Protocol of the Session on April 1, 2019

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie ganz herzlich zu einer Sondersitzung des saarländischen Landtages. Wir freuen uns, dass der Präsident der Europäischen Kommission heute das Saarland und sein Parlament besucht. Exzellenz, Herr Präsident, lieber Jean-Claude Juncker, herzlich willkommen in unserer Mitte!

(Beifall des Hauses.)

Wir begrüßen Sie aber nicht nur als Kommissionspräsidenten. Wir begrüßen Sie auch als Nachbarn und Freund, ein Freund, der als Premierminister von Luxemburg unsere Großregion SaarLorLux maßgeblich geprägt hat, der das Saarland aus jahrzehntelanger vertrauensvoller Zusammenarbeit kennt. Ihr heutiger Besuch - eine große Ehre für unser Bundesland! Wir sind Saarländer, wir sind Deutsche, wir sind Europäer. Wir Saarländer waren das erste Bundesland, das den Europaauftrag in seine Verfassung aufgenommen hat. Der Europäische Auftrag, er gehört zu unserer Identität. Wir empfinden deshalb Ihren Besuch als Wertschätzung für unser europäisches Engagement.

Sie besuchen nicht nur die Landtage von Bayern und Baden-Württemberg, sondern auch das Parlament des kleinsten deutschen Flächenlandes. Das unterstreicht Ihr Gespür für die kleinen Länder. Gerade das Miteinander großer und kleiner Länder macht ja den Föderalismus aus. Mit Ihrem heutigen Besuch stärken Sie die Bedeutung der Regionen für die Europäische Union. Wir Menschen haben das Bedürfnis nach Überschaubarkeit und Wurzeln. Genau das erfüllen Regionen. Deshalb können sie Mittler sein zwischen der EU und ihren Bürgern. Regionen geben Europa eine Stimme. Gleichzeitig können sie eine Stimme für Europa sein. So verstanden bilden Regionen das stabile Fundament, auf dem die Europäische Union aufbaut.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, regionale, nationale und europäische Identität arbeiten nicht gegeneinander. Regionale, nationale und europäische Identität ergänzen sich, sie gehören zusammen. Das kann man in diesen Zeiten gar nicht oft genug betonen.

(Beifall.)

Lieber Jean-Claude Juncker, Sie haben Ihren offiziellen Besuch heute Morgen in der Staatskanzlei bei unserem Ministerpräsidenten Tobias Hans begon

nen, der zurzeit auch amtierender Präsident des Gipfels der Großregion ist. Mit dabei waren die stellvertretende Ministerpräsidentin Anke Rehlinger und Europaminister Peter Strobel, den ich in unserer Plenarsitzung entschuldigen möchte; er nimmt als Vertreter des Bundesrats an einer Konferenz zur Zukunft der EU in Bukarest teil. Beim Gespräch mit der Spitze der Landesregierung ging es um europäische Themen, die für das Saarland von besonderer Bedeutung sind, zum Beispiel die Ausschreibung für Europäische Hochschulen. Unsere Uni der Großregion hat sich ja auch dafür beworben. Oder die Situation der saarländischen Stahlindustrie. Auch da gibt es Rückwirkungen von der europäischen Ebene hin auch zu unserer Stahlindustrie. Oder zum Beispiel die Rolle von Grenzregionen, ihre rechtlichen Möglichkeiten und ihre finanzielle Unterstützung durch die EU.

Hier im Parlament, im Herz der Demokratie ist Raum für die saarländische Öffentlichkeit, ist Raum für die Großregion. Wir haben heute unterschiedliche Repräsentanten zu Gast. Erlauben Sie mir, einige davon namentlich zu begrüßen: die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Christian Petry, Oliver Luksic und Markus Tressel; für die saarländische Gerichtsbarkeit den Präsidenten unseres Verfassungsgerichtshofes Professor Roland Rixecker; stellvertretend für die Religionsgemeinschaften den Weihbischof von Speyer Otto Georgens; stellvertretend für die Medien den Intendanten des Saarländischen Rundfunks Professor Thomas Kleist und den Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung Peter Stefan Herbst. Ihnen allen ein herzliches Willkommen. Schön, dass Sie da sind!

(Beifall des Hauses.)

