Protocol of the Session on October 17, 2008

Bildung und Qualifikation, und zwar gute Bildung und hohe Qualifikation, werden immer stärker zum zentralen Entwicklungsfaktor einer Gesellschaft. Wir haben gerade

heute Morgen am Beispiel der IT-Branche über diesen Bereich gesprochen. Das trifft nicht nur auf den hoch qualifizierten Fachkräftenachwuchs zu, sondern ist auch auf das soziale, auf das demokratische und solidarische Zusammenleben der Gesellschaft bezogen, denn auch das umfasst Bildung.

Wenn vorhin von einem der Abgeordneten kritisiert wurde, dass es sich nur um einen Qualifikationsgipfel handelt, dann mache ich darauf aufmerksam, dass gerade dieses Thema der Qualifikation des Einzelnen und innerhalb der Gesellschaft ganz maßgeblich für den Zusammenhalt und das Vorankommen einer Gesellschaft entscheidend ist. Ein Bildungsgipfel auf nationalstaatlicher Ebene, so wie wir ihn in der nächsten Woche erleben, ist daher mehr als dringend und eigentlich, wer die letzten zehn Jahre verfolgt hat, mehr als überfällig seit der berühmten „Ruck-Rede“ des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog.

Spätestens nach der Veröffentlichung der PISAErgebnisse im Jahr 2001 gab es parteiübergreifend einen Ruf nach der „Chefsache Bildung“. Das sehe ich mit dem Bildungsgipfel in Umsetzung.

Allein im Hochschulbereich ist es in Deutschland bisher noch nicht gelungen, die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger und der Hochschulabsolventen maßgeblich zu steigern und an das internationale Niveau vergleichbarer Länder anzuheben. Die Ursachen dafür sind vielfältig und hier schon oft diskutiert worden. Sie beginnen im frühkindlichen Bereich. Kollege Wöller hat die notwendigen Maßnahmen bereits am Mittwoch genannt.

Lassen Sie mich am Beispiel der Hochschulen exemplarisch herausstellen, wie dringend notwendig gemeinsames Handeln von Bund und Ländern ist. Ich meine gemeinsames Handeln und nicht zentralstaatliches Handeln.

Die steigende Zahl von AbiturientInnen in den westlichen Bundesländern führt bereits in diesem Wintersemester, wie man der Presse entnehmen konnte, und in den kommenden Jahren verstärkt zur Studienplatznachfrage. Man kann sagen: endlich, in Anbetracht der von mir eingangs genannten zu geringen Zahl von Hochschulabsolventen. Zeitgleich werden allein im Freistaat Sachsen 45 % weniger Abiturienten bis 2014 die Schulen verlassen. Bund und Länder haben auf der Grundlage des neuen § 91b des Grundgesetzes, der nach der Föderalismusreform entstanden ist, gemeinsam 2006 mit dem Hochschulpakt I bis 2010 die Voraussetzungen für die Schaffung und den Erhalt von circa 90 000 Studienplätzen gelegt. Das wäre ohne das gemeinsame Handeln von Bund und Ländern und die Mittel des Bundes von immerhin 560 Millionen Euro nicht auf den Weg gebracht worden.

Im Freistaat Sachsen ist es mit den zusätzlichen Mitteln des Bundes auch möglich, mehr jungen Menschen einen Studienplatz im Land anzubieten. Bis 2015 – und das ist die eigentliche Herausforderung, die von Bund und Ländern noch zu lösen ist – werden mindestens 275 000

weitere zusätzliche Studienplätze benötigt. Das ist nur in gemeinsamer Anstrengung möglich, denn Bayern, BadenWürttemberg, Nordrhein-Westfalen und andere Bundesländer, die doppelte Abiturientenjahrgänge haben werden, werden es nicht allein schaffen, in kurzer Frist diese Studienplätze zur Verfügung zu stellen.

