Zunächst hat die Fraktion der FPD als Antragstellerin das Wort. Danach folgen CDU, Linksfraktion, SPD, NPD, GRÜNE und die Staatsregierung. Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass die Fraktion der FDP das Wort nimmt. Herr Herbst, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Mittwoch haben wir hier eine Regierungserklärung von Ministerpräsident Tillich mit dem Titel „Fünf Jahre Erfolg für Sachsen“ gehört.
Ich hoffe, dass er darunter nicht die Schulschließungspolitik dieser Regierung versteht. Es gibt keinen Grund, darauf stolz zu sein, meine Damen und Herren.
In den vergangenen zehn Jahren wurden über 550 Schulen geschlossen. Wenn wir noch etwas weiter zurückgehen: seit 1995 sogar 832. Das ist kein Ruhmesblatt für Sachsen.
Ich gestehe gern zu, dass der Rückgang der Schülerzahlen eine gewaltige Herausforderung für Sachsen ist und dass man Antworten finden muss. Auch aus FDP-Sicht ist keine Schule zu halten. Die Frage aber, die wir uns stellen müssen, ist die Frage, ob es ein Kahlschlag in dieser Dimension sein muss. Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet, ob es keine Alternativen dazu gibt. Wenn ich mir die Politik von CDU und SPD in den vergangenen
Jahren anschaue, dann habe ich nicht den Glauben, dass dort die Kraft, die Kreativität und der Wille vorhanden sind, intelligente Alternativen zu Schulschließungen zu finden.
Was ich dort sehe, ist ein stures Festhalten an Mindestzügigkeiten, an Mindestschülerzahlen. Sie versuchen, die Realität an ein nicht mehr zeitgemäßes Schulgesetz anzupassen. Das kann nicht funktionieren, das geht schief. Im Übrigen zeigen auch andere, dünner besiedelte Länder, dass durchaus auch kleine Schulen eine hervorragende Qualität liefern können.
Nun wird zu den Schulschließungen argumentiert, das müsse man machen, weil man die Qualität sichern wolle. Doch ich frage Sie: Wie sieht denn die Verbesserung aus? Entsteht die Verbesserung dadurch, dass man Schulen schließt, die über ein hervorragendes Schulklima und über eine gute Unterrichtsqualität verfügen? Entsteht die Verbesserung dadurch, dass man die Schulen aus kleinen Orten herausreißt, damit auch die Lebensqualität verringert und die ländlichen Regionen schwächt? Oder besteht die Verbesserung darin, dass man die Schulwege für Schüler verlängert und die Kosten für Eltern erhöht? Das kann es aus unserer Sicht nicht sein, meine Damen und Herren.
Nur zwei Punkte zu dem Thema Schülerbeförderung: Im Vogtlandkreis sind die Kosten von 2002 bis 2007 um 30 % gestiegen. Die Schulwege im Altkreis TorgauOschatz sind im Durchschnitt 13 Kilometer lang, die Zeit beträgt im Schnitt pro Fahrt ungefähr 30 Minuten lang. Im Schnitt! Das heißt, es gibt genügend Beispiele, wo Beförderungszeiten von 45 Minuten, von einer Stunde keine Seltenheit sind. Und da will uns jemand sagen, das wecke Lust am Lernen, das verbessere die Schulqualität? Das glaubt, denke ich, keiner hier im Raum.
Der heutige CDU-Fraktionsvorsitzende und frühere Kultusminister hat in der „Morgenpost“ vom 18. Mai 2009 gesagt: Von jedem sächsischen Dorf muss man innerhalb von 30 Minuten eine Autobahn erreichen können. Ich hoffe nicht, dass das seine Vision vom Schülerverkehr ist. Via Autobahn in die Grundschule – ich glaube nicht, dass das eine Perspektive ist, mit der die Sachsen gern leben wollen.
