Protocol of the Session on March 10, 2005

Meine Damen und Herren, insbesondere von der CDU! Bei der Diskussion des Fünften Rundfunkänderungsstaatsvertrages haben Sie ein Stück weit Geschichte geschrieben. Sie haben Reformen angestoßen. Sie haben damals gesagt, diese Gebührenordnung sei die letzte in der alten Rundfunkordnung. Haben wir jetzt eine neue

Rundfunkordnung? – Ich glaube nicht. Was übrig geblieben ist, ist ein Sturm im Wasserglas. Von 55 Abgeordneten haben gerade einmal zwei angekündigt, dass sie Kreuz zeigen und nicht zustimmen werden. Meine Damen und Herren, ich finde das beschämend.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Jürgen Schön und Klaus-Jürgen Menzel, NDP)

Insbesondere, wenn ich Herrn Lämmel sehe: Herr Lämmel, Sie zählten doch in der Anhörung zu den schärfsten Kritikern und haben viele Dinge kritisch nachgefragt. Sie haben genau die Antworten bekommen, die Sie wahrscheinlich erwartet haben. Sie haben als Tiger laut gebrüllt und sind jetzt als pflegeleichte Miezekatze im Schoß der Intendanten gelandet. Ich finde das peinlich.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Jürgen Schön und Klaus-Jürgen Menzel, NDP)

Meine Damen und Herren! Der Rundfunkstaatsvertrag mit der vorgeschlagenen Änderung bietet keine Systemreform, er enthält kosmetische Korrekturen. Er beinhaltet darüber hinaus handwerklichen Murks. Ich sage nur: Thema „Neuartige Rundfunkempfangsgeräte“. Ich stolpere ja schon über das Wort, wenn ich höre, dass man Handys Immobilien zuordnen oder wie man InternetPCs einbeziehen will.

Meine Damen und Herren! Nein, die vorgeschlagene Gesetzesänderung bedeutet keinen Fortschritt für das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem. Sie ist schlecht gemacht und sie belastet die Bürger. Deshalb haben wir als FDP gar keine andere Wahl: Wir werden sie ablehnen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Jürgen Schön, NPD)

Ich erteile der Fraktion der GRÜNEN das Wort. Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nun muss ich doch am Anfang einige Worte zur FDP sagen. Ich glaube, die Gemeinsamkeiten in dieser Frage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Medienrecht können wir mit der Lupe suchen. Da trennen uns Welten. Das, was Sie mit dem Schlagwort „Neudefinition der Grundversorgung“ beschrieben haben, ist die nackte Interessenvertretung der privaten Medienwirtschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN und der PDS)

Was Sie hier tun und verkünden, ist der mit einigen sozialen Argumenten leicht verbrämte Angriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber Sie irren sich. In Artikel 20 der Sächsischen Verfassung ist die duale Rundfunkordnung formuliert worden. Diese duale Rundfunkordnung beruht – schlagen Sie bitte nach – auf dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wenn diese Säule fällt, hat auch der private Rundfunk keine Existenzberechtigung mehr. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, so wie er nach

1945 geschaffen wurde – nämlich als ein Mittel der öffentlichen Meinungsund Willensbildung, als ein unverzichtbarer Bestandteil der freiheitlichen Demokratie in Deutschland, als ein Bestandteil, den wir auch in den letzten Winkeln Sachsens nach 1989 unverkürzt genießen und nutzen können. Deshalb hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk Verfassungsrang mit seiner Bestands- und Entwicklungsgarantie.

Die Umsetzung dieser Entwicklung sollte im allerbesten Falle über die Fortschreibung der Rundfunkstaatsverträge erfolgen. Der vorliegende Achte Rundfunkänderungsstaatsvertrag wird dem nur sehr gering gerecht. Selten sind die Debatten so hochgekocht wie in diesem Falle. Vor wenigen Wochen hatten wir in diesem Saal eine Anhörung. Auf den Plätzen, auf denen jetzt Minister sitzen, hatten Gutachter Platz genommen, die als Sachverständige im „Who is who?“ der deutschen Medienszene stehen. Wir haben auch im Sächsischen Landtag ein Gutachten vorliegen, das deutschlandweit beachtet wurde.

