Protocol of the Session on March 7, 2008

Auch wenn diese Gedanken später von Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, Jossif Wissiarionowitsch Dschugaschwili, genannt Stalin, Mao Zedong und anderen Diktatoren des 20. Jahrhunderts weiterentwickelt, zum Teil pervertiert und in ihrem Namen dann wiederum Millionen Menschen umgebracht wurden, so war es doch Karl Marx, der die Grundlagen all dieser abstrusen Theorien gelegt hat. Wollen Sie wirklich einem solchen Mann weiterhin an so prominenter Stelle in Leipzig, der Stadt der friedlichen Revolution, ein Ehrenmal setzen?

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Ein zusätzlich subtiler historischer Fakt ist zudem, dass die Paulinerkirche diesem Monument weichen musste und damit die Ideale des christlichen Abendlandes und der Aufklärung gegen die der kommunistisch-proletarischen Diktatur ausgetauscht wurden.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Um Gottes willen!)

Nicht, dass ich hier falsch verstanden werde: Ich wende mich gegen jede Art der Bilderstürmerei;

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Aha!)

wie sie von den Vorgängern der hier antragstellenden Fraktion betrieben wurde.

(Jürgen Gansel, NPD: Das ist eine Frechheit!)

Bücherverbrennungen und der Terminus „Entartete Kunst“ müssen endgültig und unwiederholbar der Vergangenheit angehören.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Holger Apfel, NPD: Da fangen Sie mal an!)

Sie von der NPD-Fraktion sind sowieso die völlig Falschen, sich zum Anwalt der friedlichen Revolution und der Überwindung diktatorischer Symbolik zu erklären.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Holger Apfel, NPD: Warum?)

Lesen Sie Ihre eigenen Gazetten, dann werden Sie wissen, warum, Herr Apfel.

Sicherlich kann man kunsthistorisch unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob und wenn ja inwieweit das Marx-Relief künstlerisch zeitgeschichtliche Bedeutung besitzt. Die sehr unterschiedlichen Meinungen verschiedener Kunsthistoriker, auch in den letzten Tagen und Wochen geäußert, belegen dies eindrucksvoll.

Eines, meine Damen und Herren, ist jedoch klar: Das Marx-Relief propagiert und idealisiert den undemokratischen und diktatorischen Geist, den wir gemeinsam 1989 überwunden haben. Allerdings müssen wir auch konstatieren, dass es in der Verantwortung der Universitätsleitung liegt, wie sie mit diesem 33 Tonnen schweren Monstrum umgeht und in welchem Zusammenhang sie sich zu ihm positioniert. Auch dies, meine Damen und Herren, ist Teil der freiheitlichen Grundordnung unserer bürgerlichen Demokratie. Aber dazu wird dann der Abg. Prof. Weiss in seiner Rede umfangreich Stellung nehmen.

Geradezu grotesk erscheint es mir jedoch, die Aufstellung des Marx-Reliefs an der Jahnallee in unmittelbarer Nähe der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig vorzunehmen. Wenngleich Karl Marx in seinem ökonomischen Hauptwerk „Das Kapital“ auch einige Funktionsweisen und Grundlagen des frühkapitalistischen Wirtschaftssystems zutreffend analysiert hat, so bleibt insgesamt ein Scheitern seiner wirtschaftspolitischen Theorien für jeden nachvollziehbar sichtbar.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Die DDR war nicht nur moralisch am Ende, sie wäre über kurz oder lang auch ökonomisch untergegangen. Aus den genannten Gründen halte ich die Wiederaufstellung des Marx-Monuments an der beabsichtigten Stelle nach wie vor für unzumutbar.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Tino Günther, FDP)

Stattdessen bin ich der Meinung, dass es im Geist der friedlichen Revolution zwingend geboten gewesen wäre, die Paulinerkirche oder zumindest wesentliche Teile von ihr wieder aufzubauen

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

und diese in den Uni-Campus wahrhaft zu integrieren.

Bitte zum Schluss kommen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich erteile das Wort der Linksfraktion. Wird das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte die SPD. Herr Prof. Weiss, wie angekündigt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Debatte und ihre polemische, mit Fehlinformationen gespickte Eröffnung durch den Abg. Gansel sind wieder einmal charakteristisch für die Taktik der NPD.

Sie sucht ein beliebiges – in diesem Fall kulturpolitisches – Thema, zu dem es in der Bevölkerung verschiedene Ansichten gibt, und versucht dann, den völlig normalen gesellschaftlichen Diskurs mit den üblichen abgeschmackten Versatzstücken ihrer braunen Ideologie zu infiltrieren und so ihr eigenes antidemokratisches Süppchen zu kochen.

