Protocol of the Session on July 11, 2008

Es sind aber nicht nur Skinheads, die für die NPD kandidieren. Der Einzug der NPD in alle Kreistage ist auch eine Folge lokaler Verankerung.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Die Kandidaten der NPD sind vor Ort bekannt, schließlich werden bei Kommunalwahlen in erster Linie Personen gewählt. Wenn beim Dorffest der NPD-Vorsitzende die Würstchen grillt und die braunen Kameraden Bier ausschenken, wen wundert es dann noch, wenn die NPD ins Rathaus einzieht?

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Ich wundere mich nur darüber, dass nicht endlich alle Verantwortlichen aufwachen. Wo bleibt der Aufstand der Anständigen? Denn verantwortlich sind alle, nicht nur wir Politiker. Verantwortlich sind alle anständigen und redlichen Sachsen. Und wir sind die Mehrheit!

(Beifall bei der SPD)

Darum dürfen wir es nicht zulassen, dass eine radikale Minderheit so tut, als ob sie die schweigende Mehrheit vertritt. Darum dürfen wir nicht schweigen und tatenlos zusehen, wie Rechtsextreme den Ruf Sachsens immer und immer wieder in den Dreck ziehen. Darum müssen wir aufstehen und laut und deutlich sagen: Wir wollen euch nicht! Ihr gehört nicht in unsere Mitte! Ihr seid eine Schande für Sachsen!

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei der FDP und den GRÜNEN)

Ich erteile das Wort der Linksfraktion; Frau Dr. Ernst, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das gemeinsame Fußballgucken auf Straßen und Plätzen, Public Viewing, bei dieser Fußball-EM sollte eine neue Form entspannter Geselligkeit und unverkrampften fröhlichen Patriotismus bescheren.

In Bautzen ging das gleich dreimal schief. Einmal entsprangen beim Public Viewing unversehens „Heil Hitler“ schreiende Horden, die mit ihren braunen Aufmärschen durchs Stadtzentrum die bunte Fete störten.

Beim zweiten Mal wurde eine türkische Fahne verbrannt.

Das dritte Mal war die Nacht des Finalspiels. Bei dieser Gelegenheit – Sie wissen es – legten Hunderte durchgeknallter junger Männer gleich mal die Hauptverkehrsader der Stadt lahm und übten Bürgerkrieg mit der Polizei.

Auch das leidgeprüfte Wurzen erlebte Unerfreuliches. Wie das Netzwerk NDK für demokratische Kultur mitteilte, rannten gegen 23 Uhr rund 30 Personen durch die Innenstadt. Einige von ihnen griffen Besucher an, und zwar im Kulturkeller D 5. Dabei wurden zwei Gäste

verletzt. Nach Einschätzung des NDK waren Neonazis mit am Platz.

In Großenhain kam es zu Ausschreitungen.

Der Sieg, nicht eine Niederlage, unserer Mannschaft im Halbfinale führte in Chemnitz nicht nur zum Jubel, sondern zur Demolierung von zwei Bussen. Polizeibeamte wurden verletzt.

Der traurige Höhepunkt ist der schon benannte Überfall auf Dönerläden in der Dresdner Neustadt nach dem Halbfinale.

Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich bitte einen Moment lang vor, Deutschland hätte im Halbfinale verloren. Das ging mir durch den Kopf, wir hätten verloren. Was wäre da eigentlich passiert?

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Wir hätten verloren!)

Wir haben auch so verloren.

Meine Damen und Herren! Angesichts solcher Vorfälle kann nicht einmal Herr Bandmann ernsthaft bestreiten, dass hier etwas Grundsätzliches nicht stimmt in unserem Ländle. Ja, in Sachsen haben wir ein massives Mentalitätsproblem. Das gehäufte Auftreten fremdenfeindlicher Exzesse, das sich an der Spitze der Skala der Bundesländer bewegt, kann man nicht einfach nur zur Kenntnis nehmen.

Ich sage Ihnen ehrlich, ich bin wirklich die Letzte, die an jeder Ecke Nazis wittert. Aber wir müssen eine Antwort auf die Frage finden, warum wir über Jahre hinweg mehr und mehr und an allen Ecken und Enden rechtsextremistische Umtriebe haben. Warum passiert das? Wie kann es sein, dass es an manchen Orten fast unmöglich ist, die dem Gedenken an den Nazimassenmord dienenden Stolpersteine im Straßenpflaster unbeschädigt und unverschmiert zu bewahren? Wer zählt die geschändeten Kruzifixe in den sorbisch-katholischen Dörfern der Lausitz?

Sie kennen das Problem, Herr Buttolo. Ihnen wurden neulich anlässlich eines Gesprächs mit der Domowina Dokumente dazu übergeben.

All diese Ereignisse sind Facetten eines grundsätzlichen Problems im Umgang mit Vielfalt und Verschiedenheit. Dieses Problem lösen wir weder mit ritualisierter Empörung, auch nicht mit dem Entlastungsverweis darauf, dass es immer nur einige wenige seien, die diese Untaten verüben.

Wir retten uns weder mit dem Argument, es hätte die Polizei gefehlt, sie hätte früher kommen müssen, sie war nicht effizient genug im Kampf ums Vaterland vorm Dönerladen.

Wir können uns nicht damit beruhigen, dass schließlich Projekte im Kampf gegen rechtsextremistische Gewalt und Fremdenhass unterstützt werden und Fanprojekte hoffentlich auch bald.