Sowohl im Kernpunkt der Debatte zur Anhörung als auch des Gutachtens steht die Frage der Gebührenerhöhung. Nun ist die Frage der Erhöhung von Gebühren stets problematisch und es ist richtig, zu hinterfragen, ob sie erstens notwendig und zweitens, wenn, dann angemessen ist. Wir sollten aber in diesem Zusammenhang nicht übersehen, dass wir hier nur eine Debatte über Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk führen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Natürlich!)

Deshalb komme ich noch einmal auf die Ausführungen der FDP zurück. Auch private Rundfunk- und Fernsehsender werden finanziert. Sie finanzieren sich über die Werbeeinnahmen. Das sind Werbeeinnahmen, die wir tagtäglich zahlen – an jeder Kasse beim Kauf eines Artikels.

(Beifall bei den GRÜNEN und der PDS)

Wieso bringen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nicht dazu eine Debatte in den Landtag ein? Die findet nicht statt. Sie inszenieren hier eine Aufregung. Diese Frage gibt es höchstens noch einmal, wenn über die Steigerung des Verbraucherindexes gesprochen wird.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Abg. Morlok, bitte.

Geben Sie mir Recht, dass Sie beim Kauf von Produkten und Waren selbst entscheiden können, wie viel Sie für welches Produkt bzw. welche Marke ausgeben wollen, dass aber die Bürgerinnen und Bürger über Rundfunkgebühren nicht selbst entscheiden können?

Ich bin froh, dass ich selbst entscheiden kann, und ich setze mich auch

dafür ein, mit Verbraucherinformationssystemen und Stärkung des Verbraucherschutzes dazu beizutragen, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger unseres Landes selbst entscheiden können. Aber Sie wollen doch nicht etwa suggerieren, dass jede Entscheidung an der Kasse stets auch mit einem Nachrechnen verbunden ist, wie hoch die Werbeanteile an diesem Produkt sind? Das können Sie weder von mir noch von einem anderen Menschen in diesem Land verlangen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der PDS)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist keine Frage, Rundfunkgebühren müssen sozial verträglich sein, sie dürfen das Budget der Bevölkerung nicht unangemessen belasten. Die ursprüngliche Anmeldung der Anstalten von ARD und ZDF lautete: 2,01 Euro Erhöhung. Die KEF, die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs, hat diese Anmeldung bereits auf rund die Hälfte, auf 1,09 Euro, gekürzt. An dieser Stelle haben die Ministerpräsidenten der Länder in einem einmaligen Vorgang eingegriffen: Abweichend vom Vorschlag der KEF wurden 0,88 Euro für die Erhöhung festgelegt.

Ein Vorredner hat es schon gesagt und ich stelle hier noch einmal die Frage: Wissen wir jetzt, dass die Grenze der Sozialverträglichkeit in Deutschland zwischen einer Erhöhung von 88 Cent und 109 Cent pro Monat liegt? Ist das überzeugend? – Ich halte diese Argumentation für höchst zweifelhaft. Ich erinnere Sie an die Debatte von gestern. Wir haben gestern darüber gesprochen, dass die Einführung einer Eintrittsgebühr von zwei Euro für einen öffentlich zugänglichen Park erfolgen soll. Vonseiten der CDU-Fraktion wurde das für sozial gerechtfertigt und angemessen gehalten. Heute sollen 88 Cent monatlich für ein bundesweites Angebot von ARD, ZDF und Deutschlandradio mit einer Vielzahl von Programmen, nicht zuletzt auch mit mehreren Programmen des MDR sowie mit Arte, mit 3-SAT, mit Phönix und KIKA, nicht mehr angemessen sein? Ich kann diese Argumentation nicht nachvollziehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der PDS)

Ganz nebenbei, liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade in der FDP-Fraktion: Sicherlich, wir haben 18 Fernsehprogramme, wir haben über 80 Radioprogramme in Deutschland und ich sage Ihnen ganz offen, Föderalismus hat seinen Preis. Föderalismus hat seinen Preis in der Demokratie – ich hoffe, dass Sie die Kosten des Sächsischen Landtages nicht infrage stellen wollen – und Föderalismus hat seinen Preis auch in den Medien. Billiger geht es nur auf Kosten der Zentralisierung und ich gehe davon aus, dass diese niemand in diesem Hause will.

