Protocol of the Session on February 12, 2020

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserer heutigen Plenarsitzung. Es ist die 36. Plenarsitzung der laufenden Legislaturperiode. Im Einvernehmen mit dem Erweiterten Präsidium habe ich den Landtag für heute, 09.00 Uhr, einberufen und die Ihnen bisher vorliegende Tagesordnung festgesetzt. Es ist heute eine sehr umfangreiche Tagesordnung.

Vonseiten der Landesregierung darf ich mitteilen, dass aufgrund einer dienstlichen Verpflichtung Herr Ministerpräsident Tobias Hans erst ab 11.00 Uhr an der heutigen Plenarsitzung wird teilnehmen können.

Die Mitglieder des Erweiterten Präsidiums sind übereingekommen, unmittelbar nach der Wahl zwei Schwerpunktthemen zu behandeln, und zwar die Schwerpunktthemen „Erinnerungskultur“ und „Landwirtschaft“. Das sind die Tagesordnungspunkte 2, 3, 4 und 5 unserer Tagesordnung. Wir haben uns im Präsidium darauf verständigt, die Punkte 3 bis 5 in verbundener Aussprache im Umfang eines Grundredezeitmoduls zu beraten. Frage an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ob sich dagegen Widerspruch erhebt. - Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren.

Wir kommen dann zu Punkt 1 der Tagesordnung:

Wahl einer/eines Landesbeauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen (Wahlvorschlag Drucksache 16/1207 - neu)

Zu diesem Tagesordnungspunkt darf ich ganz herzlich die bisherige Landesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Frau Christa Maria Rupp, willkommen heißen. Ich darf Ihnen, liebe Frau Rupp, im Namen des Hauses für Ihr Engagement, für Ihre Tätigkeit im Sinne der behinderten Menschen unseres Landes ganz herzlich Danke schön sagen.

(Beifall des Hauses.)

Zu diesem Tagesordnungspunkt darf ich weitere Gäste begrüßen, die Vorsitzende des Landesverbands der Gehörlosen im Saarland, Frau Petra Krämer, Frau Annette Pauli als Mitglied des Landesbehindertenbeirats sowie dem Landesvorsitzenden des Sozialverbands VDK Saarland, unseren ehemaligen Kollegen Armin Lang. Seien Sie uns herzlich willkommen.

(Beifall des Hauses.)

Um es den Betroffenen zu ermöglichen, diesen Tagesordnungspunkt besser verfolgen zu können, darf ich den Gebärdendolmetscher Herrn Matthias Kneifeld bei uns herzlich begrüßen.

(Beifall des Hauses.)

Der Landtag hat im vergangenen Herbst eine Änderung des Saarländischen Behindertengleichstellungsgesetzes beschlossen. Wir haben beschlossen, dass diese Stelle künftig hauptamtlich besetzt wird. Die Änderung des Landesbehindertengleichstellungsgesetzes ist am 06. September des letzten Jahres in Kraft getreten. Eine entsprechende Stellenausschreibung wurde veröffentlicht. Es sind neun Bewerbungen eingegangen, die an alle Mitglieder des Landtages und an den Landesbeirat für die Belange von Menschen mit Behinderungen übermittelt wurden, letzteres gemäß § 18 Abs. 1 Satz 3 des Saarländischen Behindertengleichstellungsgesetzes.

Der Landesbeirat als auch der Sozialausschuss des Landtages haben jeweils eine Empfehlung für die Wahl des Bewerbers Prof. Dr. Bieber ausgesprochen. Das Präsidium unterbreitet ja dem Landtag gemäß Landesbehindertengleichstellungsgesetz einen Vorschlag. Das Präsidium des Landtags hat beschlossen, alle eingegangenen Bewerbungen in den Wahlvorschlag aufzunehmen. Dieser Wahlvorschlag liegt Ihnen als Drucksache 16/1207 - neu - vor.

Ich eröffne die Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Das Erweiterte Präsidium hat sich für eine schriftliche Wahl ausgesprochen. Wahlzettel und Umschläge werden Ihnen am Eingang zu Zimmer 30 ausge

händigt. Gültig sind nur die Wahlzettel, auf denen die Stimmabgabe im Kreis durch ein Kreuz eindeutig gekennzeichnet ist. Den Umschlag mit dem Wahlzettel bitte ich, in die Wahlurne einzuwerfen. Gewählt ist der Kandidat, der die Mehrzahl der Stimmen auf sich vereint.

Ich bitte nun die Schriftführer, die Namen der Abgeordneten zur Stimmabgabe aufzurufen.

(Die Schriftführer rufen die Namen der Abgeord- neten auf.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um Mitteilung, ob ein Mitglied des Hauses nicht aufgerufen worden ist. - Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich die beiden Schriftführer, mit der Auszählung der Stimmen zu beginnen.

