Protocol of the Session on October 16, 2008

Dass das so ist, hat ganz wesentlich auch politische Ursachen, in Sachsen wie auf der Bundesebene. Auch wenn der Landesbank-Untersuchungsausschuss noch arbeitet, besteht heute wohl kaum mehr ein Zweifel daran, dass es der frühere Finanzminister und spätere Ministerpräsident Georg Milbradt höchstpersönlich war, der die völlig unverantwortlichen Spekulationen der Sachsen LB in Dublin überhaupt erst möglich gemacht hat.

Fakt ist auch: Die Liberalisierung der Finanzmärkte ist unter Bundeskanzler Schröder, also unter Rot-Grün, und auch unter Frau Merkel massiv vorangetrieben worden.

(Regina Schulz, Linksfraktion: So ist es!)

Insofern bin ich schon einigermaßen erstaunt, wer heute alles Eingriffe von Bund und Ländern in das Bankenwesen fordert und sogar über Teilverstaatlichungen nachdenkt.

Man muss Oskar Lafontaine nicht mögen, aber eines ist nachweisbar: Er wollte als Bundesfinanzminister eine europaweite Kontrolle der Finanzmärkte, er wollte ein Verbot der Hedgefonds, und er wollte eine deutlich strengere Börsenaufsicht. Allerdings konnte er sich gegen seinen Bundeskanzler damals nicht durchsetzen, und er traf zudem auf den erbitterten Widerstand unter anderem von Großbritannien und Frankreich, was letztlich mit dazu führte, dass er sein Amt zur Verfügung stellte.

Deutschland – und auch daran führt kein Weg vorbei, das festzustellen – hat sich kontinuierlich daran beteiligt, den Finanzsektor zu deregulieren und zu liberalisieren. Die Zulassung neuer Akteure, wie Hedgefonds, sowie einer unüberschaubaren Vielzahl neuer Finanzprodukte hat die Verwundbarkeit unseres Landes ebenso erhöht wie die Expansion der Geschäftstätigkeit in andere Staaten. Die vernachlässigte Binnennachfrage und die hohen Unternehmensgewinne führten dazu, dass von Deutschland aus vermehrt Finanzinvestitionen ins Ausland getätigt wurden. Vor diesem Hintergrund erfolgte dann auch eine massive Beteiligung deutscher Banken an der Finanzierung US-amerikanischer Hypothekenkredite.

Es war nicht die CDU, sondern es war die rot-grüne Bundesregierung, die seit der Jahrtausendwende immer wieder Weichen in die eindeutig falsche Richtung gestellt hat.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich nenne ganz konkret einige Beispiele, die dankenswerterweise unsere Bundestagsfraktion zusammengetragen hat.

(Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Ja, Frau Hermenau, ich freue mich ja, wenn Sie das heute alles kritisieren, aber Sie sind damals persönlich dabei gewesen, und Sie stehen mit in der Verantwortung.

(Beifall bei der Linksfraktion und der NPD)

Ich möchte Ihnen die Beispiele nennen. Im Jahr 2001 wurde der Anspruch auf eine den Lebensstandard sichernde gesetzliche Rente aufgegeben. Über die teilweise Privatisierung der Altersvorsorge jubelte vor allem die Finanzbranche; denn für Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften bedeutete dies gigantische Mittelzuflüsse. Die rot-grüne Koalition vereinbarte zudem, die private Altervorsorge kräftig mit Steuergeldern zu subventionieren. Allein für 2008 geht es dabei inzwischen um einen Betrag von 12,7 Milliarden Euro öffentliche Gelder, und es kommen natürlich die Gelder der Privatpersonen noch hinzu.

Im Jahr 2002 beschloss der Deutsche Bundestag das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz. Damit wurden die Anforderungen an den börslichen Handel gelockert, die Anlagemöglichkeiten von Fonds erweitert und der Handel mit Derivaten wurde nunmehr auch im Immobiliengeschäft erlaubt.

Seit 2003 fördert die Bundesregierung die Verbriefung von Krediten zu Wertpapieren durch steuerliche Vergünstigungen. Die unüberschaubare Verlagerung von Risiken aus den Bankbilanzen auf die Finanzmärkte bekam dadurch enormen Aufwind.

2004 schließlich machte Rot-Grün den Weg frei für die umstrittenen Hedgefonds, die von Jochen Sanio, dem BaFin-Präsidenten, zu Recht als „schwarze Löcher des internationalen Finanzsystems“ bezeichnet wurden. Die hochspekulativen Fonds erhöhten den Renditedruck auf die gesamte Finanzbranche. Die Folge war eine drastische Zunahme waghalsiger Geschäfte.