Es ist eine Geste der Freundschaft, es ist eine Geste der Verbundenheit, dass heute auch Freunde aus Frankreich zu uns gekommen sind. Ich darf begrüßen die Generalkonsulin der Republik Frankreich im Saarland Catherine Robinet, den Abgeordneten der Assemblée nationale Christophe Arend, die Vizepräsidentin der Region Grand Est Nicole MuellerBecker, den ehemaligen Präsidenten unserer Nachbarregion Grand Est Philippe Richert sowie den Präsidenten unseres Nachbardepartements Moselle Patrick Weiten. Chers amis français, merci d‘être venu, soyez les bienvenus!

(Beifall des Hauses.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen wenige Wochen vor der Europawahl. Sie kann das weitere Schicksal unseres Kontinents entscheidend beeinflussen. Als Jean-Claude Juncker im Herbst 2014 Kommissionspräsident wurde - das ist nicht einmal fünf Jahre her -, hatte die Ukraine-Krise gerade begonnen. Da gab es noch keine Flüchtlingskrise, kein Brexit-Referendum, keinen US-Präsidenten

wie Donald Trump, kein chinesisches Seidenstraßen-Projekt. Was für eine Kumulation, was für eine Verdichtung von schwierigen Aufgaben für die EU und ihren Kommissionspräsidenten in ganz wenigen Jahren! - Herr Präsident, lieber Jean-Claude Juncker, wir sind gespannt auf Ihre Rede, Sie haben das Wort!

(Beifall.)

Rede S.E. des Präsidenten der Europäischen Kommission, Herrn Jean-Claude Juncker

Herr Landtagspräsident! Herr Ministerpräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Minister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Und für viele von Ihnen: Liebe Freunde, sowohl im Plenum als auch jenseits des Plenums! Bonjour, c’est bien de vous avoir parmi nous. Vous êtes tous des amis!

Ich bin heute Morgen gerne ins Saarland gereist. Ich muss, wenn ich irgendwo bin, immer sagen, dass ich gerne da bin. Meistens stimmt das nicht.

(Heiterkeit.)

Heute Morgen stimmt das aber in vollem Umfang, weil ich mich hier fast auf heimischem Boden fühle. Ich war lange Zeit Premierminister von Luxemburg, habe also das Saarland atmen gespürt, manchmal im Nacken, manchmal von vorne. Deshalb bin ich gerne hier. Ich freue mich auch, Vorgänger des heutigen Ministerpräsidenten zu sehen, Oskar Lafontaine und Reinhard Klimmt. Das macht mich jünger.

(Heiterkeit.)

Wir haben vieles gemeinsam bewirkt, in der Großregion, auch im deutsch-luxemburgischen Verhältnis. Ich bin froh, hier zu sein, weil das Saarland mir besonders nahe steht, das Saarland mit seiner wechselhaften Geschichte, an die sich die jüngeren Saarländer wahrscheinlich nicht in jedem Detail erinnern werden, auch nicht an jede Etappe, jede Wegstrecke. Diese wechselhafte Geschichte, dieses Wandern zwischen den Welten hat die Saarländer aber zusammengeschweißt und hat sie europatauglich gemacht - mehr als viele andere.

Ich bin gerne hier, weil Luxemburg und das Saarland in doppelter Beziehung die zweitkleinsten Länder sind. Das Saarland nach Bremen, Luxemburg nach Malta. Ich war immer sehr für den Beitritt Maltas in die Europäische Union, weil ich den Gedanken mochte, dass Luxemburg an dem Tag des Beitritts aufgehört haben würde, das kleinste Land der Europäischen Union zu sein.

(Vereinzelt Heiterkeit.)

Aber ich bilde mir ein, ein besonderes Gespür für kleine Einheiten zu haben, und weiß deshalb, dass kleine Länder, sowohl in der Bundesrepublik als auch in Europa, sich dadurch auszeichnen, dass sie besonders gut zuhören können. Kleine Länder brauchen lange Ohren, große Ohren und Stimme!

(Der Saaldiener fährt das Rednerpult höher.)

Passt das Ihnen so?

(Große Heiterkeit und Beifall.)