(Die Schriftführer zählen die Stimmen aus.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis der Wahl bekannt. Es wurden 47 Stimmen abgegeben. Für Herrn Prof. Dr. Daniel Bieber wurden 43 Stimmen abgegeben. Für Frau Petra Moser-Meyer wurden 2 Stimmen abgegeben. Für Herrn Michael Schmaus wurde eine Stimme abgegeben, ebenso eine Stimme für Herrn Tom Jannick Selisko. Auf alle anderen Bewerber entfielen keine Stimmen.

Ich stelle damit fest, dass Herr Prof. Dr. Daniel Bieber zum Landesbeauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen gewählt ist. Herr Prof. Bieber, ich spreche Ihnen im Namen des Hauses die herzlichen Glückwünsche aus.

(Beifall des Hauses. - Gratulation durch die Ab- geordneten.)

Wir kommen zu Punkt 2 unserer Tagesordnung:

Beschlussfassung über den von der CDULandtagsfraktion und der SPD-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Eine lebendige Erinnerungskultur für eine starke Demokratie (Drucksache 16/1203)

Auch hierzu darf ich Gäste in unserem Plenum ganz herzlich begrüßen, zum einen den Beauftragten für jüdisches Leben im Saarland und gegen Antisemitismus, Herrn Prof. Dr. Roland Rixecker, und den Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Erinnerungsarbeit, Kirchenrat Frank-Matthias Hofmann. Seien Sie uns beide herzlich willkommen.

(Beifall des Hauses.)

Zur Begründung des Antrags der Koalitionsfraktionen erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzenden Alexander Funk das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.” So sprach 1996 der damalige Bundespräsident Roman Herzog in seiner Proklamation zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

Seither ist der 27. Januar ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag. Auch hier bei uns im saarländischen Landtag fand in diesem Jahr - wie auch in den Jahren zuvor - eine Gedenkstunde statt, um die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten wachzuhalten.

Der 27. Januar ist nicht zufällig gewählt. Vor 75 Jahren wurde am 27. Januar das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befreit, das neben vielen anderen Konzentrationslagern und Gräueltaten der Nazis zu dem Symbol für den Holocaust geworden ist. Bei diesen Gedenkstunden, ob im Bundestag oder hier bei uns im Landtag, kommen oft Zeitzeugen zu Wort. Es sind Überlebende des Holocaust, die an die Toten erinnern, ihnen einen Namen, ein Gesicht geben und die eindrucksvoll, authentisch und schmerzhaft erzählen, was sie erlebt haben.

Sie werfen aber auch Fragen auf: Wie konnten diese abscheulichen Verbrechen an der Menschheit geschehen? Wie konnte es so weit kommen? Warum haben so viele weggeschaut, nicht geholfen, geschwiegen?

Eine solche Gedenkstunde, an der ich teilgenommen habe und die mich tief bewegt hat, war 2013 im Deutschen Bundestag. Die Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron hat aus ihrem zerrissenen Leben berichtet. Sie ist eine deutsch-israelische Schriftstellerin, schrieb über die Auschwitz-Prozesse und wurde 1978 mit dem Buch „Ich trug den gelben Stern” berühmt.

Als Tochter eines jüdischen, sozialdemokratischen Gymnasiallehrers wuchs sie im Nazi-Deutschland in Berlin auf und überlebte, durch Glück und aufgrund von Zivilcourage, weil es auch im Nazi-Deutschland Menschen gab, die ihre Zivilcourage und Mit

(Präsident Toscani)

menschlichkeit nicht ablegten und Jüdinnen und Juden, besser gesagt, ihre Nachbarn und Freunde, bei sich versteckten.

Es waren aber leider viel zu wenige Menschen, die nicht wegschauten, die sich diesem Verbrecherregime rechtzeitig entgegenstellten. Wann wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, Hitler und die Nazis zu verhindern? 1933, bei der Machtergreifung? Bei den Reichstagswahlen 1930? Oder bei dem Scheitern der letzten parlamentarischen Regierung in der Weimarer Republik? Dem Scheitern der Großen Koalition am 27.03.1930? War es am 01.04.1933, als zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen wurde? Oder das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, als jüdische Beamte und Beamtinnen entlassen wurden, unter anderem auch der Vater von Inge Deutschkron?

