Protocol of the Session on October 16, 2008

Frau Dr. Ernst, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie sagen: Machen wir doch aus illegal einfach legal, dann haben wir das Problem nicht mehr. Nein, die Folgen illegaler Migration kann man nicht umetikettieren!

Herr Dr. Martens, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Frau Dr. Ernst.

Danke, Herr Präsident!

Herr Dr. Martens, es ist mir nicht ganz unlieb, wenn Sie das noch einmal ansprechen. Sind Sie mit mir einer Meinung, dass es aber möglich sein muss, ein Verfahren zu etablieren, mit dem man die Gesamtlage einer Person noch einmal überprüfen kann, was dann möglicherweise tatsächlich die Änderung des illegalen Aufenthaltsstatus zum legalen ermöglicht? Das ist das, was ich eigentlich meine.

Ich gebe Ihnen recht, dass das ein extrem schwieriges Problem ist, sich einen Mechanismus auszudenken, nach welchen Kriterien bei illegal hier Eingereisten ein legaler Aufenthalt ermöglicht werden kann. Aber so, wie Sie das vorhin vorgetragen haben, indem Sie sagten, dass wir aus illegal einfach legal machen sollten, so einfach geht das wirklich nicht.

(Beifall bei der FDP)

Herr Dr. Martens, gestatten Sie eine zweite Frage?

Auch eine zweite.

Auch eine zweite, Frau Dr. Ernst.

Herr Dr. Martens, Sie kennen die spanische Regelung, sie kennen aber auch Stichtagsregelungen, bei denen die Möglichkeit eröffnet wird, noch einmal einen Antrag zu stellen, um einen Aufenthaltstitel zu erwerben. Dieser wird dann abschlägig oder positiv beantwortet. Um die Möglichkeit eines solchen Verfahrens geht es mir. Halten Sie das für völlig unsinnig?

Die Stichtagsregelung hat nur ein zeitliches Problem. Wir fangen bei null an, bis die Welle wieder aufgestaut ist, und machen dann wieder die nächste Stichtagsregelung. Damit kneifen Sie vor dem Problem, das darin besteht, tatsächlich inhaltliche Kriterien zu finden. Diesem Problem stellt sich übrigens der Entschließungsantrag Ihrer Fraktion in keiner Weise.

(Beifall bei der FDP)

Noch eine Nummer drei?

Keine Nummer drei, ich bin so gut wie fertig.

Meine Damen und Herren! Die Folgen illegaler Migration sind da. Wir müssen sie zur Kenntnis nehmen. Sie lassen

sich nicht umetikettieren. Diese Probleme lassen sich nicht leugnen und die Menschen lassen sich auch nicht einfach weghetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. – Meine Damen und Herren! Jetzt hat die Ausländerbeauftragte, Frau de Haas, um das Wort gebeten.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einiger Zeit habe ich mit weiteren Mitgliedern meiner Partei und anderer Parteien sowie mit Vertretern des Staates und der Zivilgesellschaft das Manifest „Illegale Zuwanderung“ unterzeichnet. Darin heißt es: „Wir sind davon überzeugt, dass Deutschland wie Europa insgesamt auch in absehbarer Zeit ein Ziel irregulärer Zuwanderung sein wird, sodass eine Vielzahl illegaler Aufenthaltsverhältnisse auch in Zukunft ein Faktum ist, das differenzierte politische Antworten erfordert.“

Meine Damen und Herren! Irreguläre Zuwanderung und Illegalität vor dem deutschen Aufenthaltsrecht sind Realität in Deutschland, und sie sind auch Realität hier in Sachsen. Ganz aktuell, gerade gegenüber dem Ticker, ist, dass in Leipzig drei Schleuser verhaftet wurden, die Iraker illegal nach Europa bringen wollten.

Die Staatsregierung weist zu Recht darauf hin, dass es naturgemäß keine exakten statistischen Angaben zu diesen Personen geben kann. Aber diese Personen existieren, sie sind nicht unsichtbar, sie führen ein Leben im Schatten. Nach Schätzungen handelt es sich deutschlandweit um eine halbe bis eine ganze Million Menschen, die ohne Aufenthaltspapiere hier in Deutschland leben.

Der Jesuitenpater Jörg Alt geht 1999 in seiner schon zitierten Studie davon aus, dass in Sachsen Leipzig eine erste Anlaufstelle sei. Nach seiner Schätzung lebten damals etwa 8 000 Menschen ohne Aufenthaltspapiere in dieser Stadt. Sachsen ist mit seiner langen Außengrenze zu Polen und Tschechien zudem Transitland. Irreguläre Migration gibt es nicht nur mit Booten im Mittelmeer. Das wurde uns mit dem tödlichen Unfall einer jungen ostafrikanischen Frau, die vor einiger Zeit auf dem Weg an der Bahnstrecke von Schmilka nach Dresden von einer S-Bahn erfasst worden ist, schmerzhaft vor Augen geführt.

