Protocol of the Session on September 10, 2008

Gesetz begleitender Regelungen zum Doppelhaushalt 2009/2010 (Haushaltsbegleitgesetz 2009/2010 – HBG 2009/2010) (S. 45 bis S. 133 Gesetzestext und Begründung)

Drucksache 4/12990, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Das Präsidium empfiehlt eine allgemeine Aussprache, wie das immer der Fall gewesen ist. In der ersten Runde spricht die Staatsregierung als Einreicherin, als Nächstes kommt die Linksfraktion, danach CDU, SPD, NPD, FDP und GRÜNE. Die weitere Reihenfolge ergibt sich aufgrund der Wortmeldungen der Fraktionen.

Meine Damen und Herren! Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte die Staatsregierung, das Wort zu nehmen. Herr Staatsminister Prof. Dr. Unland, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Staatsregierung legt Ihnen heute die Entwürfe eines Haushaltsgesetzes für die kommenden zwei Jahre, 2009 und 2010, einschließlich eines Haushaltsbegleitgesetzes zur parlamentarischen Beratung vor. Es ist inzwischen der sechste Doppelhaushalt hier in Sachsen und bereits der dritte, den die Koalition aufgestellt hat.

Gleich am Anfang möchte ich mich sehr herzlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen und bei meinen Mitarbeitern für die konstruktive und sachliche Zusammenarbeit bedanken.

(Beifall bei der CDU, des Abg. Martin Dulig, SPD, und der Staatsregierung)

Ich möchte die Haushaltsrede in vier große Kapitel gliedern. Zunächst einmal möchte ich auf die Rahmenbedingungen eingehen, um danach die finanzpolitischen Grundsätze und Leitlinien zu erläutern und schließlich zur Umsetzung zu kommen; und im vierten großen Kapitel möchte ich einige Schwerpunkte herausgreifen.

Kommen wir zu den Rahmenbedingungen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Sachsen ist ein Land mit vielen Potenzialen, die sich in den vergangenen Jahren hervorragend entwickelt haben. Die Ansiedelung von Unternehmen, der Ausbau der Infrastruktur, die Erfolge in der Bildungspolitik, die Pflege und Sanierung unseres kulturellen Erbes und nicht zuletzt der Rückgang der Arbeitslosigkeit zeigen, dass wir in Sachsen Politik erfolgreich gestalten können.

Dennoch müssen wir einräumen, dass wir erheblich von Rahmenbedingungen abhängig sind, die wir kaum beeinflussen können. Aufgabe des Finanzministers ist es, diese Rahmenbedingungen und deren Veränderungen realistisch abzuschätzen.

Kommen wir nun zu den Einnahmen. Hierbei möchte ich verschiedene Aspekte beleuchten. Allen voran steht die Analyse der konjunkturellen Entwicklung. Die Wirtschaftslage beeinflusst die Höhe des Steueraufkommens und somit die Haupteinnahmenquelle des Staatshaushaltes. Alle Prognosen lassen erkennen, dass die derzeitige konjunkturelle Entwicklung sich im Jahr 2009 nicht fortsetzen wird. Wenn wir den Ökonomen zuhören, dann wird bereits von einem wirtschaftlichen Abschwung gesprochen. Wenn wir die Analysen einiger Banken und Institute sehen, dann liegen die Wachstumsprognosen für das Jahr 2009 inzwischen unter 1 %.

Die Gründe hierfür kennen Sie alle: die internationale Immobilien- und Finanzkrise – das Land Sachsen ist dadurch besonders gebeutelt –, die hohen Öl- und Rohstoffpreise, der hohe Eurowechselkurs und die insgesamt gestiegenen Lebenshaltungskosten – wir alle merken das.

Gleichzeitig möchte ich festhalten, dass das verarbeitende Gewerbe in Sachsen robuster auf diese Konjunkturschwankungen reagiert. Inzwischen haben wir einen erfolgreichen industriellen Mittelstand, der mit einer hohen Exportquote auf den Weltmärkten aktiv ist. Wir werden also heute nicht nur von der konjunkturellen Entwicklung in Deutschland beeinflusst, sondern auch von der europäischen Entwicklung und der Weltwirtschaft. Das macht solche Prognosen nicht unbedingt einfacher.

Neben der konjunkturellen Entwicklung ist die Gestaltung des Steuerrechts eine zentrale Rahmenbedingung für die Einnahmen des sächsischen Haushalts. Alle Steuerentlas

tungen, die zurzeit die politischen Diskussionen bestimmen, sind mit Einnahmenausfällen in den Länderhaushalten verbunden. Denken Sie an die Einkommensteuertarife, die gesenkt werden sollen, oder an die Änderung der Pendlerpauschale. Aber auch die Erhöhung des Kindergeldes wird durch die Länder in Form von Mindereinnahmen bei der Lohnsteuer mitfinanziert. Das wissen viele nicht. Dem Freistaat Sachsen kostet die Erhöhung des Kindergeldes von 10 Euro pro Kind rund 40 Millionen Euro Steuermindereinnahmen.