Was ist dieses Mal der Anlass? In Leipzig gibt es seit geraumer Zeit eine intensive und kontroverse Diskussion, wie nach dem Abriss des ehemaligen Hauptgebäudes der Universität mit dem monumentalen Bronzerelief von Schwabe, Ruddigkeit und Kuhrt umzugehen sei. Es handelt sich bei dem 98 Quadratmeter großen Relief nicht etwa, wie immer wieder behauptet wird, um ein MarxDenkmal, sondern – das sagt auch der Name „Aufbruch“ – um eine allegorische Darstellung marxistischer Geschichtsphilosophie, also um eindeutig ideologisch motivierte Kunst, Agit-Prop-Kunst halt, aber um Kunst.

Sie wurde Anfang der Siebzigerjahre bewusst provokativ am Ort der südöstlichen Fassade der auf Weisung von Walter Ulbricht und seiner örtlichen Satrapen am 30. Mai 1968 gesprengten Universitätskirche Sankt Pauli installiert.

Das erste frei gewählte Rektoratskollegium hatte unmittelbar nach seiner Konstituierung diese Provokation erkannt und sich bereits seit Herbst 1991, also schon zu meiner Zeit als Rektor, mehrfach mit dem weiteren Schicksal des Reliefs beschäftigt und schließlich dem Akademischen Senat vorgeschlagen, es zu gegebener Zeit zu demontieren und an einem geeigneten Ort ebenerdig als Zeitzeugen und Mahnmal wieder aufzustellen.

Präferiert wurde damals der Hügel über den ehemaligen Etzoldschen Sandgruben am südöstlichen Stadtrand, der Ort also, wo 1968 die Trümmer der Paulinerkirche abgekippt worden waren.

Diesem Vorschlag ist der Senat 1992 einstimmig gefolgt. In der Zwischenzeit hatte sich allerdings erwiesen, dass das ursprünglich vorgesehene Gelände zu abgelegen und verwildert ist. Das Relief wäre dort allein wegen seines Materialwertes in kurzer Zeit zerstört und gestohlen worden.

(Zurufe von der NPD)

Außerdem gibt es durchaus ernst zu nehmende politischmoralische Einwände dagegen, das Relief symbolisch über die zerstörte Paulinerkirche triumphieren zu lassen. Der Senat hat daher nach intensiven Konsultationen mit

der Stadt beschlossen, das Relief auf dem Uni-Campus Jahnallee aufzustellen.

Die Diskussion wurde jedoch kürzlich neu angefacht durch einen offenen Brief von Erich Loest, in dem er das Relief als Bedrohung und Schande für die Stadt Leipzig bezeichnet und seine Einlagerung fordert.

(Volker Bandmann, CDU: Er hat recht!)

Nun kann man das Werk schön finden oder nicht,

(Jürgen Gansel, NPD: Sie wollten sicher etwas zum Thema NPD sagen!)

man kann auch über seine kunsthistorische Bedeutung trefflich streiten; aber der renommierte Kunstkritiker Peter Korfmacher hat richtig gesagt: „Belastbare Geschichte, auch Kunstgeschichte spielt immer im Vorgestern und sie wird geschrieben im Übermorgen.“

Mit anderen Worten: Die Frage der künstlerischen Qualität wird jede Generation neu beantworten. Schon aus diesem Grunde wäre mehr Souveränität beim Umgang mit dem künstlerischen Nachlass der DDR dringend anzuraten, auch Ihnen, lieber Kollege Clemen.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Bilderstürmerei ist heute in jedem Fall ein Atavismus, das heißt ein Rückfall in längst überholte Denk- und Verhaltensmuster,

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Hat er gesagt!)

der eine tiefgründige Auseinandersetzung mit der Geschichte erschwert oder sogar unmöglich macht.

Die alten Ägypter haben bereits nach der Devise „Weg mit dem Götzenbild, ehe uns der Blitz trifft“ die Geschichte einfach getilgt, indem sie alle bildlichen Darstellungen ihrer ungeliebten Vorgänger in den Tempeln und Grabkammern wegmeißelten. In der Französischen Revolution wurden im Namen des Guten und Wahren Schätze von Jahrtausenden zerstört. Die Sprengmeister von Ulbricht gingen mit architektonisch und kunsthistorisch einmaligen Kirchen und Schlössern auch nicht gerade zimperlich um.

Wir als Demokraten sollten uns auf keinen Fall in diese schlechte Tradition stellen.

Da meine Redezeit abgelaufen ist, muss ich nachher noch einmal ganz kurz das Wort ergreifen.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort. Wird es gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann frage ich die Fraktion GRÜNE. – Herr Dr. Gerstenberg.