Meine Damen und Herren! Irreguläre Zuwanderung stellt eine Herausforderung für unser Land dar. Sie rührt an das Selbstverständnis unseres Staates und seine normgeprägte rechtsstaatliche Ordnung, denn der Rechtsstaat ist auf das Vertrauen seiner Bürger in die Wirksamkeit seiner Gesetze angewiesen. Doch um eines klarzustellen: Der Rechtsstaat wird nicht von Rechtsextremen verteidigt. Dazu sind wir selbst in der Lage.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren! Die Achtung und der Vollzug des Aufenthaltsrechtes sind und bleiben ohne Alternative. Das gilt schon, um dem verbrecherischen Treiben der Schleuserorganisation entgegentreten zu können. Dennoch müssen wir uns sehr ernsthaft die Frage stellen, ob aufenthaltsrechtliche und polizeiliche Maßnahmen ausreichen, der Herausforderung Illegalität zu begegnen. Die entsprechenden Lebenssachverhalte sind meist weiter gezogen; denken Sie an Familien, die ihre Kinder mit in die Illegalität nehmen und sie damit zu Leidtragenden der aufenthaltsrechtlichen Entscheidung ihrer Eltern machen.

Meine Damen und Herren! Ich fürchte, wenn wir eine Front zwischen ordnungsrechtlichen Sichtweisen auf der einen Seite und menschenrechtlichen Orientierungen auf der anderen Seite aufmachen, kommen wir nicht weiter. Eine solche Gegenüberstellung ist eines Rechtsstaates ohnehin nicht würdig, denn Ordnungsrecht kann in einem Rechtsstaat nur unter Achtung des ihm durch das Grundgesetz vorgegebenen menschenrechtlichen Kerns vollzogen werden.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion und der FDP)

Das, meine Damen und Herren, muss der Dreh- und Angelpunkt unserer Überlegungen sein, wenn wir uns der Herausforderung Illegalität ernsthaft stellen wollen.

Noch etwas ist mir wichtig. Wer über Illegalität spricht, der darf nicht darüber schweigen, dass auch von regulärer Zuwanderung profitiert wird, denn es ist leider so, dass Illegalität aufseiten der Zuwanderer oft genug mit Illegalität aufseiten von Arbeitgebern korrespondiert, die schwarz und vor allem billig arbeiten lassen. Illegalität lässt sich auch im Pflege- und Gesundheitsbereich feststellen. Beispielsweise sind die polnischen Frauen, die Pflegedienstleistungen anbieten, deshalb so günstig, weil sie keine Rücksicht auf Ausländerbehörden oder Pflegeversicherungen nehmen müssen.

Ich halte es gemeinsam mit der Beauftragten der Bundesregierung für Migrationsflüchtlinge und Integration für unerlässlich, dass Kinder von Eltern ohne Aufenthaltstitel die Schule besuchen können, ohne dass die Familien Angst haben müssen, aufgrund des Schulbesuchs der Ausländerbehörde gemeldet zu werden. Das ist inzwischen Konsens in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Auch Bundesinnenminister Schäuble hat deutlich gemacht, dass er den Schulbesuch ermöglichen will. Dies findet meine ausdrückliche Zustimmung, aber nicht, um einen illegalen Aufenthalt gutzuheißen, sondern um den betroffenen Kindern im Interesse ihrer Entwicklungschancen das Menschenrecht auf Bildung zu gewährleisten, denn wir können die Kinder nicht für die Entscheidungen ihrer Eltern verantwortlich machen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren! Ein entsprechender Konsens für den Gesundheitsbereich ist noch nicht gefunden. Irreguläre Migranten sind zwar nach dem Asylbewerberleistungsgesetz berechtigt, ärztliche Leistungen in An

spruch zu nehmen, die Realität spricht aber eine andere Sprache. Aus Furcht vor der Aufdeckung ihrer Illegalität scheuen sie einen Arztbesuch. Dem steht die Unwissenheit des medizinischen Personals hinsichtlich der Strafbarkeit des eigenen Tuns gegenüber. Dadurch besteht die Gefahr, dass Krankheiten verschleppt und letztlich höhere Folgekosten produziert werden. Hier ist Aufklärung vonnöten.

