Protocol of the Session on November 30, 2016

Sie haben noch das Thema Referendum angesprochen. Sie haben es nicht so genannt, aber das Referendum ist der Volksentscheid von oben, dass ein Parlament oder ein Kreistag eben ein Thema zur Abstimmung stellt. Sie haben sich darüber mokiert, dass das in Thüringen gemacht werden kann, dass also ein Kreistag ein Thema zur Abstimmung stellen kann. Ich sage Ihnen, in Hessen ist das auf Landesebene bei Verfassungsänderungen sogar Pflicht. Wenn der Hessische Landtag die Verfassung ändern will, muss die Bevölkerung zustimmen.

(Abg. Theis (CDU) : Deshalb steht auch noch die Todesstrafe in der Verfassung.)

Ja, das ist allerdings eine Regelung, die wegen Bundesrecht nicht zur Anwendung kommt, im Gegensatz zur Volksgesetzgebung, die dort sehr wohl so zur Anwendung kommt.

(Abg. Theis (CDU) : Es steht trotzdem drin.)

Was das Einzelthema angeht, habe ich schon durch Zwischenruf geltend gemacht, natürlich geht es bei einer Kommunalwahl um mehr als nur ein Thema. Wenn irgendein Thema zur Abstimmung steht, das mich überhaupt nicht interessiert, wo ich weder dafür noch dagegen bin, das mich überhaupt nicht betrifft, dann kann es schon mal sein, dass ich an der Abstimmung nicht teilnehme. Das ist auch vollkommen legitim, das ist dann äquivalent zur Enthaltung. Aber natürlich ist es deshalb vollkommen normal, dass bei einer Kommunalwahl mehr Leute teilnehmen als bei einer Einzelabstimmung. Insgesamt kann ich Ihrer Argumentation nicht folgen. Wir werden abstimmen wie angekündigt. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN.)

Herr Abgeordneter Klaus Kessler hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Ich lasse diese zu. Bitte schön.

Zur Klarstellung. Der Kollege Augustin hat vorhin gesagt, in unserem Antrag hätten wir die 15-ProzentHürde als einzige Hürde genannt, ohne darauf einzugehen, dass es hier auch Abweichungen geben kann. Ich möchte den Kollegen Augustin darauf hinweisen, dass er seinerseits unseren Antrag genau lesen sollte, denn nach dem Satz mit den 15 Prozent steht: „Abweichende Regelungen werden von der Einwohnerzahl der Gemeinde abhängig gemacht.“ Insofern haben wir durchaus eine differenzierte Regelung in unserem Antrag in der Begrün

dung beziehungsweise im Einleitungstext verwandt. Dies zur Klarstellung. - Vielen Dank.

(Beifall von B 90/GRÜNE.)

Herr Abgeordneter Augustin, wünschen Sie eine Erwiderung zum Beitrag?

Okay. Dann fahren wir fort. - Das Wort hat für die SPD-Fraktion die Kollegin Petra Berg.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allein die Diskussion hier im Hause zeigt schon, dass dieses Thema doch sehr komplex ist und nicht so ganz einfach zu beantworten. Dennoch finde ich doch vieles richtig und auch wichtig, was hier gesagt wurde, denn ich glaube, jeder hier im Hause hat ein Interesse daran, Bürger stärker an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen.

Die Frage ist, wie man so etwas sinnvoll gestalten kann, denn Demokratie funktioniert nicht von alleine. Eine funktionierende Demokratie benötigt Vertrauen, Aktivität und Verständnis, Vertrauen zum einen in die beteiligten Akteurinnen und Akteure und auch die Sinnhaftigkeit, die Aktivität in Form einer Breitenbeteiligung an der Meinungsbildung und den Abstimmungsprozessen sowie auch die Übernahme von Verantwortung für Entscheidungen und letztlich auch ein Verständnis davon, wie demokratische Abläufe funktionieren, wie Wahlen und Abstimmungen die freiheitliche Demokratie bestimmen.

