Protocol of the Session on March 7, 2008

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort. Wird es gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann frage ich die Fraktion GRÜNE. – Herr Dr. Gerstenberg.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Clemen, hier und

heute ist nicht der Ort, pro und kontra Karl Marx und pro und kontra Kunstauffassung zu diskutieren;

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Volker Külow, Linksfraktion)

denn hier und heute zieht die NPD in den Kampf gegen einen vorgeblichen Karl-Marx-Erinnerungskult in Leipzig. Der Streit, der seit einigen Wochen in Leipzig um das Marx-Relief entbrannt war, hat der Fraktion wohl den Mut dafür gemacht; denn als wir im Kulturausschuss über die Aufstellung des Reliefs diskutiert haben, hatte die NPD kein einziges Wort dagegen einzuwenden.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Ihnen, Herr Gansel, und allen anderen kann ich Folgendes sagen: Die Menschen, die in Leipzig die Aufstellung des Reliefs kritisieren, und erst recht diejenigen, die gegen die Sprengung der Paulinerkirche protestiert haben und dafür Repressalien und Haft in Kauf genommen haben, würden sich dagegen verwahren, dass Sie ihre Position heute in dieser Debatte verwenden.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU der Linksfraktion, der SPD und der FDP)

Aber diese Debatte ist weitgehend beigelegt. Das Monument wird wie geplant am Sportcampus an der Jahnallee aufgestellt. Die Universität hat sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Sie hat aber bewiesen, dass sie mit ihrem schwierigen Erbe souverän umzugehen weiß.

Die sozialistische Ära als Karl-Marx-Universität gehört zur Geschichte der Leipziger Universität. Das Relief „Aufbruch“ von Schwabe, Ruddigkeit und Kuhrt, das letzte erhaltene Bronzegroßrelief der DDR-Zeit übrigens, zeugt ebenso davon wie Tübkes Wandbild „Arbeiterklasse und Intelligenz“. Diese Kunstwerke sind Teil der DDREpoche der Universität, wie es auf der anderen Seite die Paulinerkirche und ihre Zerstörung sind, an die mit dem Neubau des Campus angemessen erinnert wird.

Die NPD kritisiert nun die angebliche Verschwendung von Steuergeld, das die Wiederaufstellung des Reliefs „Aufbruch“ kosten wird. Abgesehen davon, dass auch jede andere Variante, mit dem Relief umzugehen, kaum billiger zu haben ist, sage ich Ihnen hier klar und deutlich: Erinnerung muss uns das wert sein, weil Kunst einen Eigenwert hat, der deutlich über ihren finanziellen Wert hinausgeht.

(Beifall bei der Linksfraktion und der SPD)

Aber in Wirklichkeit geht es der braunen Fraktion ja auch nicht darum, in der bürgerlichen Pose des Anwalts der Steuerzahler die Verschwendung von Geldern anzuprangern. Sie von der NPD wollen fortsetzen und zum Volkswillen erklären, was wir von den Bilderstürmern totalitärer Denkungsart seit jeher gewohnt sind. Sie wollen Kunstwerke eliminieren, um auf diese Weise Ideen, Weltanschauungen und Überzeugungen, die nicht in Ihr ideologisches Raster passen, aus der öffentlichen Wahrnehmung zu tilgen. In einem demokratischen Land

kommt ein solcher Umgang mit Kunst auf keinen Fall infrage.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Natürlich bestreitet die NPD den Kunstwert der Plastik „Aufbruch“. Auch das ist ein altbekanntes Muster des totalitären Umgangs mit Kunst; denn die Herrschaften und die „Damschaft“ können sich nicht vorstellen, dass Kunst einen Eigenwert besitzt, einen Wert jenseits von Funktionalisierung. Der Kulturbegriff der NPD ist auf nationalistische Identitätshuberei und Propaganda verengt. Als Kunst lässt sie nur gelten, was das eigene beschränkte völkische Weltbild illustriert, und umgekehrt unterstellt sie, dass alle Kunst, die nicht in dieses Weltbild passt, nichts anderes als Propaganda für den Feind sein kann. Deshalb ist die Ideologie der NPD im Kern kunst- und kulturfeindlich.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Es ist nicht zu bestreiten, dass das Karl-Marx-Relief ein ideologisch aufgeladenes Auftragswerk gewesen ist. Die NPD spricht nun von einem zu verhindernden Karl-MarxKult. Aber Kunstwerke sind in der Moderne keine Kultgegenstände. Wir können uns, und das nicht erst seit heute, über den ästhetischen Wert und den Inhalt eines Kunstwerkes auseinandersetzen. Nehmen wir doch als ganz großes Beispiel aus der Geschichte Raffaels „Sixtinische Madonna“, die 1512/13 als Auftragswerk von Papst Pius II. entstand. Im Bild wurden dem Hl. Sixtus die Züge des Renaissanceherrschers gegeben. 250 Jahre lang blieb das Werk relativ unbeachtet. Heute strömen die Menschen aus aller Welt nach Dresden, nicht zuletzt um einen Blick auf die „Sixtinische Madonna“ zu werfen. Was wäre gewesen, wenn man einst im protestantischen Dresden dieses Gemälde als Papstkult verunglimpft und seine Vernichtung vorgeschlagen hätte? Eine absurde Vorstellung!

