Protocol of the Session on April 16, 2008

Das ist viel Geld, das auf Kosten der deutschen Steuerzahler zusammenkommen soll. Da die Politik in den letzten Jahren den ganz normalen Berufstätigen, den ganz normalen Steuerzahler nach meiner Auffassung fast völlig aus den Augen verloren hat, wenn es um Steuer- und Abgabensenkungen geht, denken wir, dass es an der Zeit ist, genau dies zu ändern, damit die Berufstätigen in unserem Land wenigstens ein bisschen mehr Netto vom Brutto haben.

(Beifall bei der FDP)

Wir als FDP wollen, das will ich ganz klar sagen, nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes abwarten. Politik heißt nun einmal gestalten und nicht abwarten; vor allem nicht darauf warten, dass ein Gericht wieder einmal irgendein verkorkstes Gesetz kassiert oder korrigiert. Wir denken, wir sind hier als Politik in der Pflicht und sollten selbst so stark sein, eine neue Regelung für Deutschland zu finden. Finden wir das Sonderopfer für sächsische Berufspendler gerecht oder finden wir es

ungerecht? Wollen wir die Berufstätigen in Sachsen entlasten oder nicht? Wird sich diese Staatsregierung in Berlin im Interesse des Flächenlandes Sachsen starkmachen für eine Änderung? Darüber müssen wir heute entscheiden!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort; Herr Dr. Rößler, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Zastrow! Wer würde den Pendlern die Pendlerpauschale nicht ab dem ersten Kilometer gönnen? Es ist natürlich klar, dass dies bei 650 000 Berufspendlern ein aktuelles Thema ist, vor allem dann, wenn man auf die Zapfsäule schaut und sieht, wie sich die Benzinpreise entwickeln, wie sich die Lebenshaltungskosten und anderes mehr entwickeln. Es ist ein Wunsch, der von allen Seiten immer wieder an uns herangetragen wird, die Fahrtkosten wieder ungekürzt ab dem ersten Fahrtkilometer in Höhe von 30 Cent pro Kilometer steuerlich absetzen zu können.

(Beifall bei der CDU)

Sie erinnerten an die Position Sachsens im Bundesrat. Sachsen hat damals – ich erinnere mich gut – gekämpft wie ein Löwe, dass es wenigstens gelungen ist, die Kosten nach dem 20. Fahrtkilometer weiterhin abzusetzen, und zwar lange bevor der bayerische Löwe sein Gebrüll erhoben hat, jetzt erst ganz aktuell auch unter dem Eindruck von Kommunalwahlen.

Wenn man die langen Schlangen auf den Autobahnen sieht, vor allem der vielen Sachsen, die auch außerhalb Sachsens arbeiten, dann weiß man, dass es wirklich ein großer Erfolg gewesen ist, dass wir wenigstens diese Absetzbarkeit gesichert haben. Dass beim Einpendeln in die sogenannten Wachstumszentren in Sachsen – wie das Beispiel Mittweida – von den 59 Kilometern wenigstens 39 absetzbar sind, Kollege Zastrow, haben wir mit sehr viel Mühe erreicht.

Man muss aber auch die andere Seite des Steueränderungsgesetzes 2007 sehen. Damals sollten – und sie werden es auch – 4,4 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen gespült werden, davon allein 2,5 Milliarden Euro aus der Kürzung der Entfernungspauschale. Fiele diese Kürzung weg – bisher haben wir die Liberalen jedenfalls verbal als solide Haushaltspolitiker erlebt –,

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Nur verbal!)

müssten entweder Ausgaben gekürzt – ich überlasse es Ihrer Fantasie, wo das passieren könnte – oder andere Steuerquellen erschlossen werden.

(Holger Zastrow, FDP: Sehr gute Idee!)

Das ist ohne Weiteres überhaupt nicht möglich, das wissen Sie auch. Aber anders, meine Damen und Herren,

ist eine ausgeglichene Haushaltssituation nicht zu erreichen. Auch dafür ist die Große Koalition aus CDU und SPD in Berlin angetreten. Man wollte und man will den Haushalt ausgleichen.

Wie so oft in der deutschen Politik wird auch bei der Kürzung der Pendlerpauschale am Schluss der Spruch der Gerichte eine große Rolle spielen. Man kennt diesen alten Spruch: Wenn zwei Juristen zusammen sind, dann gibt es mindestens drei Meinungen. So haben die Finanzgerichte in Baden-Württemberg, in Mecklenburg-Vorpommern und an anderer Stelle die sogenannte Rechtslage, wie sie sich stellt, für verfassungsgerecht erklärt.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Das wollte ich sagen!)