Wir sind der Meinung – und da treffen wir uns, Herr Gerstenberg, auch mit Ihrem Antrag –, dass wir eine neue Grundlage für die Hochschulfinanzierung benötigen, und das schon mehrfach zitierte Modell „Geld folgt Studenten“ oder Vorteils- oder Nachteilsausgleich, je nachdem, wie man das bezeichnen will, sollte endlich realisiert werden. Das wäre ein Modell, das der Hochschullandschaft und ihrer Finanzierung und auch den Anstrengungen der einzelnen Hochschulen und Länder Rechnung trägt.

Die gesamtgesellschaftliche Herausforderung, den Anteil an akademischen Fachkräften in den kommenden Jahren deutlich zu steigern, verlangt daher zwingend das Zusammenwirken von Bund und Ländern; denn so könnte der Bund zum Beispiel die Finanzierung der ausländischen Studierenden, die im nationalen Interesse sind, mit übernehmen. Dass dabei die föderale Verantwortung jedes Landes gewahrt bleiben muss, ist auch dem neu geschaffenen § 91b des Grundgesetzes immanent.

Einigen scheint es nicht ganz geläufig zu sein, dass auch das geänderte Grundgesetz nach der Föderalismusreform ein Zusammenwirken von Bund und Ländern beinhaltet, allerdings – das ist richtig – bezogen auf den Hochschulbereich. Ich zitiere nur den einen Punkt aus dem § 91b: „Bund und Länder können aufgrund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung zusammenwirken bei der Förderung von Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen.“ Hier gibt es ganz konkret die Möglichkeit des Zusammenwirkens, wenn sich Bund und Länder einig sind. So ist es aufgrund der gegebenen föderalen Eigenständigkeit möglich, dass der Freistaat Sachsen die Studiengebührenfreiheit weiterhin wahren kann, was angesichts der steigenden Kosten für die Studienkreditfinanzierung ein wichtiger Faktor für Studierwillige ist.

Ich hielte es für den falschen Weg – und das ist mit Blick auf den Antrag der Linksfraktion gesagt –, den langen und unkalkulierbaren Weg einer Grundgesetzänderung zur Verankerung der Unentgeltlichkeit von Bildung zu gehen. Eine erneute jahrelange Grundgesetzdiskussion, wie wir sie gerade hinter uns haben, bremst notwendige zügige Handlungsschritte von Bund und Ländern im Bildungsbereich. Daher kann ich nur bitten, den Antrag der Fraktion DIE LINKE entweder zurückzuziehen oder abzulehnen.

Zum Thema Hochschulbildung des Antrages von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchte ich darauf hinweisen, dass alle drei Punkte, die von Ihnen genannt wurden, bereits im Einigungsprozess der KMK sind und auch in den Bildungsgipfel – soweit man sich darauf einigen kann – einfließen werden. So werden wir in Kürze bundeseinheitliche Regelungen für den Hochschulzugang beruflich

Qualifizierter haben. Darauf hat sich gestern die Kultusministerkonferenz verständigt.

Die Kultusministerkonferenz, die gestern ihren 60. Geburtstag gefeiert hat,

(Beifall der Abg. Margit Weihnert, SPD – Heiterkeit bei der FDP und den GRÜNEN)

die noch vor der Föderalismusreform – –

Lassen Sie mich doch einfach den Satz zu Ende sagen, vielleicht haben Sie dann eher einen Grund zum Schmunzeln. Die alte Dame Kultusministerkonferenz war vor der Föderalismusreform immer als Schnecke beschimpft worden, die sich im Rückwärtsgang bewegt. Ich kann Ihnen sagen, dass die Kultusministerkonferenz in den letzten Jahren auch unter dem Druck der notwendigen Einigung nach der Föderalismusreform vieles auf den Weg gebracht hat.

(Beifall des Abg. Thomas Colditz, CDU)

Ich erinnere gerade an die Einigung im Kindertagesstättenbereich, im Ganztagsschulbereich und anderes, was vorher undenkbar gewesen wäre.

