident vorgeschlagen hat oder mitträgt – in die Finanzierung der Kinderversicherung bei der Gesundheitspflege einfließen sollen. Und so sind da gar keine großen Lücken, wenn man richtig rechnen würde.
Wenn dann die Arbeitnehmer mehr Netto haben und die Arbeitgeber geringere Lohnkosten – also mehr Investitionsspielräume, mit denen sie mehr Arbeitsplätze schaffen können –, dann profitiert hoffentlich auch einmal die dritte Gruppe vom Arbeitsmarkt, die bei der Lobbypolitik und bei dieser verkrusteten Verbändestruktur häufig nicht vorkommt: Das sind die Arbeit Suchenden.
Letztlich gibt es aber auch volkswirtschaftlich kein Instrument, welches man in seiner Wirkung einseitig prognostizieren kann, und auch kein Instrument, über das man sagen kann, dass davon alle profitieren. Es gibt Menschen, die darunter leiden werden, und wir müssen schauen und einfach abwägen. Wir müssen differenzierter herangehen und das gesamte Paket betrachten, von dem die CDU glaubt, dass es das richtige Paket ist, um einen neuen Schwung in unseren Arbeitsmarkt und in unser Land zu bringen.
Man muss differenziert herangehen. Das Gesamtpaket setzt sich nämlich nicht nur aus der Mehrwertsteuerveränderung zusammen, sondern auch aus der Senkung von Lohnsteuerbelastungen, aus dem Abbau von Bürokratie, aus neuen Programmen in der Bauinvestition und in der Infrastruktur. Bei alledem muss und kann man dann endlich einmal mit dem auskommen, was man hat – etwas, was Sachsen gut kann. Die Mehrwertsteueranhebung soll nämlich gesamtfiskalisch keine Mehreinnahme des Bundes sein, sondern es sind Erlöse, die umverteilt werden, um eine unsinnige Belastung anderer Leistungsträger abzubauen.
Notwendig aber, damit das Ganze funktioniert, sind Klarheit, Wahrheit und Verlässlichkeit, damit dieses Angstsparen aufhört. Es gehört natürlich zu dem Kalkül, dass Angstsparen aufhört, welches sonst die negativen Folgen einer Konsumbelastung verstärken könnte.
Die 16 Milliarden Euro dienen ausschließlich der Finanzierung der Reform von Sozialversicherung und Senkung von Lohnnebenkosten, aber es kann nicht jeder davon profitieren, und Sachsen zeigt, dass man mit dem auskommen kann, was man hat. Wir werden 2009 keine Neuverschuldung mehr haben – trotz der verschiedentlichen Absenkung der Zuweisungen bis dahin. Dafür steht verlässliche Politik, und da kann Sachsen auf einen Anteil an der Mehrwertsteuererhöhung verzichten.
Wenn der Ministerpräsident und der Finanzminister es für richtig halten und der Finanzausschuss und letztlich der Landtag dem zustimmen, dann kann sich Sachsen das auch leisten. Man hat eine vorausschauende Politik betrieben; wir können mit solchen Verzichten wirklich auskommen. Sachsen setzt vor allen Dingen auf die indi
rekten Erfolge der Mehrwertsteuererhöhung, und davon profitieren wir. Ich glaube, dass die indirekten Erfolge viel höher sind als entgangene Mehrwertsteuer-Mehreinnahmen, wenn nämlich neue Arbeitsplätze entstehen – das ist das, was die Menschen hier brauchen.
Sachsen profitiert auch von einem gesamtdeutschen Aufschwung. Sachsen profitiert, wenn die Produzenten und Zulieferer in unserem Lande gefragt werden. Sachsen profitiert, wenn die starken Geberländer genügend Kraft haben, um den Solidarbeitrag weiter zu leisten. Insoweit habe ich überhaupt keine Sorgen um die Finanzen unseres Freistaates.
Wenn es um die Themen „neue Ehrlichkeit“ und „Geradlinigkeit“ geht, so fand ich Ihre Rede etwas befremdlich, Frau Simon.
Vielleicht kommt dieser Begriff aus Ihrer alten Denkschule. Es wäre ehrlicher, wenn Sie mit Ihren überlaufenden Wahlversprechen aufhören würden.