Nun hört man von der Regierung, dass diese Schulschließungen Geld sparen und die Qualität erhöhen. Nur, ich habe bis heute überhaupt nicht gehört, was hier tatsächlich gespart wurde. Es gibt keine Zahlen. Wird die Qualität besser, wenn die Schulwege länger werden, wenn die Entfernung zwischen Schule und Elternhaus größer wird, wenn das soziale Umfeld weiter weg ist? Dahinter mache ich ein ganz großes Fragezeichen.
Die Schulschließungen, meine Damen und Herren, sind eben nicht vorbei. Meine Kleine Anfrage zum Beobachtungsstatus hat ergeben, dass allein 75 Schulen weiterhin gefährdet sind. Das sind übrigens 5 % aller Schulen in Sachsen. Hinzu kommen verweigerte Fördermittel für 36 Schulen aus dem Schulhausbauprogramm und aus dem Konjunkturpaket.
Nun kann man sagen, es gebe keinen Rechtsanspruch, wie das der Minister im Interview erklärt hat. Das ist zwar richtig, aber die Frage ist: Ist die Taktik eine bessere, wenn Schulen jetzt nicht mehr frontal geschlossen werden, sondern wenn man es durch die Hintertür versucht, so nach dem Motto, der Kopf wird nicht mehr direkt abgeschlagen, sondern der Dolch wird langsam durch den Rücken ins Herz gebohrt? Der Unterschied ist im Ergebnis nicht vorhanden, meine Damen und Herren. Es ist bitter, dass die Schulen geschlossen werden, und diese Taktik macht es nicht besser.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine scheinbar um Volksnähe bemühte Politik, die Unzufriedenheit, Ängste und aktuelle Konflikte für ihre Zwecke instrumentalisiert, an Instinkte appelliert und einfache Lösungen propagiert, wobei verantwortungsethische Gesichtspunkte und Aspekte der praktischen Realisierbarkeit weitestgehend außer Acht gelassen werden – so, meine Damen und Herren, bezeichnet man Populismus.
Dieser Politikstil, meine Damen und Herren, bewegt zwar überhaupt nichts, aber er wird gerade in Wahlkampfzeiten immer wieder sehr intensiv gepflegt. Genau unter diesem Vorzeichen steht zu diesem Zeitpunkt, in der heutigen Sitzung, auch die Debatte, die von der FDP beantragt wurde.
Da schreiben Sie auf der Homepage Ihrer Partei von einer befürchteten neuen Welle von Schulschließungen durch die Hintertür und versuchen, aus dieser fachlich überhaupt nicht untersetzten und zudem noch falschen Prognose politischen Nektar zu ziehen. Meine Damen und Herren, mit solch einer Vorgehensweise wollen Sie tatsächlich in diesem Land Regierungsverantwortung übernehmen?
Sachsen hat in den letzten Jahren – das ist wohl jedem in diesem Hohen Haus durchaus bewusst – im Bildungsbereich einen gravierenden Umbruch erlebt. Die durch die demografische Entwicklung bedingte Halbierung der Schülerzahl in Sachsen hat zwangsläufig dazu geführt, dass Schulstandorte in den unterschiedlichen Schularten infrage gestellt werden mussten. Dieser Prozess war für Sachsen ein schmerzlicher. Gleichwohl bestand vor dem Hintergrund dieser Schulentwicklung und unseres erklärten Zieles, qualitativ hochwertige Schulstandorte mit gut ausgebildeten und engagierten Pädagoginnen und Pädagogen aufrechtzuerhalten, wirklich keine andere Möglichkeit.
Wie wollten Sie, meine Damen und Herren von der FDP, einen solchen Prozess bei der von Ihnen als Markenzeichen Ihrer Partei propagierten Wirtschafts- und Bildungskompetenz anders meistern? Sie werden uns sicherlich die Antwort schuldig bleiben. Aber Sachsen hat den Prozess des demografischen Wandels trotz dieser schwierigen Ausgangsposition gut vollzogen.