Ja, es ist so, dass wir zu Beginn der Legislatur schon einmal Volksentscheide hier im Landtag beschlossen haben, aber Herr Augustin, wenn ich mich recht entsinne, gab es bislang zwei Initiativen, die Initiative der LINKEN und jetzt die Initiative G8/G9, die überhaupt zu einer Abstimmung hätten gelangen können. Da kann man natürlich trefflich darüber streiten, sind die Quoren zu hoch oder ist das Interesse zu niedrig. Auch da kann man sich trefflich darüber streiten. Aber wo nur zwei Initiativen sind, können natürlich keine fünf Anträge erfolgreich behandelt werden.

Demokratie funktioniert nicht von alleine, auch eine funktionierende Demokratie muss stets neu erarbeitet werden. Es ist daher richtig und wichtig, beständig darüber nachzudenken, wie man sie dem gesellschaftlichen Wandel, den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen kann und wie sie gestärkt werden kann, wie Bürgerinnen und Bürger leichter aktiv

(Abg. Augustin (PIRATEN) )

in den demokratischen Prozess eingebunden werden können und auch wie sich Bürgerinnen und Bürger als Teil einer demokratischen Gesellschaft erleben können.

Aber nicht jede Forderung hiernach wird auch diesem Anspruch gerecht. Nicht jeder, der mehr Demokratie fordert, will tatsächlich mehr Demokratie verwirklichen. Vielfach werden Einzelinteressen verfolgt. Ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass ich dabei nicht an die handelnden Personen hier im Haus denke. Ich denke dabei an Initiatoren.

Beispielhaft seien an dieser Stelle die Ziele stramm rechter Gruppierungen von Volksentscheiden über Minarettverbote genannt. Demokratie ist in dem Fall nur Mittel zum Zweck. Demokratie darf aber niemals zum Selbstzweck werden. Demokratie ist ein Basiswert an sich und die Forderungen nach mehr Demokratie müssen sich an der Zielsetzung und auch am Gemeinwohl messen lassen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Nicht alles, was scheinbar für mehr Demokratie sorgt, ist auch tatsächlich demokratischer, gerechter oder führt gar zu besseren Ergebnissen für Bürgerinnen und Bürger.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD kämpft so lange für mehr Demokratie wie keine andere Partei. Ich darf an den Einsatz gegen das Dreiklassenwahlrecht erinnern, das Stimmrecht für Frauen bis hin zu Willy Brandts „mehr Demokratie wagen“ und auch heute das Wahlrecht ab 16. Wir haben Erfahrungen gemacht mit solchen, die Demokratie nur zur Errichtung zutiefst antidemokratischer Strukturen ausnutzen. Wir haben Erfahrungen mit demokratischen Elementen gemacht, die vielleicht sogar gut gemeint waren, doch im Ergebnis zu einem Verlust der Funktionsfähigkeit und letztendlich zu weniger Demokratie geführt haben.

Im Grundgesetz der Bundesrepublik spiegeln sich diese Erfahrungen allesamt wider. Nicht umsonst findet sich hier ein eindeutiges Bekenntnis auch zur repräsentativen Demokratie und nicht umsonst wurde eine wehrhafte Demokratie ausgestaltet. Aus diesen Erkenntnissen resultierend stehen sowohl im Grundgesetz der Bundesrepublik und auch in der saarländischen Verfassung die direkte Demokratie und die repräsentative Demokratie gleichrangig nebeneinander. Direkte und repräsentative Demokratie ergänzen sich nämlich und stärken sich gegeneinander im Bund, im Land und auch in den Kommunen.