Gestatten Sie mir einen Kommentar als Familienvater: Das ist vielleicht trotzdem eine sinnvolle Mindereinnahme.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Aber als Finanzminister wiederum muss ich sagen: Das steht dann halt für andere Ausgaben nicht zur Verfügung.

(Heiterkeit bei der CDU und der FDP)

Angesichts der bestehenden konjunkturellen Risiken sowie der diskutierten Steuerrechtsänderung haben wir die Steuereinnahmen im kommenden Doppelhaushalt mit Vorsicht angesetzt. Ich möchte nur an die Auswirkungen der Steuerreform 2000 erinnern.

(Heiterkeit bei der FDP)

Sie kennen das; Sie lachen schon. – Die Körperschaftsteuer brach damals im gesamten Bundesgebiet von 24 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf minus 400 Millionen Euro im Jahr 2001 ein. Diesen dramatischen Rückgang hatte keiner vorausgesagt. Das Verhalten der Wirtschaft – und das sind wir alle – können wir niemals vorausberechnen, trotz aller Modellrechnungen, die immer wieder angestellt werden.

Einen in Zukunft immer wichtiger werdenden Einfluss auf die Einnahmenseite hat auch die demografische Entwicklung. Seit 1990 hat Sachsen über eine halbe Million Einwohner verloren. Ohne diesen Einwohnerrückgang hätte Sachsen rund 1,5 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen. Weniger Einwohner bedeuten weniger Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich, weniger Zuweisungen des Bundes und auch weniger Steuereinnahmen. Denken Sie nur an die vielen gut ausgebildeten jungen Leute, die in diesen Jahren Sachsen verlassen haben.

Laut der 4. Regionalisierten Bevölkerungsprognose des Statistischen Landesamtes wird der Einwohnerrückgang auch in den kommenden Jahren anhalten. Es wird für die kommenden Jahre mit einem durchschnittlichen Rückgang von bis zu 27 000 Einwohnern pro Jahr gerechnet. Ich nenne als Beispiel die Stadt, in der ich wohne: Freiberg mit rund 46 000 Einwohnern. Sie müssen sich das so vorstellen, dass alle zwei Jahre eine Stadt in der Größe von Freiberg von der Landkarte verschwindet.

Wir müssen uns mit diesen demografischen Verhältnissen und Veränderungen weiterhin intensiv auseinandersetzen. Sachsen hat bereits frühzeitig die Auswirkungen des

Bevölkerungsrückganges berücksichtigt, nicht zuletzt durch die Verwaltungs- und Funktionalreform in diesem Jahr.

Auf der Einnahmenseite müssen wir einen vierten Punkt berücksichtigen, nämlich den Rückgang der Solidarpaktmittel. Allein im Korb I werden von Jahr zu Jahr 200 Millionen Euro weniger sein. Die neuen Länder haben zurzeit noch die zusätzlichen Mittel im Rahmen des Solidarpaktes II und von der Europäischen Union und haben dadurch im Vergleich zu den alten Ländern eine überdurchschnittliche Finanzausstattung. Bis zum Jahr 2019 schmilzt diese überproportionale Mittelausstattung ab. Diese Mittel müssen daher so weit wie möglich für den Aufholprozess eingesetzt werden.

Nach Auslaufen des Ost-Transfers wird Sachsen über 3 Milliarden Euro weniger zur Verfügung haben. Bis 2020 müssen deshalb die neuen Länder versuchen, den Anschluss an die bundesdeutsche Normalität geschafft zu haben. Das bedeutet für Sachsen, dass wir uns auf ein Haushaltsniveau einstellen müssen, das vielleicht in der heutigen Größenordnung von Rheinland-Pfalz liegt, wenn man die Einwohnerzahlen in etwa miteinander vergleicht. Heute beträgt das Haushaltsniveau von Rheinland-Pfalz circa 12 Milliarden Euro.

Kommen wir nun zu den Ausgaben. Welche Rahmenbedingungen müssen wir auf der Ausgabenseite berücksichtigen? Zunächst: Der sächsische Haushalt weist einen hohen Bindungsgrad auf. Rund 93 % des Haushaltes sind durch gesetzliche Leistungen und andere Rechtsverpflichtungen gebunden. Erinnern möchte ich an die Personalausgaben, an das FAG – das werden wir später noch einmal diskutieren –,

(Antje Hermenau, GRÜNE: Vor Ihnen!)

Ja, Sie reden ja vorher.

außerdem an die Zahlungen an die Studenten mittels BAföG oder an die Hartz-IV-Zahlungen. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine persönliche Bemerkung, ich bin ja noch nicht so lange im Geschäft: Ich wundere mich manchmal, wie manche scharfe politische Auseinandersetzung um die restlichen 7 % geführt wird.

(Beifall bei der CDU – Dr. André Hahn, Linksfraktion: Mehr haben wir nicht!)

So ist es.

Wenn wir uns die mittelfristige Finanzplanung anschauen, ist zu erkennen, dass sich die Flexibilität und die Spielräume in Haushalt immer weiter verengen werden. Dieser Trend wird sich fortsetzen, wenn nicht die laufenden Ausgaben in sinnvoller Weise beschränkt werden und strukturelle Anpassungen erfolgen.