Dass die Kulturfeinde von der NPD das Relief „Aufbruch“ aus der Öffentlichkeit verbannen wollen, macht umso deutlicher, wie nötig eine Auseinandersetzung mit solchen Kunstwerken und ihrer Entstehungsgeschichte ist. Gerade der Umgang mit dem sozialistischen Erbe und insbesondere mit Karl Marx zeigt, dass diese Erinnerung ernsthaft und unaufgeregt erfolgen kann. Die Stadt Trier kann als Geburtsort von Karl Marx ganz wunderbar damit leben, dass sich Touristen vor dessen Geburtshaus fotografieren lassen und das Karl-Marx-Museum besuchen.

(Beifall der Abg. Regina Schulz, Linksfraktion)

Niemand meidet die Weltkulturerbestätten dieser Stadt, nur weil das Karl-Marx-Konterfei ein paar Straßen weiter öffentlich zu sehen ist. Und die Chemnitzer wollen ihren „Nischel“ mittlerweile nicht einmal mehr leihweise hergeben.

Ein Kult um den Philosophen Marx in Leipzig – das ist etwas, was nur völlig verwirrte Gemüter befürchten können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zum Schluss ein Satz, auch wenn ihn die NPD sicherlich nicht verstehen wird: Bei der Auseinandersetzung künftiger Generationen mit dem „Aufbruch“-Relief wird es wohl weniger darum gehen, die Welt zu verändern, als sie vielmehr verschieden interpretieren zu können.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Dass Sie von der NPD uns diese Möglichkeit der Auseinandersetzung nicht nehmen können, darüber können wir uns als Demokraten freuen und dafür sollten wir uns weiter einsetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD sowie des Abg. Heiner Sandig, CDU)

Ich erteile der NPD-Fraktion das Wort. Herr Gansel, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ehrt uns als NPD-Fraktion, dass sämtliche Vorredner fast mehr Redezeit auf uns und eine Pseudoanalyse unseres kultur- und kunstpolitischen Wollens verwendet haben als auf das eigentliche Thema. Wir scheinen mit diesem Thema den Finger in eine bestimmte geschichtspolitische Wunde gelegt zu haben. Anders kann ich mir nicht erklären, dass teilweise mehr über die NPD als über das Thema dieser Aktuellen Debatte gesprochen wurde.

Eine Ausnahme bildete natürlich die PDS-Fraktion, der das Thema selbstverständlich gar nicht behagt. Auf der einen Seite hat sie mit der niedersächsischen ExLandtagsabgeordneten Wegner eine glühende Befürworterin der Staatssicherheit. Das ist peinlich. Auf der anderen Seite bemüht sich die PDS/LINKE retour SED natürlich gerne darum, ihre geschichtliche Aufarbeitungsbereitschaft zu zeigen. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte sie heute die einmalige Gelegenheit gehabt, für einen anderen Standort des Marx-Reliefs zu plädieren, vielleicht an der Außenfassade von Bautzen II, um deutlich zu machen, wohin der marxistische „Aufbruch“ geführt hat.

(Beifall bei der NPD – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Auch Sie haben ja dafür gesorgt, dass dort Leute landen, Herr Porsch. Das hier ist einer der entscheidenden Punkte, bei dem Sie sich einmal Ihre Kommentare verkneifen sollten.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich will aus dem denkwürdigen Leserbrief eines sächsischen Bürgerrechtlers zitieren. Dort heißt es:

„Die Initiatoren der 1989-er Revolution waren nicht ihre Sieger. Die neue Freiheit haben jene am besten für sich genutzt, die sie vorher am rigorosesten bekämpft haben: die alten Eliten der untergegangenen DDR. Sie waren an

Herrschaftswissen, Führungserfahrung, Personalkenntnis, materieller Ausstattung, Frechheit und Dreistigkeit weit überlegen. Sie rekrutierten Komplizen aus den westdeutschen Apparaten. Diese halfen ihnen zunächst, sie zu adaptieren. Als Dank durften sie sich die Lebensträume ihrer Eitelkeit erfüllen und in Ostdeutschland Führungspositionen übernehmen, die sie im Westen nie erlangt hätten. Dort nahmen sie – manus manum lavat – die Herzensanliegen der alten ostdeutschen Eliten auf und setzten sie mit dem Eifer verspäteter Helden der Arbeit um.“