(Beifall der Abg. Thomas Colditz, CDU, und Margit Weihnert, SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bildungsgipfel auf höchster gesamtstaatlicher Ebene ist nach jahrelangen „Bildungsgipfelchen“ in den Fachkreisen, die sich trefflich bemüht haben, dringend geboten. Ich erhoffe mir nach den intensiven Vorarbeiten der letzten Monate zwischen der Kultusministerkonferenz und der Bundesregierung und jetzt auf der Ebene der Landesregierungen und der Bundesregierung klar erkennbare Ergebnisse, denn Aufstieg durch Bildung für alle ist zu wichtig, als dass es der Finanzkrise zum Opfer fallen darf.

Danke.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und der CDU)

Das Schlusswort hat zuerst die Linksfraktion und danach die Fraktion der GRÜNEN. Frau Bonk, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht das Scheitern dieses Bildungsgipfels nehmen wir vorweg, darum muss sich Frau Merkel schon selbst kümmern, aber wir haben nach den Redebeiträgen von CDU-Fraktion und Staatsregierung kein Vertrauen in die Ergebnisse, die dort kommen werden – im Gegenteil, wir kritisieren die Anlage eines Bildungsgipfels, bei dem sich nur die Regierungschefs unter sich und hinter verschlossenen Türen treffen. Bildung als Chefsache muss keine Top-Down-Entscheidung bedeuten.

Wir haben natürlich unterschiedliche Ansprüche, Kollege Colditz, wenn Sie zum Beispiel davon sprechen, dass es nicht in Ordnung ist, das Kooperationsverbot dann nicht anzuwenden, wenn es der Förderung des wirtschaftlichen

Wachstums dient. Wir sagen: Bildungspolitik ist keine Wirtschaftspolitik, sondern Politik für die Entwicklung der Menschen. Deswegen wollen wir unsere unterschiedlichen Grundvoraussetzungen in der Bildungspolitik deutlich machen.

Kollege Dulig, ich habe über die stärkere Verantwortung des Bundes als Notwendigkeit gesprochen, auch über die Notwendigkeit der Veränderungen in der Bildungsfinanzierung. Wir haben diesen Antrag gestellt, das hat auch mein Kollege Fraktionsvorsitzender deutlich gemacht, weil wir Bildung als Schwerpunktthema sehen. Sie sollten nicht unser Recht, Anträge zu stellen, kommentieren. Es ist eher schade, dass es bei den Sozialdemokraten inzwischen schon so weit geht, mögliche Ergebnisse eines CDU-Bildungsgipfels in der Zukunft gutzuheißen.

Im Übrigen haben wir unseren Antrag eingebracht, um dem Bildungsgipfel, der nächste Woche in Dresden stattfindet, inhaltliche Anforderungen mit auf den Weg zu geben. Meine Fragen hat der Kultusminister wenig oder ungenügend beantwortet. Umso mehr werbe ich um Zustimmung zu unserem Antrag. Wir haben diesen Antrag aufgestellt und damit diese Debatte initiiert, weil wir Alternativen im Bildungswesen deutlich machen wollen, weil wir zeigen wollen, dass es so, wie es ist, nicht sein muss, sondern anders organisiert sein kann. Parteiübergreifend kündigen sich Veränderungen im Bildungswesen an. Gesellschaftliche Mehrheiten für das längere gemeinsame Lernen sind längst da.

Aufgrund dieser parteiübergreifenden Debatten und auch ähnlicher Inhalte, für die wir in der Gesellschaft streiten, werden wir auch dem Antrag der Fraktion der GRÜNEN zustimmen. Wir bereiten uns weiter auf die Auseinandersetzungen vor. Wir sehen die Diskussion in dieser Woche als Anlass, aber wir sehen die Entscheidungen im nächsten Jahr. Wir stehen dabei für die Einführung des längeren gemeinsamen Lernens, für eine Bildungspolitik ohne Ökonomisierung und ohne soziale Ausgrenzung, für selbstbestimmtes Lernen unter Infragestellung der herkömmlichen Benotung und damit für ein Bildungswesen, das einer demokratischen Gesellschaft gerecht wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Frau GüntherSchmidt, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frage, der diese Debatte nachgehen sollte, war schicht und ergreifend: Was erwarten wir vom Bildungsgipfel? Was ist möglich und was sind die Hindernisse? Wir GRÜNEN wenigstens haben Ihnen eine ganze Reihe von Baustellen genannt: von der frühen Bildung über Schulen bis hin zu Hochschul- und beruflicher Ausbildung, und wir sind sogar noch auf die Finanzierung eingegangen. Bei Ihnen, Herr Colditz, habe ich lange warten müssen, und es kam dann: Sie warten auf ein Signal. Na, da bin ich ja mal gespannt, ob Sie das