Meine Damen und Herren, die Konzentration im Bereich der Schulstandorte hat nicht zu einem Qualitätsabbau geführt. Dies zeigen nicht nur die Ergebnisse der letzten PISA-Studie. Möglich war und ist das in erster Linie deshalb, weil die sächsischen Lehrerinnen und Lehrer diesen Prozess durch persönliche Zugeständnisse, auch durch die Bereitschaft zu vorübergehender Teilzeitarbeit und ein hohes Maß an beruflichem Engagement mitgetragen haben – und dadurch, dass die Träger der Schulnetzplanung, also unsere Landkreise und kreisfreien Städte, verantwortungsbewusst und im Gesamtinteresse entschieden haben.
Sicherlich hat die eine oder andere Entscheidung über die Schließung einer Schule vor Ort zu Missmut geführt, aber unter dem regionalen und wirtschaftlichen Blickwinkel war sie im Einzelfall eben auch nicht zu umgehen.
Der Prozess der Umstrukturierung ist nun weitestgehend abgeschlossen, meine Damen und Herren. Die Schülerzahlen haben sich auf niedrigem Niveau stabilisiert, und wir bemühen uns nun um die weitere qualitative Ausgestaltung unseres gegliederten sächsischen Schulsystems. Hier sind wir mit vielfältigen Maßnahmen im Bereich der Ganztagsangebote, der Sicherung der pädagogischen Kompetenz und des Lehrernachwuchses mittlerweile auf einem guten Weg, auch wenn wir noch viel an Aufgaben zu bewältigen haben. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Sowohl unser Fraktionsvorsitzender Steffen Flath als auch unser gegenwärtiger Kultusminister Roland Wöller haben sich dafür ausgesprochen, keine weiteren Schulen in Sachsen zu schließen.
Woher also, meine Damen und Herren von der FDP, Ihre Aufgeregtheit? Ist es wirklich die ehrliche Sorge um unsere sächsischen Schüler, oder ist es nicht doch der eingangs beschriebene Populismus oder vielleicht der Mangel an kompetenteren Wahlkampfthemen? Meine Damen und Herren, ich glaube, Letzteres trifft zu.
Betrachtet man die aktuelle Situation in Sachsen, dann stellt man fest, dass hinsichtlich ihrer Standortsicherheit derzeit im Freistaat 75 Schulen im Rahmen der bestehenden Schulnetzplanung unter einem sogenannten Beobachtungsstatus stehen. Bei insgesamt fast 2 000 Schulen im Freistaat kann hier wohl kaum von einer problematischen Situation gesprochen werden, zumal diese Standorte eben nicht unter dem Vorzeichen einer Schließung stehen. Hier sind letztlich die Schulträger weiterhin gefordert, gemeinsam mit dem Freistaat darauf zu achten, dass eine langfristige Stabilisierung der Schulstandorte und auch der Schülerzahlen erreicht wird und damit auch der Fortbestand gesichert werden kann.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Bereich der Schulpolitik haben Sie schlecht auf die notwendigen Anpassungen an den demografischen Wandel reagiert. Das, denke ich, kann man so auch in Bezug auf Ihre Rede sagen, Herr Colditz. Erst letzte Woche haben beim Bildungsstreik Schülerinnen und Schüler bundesweit und auch überall in Sachsen für höhere Bildungsausgaben und vielerorts gegen Schulschließungen demonstriert. Aber das war für Sie offensichtlich noch lange nicht genug, wenn ich mir Ihre Jubelargumente in Bezug auf die eigene Politik hier wieder anhören muss.
Schauen wir uns doch einmal die Bilanz der Schulschließungspolitik der Staatsregierung in Zahlen an: Seit 1992
sind 800 Schulstandorte dicht gemacht worden. 800! Keineswegs behandeln Sie dabei die Mittelschule als das Herzstück des sächsischen Schulwesens, denn besonders betroffen waren davon Mittelschulstandorte, deren Anzahl Sie im Vergleichszeitraum fast halbiert haben. Auch die Anzahl der Grundschulen ging um circa ein Drittel zurück. Wenn man sich das anschaut, sieht man, dass das insgesamt fast 35 % der Grundschulstandorte sind. Wenn man von einem wohnortnahen Schulweg besonders im kindlichen Alter ausgeht, halten wir das für die völlig falsche Weichenstellung, auch in Bezug auf den demografischen Wandel.
