Protocol of the Session on October 15, 2008

(Zuruf des Abg. Thomas Colditz, CDU)

Das ist ein Erfolg. Mit dem, lieber Thomas Colditz, möchte ich gerne den Weg weitergehen, um zu fragen, welche Potenziale wir durch Ganztagsangebote bzw. Ganztagsschulen haben. Das Potenzial ist eine andere Rhythmisierung, um den Schulalltag mit dem Gemeinwesen und mit anderen sportlichen, kulturellen und musischen Angeboten zu verbinden. Die SPD hat es schon verstanden, andere brauchen dazu noch länger. Aber der Weg ist richtig – und dass wir ihn finanzieren, erst recht.

Der dritte Punkt ist: Wir haben bei der Frage des längeren gemeinsamen Lernens zumindest einen Beginn gemacht. Es wird Sie nicht überraschen, dass ich mit der aktuellen Situation nicht zufrieden bin. Sie, lieber Thomas Colditz, haben in Ihrer Rede viel zu oft das Wort „Ideologie“ in den Mund genommen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Die sitzen auf der Ideologie!)

Ich glaube, dass das inzwischen ein Schutzschild ist. Es wird immer, wenn man inhaltlich nicht argumentieren kann, mit Ideologie argumentiert. Ich sage: Ihr habt Angst. Es ist reine Angst.

(Thomas Colditz, CDU: Ach Quatsch!)

Das ist die Angst vor der Frage, ob Bildung nicht eine andere Antwort als die heutige braucht. Ich muss sagen, dass die Schulen, die sich auf den Weg gemacht haben und – weiß Gott – sehr viele bürokratische und politische

Hürden überwinden mussten, sehr wenig Unterstützung gefunden haben. Man hat sich schon immer gefragt, woran das liegen könnte. Nach der Rede von Herrn Prof. Wöller glaube ich die Antwort gefunden zu haben: Sie haben es nicht verstanden. Sie haben nicht verstanden, was eine Gemeinschaftsschule ist.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und vereinzelt bei der FDP und den GRÜNEN)

Sie reden die ganze Zeit von Gesamtschulen. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie durch die praktische Bildungspolitik in Sachsen – zum Beispiel die Schulträger zu beraten, die sich auf den Weg von einer Gemeinschaftsschule machen wollen – hin zu einer Gesamtschule führen. Dass inzwischen die CDU zum Verfechter der Gesamtschule geworden ist, das wundert mich schon.

(Zuruf des Abg. Thomas Colditz, CDU)

Das Potenzial der Gemeinschaftsschule ist nicht die Frage, ob man ein gemeinsames Dach für verschiedene Bildungsgänge hat. Das Potenzial einer Gemeinschaftsschule ist: Erstens eine andere Schul- und Lernkultur. Zweites Potenzial ist: Längeres gemeinsames Lernen, damit die Differenzierung so spät wie möglich einsetzt und wir so vielen Kindern wie möglich die beste Bildung mit dem bestmöglichen Abschluss geben können. Das sind alles Potenziale.

(Thomas Colditz, CDU: Gesamtschule!)

Lieber Thomas Colditz, schauen wir uns doch einmal die Gesamtschule an: Dort geht es nur darum, dass die Bildungsgänge unter einem Dach organisiert sind. Es handelt sich um eine Organisationsform. Wenn die Bildungspolitik weiter nur Strukturdiskussionen führen möchte, dann werden wir immer zu demselben Ergebnis kommen. Dann werden wir die selbst gesteckten Ziele, die auch von Herrn Prof. Wöller richtigerweise angesprochen wurden, wenn es um die beste Bildung für unsere Kinder und Jugendlichen geht, nie erreichen. Das ist die Diskrepanz, die wir in diesem Land haben: Wir können wahrscheinlich 80 % der Bildungsziele gemeinsam vereinbaren, aber wir ziehen anscheinend die falschen Konsequenzen oder unterschiedliche daraus.

Das Beispiel mit der Gemeinschaftsschule zeigt aber auch, dass ein sehr hoher Bedarf vorhanden ist. Warum werden die Gemeinschaftsschulen in Sachsen überrannt?

(Lachen des Abg. Thomas Colditz, CDU)

Wir haben in Sachsen Gemeinschaftsschulen, die 70 Anmeldungen von Schülerinnen und Schüler vorliegen haben und Schüler ablehnen müssen. Redet man dann mit den Eltern, sagen diese: Wir haben zwar die Bildungsempfehlung für das Gymnasium, aber wir brauchen diese Zeit, um wirklich zu entscheiden, was das Richtige für unser Kind ist. Viele Eltern brauchen diese Zeit für ihre Kinder. Was tun wir eigentlich Familien an, wenn wir in der vierten Klasse entscheiden und sie zwingen, Bildungskarrieren zu planen?