All das ist richtig, ja. Wir müssen es noch besser tun, natürlich, klar. Aber unsere Mühe muss schon ein bisschen größer sein. Sie muss sichtbar darauf gerichtet sein, alle sonstigen im Grunde unwesentlichen, ja lächerlichen Differenzen innerhalb des demokratischen Spektrums radikal beiseitezuschieben, wenn es um die Bekämpfung der alten und neuen Nazis geht.

Diese Entschlossenheit widerspiegelt die sächsische Politik nicht, wenn mit dem wider jede Wirklichkeit geprägten Gleichsetzungsdogma der Extremisten von rechts und links nicht endlich Schluss gemacht wird, und zwar überall.

(Beifall bei der Linksfraktion – Jürgen Gansel, NPD: Sie sprechen von sich selbst!)

Überall, in der Politik, in der Schule, in der Wissenschaft, in der Öffentlichkeit. Diese Entschlossenheit fehlt. Rechter Gewalt und fremdenfeindlichen Attacken nicht gemeinsam als Demokraten entgegenzuwirken und so die Zivilcourage in diesem Land zu stärken ist nur halbherzig. Wenn die Menschen in diesem Land nicht spüren, dass die Demokraten und Demokratinnen es ernst meinen mit der Bekämpfung der Braunen, dann muss sich überhaupt keiner wundern, wenn Nazis in den Parlamenten sitzen.

(René Despang, NPD: Es werden noch mehr!)

Wir werden zuerst um diese Entschlossenheit kämpfen müssen, um entschlossen Nazis bekämpfen zu können.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Ich erteile das Wort der NPD; Herr Gansel, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Sachsen scheint es keine wirklichen Probleme mehr zu geben: keine Abwanderung und keine Überalterung, keine Massenarbeitslosigkeit und keine Kinderarmut, keine Preissteigerungen und keine Firmenpleiten. Unter dem Strahlemann Tillich würde die Sonne golden über Sachsen scheinen, wenn nicht immerzu die Wolken der Fremdenfeindlichkeit den Himmel verdüstern würden. Das scheinen uns die Koalitionsfraktionen mit dieser Aktuellen Debatte ernsthaft einreden zu wollen.

Anlass für die aktuellen Betroffenheitsübungen sind die Überfälle auf zwei Dönerläden in Dresden nach dem siegreichen EM-Spiel Deutschlands gegen die Türkei.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Auch die NPD-Fraktion missbilligt die Übergriffe, bei denen Sachschaden entstand und zwei Gäste leicht verletzt wurden. Wir missbilligen die Übergriffe,

(Stefan Brangs, SPD: Biedermänner!)

weil der Überfremdung durch ausländische Zivilokkupanten nur politisch begegnet werden kann und nicht mit körperlicher Gewalt. Was uns aber ganz bitter aufstößt,

(Zurufe von der Linksfraktion)

ist die himmelschreiende Heuchelei und Einseitigkeit, mit der sich meine Vorredner gegen Hass und Gewalt ausgesprochen haben.

Die Betroffenheit ist nämlich in höchstem Maße selektiv. Gewalt gilt immer dann als verabscheuungswürdig, wenn die Täter Deutsche und die Opfer Ausländer sind. Im umgekehrten Fall, wenn Deutsche Opfer von Ausländergewalt werden, gilt Gewalt zwar nicht als ganz sauber, aber man bringt sehr viel Verständnis für die ausländischen Täter auf, weil so ein Migrantenschicksal in der Ausländerrepublik Deutschland mit ihren Sozialleistungen und Integrationschargen ja so unsagbar grausam ist.

Aber selektiv ist die Empörung über Hass und Gewalt nicht nur dann, wenn ausnahmsweise einmal Ausländer zu den Opfern gehören. Ein merkwürdig gespaltenes Verhältnis zur Gewalt zeigt sich bei der politischen Klasse und den Tendenzmedien auch dann, wenn Deutsche aufgrund ihrer nationalen Gesinnung Opfer von politischer Gewalt werden.

Zwei aktuelle Beispiele politischer Gewalt will ich nennen, die bundesweite Medienempörung ausgelöst hätten, wenn die Opfer nicht gerade NPD-Leute gewesen wären.

(Stefan Brangs, SPD: Mir kommen gleich die Tränen!)

Zwei Tage nach der für die NPD erfolgreichen Kreistagswahl versammelten sich des Nachts 30 vermummte Linksradikale vor dem Haus des erzgebirgischen NPDLandratskandidaten Mario Löffler. Sie beschimpften ihn als „Nazisau“, forderten ihn auf herauszukommen, damit sie ihn zusammenschlagen könnten, und drohten lauthals, sein Haus anzuzünden.

Nur durch den schnellen Polizeiruf von Nachbarn konnte verhindert werden, dass es zu schwerer Sachbeschädigung und Körperverletzung durch die Linksfaschisten kam. Der Lokalteil Stollberg der „Freien Presse“ verschwieg die massiven Gewaltandrohungen natürlich, traf es doch nur einen Nationaldemokraten.

Ich will mir gar nicht ausmalen, wie die sächsischen, ja die bundesweiten Medien vor Empörung gebellt hätten, wenn 30 vermummte Rechte das Haus des linken Landratskandidaten Tischendorf belagert und ihm körperliche Gewalt und Brandstiftung angedroht hätten. In diesem Fall wäre garantiert wieder ein neues NPDParteiverbotsverfahren gefordert worden, auch dann, wenn kein einziger der Rechten ein Parteibuch der NPD gehabt hätte.

(Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE, tritt ans Mikrofon.)