Der Eingriff der Ministerpräsidenten, wie er bei dem Verfahren der Gebührenfestsetzung erfolgte, stellt dieses Verfahren selbst und die Staatsferne infrage. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, die Frage der Gebühren einer unabhängigen Kommission von Fachleuten zu übertragen. So, wie der Eingriff jetzt erfolgt ist, stellt er die Staatsfreiheit des Rundfunks infrage und greift mit staatlichem Einfluss in Programminhalte ein. Dieser Beschluss ist deshalb verfassungsrechtlich höchst

bedenklich. Hier ist der Versuch zu konstatieren, Gebühren zum Instrument der Medienpolitik zu machen.

In der ersten Reihe dieses Versuchs hat hier in Sachsen auch Ministerpräsident Milbradt gestanden. Ich gebe zu, er hatte nicht die Stabführung – da würde ich Herrn Stoiber an erster Stelle nennen –, aber das ist kein Trost. Herr Ministerpräsident, Sie haben mit diesem Handeln dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk geschadet und Sie haben auch dem Medienstandort Sachsen geschadet.

(Staatsminister Dr. Thomas de Maizière: Im Gegenteil!)

Die Auswirkungen auf den MDR sind enorm. Allein bei der Umsetzung des KEF-Vorschlages würde der MDR bereits mit einem Einsparvolumen von 65 Millionen Euro bis zum Jahr 2008 konfrontiert. Wir müssen bitte bedenken, dass der Mitteldeutsche Rundfunk besonders betroffen ist; denn in unseren Ländern findet Abwanderung statt und Abwanderung ist auch stets Abwanderung von Rundfunkteilnehmerinnen und -teilnehmern und Abwanderung von Gebührenzahlern.

Durch den Beschluss der Ministerpräsidenten ist nun dieser Einsparungsbetrag auf 100 Millionen Euro bis zum Jahr 2008 gewachsen. Das ist nicht mehr durch Rationalisierung abzufangen, hier sind Personalabbau und Personaleinschnitte auf der Tagesordnung. Es wird auch Programmeinschnitte geben und all das wird selbstverständlich direkte Auswirkungen auf die Produktionsfirmen hier im Sendegebiet und damit auch auf den Medienstandort Sachsen haben.

Zum Schluss noch zwei, drei weitere kritische Anmerkungen von unserer Seite:

Punkt 1: Wir befinden uns im Übergang in das Digitalzeitalter. Dieser Übergang ist schon weit fortgeschritten. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk muss diese Entwicklung aufnehmen und wir müssen sie politisch unterstützen. Die Zeit des „Dampfradios“ ist vorbei. Wer bei der Digitalisierung Grenzen setzen wollte, der würde ähnlich handeln, wie wenn vor vielen Jahren versucht worden wäre, den Übergang vom Mittelwellenrundfunk zum UKW-Rundfunk zu verhindern.

Wichtiger Bestandteil des digitalen Zeitalters sind aber die Online-Angebote. Neben Radio und neben Fernsehen werden Online-Angebote künftig das dritte Standbein des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein müssen. Auf dem Weg der neuen Medien sind Internetangebote wichtiger als je zuvor. Sie entsprechen den Nutzungsgewohnheiten junger Leute. Hier ist die Gelegenheit, zeitversetzt Informationen aufzunehmen, Audio- und Videodateien herunterzuladen. Der Ausbau programmbegleitender und nichtkommerzieller Online-Angebote ist eine Aufgabe der Stunde. Sie darf nicht beschnitten werden, wie es jetzt im Rundfunkänderungsstaatsvertrag erfolgte, sonst werden die Zukunftschancen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschnitten.