(Thomas Colditz, CDU: Stimmt doch gar nicht!)

Die gesamte Diskussion um die Bildungsempfehlung – ob 2,0 oder 2,5 – bräuchten wir gar nicht zu führen, wenn wir ein längeres gemeinsames Lernen hätten. Dann wären die Debatten vom Tisch.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Ist das alles Ideologie?

(Thomas Colditz, CDU: Ja!)

(Lachen des Abg. Thomas Colditz, CDU)

Das tut mir leid, wenn das eine Ideologie ist – dann bin ich ein Ideologe. Dann bin ich gern ein Ideologe, weil es mir darum geht, dass das, was schon Willy Brandt gesagt hat – „Aufstieg durch Bildung“ – umgesetzt wird. Wenn ich von Frau Schavan als Ideologin „Aufstieg durch Bildung“ höre, wäre das zu untersetzen und zu fragen, wie wir es wirklich schaffen wollen, dass wir in diesem Land jedem Kind die beste Bildung geben können. Ich glaube, dass wir uns hier nichts vormachen sollten.

Es ist auch die Frage, inwieweit das jetzige System die richtige Antwort ist. Wenn es so wäre, dass das gegliederte Schulsystem die adäquate Antwort ist, dann frage ich mich, warum wir in der Förderpolitik solche großen Schwierigkeiten haben, warum trotz sinkender Schülerzahlen der Anteil der Förderschüler in absoluten Zahlen mindestens konstant ist.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Richtig!)

Das verstehe ich nicht.

(Zuruf des Abg. Thomas Colditz, CDU)

Dass 85 % der Schülerinnen und Schüler die Förderschule ohne einen Schulabschluss verlassen,

(Thomas Colditz, CDU: Das machen sie auch bei Gemeinschaftsschulen!)

das finde ich schon heftig.

Darum sage ich: Zufrieden sein mit dem, was man erreicht hat, kann man nicht. Selbstzufriedenheit hilft nicht, sondern man muss das als Herausforderung nehmen. Die Herausforderung ist immer dann gegeben, wenn wir wirklich das Ziel erreichen wollen, jedem Kind die beste Bildung zu geben. Da haben wir in Sachsen noch einiges zu tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Nun erteile ich der NPD-Fraktion das Wort; Herr Gansel, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Sachsen verfügt über ein leistungsfähiges Schulsystem“, verkündete Roland Wöller

am 30. September bei der Vorstellung des ersten Sächsischen Bildungsberichtes. Auf gut 200 Seiten feiert sich dann die Kultusbürokratie des Freistaates regelrecht selbst. Besonders stolz ist Minister Wöller auf das vergleichsweise gute Abschneiden der sächsischen Schülerinnen und Schüler im nationalen Vergleich, was, mit zahlreichen Grafiken und Statistiken unterlegt, das Bild eines bildungspolitischen Musterlandes zeichnen soll. Nur hin und wieder werden im Bildungsbericht die offenkundigen Mängel des Bildungssystems und die Versäumnisse der tonangebenden Bildungspolitik angedeutet.

Zu nennen ist hier beispielsweise das hohe Durchschnittsalter der sächsischen Lehrer, das im vergangenen Jahr bei 48,2 Jahren lag. An den Grundschulen und an den Mittelschulen liegt das Durchschnittsalter der Lehrer bei 49 Jahren. Fast ein Drittel der Gymnasiallehrer sind inzwischen 51 bis 60 Jahre alt, an den Mittelschulen haben bereits 40,5 % der Lehrkräfte dieses Alter erreicht. An den Grundschulen sind mittlerweile sogar 8 % der Lehrer über 60 Jahre. Nach Auffassung der NPD muss dieser Überalterung der Lehrerschaft entschlossen begegnet werden, indem man deutlich mehr junge Lehrer einstellt und die Attraktivität des Lehrerberufes insgesamt erhöht.

Erst in der letzten Plenarsitzung war der Lehrermangel, den Staatsminister Wöller bei seiner Amtsübernahme auch selbst eingeräumt hat, Debattenthema. Doch was macht die Staatsregierung im Entwurf für den Haushalt des Kultusministeriums für 2009/2010? Sie will Hunderte Lehrerstellen streichen.