Ab 2005 hat auch die nunmehr regierende Große Koalition keinerlei Stoppzeichen gesetzt. Schon im Koalitionsvertrag legte man sich im Finanzbereich darauf fest, Produktinnovationen und neue Vertriebswege nachdrücklich zu unterstützen. Die Verbriefung von Krediten sollte ausgebaut, die Anlagemöglichkeiten für öffentlich-private Partnerschaften (PPP) sollten erweitert werden.

Noch in diesem Jahr, also 2008, schließlich verabschiedete die Große Koalition in Berlin milliardenschwere Steuergeschenke für die Private Equity Fonds. Diese Fonds legen ihr Vermögen in nicht börsennotierten mittelständischen Unternehmen an und pressen aus den jeweiligen Firmen überdurchschnittliche Gewinne, letztlich natürlich auf Kosten der Beschäftigten.

Die beiden letzten Bundesregierungen haben die Liberalisierung des Kapitalverkehrs fortwährend vorangetrieben, sowohl zwischen den Mitgliedsstaaten der EU als auch gegenüber Drittländern. Zugleich wurde weder die Besteuerung von Kapitaleinkommen harmonisiert noch ein effizientes Kontrollbeteiligungssystem etabliert, um die Steuerflucht zu vermeiden. Die Folgen dieser Regelungslücke sind erheblich: Die Besteuerung verlagerte sich

zunehmend auf weniger mobile Faktoren wie Arbeit und Konsum, Stichwort: Mehrwertsteuer. Die öffentlichen Haushalte verarmen und die Geldvermögen wachsen schneller als das Bruttoinlandsprodukt.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Um die Haushaltslöcher zu stopfen, sehen viele Kommunen, aber auch der Bund zumeist nur einen Weg, nämlich massive Privatisierungen. Ehemals öffentliches Eigentum, wie Wasserwerke, Energieversorger, Krankenhäuser oder auch die Bahn, wird verkauft und privaten Gewinn- und Spekulationsinteressen übergeben. Der jetzige Bundespräsident Horst Köhler plädierte ja 2003 sogar für eine Privatisierung der Sparkassen in Deutschland. Zum Glück ist man ihm wenigstens hier nicht gefolgt.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Aber einen guten Posten hat er dafür gekriegt!)

Die politisch vorangetriebene Deregulierung und Liberalisierung haben dazu geführt, dass nicht mehr der Finanzsektor den Betrieben und Volkswirtschaften dient, sondern die gesamte sogenannte Realwirtschaft inzwischen im Bann der Vorgaben der Finanzbranche steht.

Neue Akteure und Produkte ohne jeden volkswirtschaftlichen Nutzen haben die Risiken erhöht und den alltäglichen Druck auf Unternehmen und Ökonomien verstärkt. Allianz, Münchener Rück und Deutsche Bank gehören zu den größten Global Playern. Mit einem weltweiten Marktanteil von 21,7 % steht die Deutsche Bank auf Platz 1 der Devisenspekulationen. Die Frankfurter Derivatebörse Eurex rangiert unter den weltgrößten Börsen dieser Art. Allein an der Eurex wird das deutsche Bruttoinlandsprodukt nahezu 60-mal umgeschlagen – eine irrsinnige Menge Geld!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ein Großteil der heutigen Probleme ist also nicht vom Himmel gefallen, sondern er ist im wahrsten Sinne des Wortes hausgemacht, und deshalb muss es in den kommenden Wochen auch um das jahrelange Versagen der herrschenden Politik gehen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Verantwortlichen dürfen sich nicht einfach dadurch davonstehlen, dass sie den angerichteten Schaden nun mit dem Geld der Steuerzahler irgendwie zu reparieren versuchen. Auf Landesebene wie im Bund ist festzustellen, dass die Politik immer mehr die Hegemonie an die Wirtschaft abgegeben hat.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Jetzt zahlen wir alle den Preis dafür. Die Sachsen LB als kleinstes Glied in der Kette ist zuerst zusammengebrochen, und es ist geradezu abenteuerlich, dass Mitschuldige an diesem Desaster heute hoch dotierte Posten in Auffanggesellschaften erhalten, die gebildet wurden, um das Chaos wenigstens halbwegs in den Griff zu bekom

men. Diese Entscheidung der Staatsregierung war schlicht unanständig und muss schnellstens korrigiert werden.

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei der NPD)

Der Zusammenbruch der Sachsen LB ist mehr als ein Jahr her. Ich frage mich zunehmend: Was haben die Regierenden in Bund und Ländern seitdem eigentlich getan? Denn es war doch wohl absehbar, dass der Crash unserer Landesbank über kurz oder lang eine Lawine auslösen würde. Warum wurde für andere Banken hier nicht rechtzeitig gegengesteuert und vorgesorgt? Wer hat hier gepennt?