Aber in Niedersachsen und im Saarland oder gar beim Bundesfinanzgericht bestehen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Kürzung der Pendlerpauschale.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Das wollte ich sagen! Das können Sie mir nicht vorwegnehmen!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht, unser höchstes deutsches Gericht, hat sich dieser Sache angenommen. Ich appelliere an Sie: Warten wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ab! Sie wird noch in diesem Jahr fallen. Deshalb lehnt die CDU-Fraktion den Antrag der FDP ab.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile der Linksfraktion das Wort; Frau Simon, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In meinem Landkreis Löbau-Zittau leben 41 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Von diesen pendeln lediglich 12 500 nicht. 18 500 pendeln innerhalb des Landkreises und 10 000 darüber hinaus. Das heißt, zwei Drittel aller Beschäftigten sind von der Kürzung der Pendlerpauschale betroffen. Sie pendeln, weil sie von ihrer Arbeit und nicht von Almosen leben wollen, weil sie sich gebraucht und gefordert fühlen wollen. Dafür stehen sie verdammt zeitig auf, verbringen einen großen Teil ihrer Lebenszeit auf verstopften Autobahnen und in überfüllten Zügen, verlängern ihre durch die Arbeit gebundene Zeit um Stunden und stehen ihren Kindern als Ansprechpartner nicht zur Verfügung. Freizeitaktivitäten können maximal am Wochenende stattfinden. Kino, Theater und das Treffen mit Freunden am Abend: Wenn man frühzeitig wieder heraus muss, alles undenkbarer Luxus.

Das Pendeln ist eine Qual, eine Last, eine familienzerstörende und Lebensqualität raubende Folge der Deindustrialisierung ganzer Landstriche. Das Pendeln ist die Folge der Konzentration von einigermaßen gut bezahlten Arbeitsplätzen in den Großstädten, von der Staatsregierung einst als Leuchtturmpolitik gefeiert. Später wurde der unsolidarische Grundansatz dieser Politik unter der

Losung „Die Starken stärken“ als der Weisheit letzter Schluss ihrer Wirtschaftspolitik offen herausgestellt.

Unter diesem Blickwinkel werden die Staatsregierung und die Koalitionsfraktionen sicherlich nicht widersprechen, dass das Pendeln eine politisch gewollte und gesellschaftlich notwendige Maßnahme ist. Sie werden somit auch keine Probleme haben, die von der Bundesregierung zum 01.01.2007 für insgesamt 15 Millionen Pendler in der Bundesrepublik getroffene Entscheidung, die Pendlerpauschale zu kürzen, als politisch und wirtschaftlich unklug zu bewerten. Wer einerseits dem Wegzug der Menschen aus ländlichen Regionen entgegenwirken will und andererseits die Metropolregionen stärkt, der kann die Begründung für die Kürzung der Pendlerpauschale, die Berufssphäre beginne erst am Werktor, nur kopfschüttelnd verwerfen.

Wir sehen in diesem Zusammenhang zwei große Gefahren: Erstens. Das deutsche Steuersystem verkommt immer mehr zu lobbybedingter Beliebigkeit, die mit dem im Grundgesetz verankerten Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit immer weniger zu tun hat. Von Logik, Nachvollziehbarkeit und Steuerprinzipien ist zunehmend überhaupt nichts mehr zu spüren.

Da werden den Pendlern die ersten 20 Kilometer Arbeitsweg streitig gemacht. Warum eigentlich 20 Kilometer und nicht 18 oder 35,5? Es entsteht der Eindruck, das Bundesfinanzministerium wollte 2,5 Milliarden Euro einsparen oder für andere Zwecke einsetzen und hat nachfolgend errechnet, dass diese Zielgröße bei 20 Kilometern erreicht ist. Hat jemals jemand etwas davon gehört, dass der Bundesgesetzgeber überlegt hat, vom Kaufpreis einer Maschine für ein Großunternehmen die ersten 100 000 Euro abzuziehen und sie nicht als Betriebsausgaben anzuerkennen, oder die ersten 100 Euro Büromiete zu streichen oder für die Fahrtkostenabrechnungen der Abgeordneten die ersten 20 Kilometer wegzulassen? Glauben Sie mir: Es gäbe deutlich weniger ungerechte und unsinnige Änderungen in den Gesetzen, wenn auch Abgeordnete wie normale Bürger behandelt würden.

(Beifall bei der Linksfraktion und der FDP)

Kein Abgeordneter im Bundestag hätte der Kürzung der Pendlerpauschale zugestimmt – da er ja auch so etwas Ähnliches wie ein Pendler ist –, wenn er selbst davon betroffen gewesen wäre und keine Sonderregelungen für sich selbst hätte.