Die demografische Entwicklung hat ebenfalls Auswirkungen auf die Ausgabenseite des Haushaltes. Wie bereits ausgeführt, führt der Rückgang der Einwohner zu geringeren Einnahmen, jedoch steht diesem Einnahmenrückgang nicht automatisch ein Ausgabenrückgang gegenüber. Das ist ein ernsthaftes strukturelles Problem. Erinnern

möchte ich zum Beispiel an die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung beim „Ausdünnen der Bevölkerung“. Sie wird dadurch nicht preiswerter. Die Kosten für die vorhandenen Anlagen bleiben bestehen oder steigen sogar und verteilen sich rechnerisch auf weniger Köpfe.

Die Wirtschaftsbasis Sachsens ist weiterhin immer noch nicht ausreichend. Beim Wirtschaftswachstum liegen wir etwa im Gleichklang mit dem Bund, obwohl das verarbeitende Gewerbe rund 50 % stärker gewachsen ist als der Bundesdurchschnitt. Die sächsische Wirtschaft muss deshalb stärker wachsen als der Bundesdurchschnitt, um den wirtschaftlichen Rückstand aufzuholen.

(Beifall bei der CDU)

Derzeit werden im Rahmen der Föderalismusreform II weiterhin Änderungen der finanzpolitischen Rahmenbedingungen diskutiert. Genannt werden dabei immer Vereinbarungen über eine neue Schuldenregelung, Vereinbarungen über Konsolidierungshilfen, Implementierung eines Frühwarnsystems. Das ist zurzeit aktuell in der politischen Diskussion.

Wir haben in Sachsen allerdings dieses Thema bereits angepackt. Im Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes haben wir die Regelungen über die Kreditaufnahme verschärft. Wir sprechen uns für eine klare und strenge Begrenzung der Kreditaufnahme in Sachsen aus. Der Schuldenstand des Jahres 2008 soll als Obergrenze festgeschrieben werden. Zu den Details möchte ich nachher noch weiterhin Stellung nehmen.

Wie können wir nun die Analyse der Rahmenbedingungen abschließen? Wir müssen die langfristigen Auswirkungen der Ein- und Ausnahmen bilanzieren. Das machen wir am besten durch eine Vermögensrechnung, denn damit erhält der Freistaat einen transparenten Überblick über das Vermögen und die Schulden des Staates. Dadurch können politische Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit und der Generationengerechtigkeit stärker nach dem Ressourcenverbrauch ausgerichtet werden. Das Vermögen – ich betone, es ist das immobile Vermögen, also die Kunst ist nicht eingerechnet, aber auch beispielsweise die Werte unserer Patente; ich spreche über das immobile Vermögen des Freistaates Sachsen – ist zurzeit geringer als seine Schulden und seine Verbindlichkeiten.

Die im August vorgestellten vorläufigen Daten der Vermögensrechnung zum 01.01.2007 zeigen eine Nachhaltigkeitslücke von 4,5 Milliarden Euro. Der Vermögensbestand reicht also nicht zur Deckung unserer Verpflichtungen.

Ich möchte nun zum zweiten großen Kapitel kommen, nämlich zu den finanzpolitischen Grundsätzen und zu den Leitideen. Der Staat hat gegenüber seinen Bürgern eine große Verantwortung. Er finanziert sich durch die Steuern und soll diese zum Wohle aller einsetzen. Finanzpolitik und Haushaltspolitik können verschiedenen Zwecken dienen und auch unterschiedlichen Philosophien folgen. In Sachsen ist es seit 1990 gute Tradition, dass die Fi

nanz- und Haushaltspolitik im Zeichen der Nachhaltigkeit und der Generationengerechtigkeit steht.

(Beifall bei der CDU)

Daraus lassen sich vier Leitlinien ableiten.

Erstens. Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit, das heißt, die Folgen für die Zukunft stets im Blick zu behalten und ganzheitlich zu denken, oder – ich möchte es etwas krass ausdrücken – jede Generation sollte nur das verbrauchen, was sie selbst erwirtschaftet hat.

(Beifall bei der CDU)

Der nächsten Generation, also unseren Kindern und hoffentlich unseren Enkeln, soll ein möglichst hoher Vermögensbestand bei möglichst niedrigen Verpflichtungen übergeben werden.

Zweitens. Die Einnahmen bestimmen die Ausgaben und nicht umgekehrt. Dieser Grundsatz klingt banal und scheint selbstverständlich, ist es jedoch nicht. – Ich habe kürzlich wieder einmal von einem Professorenkollegen ein Gutachten lesen müssen, der genau das Gegenteil behauptet. Ich, ehrlich gesagt, habe es nicht kapiert. – Dieser Grundsatz führt dazu, dass unser Schuldenstand vergleichsweise moderat ist. Diesen Grundsatz auch bei der zukünftigen Einnahmenentwicklung konsequent umzusetzen heißt vor allem, den zukünftigen Haushalten Handlungsspielräume zu sichern, sodass wir uns hoffentlich in Zukunft über mehr als 7 % streiten können.