Nun sprechen wir auf der Bundesebene über ein Rettungspaket in Höhe von 500 Milliarden Euro – eine schier unglaubliche Summe! Ich halte es für völlig unvorstellbar, dass derartige Beträge dem Finanzkapital in den Rachen geworfen werden, ohne dass die Politik über deren Verwendung entscheidend mitbestimmen kann.

(Beifall bei der Linksfraktion und der NPD)

Ich weiß, dass es zunächst überwiegend um Bürgschaften geht und ein Großteil des Geldes daher nicht real fließen wird. Wir müssen auch dort die tatsächlichen Summen nennen; aber wir brauchen uns doch wohl keinen Illusionen hinzugeben: Es wird heftige Verluste geben, sie werden vermutlich im zweistelligen Milliardenbereich liegen und Bund und Länder werden dafür aufkommen müssen.

Staatliche Eingriffe in die Finanzwirtschaft sind immer das letzte Mittel. In der gegenwärtigen Situation sind sie wohl doch unumgänglich geworden. Das 500-MilliardenPaket wirft jedoch zahlreiche Fragen auf; ich will nur zwei nennen.

Schützt das Programm wirklich die „normalen“ Bürger – oder am Ende nicht doch vor allem die Großaktionäre und Spekulanten? Wie wird sichergestellt, dass die Banken nicht sämtliche faulen Eier in ihren Bilanzen bei dieser für sie günstigen Gelegenheit den Steuerzahlern „überhelfen“? Hier müssen also entsprechende Schutzvorkehrungen getroffen werden.

(Beifall bei der Linksfraktion und der NPD)

DIE LINKE erhebt im Zusammenhang mit der geplanten Verabschiedung des Rettungspakets im Bundestag sechs ganz klare Forderungen.

Wir verlange, erstens, sichere Vorkehrungen, damit sich solche Vorgänge wie gegenwärtig niemals wiederholen können. Es darf nicht mehr zugelassen werden, dass Milliardengeschäfte außerhalb der offiziellen Bankbilanzen geführt werden. Es müssen endlich angemessene Haftungsregelungen für Vorstände und Aufsichtsgremien im Finanzsektor geschaffen werden, und natürlich brauchen wir auch verbindliche Bestimmungen zur internationalen Regulierung der Finanzmärkte.

Zweitens muss sichergestellt sein, dass die eingesetzten öffentlichen Gelder in angemessener Frist zurückgezahlt

werden, sobald die Finanzwirtschaft wieder funktioniert. Die Bereitstellung von zusätzlichem Eigenkapital ist richtig, doch dafür bedarf es natürlich einer Gegenleistung der Banken. Wo sich der Bund mit Geldern der Steuerzahler engagiert, muss der Staat auch an den Banken beteiligt werden.

(Beifall bei der Linksfraktion und der Abg. Elke Herrmann und Johannes Lichdi, GRÜNE)

Drittens ist aus meiner Sicht völlig klar: Die Verantwortlichen für das Bankendesaster müssen zur Rechenschaft gezogen werden – juristisch und natürlich auch finanziell.

(Beifall bei der Linksfraktion und der NPD)

Dabei geht es beispielsweise um die Rückforderung von bereits gewährten, angeblich erfolgsabhängigen Bonifikationen, von sogenannten Genussrechten sowie Aktienoptionen und sonstigen geldwerten Vorteilen für die zuständigen Manager.

Viertens. Die sächsischen Steuerzahler dürfen für politisches und Managementversagen nicht doppelt zur Kasse gebeten werden. Das bedeutet, es muss aus unserer Sicht eine unmittelbare Anrechnung der bereits bestehenden Finanzverpflichtungen des Freistaates für die Folgen des Notverkaufes der Sachsen LB in Höhe von 2,75 Milliarden Euro geben, und wir erwarten, dass dies in den Verhandlungen auch entsprechend deutlich gemacht wird.

Fünftens. Wenn die Länder für eventuelle spätere Verluste mithaften sollen, dann müssen sie auch entsprechende Mitsprachemöglichkeiten erhalten, zum Beispiel hinsichtlich der Bedingungen und Auflagen für jene Unternehmen des Finanzsektors, die Stabilisierungsmaßnahmen aus dem geplanten Fonds in Anspruch nehmen. Die Auflösung und Abwicklung des jetzt zu bildenden Finanzmarktstabilisierungsfonds darf nur mit Zustimmung des Bundestages und der Länderparlamente unter Wahrung ihrer jeweiligen Budgetrechte erfolgen.

Sechstens und letztens fordern wir die Auflage eines Konjunkturprogramms zur Wiederankurbelung der Wirtschaft, um weiteren Arbeitsplatzverlust zu vermeiden, und es geht hierbei um Zehntausende Arbeitsplätze, insbesondere im Osten Deutschlands.