Alte Lehrer müssen keineswegs schlechte Lehrer sein. Aber man darf nicht übersehen, dass die sächsische Lehrerschaft aufgrund ihrer Altersstruktur auch 18 Jahre nach der Wende immer noch extrem DDR-geprägt ist. Über 80 % der Lehrer im Freistaat haben ihren Abschluss in der DDR erworben, sind also durch die Teilnahme am Parteilehrjahr in die hohe Schule des DDR-Antifaschismus gegangen. Die Auswirkungen spüren Sachsens Schüler in Form von Antifa- und sonstiger Tendenzpädagogik noch heute. Wie bei diesen Lehrern –

(Lachen der Abg. Caren Lay, Linksfraktion)

ja es ist mir klar, dass Gelächter von der Linken kommt. Damit habe ich gerechnet, und das erheitert wiederum auch meine Fraktion. Wie bei diesen DDR-geprägten Lehrern die von Staatsminister Wöller so weihevoll beschiedene Demokratieerziehung aussehen wird, will man gar nicht wissen.

Dabei will ich allerdings keine Pauschalbewertung vornehmen und die DDR-Lehrer nicht schlechter beurteilen als das antideutsche Achtundsechziger-Gezücht, das in Westdeutschland vielfach die Lehrerkollegien beherrscht. Ein anderer Problemkreis ist die nach wie vor hohe Anzahl von Schülern ohne Schulabschluss. Ihre Anzahl ist von über 10 % vor vier Jahren auf 8,7 % gesunken.

(Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dieser Kollegin gestatte ich das bis ans Ende der Legislaturperiode nicht. Sie dürfen wieder Platz nehmen.

(Beifall bei der NPD)

Doch mit 8,7 % Schulabgängern ohne Abschluss liegt Sachsen immer noch über dem Bundesdurchschnitt von 8,0 %. Hinter dieser abstrakten Zahl verbergen sich im letzten Schuljahr immerhin 3 744 Schüler, die mit der schweren Hypothek eines fehlenden Abschlusses belastet sind. Dass andere von einer Großen Koalition regierte Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, SachsenAnhalt und Brandenburg im Vergleichsjahr 2005/2006 Quoten von über 10 % haben, ist kein Grund, hier in Sachsen die Hände in den Schoß zu legen. Die regionalen Unterschiede – 10,3 % Schüler ohne Schulabschluss im Schulaufsichtsbereich Leipzig und 7,1 % im Bereich Chemnitz – gilt es näher zu untersuchen. Ohne Zweifel besteht ein enger Zusammenhang zwischen der sozialen Lage der Schüler und ihrer sozialen Herkunft und dem nicht erreichten Schulabschluss. Die hohen Werte von 12,1 % in Görlitz und 10,1 % in Hoyerswerda weisen ebenfalls in die Richtung eklatanter sozialer Schieflagen als wesentlicher Mitgrund eines fehlenden Schulerfolgs.

Bemerkenswertes enthält der Bildungsbericht hinsichtlich der Schulen in freier Trägerschaft, deren Zahl stetig zunimmt. Der auf 8,2 % angestiegene Schüleranteil dieser Schulform zeigt, dass das öffentliche Schulsystem für immer mehr Eltern nicht mehr sonderlich attraktiv ist. Während in Sachsen die Gesamtzahl der Schulen in freier Trägerschaft bereits den Bundesdurchschnitt von 7,9 % übertrifft, liegt der sächsische Wert bei den Grundschulen in freier Trägerschaft mit 6,7 % gegenüber einem Bundesdurchschnitt von 3,7 % sogar auffällig hoch. Insbesondere im Grundschulbereich ist nach NPD-Auffassung schulpolitisches Handeln angesagt, um einen weiteren Attraktivitätsverlust öffentlicher Schulen und die Entstehung eines Zweiklassenschulwesens zu verhindern.

Eher verschwommen äußert sich der Bericht zur Schulqualität. Hier glaubt der Kultusminister lediglich einen „Optimierungsbedarf“ zu erkennen. Dabei ergibt eine Studie des Psychologen Ludwig Bilz beispielsweise, dass sächsische Mittelschüler psychisch noch belasteter und gestresster sind als Gymnasiasten – ein Ergebnis, das bei seiner Veröffentlichung im Juli 2008 für Aufstehen sorgte, auf das im Bildungsbericht aber nicht eingegangen wird. Die Studie der TU Dresden auf der Basis von 4 400 Befragungen an 27 Schulen stellt fest, dass Mittelschüler über Überforderung, mangelnde Unterrichtsqualität und Mobbing klagen. Nach dieser Studie sollen bereits 20 % der sächsischen Schüler eine psychische Erkrankung erlitten haben, die mit der Form des Unterrichts zusammenhängt. Fast 19 % aller Schüler im Freistaat klagen über Mobbing an ihrer Schule. An der Spitze liegen dabei die Fünftklässler an Mittelschulen. Das