Dieser Kahlschlag, meine Damen und Herren, ist die Bilanz Ihrer Regierungspolitik. Aber nicht nur Schulstandorte wurden geschlossen, sondern auch die Anzahl der Lehrkräfte an sächsischen Schulen ging in den letzten Jahren zurück, und mangels langfristiger politischer Planung droht Lehrermangel. Aber da brauchen Sie hier im Hohen Haus gar nicht immer so überrascht dreinzublicken, denn nichts ist langfristiger planbar als die Personalentwicklung.
Die Bilanz hindert Sie nicht daran, an dem eingeschlagenen Kurs der inzwischen verdeckten Schulschließungspolitik festzuhalten. Wie einer Kleinen Anfrage zu entnehmen war, hat das Kultusministerium erst jüngst 14 Schulen die Förderung entsprechend der aktuellen Förderrichtlinie für Schulhausbau versagt, und zwar mit der Begründung der fehlenden Standortsicherheit. Es geht also weiter und wird nunmehr über die Hintertür einer verschärften Fördermittelvergabepolitik fortgesetzt, und den Kommunen wird dabei weiterhin der schwarze Peter zugeschoben.
Auch der Herr Staatsminister konstatierte bei der Besichtigung der stark sanierungsbedürftigen Lene-Voigt-Schule in Leipzig – dabei zitiere ich aus der „Leipziger Volkszeitung“ –: „Das sind keine dauerhaften Zustände. Um ordentlich lernen zu können, braucht man natürlich die richtigen Bedingungen.“
Natürlich. Aber Sie sollten dann auch endlich die Schulnetzplanungsverordnung an das geltende Schulgesetz anpassen.
Denn in der Schulnetzplanungsverordnung, die sozusagen das im Hintergrund stehende Dokument ist, heißt es in § 2: „Der Schulnetzplan ist nach Maßgabe der Anlage zu erstellen.“ – Die Anlage hat es in sich, denn in ihr sind immer noch veraltete Kenngrößen wie der Klassenrichtwert und Mindestschülerzahlen sowie Klassenteiler, die zum Teil nicht mehr den Vorgaben des Schulgesetzes entsprechen, enthalten.
Wie ich schon in der letzten Debatte zu diesem Thema betonte, wurde die Sache mit dem Auflegen der neuen Förderrichtlinie Schulhausbau im vergangenen Januar richtig ärgerlich, bezieht sich doch die Richtlinie vermut
lich nicht zufällig auf die überholten Kenngrößen dieser Verordnung. Dass diese veraltete Verordnung nicht mehr über dem Schulgesetz stehen soll, haben wir im Hohen Haus schon mehrfach kritisiert und auch vereinbart. Aber es passt Ihnen vermutlich in den Kram, an diesen veralteten Kenngrößen festzuhalten.
Eine solche Politik, die nur auf eine kurzfristige Ausgabenminderung gerichtet ist, ist auch aus einem anderen Grund irrsinnig. Denn auf der anderen Seite steigen dann einfach die Kosten, wie wir zum Beispiel bei den gestiegenen Kosten für den Ausbildungsverkehr und den Schülerverkehr gesehen haben. Seit 1992 gewährt der Freistaat den Verkehrsunternehmen für den Ausbildungsverkehr einen Ausgleich. Seit 2006 und 2007 ist dessen Höhe von 47,5 Millionen Euro auf 57,1 Millionen Euro gestiegen – eine deutliche Auswirkung sich verlängernder Schulwege und Ihrer Schulschließungspolitik.
In der Vergangenheit wurde deutlich, dass aufgrund der veränderten Schulwege und des Wegfalls von Schulstandorten die Familien gleich mehrfach bestraft wurden: erstens durch den Wegfall des Schulangebotes vor Ort, zweitens mit Einschränkungen hinsichtlich der freien Schulwahl, die sich aus den Beförderungssatzungen der Kreise ergeben, und drittens durch steigende Preise, die den Familien übertragen worden sind. Wir sagen: Das ist unverantwortliche Politik!