(Beifall bei den GRÜNEN und der PDS)

Ein zweiter Punkt ist der Datenschutz. Die Regelungen, die jetzt im Rundfunkänderungsstaatsvertrag verankert sind und die sehr spät öffentlich geworden sind, sind der untaugliche Versuch, den Kauf von Adressen von

kommerziellen Adressenhändlern durch die GEZ zu legitimieren. Wir teilen die Bedenken der Datenschutzbeauftragten der Länder in dieser Frage und wir erwarten von der Staatsregierung, darauf hinzuwirken, dass davon kein Gebrauch gemacht und dass diese Regelung korrigiert wird.

Eine dritte Anmerkung möchte ich zum Deutschlandradio machen. Vielleicht sind wir uns in dieser Frage auch im Haus einig. Ich glaube, es ist eine ausgesprochen missliche Auswirkung des Rundfunkänderungsstaatsvertrages, dass das Deutschlandradio einer doppelten Gebührenkürzung unterworfen wird. Neben der Verpflichtung zum Aufbrauchen der angesparten Eigenmittel ist durch den Beschluss der Ministerpräsidenten dem Deutschlandradio nochmals eine Kürzung um 8 Millionen Euro bis zum Jahr 2008 aufgezwungen worden. Angeblich war das – sagen Stimmen aus den Ländern – eigentlich nicht beabsichtigt. Das macht es aber umso schlimmer.

Ich denke, Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur zeigen in hervorragender Qualität, wie Information und Kultur völlig werbefrei über öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbreitet werden können.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Karl Nolle, SPD)

Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur haben mit ihrem Beispiel auch gezeigt, wie das Zusammenwachsen der Sender im vereinten Deutschland – in Berlin-Ost, Berlin-West und in Köln – geschehen kann. Diese Beispiele in der Qualität und im Zusammenwachsen dürfen nicht missbraucht werden, auch nicht versehentlich.

Was heißt das für uns in der Summe der Bewertung? – Wir stehen vor der Frage der Zustimmung oder der Ablehnung eines Vertrages mit einer Vielzahl kritischer Punkte. Wir haben in einem Entschließungsantrag gemeinsam mit der PDS-Fraktion unsere Einschätzung zu diesem Vertrag deutlich gemacht und wir haben unsere Erwartungen an die weitere Entwicklung formuliert.

Wir haben aber unabhängig davon über die Frage zu entscheiden: Ist dieser Vertrag verfassungswidrig? Dann wäre er nicht zustimmungsfähig. – Diese Frage ist unter den Medienrechtlern umstritten. In dieser Situation könnten wir uns natürlich mit einem Verweis begnügen, dass die Gerichte entscheiden müssen, das heißt in diesem Fall, die Verfassungsgerichte. Der Rechtsweg steht selbstverständlich offen, vor und nach der Entscheidung eines Sächsischen Landtages. Aber ich glaube, dieser Landtag darf seine Entscheidung nicht auf die Gerichte verlagern, sondern muss hier und heute eine politische Entscheidung treffen.

Wir haben deshalb abgewogen. Wir haben die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Folgen einer Ablehnung abgewogen. Im Ergebnis dessen sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass eine Ablehnung die Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gröblich verletzen würde. Sie wäre damit weit weniger verfassungsgemäß, als es das kritikwürdige Verhalten der Ministerpräsidenten mit seinen Auswirkungen ist.

Die GRÜNEN – unsere Fraktion – haben kein Interesse daran, dass hier im Sächsischen Landtag eine Koalition eine Mehrheit gewinnen könnte, die aus denjenigen besteht, die ARD und ZDF bewusst an den Kragen wollen, und denjenigen, die mit dem Überwiegen ihrer Verfassungsbedenken den öffentlich-rechtlichen Sendern einen Bärendienst erweisen. Wir stimmen deshalb dem Rundfunkänderungsstaatsvertrag zu, sagen aber mit Blick auf das Verfahren des Ministerpräsidenten und seiner Staatskanzlei: Wir stimmen diesmal zu. Aber nie wieder so!