Die von den Bürgerinnen und Bürgern in die Kommunalparlamente entsandten Vertreter übernehmen ehrenamtlich eine große Verantwortung für ihre Gemeinde und engagieren sich mit einem enorm hohen Zeitaufwand für die Belange der Bevölkerung. Damit, meine Damen und Herren, wird gewährleistet,

dass nicht Einzelinteressen oder besonders aktive Gruppen gegenüber vitalen Gemeinschaftsinteressen bevorzugt werden. Es stellt sich die Frage, ob durch die vorliegenden Anträge der Fraktionen GRÜNE und LINKE dieses System so gestärkt werden kann, dass es eine größere Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen gewährleistet.

Meine Damen und Herren, wissenschaftliche Untersuchungen direktdemokratischer Elemente zeigen, dass gerade die gesellschaftlichen Gruppen, welche im normalen Politikbetrieb sowieso schon besser repräsentiert sind, dadurch noch mehr Einfluss geltend machen können. Direktdemokratische Elemente werden häufig von Personen genutzt, die einen hohen Bildungsabschluss haben und über überdurchschnittliche zeitliche und finanzielle Ressourcen verfügen. Auch das müssen wir im Auge behalten.

(Beifall des Abgeordneten Waluga (SPD).)

Nach dem Thüringer Gesetz über das Verfahren bei Einwohnerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid genügt stellenweise schon eine Mehrheit von 10 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner, um politische Entscheidungen treffen zu können. Damit kann doch wirklich nicht mehr von einer demokratischen Entscheidung gesprochen werden. Das ist die Legitimation von Partikularinteressen. Auch da muss man vorsichtig sein. Direkte Demokratie darf nämlich nicht dazu führen, dass notwendige, übergeordnete Planungen verhindert, Minderheitenrechte ausgehöhlt oder Verfassungsrecht tangiert wird.

Eine sorgsame Themenauswahl ist daher Grundvoraussetzung. Das wurde auch verschiedentlich schon angesprochen. Zum Beispiel hat technische Infrastruktur die Eigenschaft, dass möglichst jeder davon profitieren will, die Bereitschaft aber, dafür notwendige Einrichtungen in der jeweils eigenen unmittelbaren Nähe zu tolerieren, ist jedoch häufig nicht so sehr ausgeprägt. Sie wissen, wovon ich spreche.

Oder nehmen wir zum Beispiel ganz allgemein die Interessen von Menschen, die ins Grüne ziehen wollen. Die haben andere Interessen als die Menschen, die dort schon wohnen und vielleicht diese grüne Wiese behalten wollen. Auch das sind widerstreitende Interessen. Das zeigt, dass gerade im kommunalen Bereich oft vielfältige, einander widersprechende Interessen berücksichtigt und sorgsam abgewogen werden müssen. In diesen Fällen liegt es auf der Hand, dass die beste Lösung durch das Aushandeln eines Kompromisses durch legitimierte Vertreterinnen und Vertreter unter Berücksichtigung aller berechtigten Interessen gefunden werden kann.

Ich bin überzeugt davon, dass die Bürgerinnen und Bürger auch ganz bewusst Mandatsträgern ihr Vertrauen aussprechen, weil sie selbst nicht die zeitlichen Ressourcen haben, um auch fundierte Ent

(Abg. Berg (SPD) )

scheidungen treffen zu können. Direkte Demokratie ist sicherlich ein geeignetes Mittel, die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar in die Prozesse einzubeziehen. Sie muss aber zwingend dazu führen, dass alle Interessen berücksichtigt werden können. Sie darf niemals dazu führen, dass das Recht des Stärkeren gilt und schwächere Bevölkerungsschichten benachteiligt werden.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Die Bürgerinnen und Bürger wählen auch deshalb ihre Vertretungen in die Parlamente, weil dort Themen behandelt werden, die zum Teil sehr komplex sind - wie zum Beispiel Bauleitpläne - und zudem viele unterschiedliche Interessen berühren. Eine ordnungsgemäße Behandlung in einem demokratisch legitimierten Gremium ist deshalb auch im Sinne eines funktionierenden Gemeinwesens.