„Wehret den Anfängen!“, heißt es heute oft. Doch woran erkennt man die Anfänge? Werden sie nicht allzu oft erst erkannt, wenn es zu spät ist? Inge Deutschkron berichtete im Deutschen Bundestag aus dem Berlin der Dreißigerjahre. Ich zitiere: „Fast täglich gab die Regierung neue Gesetze, neue Vorschriften, neue Verbote für Juden bekannt, nach denen wir leben mussten. In ein sogenanntes Judenhaus eingewiesen, mussten sich immer zwei Personen ein Zimmer teilen. Um unsere Ausgrenzung perfekt zu machen, wurden die Telefonkabel durchgeschnitten, nahm man uns die Radioapparate weg. Der Gang zum Friseur wurde uns verboten sowie das Waschen unserer Wäsche in einem Salon. Seife durfte uns nicht verkauft werden, auch Eier und Kuchen nicht. Das Einkaufen der wenigen uns zugeteilten Lebensmittel war uns nur zwischen 16.00 und 17.00 Uhr erlaubt. Besuche von Kulturstätten waren Juden als Erstes untersagt worden. Es schloss den Spaziergang im Grünen ein. Haustiere wurden Opfer der angeblichen Rasse ihrer Herrchen. Ach, es muss zu jener Zeit eine Riege von Unmenschen im Reichsinnenministerium beschäftigt worden sein, deren einzige Aufgabe es war, darüber nachzudenken, wie man Leben zur Qual macht.“

Erschreckend ist, dass immer weniger junge Menschen unsere Geschichte kennen. Im Jahr 2019 hat eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Forsa ergeben, dass nur 47 Prozent der befragten 14- bis 16-Jährigen wissen, dass Auschwitz-Birkenau ein Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg war.

Wenn aber die Jugend unsere Geschichte nicht kennt, wie sollen sie „den Anfängen wehren“? Wie sollen sie erkennen, wann es Zeit ist, aufzustehen, entgegenzutreten? Welchen Sinn hat es, dass unse

re Großväter schreckliche Fehler begangen haben, wenn wir heute daraus keine Konsequenzen ziehen?

Und dabei wird es zunehmend schwieriger, Schülerinnen und Schüler über Nationalsozialismus und Judenverfolgung aufzuklären: Zeitzeugen werden weniger und die Informationsflut in den sozialen Medien lässt die Grenzen zwischen Wahrheit und Unwahrheit immer häufiger verschwimmen. Hinzu kommt, dass Erinnerungskultur, die nur auf Schuld und Scham abzielt, abschreckt.

Um Schuld und Scham geht es auch nicht. Aber wie Helmut Kohl es schon formulierte: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“

(Beifall von den Regierungsfraktionen und bei der LINKEN.)

Vielleicht verstehen deshalb so viele in unserem Land die Aufregung um eine Ministerpräsidentenwahl in Thüringen nicht. „Es war doch eine demokratische Wahl“, sagen manche. Auch die AfD sei in den Landtag gewählt worden, man könne ein Viertel der Wählerinnen und Wähler nicht einfach ausgrenzen, meinen andere.

Ja, natürlich war es eine demokratische Wahl. Es war eine demokratische Wahl auch im thüringischen Landtag. Aber die Frage, die man sich doch stellen muss, lautet: Ab wann gefährden Wahlen die Demokratie? Heute wird in der Tagesanalyse der Saarbrücker Zeitung zu Recht darauf hingewiesen, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen kann, dass man die Weimarer Zeit nicht mit dem Grundgesetz, mit der heutigen Demokratie vergleichen kann, dass man Höcke nicht mit Hitler vergleichen kann. Das ist richtig. Und doch gelangen die Analysten zu einem Trugschluss. Das ist aus meiner Sicht nicht zu Ende gedacht. Denn politische Systeme sterben und gerade die Demokratie ist ein anfälliges System, ein labiles System, weil es vom Engagement der Menschen abhängt, ob es steht oder fällt.

Viele dieser Menschen, die der Meinung sind, dass das eine normale demokratische Wahl war, würde ich gerne in den Keller des Reichstagsgebäudes einladen, wo ich in meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter alle meine Gäste hinführte, nämlich zum Archiv der Deutschen Abgeordneten.

Der französische Künstler Christian Boltanski hat nahezu 5.000 Kästen mit den Namen der Abgeordneten beschriftet, die zwischen den Jahren 1919 und 1999 auf der Grundlage demokratischer Wahlen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung von 1919/1920, dem Reichstag der Wei

(Abg. Funk (CDU) )

marer Republik oder dem Deutschen Bundestag angehörten. Tragik erhält diese Installation durch die zahlreichen mit schwarzen Bändern versehenen Boxen jener Abgeordneten, die von den Nazis ermordet wurden. Viele meiner Besucher fanden es befremdlich, dass dort auch Abgeordnete der NSDAP verewigt sind. Christian Boltanski war es aber wichtig, deutlich zu machen, dass auch diese demokratisch in den Reichstag gewählt wurden. So spiegelt das Archiv der Deutschen Abgeordneten nicht nur die Errungenschaften, sondern auch die Verwerfungen deutscher Parlamentsgeschichte wider.

Woran erkennt man die Anfänge? - Damit junge Menschen eine Vorstellung davon erhalten, was Krieg, Diktatur und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bedeuten, ist es notwendig, solche Orte der Erinnerung zu bewahren.