auch hören, sonst habe ich immer den Eindruck, Sie sind der Fuchs, den man zum Jagen tragen muss.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass dieser Bildungsgipfel nichts anderes als eine reine Showveranstaltung sein wird. Nicht ohne Grund wurde meiner Meinung nach ein abgelegener Ort gewählt, der natürlich viele Assoziationsmöglichkeiten zulässt: auf Sand gebaut, in die Wüste geschickt – all das, was mir zu Bildung unter konservativer Regie einfällt; und nicht ohne Grund verzichten die Kultusminister weitgehend darauf, sich einzubringen.

Am Ende des Bildungsgipfels, wenn die paar Stunden dort draußen abgesessen sind, was wird dann bleiben? Dann wird bleiben: Alle Bundesländer stehen wieder alleine da, und zwar genau an der Stelle, an der sie zuvor auch waren. Kein einziges Problem in Sachsen ist dann gelöst. Unterrichtsausfall – Sie haben bestimmt heute die „Freie Presse“ gelesen – ist nach wie vor ein massives Problem, das braucht man nicht mit einer Handbewegung wegzuwischen. Sie bekommen es einfach nicht gelöst, weil sie zu wenige Lehrer in Sachsen eingestellt haben. Dieses Problem wird Sie auch nach dem Bildungsgipfel begleiten. Schulversager: Es nützt doch nichts, wenn Sie beklagen, dass es zu viele sind. Da muss man endlich einmal etwas tun.

Abiturquote – ich hatte versucht, sie mit meiner Zwischenfrage einzubringen. Herr Kultusminister Wöller, Sie sind ja noch neu in der Branche, deshalb werde ich jetzt einmal versuchen, Ihnen das Problem zu erklären, das Sie offenbar nicht verstanden haben.

(Heiterkeit bei der CDU)

Aus der Schulabbrecherquote zu schließen, dass der Hauptschulabschluss eine zu hohe Anforderung an die Betroffenen wäre, das ist doch wirklich blanker Unfug. Es ist schlicht und ergreifend der Beleg dafür, dass Sie nicht in der Lage sind, pädagogisch sinnvoll einzuwirken. Das heißt, Sie schieben gnadenlos nach unten ab, anstatt zu schauen, was hier noch zu tun ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Ich spreche seit nunmehr vier Jahren in diesem Hause davon. Andere Länder schaffen es auch, den Hauptschulabschluss abzuschaffen. Der erste Abschluss, den ein Mensch braucht, ist der mittlere Bildungsabschluss. Der andere ist auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht mehr gefragt und kein bisschen attraktiv. Wenn es stimmt, was immer gesagt wird – Herr Colditz, hören Sie einmal zu! –, dass die Sachsen helle sind, dann geht das nicht mit den Quoten zusammen, die Sie hier liefern.

Also, Bildungsgipfel ist das eine, da werden Sie sich etwas amüsieren, lecker Häppchen essen, und dann ist es gut gewesen, und danach machen wir wieder Bildungspolitik hier in Sachsen.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung. Ich beginne mit dem Antrag der Linksfraktion. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei Stimmenthaltungen und Stimmen dafür ist der Antrag dennoch mit Mehrheit abgelehnt worden.

Ich rufe den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei Stimmenthaltungen und Stimmen dafür ist der Antrag dennoch mit Mehrheit abgelehnt. Der Tagesordnungspunkt ist damit beendet.

Ich rufe auf