In unserer Grenzregion, in unserer Großregion, für die wir noch immer keinen anständigen Namen gefunden haben, sind Grenzen nicht trennende Landstriche, sondern verbindende Elemente. Deshalb trifft hier das Wort von Robert Schuman in besonderem Maße zu, der gesagt hat, dass Grenzen Beziehungslinien sind. Das sind sie hier in der Tat, hier haben sie alles Trennende verloren. Was in früheren Jahrzehnten zu schrecklichsten Vorkommnissen geführt hat, ist in der geschichtlichen Erinnerung gut aufgehoben, und ich freue mich immer darüber, dass auch zwischen Luxemburg und dem Saarland und Deutschland die Verhältnisse normal geworden sind. Bei Kriegsende hätte das niemand für möglich gehalten. Deshalb bleibt es dabei, dass die Europäische Union in allererster Linie ein Friedensprojekt ist, eigentlich das gelungenste Friedensprojekt, das man weltweit besichtigen kann. Ich bin gerne in Afrika, gerne in Asien, denn wenn ich dort aus dem Flugzeug steige, werde ich als Europäer mit großer Begeisterung empfangen. Alle sagen, das ist ganz toll, was ihr da geschafft habt. Wenn ich dann wieder in Luxemburg oder in Brüssel im Tal der Tränen lande

(Vereinzelt Lachen)

und mir anhören muss, was alles nicht klappt, was alles nicht stimmig ist, dann habe ich oft Lust, sofort wieder ins Flugzeug zu steigen.

Wobei ich gerne sagen möchte, dass diejenigen, die Kritik an der Europäischen Union äußern und richtige Fragen, bange Fragen an die europäische Adresse richten, nicht sofort im Lager der „Antieuropäer“ unterzubringen sind. Es gibt viele Fragen, die man an Europa richten muss, und derjenige, der das tut, wird nur schemenhaft beschrieben, wenn man ihn einen Nichteuropäer nennt. Das sind die Leute im Regelfall nicht, vielmehr haben sie berechtigte Sorgen, die wir ernst und ernster nehmen müssen. Das haben wir in der Großregion auch immer gemacht. Ich habe 1995 mit Oskar Lafontaine den Gipfel der Großregion erfunden. Der erste war in Bad Mondorf, Luxemburg. Seither sind die Gipfelstürmer unterwegs, aber ohne uns beide würde niemand laufen; wir haben sie in Trab gebracht und das war auch gut so.

(Beifall.)

(Präsident Toscani)

Was zeichnet objektiv betrachtet dieses Europa aus, in dem wir leben? - Viele Dinge, die den Menschen nicht so sehr bewusst sind. Europa ist der kleinste Kontinent. Die Europäische Union ist 5,5 Millionen Quadratkilometer groß. Direkte Nachbarn, Türken, Russen - 17,5, 18,5, 20,5 Millionen Quadratkilometer. Noch Fragen?

Wir sind heute mit 25 Prozent an der globalen Wertschöpfung beteiligt. In einigen Jahren werden es noch 16, 17, 18 Prozent sein. Unsere Wirtschaftskraft nimmt ab, demografisch sind wir auch nicht in Höchstform. Am Anfang des 20. Jahrhunderts stellten die Europäer 25 Prozent der Weltbevölkerung dar, heute sind es 7 Prozent, am Ende dieses Jahrhunderts werden von 10 Milliarden Menschen 4 Prozent Europäer sein. Deshalb ist es nicht der richtige Moment, um uns in nationale Einheiten zurückzuverzwergen, vielmehr ist der Moment gekommen, an dem man aufgrund dieser objektiven Tatsachen, die man nicht ändern kann, feststellen muss: Nur gemeinsam können wir Einfluss auf das Weltgeschehen haben, nur gemeinsam können wir unsere eigene Zukunft gestalten.

Deshalb - bei aller Freude über den mancherorts aufkeimenden gesunden Patriotismus, das Verliebtsein in sich selbst - bin ich dagegen, dass man sich wieder in nationalen Irrwahn verrennt.

(Lebhafter Beifall.)

Gesunder Patriotismus - ja, stupider Nationalismus nein!

(Beifall.)

So muss man Europa auch gestalten. Ich bin kein Anhänger des Konzeptes der Vereinigten Staaten von Europa. Ich war das bis zum zarten Alter von 16, 17 Jahren. Jetzt, als postpubertärer Großsäugling, kann ich mich diesem Konzept nicht mehr anschließen, weil ich der Meinung bin, dass man Europa nicht gegen die Nationen errichten kann. Man muss das mit den Nationen tun. Europa ist kein Gegenentwurf zum Nationalstaat. Und diejenigen, die aus gut gemeinten Gründen denken, wir könnten Europa auf den Weg der Verstaatlichung bringen, scheitern an einem wichtigen Element, den Menschen! Die Menschen möchten Saarländer und Deutsche, Luxemburger, Elsässer, Lothringer und Franzosen bleiben. Die möchten nicht einen europäischen Schmelztiegel haben, in dem sie sich nicht anständig bewegen können.