(Beifall bei der Linksfraktion und der FDP – Dr. Fritz Hähle, CDU: Die können überhaupt nichts absetzen, Frau Kollegin!)

Herr Kollege, sie konnten lange genug absetzen.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Ja, den Hut!)

Im deutschen Einkommensteuerrecht gilt das objektive Nettoprinzip, nach dem – nun hören Sie bitte zu – alle Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen vom Einkommen der Steuerpflichtigen abzuziehen sind. Dies gilt für Betriebsausgaben genauso

wie für die Aufwendungen eines Arbeitnehmers, der zur Arbeit fährt und dessen Kosten dafür eben keine Privatangelegenheiten darstellen. Denn wenn er nicht fährt, kann er auch nicht arbeiten und hat damit keine Einnahmen.

Es ist doch wohl offensichtlich, dass die Kosten der Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beruflich bedingt sind. Interessanterweise hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2002 bestätigt, dass zum Beispiel Kosten einer notwendigen doppelten Haushaltsführung ausdrücklich als Mobilitätskosten anzuerkennen sind und zu den abzugsfähigen beruflichen Aufwendungen gehören.

Eigentlich müssten Gesetzgeber und Bundesfinanzministerium belehrt sein und auf weitere Attacken verzichten. Aber offensichtlich weiß man um die Schwäche und die geringe Wehrhaftigkeit der Betroffenen. Sie bringen erzwungenermaßen ihr Leben beim Pendeln zu und haben zu wenig Zeit für die Wahrung ihrer Rechte.

Lassen Sie mich noch einen weiteren Gesichtspunkt nennen. Nicht nur, dass die alte Regelung ab dem ersten Kilometer wieder eingeführt wird, ist richtig, sondern die Pauschale sollte deutlich erhöht werden. Sie sollte erhöht werden, um die Pendler wenigstens etwas zu unterstützen und sie dort zu halten, wo sie wohnen, nämlich in den ländlichen Regionen.

Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, was geschehen würde, wenn die 10 000 Pendler des Landkreises LöbauZittau mit ihren Familien ihre Koffer packen und an den Arbeitsort ziehen würden. Damit wäre allein dieser Landkreis um weitere circa 30 000 Einwohner ärmer. 30 000 Personen sind aber bereits in den vergangenen Jahren wegen der Arbeit weggezogen. Es blieben lediglich 110 000 Einwohner übrig. Hochgerechnet auf die gesamte Bundesrepublik, wäre diese „Wanderung der Millionen“ eine Katastrophe. In den zurückgebliebenen Regionen würde sich die Lebensqualität der verbliebenen Einwohner erheblich verschlechtern; denn auch alle Zuwendungen und Zuweisungen sind pro Kopf ausgelegt – siehe Schlüsselzuweisungen, Schulklassengrößen usw. Dadurch würde sich der Wegzug weiter verstärken, aber ebenso könnten die Monopolregionen und Großstädte einen derartigen Ansturm kaum beherrschen.

Es ist also eine Frage Ihrer politischen Weitsicht und wirtschaftlichen Vernunft, sehr geehrte Damen und Herren, sowohl dem Antrag der FDP als auch unserem Änderungsantrag zuzustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion und der FDP)

Ich erteile der SPD das Wort; Herr Pecher, bitte.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Ein Beitrag zum Klimawandel!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht etwas zur Versachlichung,

Frau Simon: So ganz teile ich dieses Szenario, von dem Sie uns hier erzählen, nicht. Ich meine, das Thema Pendler und „dem Einkommen hinterherfahren“ gehört zur Geschichte der Bundesrepublik, und es gehört auch zur Wirtschaftsentwicklung dieses Landes. Dies jetzt nur auf ein Krisenszenario in Ihrem Landkreis herunterzubrechen ist, denke ich, etwas weit hergeholt, zumal es in späteren Zeiten auch aus anderen Gründen – der Jugend, der Infrastruktur und der weichen Standortfaktoren – nicht zu verhindern sein wird, dass Menschen dem Einkommen hinterherfahren.

(Bettina Simon, Linksfraktion: Das ist das Leben, Herr Pecher!)

Herr Zastrow, Ihnen sage ich: Wenn Sie wirklich Interesse daran haben, die Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land zu entlasten, dann erwarte ich Ihr politisches Engagement eigentlich in erster Linie für Mindestlöhne, für Flächentarifverträge und für eine Steuerpolitik, bei der insbesondere die Starken mehr tragen sollten als die Schwachen.