Ich fahre aber fort: „Die Zeit ist nun bereit für die alten Eliten, ihre Erfolge abzurunden. Nach der Sanierung ihrer Machtposition wollen sie diese auch zur Schau stellen. Dies geschieht, indem sie die Symbole ihres früheren Lebens frisch poliert wieder aufstellen. Angriff ist die beste Verteidigung. Dass sich möglichst viele Protagonisten der Revolution von 1989 durch dieses Zur-SchauStellen von Macht beleidigt und gedemütigt fühlen, ist beabsichtigt. Deshalb vollenden sie jetzt Ulbrichts Weg. Das Marx-Relief folgt nicht den Trümmern der Paulinerkirche in ihr Massengrab, die Etzoldschen Sandgruben. Die Revolutionäre von 1989 enden als Bild der Lächerlichkeit. Die Revolution von Leipzig wird in Leipzig begraben unter den ungestürmten Bildern von Karl Marx. Die Welt gratuliert.“

Meine Damen und Herren, das eben Vorgetragene schrieb der CDU-Bundestagsabgeordnete und Bürgerrechtler Arnold Vaatz in einem Brief an die „Leipziger Volkszeitung“. Ob dieser Brief abgedruckt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Wenn er nicht abgedruckt worden sein sollte, würde dies natürlich auch für den „Meinungspluralismus“ dieses Blattes sprechen.

Besser als Arnold Vaatz kann man die untergründige Tendenz, die der demonstrativen Wiederaufrichtung des Marx-Reliefs in einer Zeit des Linksrucks zugrunde liegt, kaum formulieren. Es ist aber auch verstörend und verräterisch, dass sich die in Sachsen regierende CDU, der Arnold Vaatz bekannterweise angehört, mit einer erschreckenden Indifferenz aus dieser geschichtspolitischen Affäre herausgestohlen hat.

Es ist doch nur verlogen, wenn Leipzigs CDU-Chef Hermann Winkler zur Einschmelzung des Denkmals aufruft, sein Ministerpräsident aber feige schweigt, wenn seine SED-Ministerin Stange einfach mal so 300 000 Euro Steuergeld für die Aufstellung eines Reliefs verschwenden will, das viele Bürgerrechtler als permanente Demütigung betrachten.

Lassen wir noch einmal Erich Loest zu Wort kommen. Dieser sagte am 8. Februar 2008 nach Absendung seines Briefes an Kultusministerin Stange: „Der offene Brief ist mein letztes Mittel. Dann bleibt nur noch der Ministerpräsident, um mit dem Hammer draufzuschlagen.“

Dieser Appell zur Benutzung eines Hammers, ohne Sichel wohlgemerkt, stammt also nicht von der NPD-Fraktion, sondern vom Schriftsteller Erich Loest. Es sollte allerdings der Staatsregierung in Sachsen zu denken geben,

wie fahrlässig mittlerweile von der CDU mit dem Erbe der friedlichen Revolution umgegangen wird und wie feige und wenig streitbar die CDU auch geschichts- und erinnerungspolitisch vor dem Linkstrend dieser Republik kapituliert.

(Beifall bei der NPD)

Wird von der CDU noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann frage ich die Linksfraktion. – Ist nicht der Fall. SPD-Fraktion? – Herr Prof. Weiss, bitte.

(Jürgen Gansel, NPD: Noch etwas zur NPD, einen kleinen Nachschlag bitte! – Staatsminister Thomas Jurk: Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Gerstenberg, Sie haben mir voll aus dem Herzen gesprochen. Danke sehr.

Ich möchte noch einige neuere Informationen hinzufügen. Es hat vor wenigen Tagen ein Spitzengespräch zwischen der Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Frau Stange, dem Oberbürgermeister Jung und Rektor Häuser gegeben. Dort wurde eine Einigung über den Standort Jahnallee erzielt. Diese Einigung ist vernünftig, denn sie erlaubt eine würdige Auseinandersetzung mit der Geschichte der Universität in der DDR-Zeit, und sie sollte nun endlich von allen Seiten akzeptiert werden. Die Leipziger Bürger jedenfalls haben dieser Lösung in einer Blitzumfrage der „LVZ“ mit 62 % zugestimmt.

Nun noch das gewünschte Wort an die NPD, Herr Gansel: Sie, deren geistige Ziehväter 1933

(Jürgen Gansel, NPD: Hören Sie doch auf mit diesen alten Kamellen!)

berühmte Werke der Weltliteratur johlend auf den Scheiterhaufen geworfen haben – hier in Dresden übrigens zwei Wochen früher, als der Termin im restlichen Deutschland war, am 8. März, also morgen vor 75 Jahren –, Ihre Ziehväter, die den Begriff der „entarteten Kunst“ erfunden haben, die Hunderte von Synagogen niedergebrannt haben, Sie, die geistigen Erben jener braunen Vandalen,