Die beiden vorliegenden Anträge befassen sich in keiner Weise mit diesen Fragestellungen. Wie gesagt, beides kann nebeneinander stehen - die direkte und die repräsentative Demokratie. Aber jede für sich erfüllt ihre Aufgabe. Welche Voraussetzungen soll eine stärkere Bürgerbeteiligung denn nun bieten - um den Menschen tatsächlich eine bessere Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen zu ermöglichen, um zu verhindern, dass eine lautstarke Minderheit Gemeinwohlinteressen gefährdet, und um zu gewährleisten, dass direkte und repräsentative Demokratie gleichrangig weiterhin nebeneinander bestehen können? Die vorliegenden Anträge geben auf diese Fragen keine Antworten.

Wählerinnen und Wähler, Bürgerinnen und Bürger setzen auf mehr Demokratie - mehr Demokratie für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, mehr Demokratie, die Gerechtigkeit gewährt, und mehr Demokratie, die Schutz und Sicherheit für alle gewährt. Repräsentative und direkte Demokratie müssen nach unserer Meinung vernünftigerweise so ausgestaltet sein, dass sie diese Voraussetzungen erfüllen. Nur dann kann eine Gesellschaft funktionieren und Gemeinwohl gelingen. Wir sind der Auffassung, diese Anträge genügen diesen Voraussetzungen nicht. Wir müssen sie deshalb ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Das Wort hat für die Fraktion DIE LINKE die Kollegin Birgit Huonker.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Was hier gesagt wurde, kann nicht unwidersprochen bleiben, das geht nicht. Ich kann mich erinnern, zwischen 2009 und 2012 hat es unter der damaligen Jamaika-Koalition bereits eine Pressekonferenz ge

geben, wo die erarbeiteten Vorschläge für mehr Bürgerbeteiligung, also für mehr direkte Demokratie, vorgestellt wurden. Es war irgendwann im Sommer, das weiß ich noch. Kurze Zeit später sollte dies als Gesetz eingebracht werden. Es ist nicht eingebracht worden.

Frau Berg, Sie haben argumentiert, wir hätten im Saarland möglicherweise zu wenig Bürgerbegehren oder Bürgerentscheide, weil das Interesse zu gering sei. Umgekehrt kann man sagen: Wahrscheinlich kommt das nicht zustande, weil die Hürden zu hoch sind. Das könnte doch auch der Grund sein.

(Zuruf der Abgeordneten Berg (SPD).)

Ich wollte auch noch etwas sagen zu den Ausführungen der Kollegin von der CDU. Wir haben hier zum wiederholten Male Anträge eingebracht, damit wir im Saarland mehr Demokratie und mehr Möglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger bekommen, vor Ort mitzuentscheiden. All diese Ausflüchte, die ich auch heute wieder höre, höre ich schon seit mehreren Jahren. Jedes Mal heißt es, man wird mal schauen. Fest steht, dass die CDU und die SPD zwar von mehr Demokratie reden, es aber letztlich nicht wollen.

(Beifall von der LINKEN.)

Ich habe beiden Vorrednerinnen aufmerksam zugehört. Es ist nur noch heiße Luft, es ist den Leuten Sand in die Augen gestreut. Ich habe Ihnen Zitate gebracht aus Ihrem Koalitionsvertrag. Ich habe dazu nichts von Ihnen beiden gehört. Vielleicht kommt ja noch etwas, vielleicht haben Sie es noch vor in den nächsten vier Monaten. Aber ich bin mittlerweile richtig wütend.

(Au, au! bei CDU und SPD.)

Noch etwas. Wenn man sagt, dass man in den Gemeinderäten Fachverstand hat, kann ich Ihnen sehr viele Beispiele bringen, wo ich mir manchmal auch Fachverstand von außen wünschte, auch von den Leuten, die dann Initiativen starten. Eine Koppelung zwischen parlamentarischer Demokratie und direkter Demokratie ist doch etwas Belebendes. Da müssten doch Wege zu finden sein.

(Zuruf der Abgeordneten Berg (SPD).)