Das Bundesinnenministerium stellt in einem 2007 erschienenen Bericht klar, dass sich Ärzte und behandelndes medizinisches Personal eben nicht strafbar machen und aufgrund der Schweigepflicht auch keiner Meldepflicht unterliegen. Das ist den Betroffenen meist nicht bewusst. Doch nicht nur der Staat, auch die Zivilgesellschaft ist gefordert. Fehlinformation, Stimmungsmache oder Skandalisierung, wie wir heute hier gehört haben, helfen den Betroffenen nicht. Dies ist in meinen Augen verantwortungslos. Im Übrigen gibt es keine einzige Verurteilung von Ärzten, die Illegale behandelt haben.

Meine Damen und Herren! Illegale Einwanderung lässt sich mit demokratischen und rechtsstaatlichen Mitteln begrenzen, ganz zu verhindern ist sie jedoch nicht. Das hat Gründe, wirtschaftliche wie soziale, aber auch politische. Viele Menschen entscheiden sich für eine Illegalität in Deutschland und nehmen die damit verbundenen Nachteile in Kauf, weil ihnen das immer noch besser scheint als die Zustände in ihrem Heimatland.

Meine Damen und Herren! Dennoch ist Illegalität strafbar. Das ist eine Entscheidung des demokratischen Souveräns. Doch stets muss gelten, mit Augenmaß zu agieren.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich frage erst noch einmal in die Runde, ob noch Redebedarf besteht. – Das ist nicht der Fall. Dann Herr Mackenroth für die Staatsregierung, bitte.

(Präsidentenwechsel)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Vorfeld der heutigen Debatte fand ich auf der Homepage der antragstellenden Fraktion die Forderung: „Menschenrechte müssen in Sachsen für alle gelten, auch für Menschen ohne Papiere.“ Diese Forderung sieht die Staatsregierung im Freistaat als erfüllt an.

Frau Abg. Herrmann, Ihre anderslautende Auffassung, die Staatsregierung nehme es mit den Menschenrechten nicht so genau, ist eine Unterstellung, die ich auf Ihre Rechtsunkenntnis zurückführe, denn aus der universellen Geltung der Menschenrechte ergibt sich, meine Damen und Herren, eben noch nicht automatisch zum Beispiel ein unbeschränktes Recht auf Arbeit. Das steht nicht einmal EU-Bürgern zu. Es gibt kein automatisches Recht auf anonyme, unentgeltliche Gesundheitsversorgung und auf unbeschränkten Zugang zu staatlichen Bildungsangebo

ten. Diese Auffassung müssten Sie nicht zuletzt wohl auch dem Steuerzahler etwas ausführlicher erklären.

(Beifall bei der NPD)

Der Staatsregierung Desinteresse oder Zahlentäuscherei vorzuwerfen scheint mir völlig verfehlt zu sein. Tatsächlich geht es der Fragestellerin nicht um Menschenrechte, sondern letztlich – Herr Bräunig hat darauf hingewiesen – um ein dauerhaftes Bleiberecht auch für illegal eingereiste Ausländer, einschließlich einer sozialen Vollversorgung.

Meine Damen und Herren! Über welche Personengruppe reden wir? Beim Betrachten der bereits genannten Homepage findet man eine Reihe von Beispielen, die einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten. Sie sprechen unter anderem von Opfern der Zwangsprostitution und des Menschenhandels sowie von Bürgerkriegsflüchtlingen, aber unsere Rechtsordnung enthält auch diesen Menschen die allgemeinen Menschenrechte nicht vor.

Zum Rechtsschutz. In den nun wirklich mitunter jahrelangen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren prüfen wir die Rechtslage und ob sich ein Migrant in Deutschland aufhalten darf, ob er bleiben darf oder ausreisen muss. Selbst wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, genießt er, jedenfalls rechtlich, umfangreichen Krankenschutz. Seine Kinder unterliegen der Schulpflicht. Damit korrespondiert übrigens ein entsprechendes Recht auf den Besuch unserer Schulen. Gegebenenfalls erhält er eine Arbeitserlaubnis. Kein Migrant, der tatsächlich in seinem Heimatland verfolgt wird, braucht eine Abschiebung zu fürchten. Er kann sich melden und Asyl beantragen.

Aber das wahre Problem sind ja nicht die Menschen, die ausländerrechtlich erfasst sind, sondern die sogenannten Illegalen, diejenigen, die sich in Deutschland ohne Aufenthaltsrecht oder Duldung aufhalten und die sich und ihre vorgetragene Not den Behörden nicht offenbaren. Herr Bräunig, ich habe übrigens mit dem Begriff Illegalität in diesem Zusammenhang keine Probleme. Illegalität heißt Verstoß gegen geltendes Recht, nicht mehr und nicht weniger.

Sehen wir uns die Wirklichkeit jenseits ideologischer Scheuklappen an!