Als ich Kommissionspräsident wurde - das war am 01. November 2014 -, habe ich mich kundig gemacht, soweit ich es noch nicht war, um festzustellen, dass wir mehrere Krisen in Europa haben. Wir hatten eine Beschäftigungskrise, eine Investitionskrise und eine Wachstumskrise. Mit diesen drei Themen haben wir uns intensivst beschäftigt, indem wir

als Kommission gesagt haben, wir müssen groß in großen Dingen sein und zurückhaltend, timide, bescheiden in kleinen Dingen. Das haben wir gemacht.

Das Schlimme ist: Niemand merkt das. Ich verfolge die Parteitage und alle möglichen öffentlichen Auftritte führender Figuren der kleineren Republiken, die Luxemburg umringen, und stelle fest: Man nimmt nicht zur Kenntnis, dass die Dinge sich geändert haben. Früher, bis vor fünf Jahren, hat jede Kommission pro Jahr 120, 130 neue Initiativen losgetreten. Wir haben das auf 20, 25 reduziert. Das reicht, das reicht absolut, wenn man das anständig macht, wenn man die großen Probleme unserer Zeit anständig begleitet. Wieso sagt das eigentlich nie jemand? Alle reden davon, auch mir sehr nahe stehende deutsche Ministerpräsidenten, dass in Brüssel zu viel Klein-Klein passiert. Aber es passiert weniger Klein-Klein als früher. Zu meinen großen Lebensleistungen gehört, dass ich mit Todesverachtung verhindert habe, dass die Kommission europäische Toilettenspülungen harmonisiert.

(Vereinzelt Lachen.)

Am Anfang der Ukraine-Krise wollte ich nicht derjenige sein, der die europäische Tagesordnung bereichert um derart weitreichende Konsequenzen zeitigende Initiativen der Europäischen Kommission.

Wir haben uns auf das Soziale konzentriert mit Ergebnissen, die für mich nicht zufriedenstellend sind, die aber trotzdem zu begrüßen sind. Wir haben seit Amtsantritt dieser Kommission 12,5 Millionen Arbeitsplätze in Europa geschaffen. Die Beschäftigungsquote ist so hoch wie noch nie. 240 Millionen Europäer sind in Arbeit. Das ist eine Beschäftigungsquote von 73,2 Prozent. Bei Amtsantritt hatten wir eine Beschäftigungsquote von 63,3 Prozent. Wäre die Arbeitslosigkeit um 12 Millionen nach oben gegangen und die Beschäftigungsquote um 10 Prozent nach unten, dann weiß ich, wer daran schuld wäre. Dann würde es heißen: Juncker ist der Mann, durch den die Arbeitslosigkeit in Europa nach oben gegangen ist und die Beschäftigungsquote nach unten. Aber jetzt sagt niemand: „Das war die Kommission.“ Es war auch nicht die Kommission. Es war sie jedenfalls nicht allein, obwohl wir direkt im November 2014 einen Investitionsplan auf den Weg gebracht hatten in Höhe von 390 Milliarden Euro, neue Investitionen in Europa. Wir haben uns dabei nicht verschuldet, sondern wir haben neue Finanzierungsinstrumente ersonnen, die via Hebelwirkung Investitionen von 390 Milliarden Euro zur Folge gehabt haben.

Das hieß früher Juncker-Plan, weil die mir nicht gut Gesonnenen eigentlich wollten, dass derjenige, der für das Misslingen, für den Fehlschlag zuständig gewesen wäre, einen Namen hat. Jetzt ist das ein Erfolg geworden, jetzt heißt es Europäischer Fonds für

(Präsident der Europäischen Kommission Juncker)

strategische Investitionen. Es ist aber genau der aus den bekannten Gründen nach mir benannte Juncker-Fonds. Der hat was gebracht. Wachstum ist in Europa wieder heimisch geworden, in allen 21 Mitgliedsstaaten. Die europäische Wirtschaft ist um 1,9 Prozent in 2018 gewachsen, wir hatten 23 Trimester, 23 Quartale ständigen Wachstums, mehr als in den USA. Das sollte man nicht allzu kleinschreiben. Wenn es nämlich umgekehrt wäre, würde das sehr großgeschrieben werden. Das ist also kein Grund, die Erfolge jetzt kleinzuschreiben.

(Verbreitet Beifall.)